Pubertät

[592] Pubertät, Mannbarkeit, heißt der Zeitraum des menschlichen Lebens, in welchem die Kindheit unter höchst merkwürdigen geistigen und körperlichen Erscheinungen in das reifere Jugendalter übergeht und die zur Fortpflanzung erfoderliche selbständige Reise beider Geschlechter eintritt. Während vorher die Kinder ihrer allgemeinen äußern Erscheinung, ihrer Sprache, ihrem Charakter nach u.s.w. in gewisser Beziehung nur Menschen ohne Geschlecht, kurz nur Kinder sind, ändert sich dies Alles mit dem Eintritte der Pubertät, die den Knaben schnell zum Jüngling, das Mädchen zur Jungfrau ausbildet. Die damit verbundenen Entwickelungsvorgänge werden durch mannichfache Umstände entweder beschleunigt oder verzögert, sodaß sie je nach Geschlecht, Klima, Lebensweise und Erziehung früher oder später eintreten. Im Allgemeinen ist als Regel anzunehmen, daß das weibliche Geschlecht überall um 2–3 Jahre früher mannbar wird als das männliche, und daß die Mannbarkeit unter heißen Himmelsstrichen früher beginnt als in gemäßigten, am spätesten aber in kalten. Auch in großen Städten, wo Erziehung und Lebensweise den Körper verzärteln, den Geist auf Kosten des Körpers ausbilden, die Einbildungskraft erhitzen und lasterhafte Gewohnheiten nicht selten sind, vollendet sich dieser Lebensabschnitt früher, als es sonst unter demselben Klima gewöhnlich ist. In unsern Gegenden geschieht dies beim andern Geschlechte durchschnittlich im 13.–15., bei Knaben im 14.–16. Lebensjahre, in heißen Ländern aber einige Jahre vorher. Unter den begleitenden körperlichen Veränderungen fällt am weiblichen Geschlechte vorzüglich der Ausdruck von Fülle und Lebensblüte ins Auge, der Überfluß an Säften befördert an verschiedenen Stellen des Körpers den Haarwuchs und beim weiblichen Geschlecht fängt die Natur außerdem an, denselben in regelmäßigen Zwischenräumen auszuscheiden. Die Stimme erhält, nachdem sie eine Zeit lang einen rauhen, unangenehmen Ton angenommen hat, ihren eigenthümlichen bleibenden Klang, der Blick wird seelenvoller u.s.w. Aber auch der vielleicht schon hochgewachsene Knabe wird stärker und muskelkräftiger; er wird breiter und umfänglicher in der Brust, der Bart beginnt zu keimen, die Ausdünstung der Haut nimmt einen stärkern eigenthümlichen Geruch an und bei beiden Geschlechtern wird der Geschlechtstrieb rege. Nicht minder auffallend als die körperlichen Veränderungen sind die in geistiger und gemüthlicher Hinsicht. Häufig verfällt das mannbar werdende Mädchen, bevor sie zum klaren Bewußtsein ihres eigenthümlichen Lebenszweckes gelangt, in eine träumerische, nachdenkliche, zuweilen melancholische Gemüthsstimmung, sucht die Einsamkeit, weint oft ohne Ursache, findet aber in ihren Thränen Erleichterung; ohne es deutlich zu wissen oder sich wenigstens gestehen zu wollen, empfindet sie das Bedürfniß der Liebe, was sie noch schüchterner und schamhafter macht, als sie bisher schon gewesen. Der Wunsch, zu gefallen, macht sie zuweilen coquett, gleichzeitig eignet sie sich aber auch die seine Beobachtungsgabe in Beziehung auf das andere Geschlecht, die eigenthümliche Zartheit und Grazie des Benehmens, die Verstellungskunst, List u.s.w. an, die ihr Geschlecht charakterisiren und ihr von nun an meist für das ganze übrige Leben eigen bleiben. Der zum Jünglinge heranreifende Knabe wird im Gefühle seiner täglich zunehmenden Kraft unternehmender und entschlossener, sodaß er gern wagt und dem Glücke vertraut. Er schwärmt ebenfalls, aber in anderer Art; lernt er jetzt schon die Liebe kennen, so liebt er mit Zärtlichkeit und Leidenschaft. Er schließt gern und leicht Freundschaften und, wenngleich sein Sinn in diesem Alter oft flatterhaft ist, sein Wille noch nicht die Festigkeit hat wie später, meist für das ganze Leben. Für alles Große, Erhabene und Schöne begeistert, läßt er sich nicht selten von der Gewalt seiner Empfindungen zu irrigen Ansichten und Handlungen hinreißen, urtheilt überhaupt schnell, ohne lange Prüfung, theilt sich gern mit, ist von Wohlwollen gegen die ganze Menschheit erfüllt, gern wohlthätig, großmüthig, aber auch verschwenderisch und leichtsinnig. Nicht immer treten indeß die vorerwähnten durch die Pubertätsentwickelung bedingten Veränderungen ohne Stürme ein, namentlich aber hat das weibliche Geschlecht vermöge der ihm eignen größern Zartheit und Reizbarkeit in dieser Zeit nicht selten viel zu leiden. Die Krankheiten, denen dieses durch die in der Entwickelung begriffene Geschlechtsreife ausgesetzt wird, bestehen hauptsächlich in der Bleichsucht, allerhand Nervenzufällen und Krämpfen, Blutflüssen, dem sogenannten weißen Flusse u.s.w. Für beide Geschlechter aber ist dieser Zeitraum noch besonders wegen der gern sich entwickelnden Lungenübel gefährlich, wie denn namentlich die sogenannte galoppirende Lungenschwindsucht (s. Schwindsucht) fast nur in diesem Lebensalter beobachtet wird. Außerdem verleitet der erwachende und durch schlüpfrige Lecture, Unterhaltung und Phantasien, schlechten Umgang und böses Beispiel vielleicht noch gesteigerte Geschlechtstrieb beide Geschlechter nur allzu häufig zu dem beklagenswerthen Laster der Selbstbefleckung, das mindestens den Glanz, die Kraft und Frische der Jugend zerstört, die [592] Gesundheit meist für immer untergräbt und Geist und Körper zugleich schwächt und entnervt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 592-593.
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