Säugthiere

[48] Säugthiere nennt man die als die erste angenommene Classe von Thieren, welche sich vor den übrigen Classen durch die vollkommenste Bildung der Eingeweide, des Gehirns, der Knochen, der Muskeln, der Nerven, der Sinneswerkzeuge u.s.w. auszeichnet. Sie haben rothes, mehr oder minder warmes Blut, gebären lebendige Junge und säugen diese, wovon ihr Name, da dies das sichtlich unterscheidendste Merkmal der Säugthiere vor den übrigen Thieren ist, während eigentlich eierlegende bisweilen scheinbar auch lebendige Junge zur Welt bringen, wie dies bei Schlangen, Fischen und dergl. manchmal stattfindet. Die äußere Bedeckung der Oberhaut der Säugthiere besteht, mit Ausnahme der stets im Wasser lebenden, der Walfischarten, in Haaren, deren Menge, Beschaffenheit und Lage sich nach Klima und Aufenthaltsort, Lebensweise und der Art, sich Nahrung zu verschaffen, richtet. Bei einigen gehen sie in eine andere Gestalt über, in Borsten, Stacheln, in Schuppen, wie beim Panzerthiere, und in Schilder, wie beim Gürtelthiere. Bei einigen setzen sie sich in dem Schwanze fort, bei andern nicht; bei manchen besteht der Schwanz fast allein aus ihnen. Der Schwanz selbst, eine Verlängerung der Rückgrathwirbel, fehlt äußerlich nur bei wenigen, beim Vampyr, selbst als verborgener Schwanzwirbel, ganz, bei andern ist er wiederum so lang, daß er z.B. beim Ameisenfresser aus 40 Schwanzwirbeln besteht. Bei einigen dient er als Wickelschwanz beim Klettern, als Schleuderschwanz beim Springen; bei vielen, besonders bei Raubthieren, zum Ausdruck ihrer Affecte. Die Fortbewegungswerkszeuge bestehen meist aus vier Füßen, welche aber bei den im Wasser lebenden Säugthieren mehr oder weniger vollständig in Flossen übergehen. Bei den Flatterthieren (Fledermäusen, fliegenden Eichhörnchen u.s.w.) sind die Füße jeder Seite mit einer Flughaut verbunden. An den Füßen befinden sich fünf Zehen, und wo sie nicht sichtbar vorhanden sind, wie bei den Hufthieren, hat die Zergliederungskunst doch selbst in den Hufen die Anlage zur Bildung derselben entdeckt. So erscheinen die Zehen auch verkümmert als Warzen, Stummel, Hufe u.s.w., oder sind durch eine Schwimmhaut verbunden, wie bei den Bibern, Fischottern und dergl. Einige treten mit den Spitzen der Zehen auf, andere mit der Sohle, wie die Bären. Wo der Daumen unausgebildet geblieben ist oder fehlt, nennt man die Füße Pfoten; wo er zwar vorhanden ist, den übrigen Zehen aber nicht gegenüber steht, Tatzen; wo dies aber der Fall ist, wie bei den Affen, Hände. Die Zehen selbst sind, je nach ihrer Bestimmung zum Gebrauch, mit Nägeln, Krallen oder Klauen versehen. An dem Kopfe bilden sich oft horn- oder beinartige Auswüchse, Hörner genannt. Das Gehirn hat eine vollkommenere Ausbildung und ist daher im Verhältniß zum Körper beträchtlicher als bei andern Thieren, ebenso die Ausbildung der Sinneswerkzeuge. Der Gefühls- oder Tastsinn ist unter der Oberhaut durch den ganzen Körper hin verbreitet; für die übrigen Sinne aber gibt es bestimmte Organe, welche auch mehr oder minder äußerlich wahrnehmbar sind. Die Ohren haben, je nach dem Bedürfniß des Weit- oder Nahehörens, eine sehr verschiedene, bald größere, bald kleinere Form. Bei wehrlosen Thieren, wie bei den Hafen, sind sie zu großer Fernhörigkeit eingerichtet. Die Augen aller Säugthiere haben bewegliche Pupillen und Augenlider, was bei ganzen andern Thiergattungen, z.B. den Fischen, nicht stattfindet. Bei den tagsehenden Säugthieren ist die Pupille offen und rund, bei nachtsehenden zusammengedrückt, oft blos ritzformig, und erweitert sich erst mit dem Dunkelwerden. Die Nase, oft kürzer als die Oberlippe, oft über diese hervorstehend, ist bisweilen gespalten, oder verlängert sich, wie beim Elefanten, in einen Rüssel; die Feinspürigkeit des Geruchs ist bei manchen sehr groß. Die Zunge, mit Geschmackswarzen besetzt, die beim Katzengeschlechte in Stacheln ausgehen, ist meist breit, mitunter walzenförmig, wie beim Ameisenbär, oder gespalten, wie beim Seehund. Die Schnauze besteht meist aus Lippen, deren obere oft gespalten ist; beim Schnabelthier gehen diese in eine hornartige [48] Verlängerung aus. Die Organe zum ersten Nähren der Jungen sind die Säugwarzen, durch welche die Milch hervorkommt. Solcher Säugwarzen sind gewöhnlich für jedes Junge zwei bestimmt, und befinden sich entweder an der Brust, wie bei Menschen, Affen, Elefanten und Walfischen, oder am Bauche, wie bei dem Seehunden, oder an beiden zugleich, wie bei mehren Nagethieren, oder an den Weichen, wie bei den Lastthieren, oder längs des ganzen Unterleibes, wie beim Schweine. – Von großer Bedeutung ist die Einrichtung der Zähne nach Beschaffenheit, Gestalt und Stellung; denn nicht nur übertrifft hierin die Classe der Säugthiere alle andern Thierclassen, deren keine dieses Organ zur Nahrung in solchem Umfange und solcher Vollkommenheit besitzt, sondern es findet auch bei den Säugthieren in der Einrichtung desselben nach ihrer Lebens- und Nahrungsweise eine so große Verschiedenheit statt, daß man sogar danach diese Classe förmlich systematisirt hat. Man unterscheidet dabei Vorder-, Eck- und Backenzähne; die ersten sind gewöhnlich scharf und breitschneidig, und man nennt sie Schneidezähne; sind sie etwas gekrümmt und deren nur zwei, so heißen sie Nagezähne. Die Eckzähne sind gewöhnlich zugespitzt, die Backenzähne dagegen haben eine breite Kaufläche zum Zermalmen der Nahrung. Oft ragen zwei unverhältnißmäßig ausgebildete, je einer an jeder Seite hervor, wie beim Eber oder Elefanten; dann können sie aber blos als Waffe dienen. Gewöhnlich kommt das Thier zahnlos auf die Welt und verliert auch bald die ersten oder Milchzähne, um sie mit dauerhaftern zu wechseln. Die Zeit des Hervorbrechens der Zähne oder das Zahnen bildet einen bedeutenden Krankheitszustand für die Jungen und kostet der Mehrzahl derselben, besonders denen der höhern Ordnungen, das Leben. Die Zahl der verschiedenen Gattungen und Arten der Säugthiere ist, gegen die der übrigen Classen gehalten, die beiweitem geringste. Denn während man 40,000 Arten von Insekten, 5000 von Amphibien, 5000 von Vögeln u.s.w. rechnet, gibt es kaum über 800 Arten von Säugthieren. Die wenigsten Säugthiere. leben paarweise, wie die Lemure, die Igel, die Fledermäuse und Affen, sondern sie begatten sich mit jedwedem Weibchen ihrer Art, und das Männchen überläßt die Sorge für die Jungen der Mutter; nur der Seehund allein hält an mehren Weibchen und beschützt und vertheidigt diese. Der Fraß der Säugthiere besteht bald allein aus andern Thieren aller Classen, bald allein aus Pflanzen, bald aus beiden zugleich; schon die Beschaffenheit der Zähne läßt auf ihre Hauptnahrung schließen, denn die Raubthiere haben meist blos Schneidezähne, die pflanzenfressenden breite, stumpfe. Der Aufenthalt richtet sich nach dem Fundorte ihrer Nahrung. Der Maulwurf, der meist von Wurzeln sich nährt, lebt auch meist unter der Erde, das Eichhorn auf Bäumen, der Biber am und der Walfisch im Wasser. Manche Säugthiere wandern daher auch, wenn sie an den gewohnten Stellen keine oder nicht hinlängliche Nahrung mehr finden, wie manche Hirscharten im Norden und die Lemminge. Nach dem Klima richtet sich auch die Dichtigkeit und Farbe der Haarbedeckung, weshalb die Thiere aus dem Norden das beste Pelzwerk, die aus dem Süden die schönfarbigsten Felle liefern. Das Alter der Säugthiere ist ziemlich dem Verhältnisse ihrer Größe zueinander angemessen, während die kleinern sich gewöhnlich zahlreicher fortpflanzen als die größern. Giftig, außer angeblich das Schnabelthier, ist keins der Säugthiere im natürlichen Zustande; im gereizten, krankhaften (Tollwuth) wird es der Hund und die Katze, deren Biß dann durch den dadurch mitgetheilten Speichel tödtlich ist. Eintheilungsweisen. für die Säugthiere nach Ordnungen, Arten, Gattungen, Geschlechtern und Familien sind von Linné, Blumenbach, Cuvier, Oken und andern Naturforschern verschieden aufgestellt worden.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 48-49.
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