Spinoza

[249] Spinōza (Benedict), einer der Begründer der neuern Philosophie, wurde 1632 zu Amsterdam von jüdischen, aus Portugal eingewanderten Ältern geboren. Nachdem er sich in Besitz der jüdischen Gelehrsamkeit gesetzt hatte, ergab er sich bald mit Eifer und Selbstaufopferung dem Nachdenken über die wichtigsten Gegenstände des Geistes. Dabei konnte es nicht fehlen, daß er bald auf Ansichten kam, welche von den beschränkten Vorstellungen seiner Glaubensgenossen abwichen, und da er trotz seiner anerkannten Gelehrsamkeit sich hütete, mit diesen in religiöse Streitigkeiten sich einzulassen, sich dagegen immer mehr von ihnen zurückzog, so ließen ihn dieselben aushorchen, und die hierauf folgende Anklage und Verketzerung seiner Gesinnung vor der Synagoge hatte zur Folge, daß der Bannfluch gegen ihn ausgesprochen wurde. Bei diesen Verhandlungen benahm sich S. mit der sein ganzes Wesen auszeichnenden Liebenswürdigkeit und Sanftmuth, aber auch mit der Unerschütterlichkeit und Festigkeit, welche nur das Bewußtsein der Wahrheit gibt. Um seinem nach Erkenntniß begierigen Geiste keine neue Fesseln anzulegen, trat er, obschon ausgestoßen von der jüdischen Gemeinde, und obschon er einsah und behauptete, daß Christus mehr als ein Prophet, »der unmittelbare Mund Gottes« gewesen sei, doch auch nicht förmlich in die christliche Kirche über. Seinen ursprünglichen jüdischen Namen Baruch verwandelte er in den christlichen Benedict. Er benutzte den Unterricht eines Arztes, um sich in der griech. und lat. Sprache zu vervollkommnen und dadurch in Stand gesetzt zu werden, die Wissenschaften, wie sie sich im Alterthume und im christlichen Völkerleben entwickelt hatten, gründlich kennen zu lernen. Er hegte gegen die Tochter dieses Arztes eine zarte und bescheidene Liebe und blieb, nachdem dieselbe einem Andern ihre Hand gereicht hatte, für immer unvermählt. Der Haß der Juden gegen ihn steigerte sich so sehr, daß sie einen Versuch ihn zu ermorden unternahmen. Bei seinen physikalischen und philosophischen Untersuchungen ging S. zunächst von dem Standpunkte des Cartesius (s.d.) [249] aus, dessen Werke er eifrig studirte, und eine Darstellung der Grundansichten dieses seines Vorgängers war sein erstes Werk. Die Juden brachten es endlich dahin, daß S. aus Amsterdam auf einige Wochen verbannt wurde. Er hielt sich hierauf einige Zeit auf dem Landhause eines Freundes, dann zu Rheinsburg bei Leyden, hierauf zu Voorburg bei Haag auf, und ließ sich endlich bleibend im Haag nieder, wo er nach zwanzigjährigen Leiden an der Schwindsucht 1677 starb. Niemals ist ein Philosoph so vielfach angefeindet und verketzert worden wie S., denn nicht nur die Juden, sondern auch die christlichen Theologen verfluchten ihn als einen Atheisten, als ein Werkzeug des Satans zum Umsturz des Werkes Gottes auf Erden. Seine Feinde konnten ihm aber nichts anhaben, weil er in der größten Zurückgezogenheit, sich auf keine Art in die bestehenden Verhältnisse in Staat und Kirche mischend, keinen Anhang um sich versammelnd, lebte. Er war der bescheidenste, liebenswürdigste und tugendhafteste Mensch. welches selbst seine erbittertsten Feinde zugeben mußten, die freilich darin nur eine List des Satans erblickten, der sein Werkzeug mit dem Schein aller Tugenden ausgestattet hätte. Das Wenige, was er zur Erhaltung seines Lebens brauchte (die geringe Erbschaft von seinen Ältern hatte er bis auf ein Bett einer habsüchtigen Schwester überlassen), verdiente er sich durch Schleifen von optischen Gläsern. Es wurden ihm mehrmals glänzende Anerbietungen gemacht, ansehnliche Geschenke, die er ausschlug. Als ihn der Kurfürst von der Pfalz zum Professor bei der heidelberger Universität mit voller Lehrfreiheit machen wollte, lehnte er dies ebenfalls, um nicht seine geistige Freiheit zu gefährden, ab. Ein wohlhabender Freund setzte ihm endlich im Testament eine Leibrente von 500 Gulden jährlich aus, aber S. erklärte, daß er nicht mehr als 300 Gldn. bedürfte. Er starb, wie er gelebt hatte, in der Armuth, aber auch ohne Schulden zu hinterlassen. Er wurde auf einem christlichen Begräbnißplatze beerdigt. Das größte Aufsehen hatte seine 1670 erschienene »Theologisch-politische Abhandlung« hervorgebracht. Die Resultate wissenschaftlicher Forschung, welche er dort zur Begründung wahrer Frömmigkeit und des Friedens, aber zugleich zur Behauptung der Denkfreiheit aussprach, und welche auf das heftigste verfolgt wurden, sind seitdem allgemein angenommen worden, denn der Verlauf der Entwickelung des menschlichen Geistes in der Geschichte führte allmälig ebenso nothwendig darauf, wie der Gang seiner eignen geistigen Entwickelung den S. zu ihnen geleitet hatte. Unter seinen nachgelassenen Schriften, welche sein Freund Ludw. Mayer (Amsterd. 1677) in Druck beförderte, ist seine »Ethik« die wichtigste; in ihr ist seine Philosophie auf das vollständigste dargelegt. Neuere Ausgaben der Schriften des S. sind von Paulus (2 Bde., Jena 1802–3) und von Gfrörer (Stuttg. 1830) besorgt worden.

Während Cartesius die Substanz als Dasjenige definirte, welches zu seiner Existenz keines Andern bedürfte, und drei Substanzen annahm: Gott, Mensch (das Ich) und Welt, von denen die beiden letztern durch den Beistand der erstern existiren sollten, nahm S. nur Eine Substanz, Gott, an und löste damit einen Widerspruch in der Philosophie des Cartesius. Da die Substanz unendlich ist, so muß es auch unendliche Arten ihrer Erscheinung geben, und solche sind das Denken und die Ausdehnung. Diese »Attribute« der Substanz (wie sie S. nennt) können nach zwei verschiedenen Arten angeschaut werden, und so gibt es zwei »Modi«, nämlich beim Denken Verstand und Wille, bei der Ausdehnung Ruhe und Bewegung. Nichts also geschieht außer der Substanz, sondern Alles in ihr, und im Denken und in der Ausdehnung reflectirt die Substanz auf sich selbst. Alles demnach muß vom Philosophen in der Substanz, d.h. in Gott, erkannt werden, und Erkenntniß der Welt, wie Erkenntniß des eignen Ich ist Erkenntniß Gottes. Das Ziel aller Weisheit ist: Gott in sich und sich in Gott zu erkennen, woraus nothwendig die Liebe zu Gott folgt als Das, worin alles menschliche Denken als eines Einzelwesens aufgeht. So wenig atheistisch und gotteslästerlich nun aber auch diese Lehre des S. uns klingt, sodaß man vielleicht kaum begreifen kann, wie dieser die Liebe Gottes zum Höchsten erhebende Philosoph hat jemals verketzert werden können, so zeigt doch eine nähere Betrachtung seiner Lehre, daß sie allerdings keineswegs mit dem Christenthume übereinstimmt, mit diesem verglichen nur als eine einseitige Auffassung desselben erscheint und grade das wesentlichste Moment des Christenthums übergeht, ja bestimmt ableugnet. Dies ist die freie Persönlichkeit Gottes, welche sich in jedem Einzelwesen bethätigt, sodaß auch dieses zur Individualität bestimmt wird, welche im seiner selbst bewußten Menschen gleichfalls zur freien Persönlichkeit sich gestaltet. Gott ist dem S. nur der in sich todte Abgrund, in welchem das All zusammenstürzt, während Gott dem Christen der Eine ist, an dem alle wie Glieder am Leibe sich verhalten, sodaß sie durch ihn zu ewigem selbständigen Dasein erhalten und bewahrt sind. Die Menschwerdung Gottes und das Erlösungswerk sind unbegriffen in der Spinozistischen Philosophie, dennoch ist diese Philosophie die Grundlage aller neuern Philosophie geworden, indem diese die Wissenschaft von dem noch anfänglichen Spinozistischen Standpunkte aus weiter entwickelt und so über jene Mängel erhoben hat, welche ihr bei S. selbst noch anhangen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 249-250.
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