Ästhetik

[85] Ästhetik heißt die Wissenschaft vom Ästhetischen (s. d.), von dem, was unmittelbar und beziehungslos, um seiner selbst willen (uninteressiert), in der anschaulichen Erfassung, gefällt; ästhetisch (schön) ist, was den Willen zum Sehauen, zur lebendigen, anschaulichen, dem Ich angemessenen, einheitlichen Zusammenfassung einer Mannigfaltigkeit von Inhalten befriedigt, was die Seele zur wohlgeordneten Anwendung aller ihrer Grundfunctionen anregt. Das (dem Object und dem Ich) angemessene Verhältnis von Form und Inhalt verschafft den ästhetischen Genuß. Die Ästhetik gibt Aufschluß über das Wesen des Ästhetischen (des Schönen u.s.w.), sie analysiert es, forscht nach den Bedingungen ästhetischen Genießens und Schaffens sowie nach der Bedeutung des Ästhetischen, der Kunst in biologischer, psychologischer, rein künstlerischer, culturell-socialer und allgemein philosophischer Hinsicht. Die Ästhetik muß empirisch begründet, kritisch ausgedeutet werden; »normativ« ist sie nur insofern, als gewisse Bedingungen eben eingehalten werden müssen, wenn bestimmte Effecte hervorgerufen bezw. vermieden werden wollen und sollen. Der Streit zwischen Gehalts- (Stoff-) und Form-Ästhetik hat erkennen lassen, daß nur in der Vereinigung des formalen und materialen Factors das Ästhetische concret besteht. Der Unterschied der »speculativen« und »empirischen« Ästhetik bezieht sich hauptsächlich auf die Methode, während die Ausdrücke »intellectualistische« und »Gefühls-Ästhetik« auf die Interpretation des ästhetischen Processes selbst gehen. – Der Name »Ästhetik« stammt von A. BAUMGARTEN (Aesthetica 1750) her. Er versteht darunter zunächst die allgemeine Wahrnehmungs-Wissenschaft (im Unterschied von der Wissenschaft des »oberen« Erkenntnisvermögens), die »scientia cognitionis sensitivae«, »gnoseologia inferior«, dann die »ars pulcre cogitandi«, »ars formandi gustum«, »aesthetica critica« (Aesth. 1, 14; Met. § 607, 662). Zweck der Ästhetik ist die »Vollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis als solcher, in welcher die Schönheit besteht« (»Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae, qua talis. Haec autem est pulcritudo«) (Aesth. 14). Der Terminus »Ästhetik« hat sich bald, besonders durch SCHILLER, eingebürgert. In England sagt man dafür »criticism«.[85]

Die Anfänge der Ästhetik finden sich schon im Altertum. SOKRATES setzt das Schöne in das Taugliche, Gute, Zweckmäßige (XENOPHON, Memor. 3, 8; 4, 69; Sympos. 5, 3 squ.). Nach den Cynikern ist nur das Gute schön, das Schlechte häßlich (Diog. L. V, 12). PLATO (obgleich selbst Künstler) schätzt die Kunst (sociologisch) gering, weil sie nur Nachahmung (mimêsis) von Nachahmungen (eidôla) bietet (Kunstwerke- Nachahmungen der empirischen Dinge, diese = Abbilder, Erscheinungen der Ideen). Die Schönheit (die von der Gutheit nicht scharf unterschieden wird) beruht auf dem Hindurchscheinen der Idee durch das Sinnliche (Phaedr. 250 B. squ.), auf der Wirkung des peras im Unbestimmten (apeiron), auf der Wahrnehmung des Harmonischen und Symmetrischen (metriotês kai symmetria), welches an sich (kath' hauto) gefällt, ursprüngliche Gefühle (oikeias oder symphytous hêdonas) erzeugt (Phileb. 51, Tim). Wert hat nur eine das Gute nachahmende, sittlichen Zwecken dienende Kunst (Republ.). ARISTOTELES unterscheidet bildende (poiêsis) und praktische Tätigkeit (praxis). Die Kunst (technê) ist die nach Regeln wirkende Gestaltungskraft, sie vollendet das von der Natur nicht zu Ende Geführte oder ahmt die Natur nach: Holôs de hê technê ta men epitelei ha hê physis asynatei apergasasthai, ta de mimeitai (Phys. II, 8, 199a, 15 squ.). Doch betrachtet die Kunst das Einzelobject als Stellvertreter einer Gattung, sie ahmt mehr das Typische nach: hê men gar poiêsis mallon ta katholou, hê d'historia ta kath' hekaston legei (Poet. 9). Das Schöne besteht in (taxis kai symmetria kai to ôrismenon l.c. c. 7). Psychologiseh wird die Kunst begründet durch den dem Menschen angeborenen Nachahmungstrieb sowie durch das ursprüngliche Wohlgefallen an Erzeugnissen der Nachahmung als solchen (l.c. c. 4). Die Kunst dient der Unterhaltung (diagôgê) und Erholung (anesis) mittelst Gefühlsanregung und Katharsis (s. d.) der Affecte (Pol. VIII, 7). So auch die Tragödie (s. d.). PLOTIN begründet eine speculativ-idealistische, eine intellectualistische Gehalts-Ästhetik. Die Kunst ahmt das Seiende, die Ideen (s. d.) selbst nach; der Künstler erhebt sich zum logos dessen, was er wahrnimmt, aus sich selbst das in der Gegebenheit Fehlende schöpfend: ouch haplôs to horômenon mimountai hai technai, all' anatrechousin epi tous logous, ex hôn hê physis. eita kai polla par hautôn poiousin. Kai prostitheasi gar hotô ti elleipei, hôs echousai to kallos (Enn. V, 8, 1). Das Schöne ist »das an der Idee gleichsam Hervorstrahlende« (Enn. VI, 2, 18). In der Natur besteht das Urbild der sinnlich erscheinenden Schönheit, das intelligible Urschöne (Enn. V, 8, 1 ff.; VI, 2, 18). SENECA bemerkt: »Omnis ars naturae imitatio est« (Ep. 65). – THOMAS definiert die Kunst als »ratio recta aliquorum operum faciendorum.« (Sum. th. II, 1, 57, 3). Das Schöne gefällt unmittelbar (»pulchrum autem dicatur id cuius ipsa apprehensio placet«; l.c. II, 1, 27, 1, ad 3). Eine neuscholastische Ästhetik lehrt S. MEIER (Der Real. als Princ. d. sch. Künste 1900). Im Sinne des Thomismus lehrt JUNGMANN: »Die Schönheit der Dinge ist deren Gutheit, insofern sie durch diese dem vernünftigen Geiste, auf Grund klarer Erkenntnis desselben, Gegenstand des Genusses zu sein sich eignen« (Ästhet. 1884, S. 149).

Die intellectualistische Richtung der Ästhetik, d.h. die Auffassung des ästhetischen Genießens als einer Art Erkenntnis, kommt in Deutschland seit LEIBNIZ zur Geltung. LEIBNIZ erklärt die Lust an harmonischen Verhältnissen durch die Annahme eines unbewußten Zählens und Vergleichens und bringt das Schöne mit dem Vollkommenen, Zweckmäßigen in Zusammenhang (Opp. Erdm. p. 7, 8). CHR. WOLF: »Pulchritudo consistit in perfectione rei, quatenus[86] ea vi illius ad voluptatem in nobis producendam apta« (Psych. emp. § 543 f.). Schönheit ist »rei aptitudo producendi in nobis voluptatem, quod sit observabilitas perfectionis« (l.c. § 545). A. BAUMGARTEN definiert die Schönheit als »perfectio phaenomenon« (Met. § 662), die durch »cognitio sensitiva« erfaßt wird (s. oben). Nach MENDELSSOHN (der das Begierdelose des Ästhetischen betont, WW. II, 294 f.) beruht Schönheit »in der undeutlichen Vorstellung einer Vollkommenheit« (Br. üb. d. Empf. 2, S. 8; Bibl. d. schön. Wiss. I, 331 ff.); sie setzt »Einheit im Mannigfaltigen« voraus (l.c. 5, S. 27 f.). Ähnlich SULZER, der den moralischen Zweck der Kunst betont (Allg. Theor. d. schön. Künste 1792), ESCHENBURG u. a. – Nach HEMSTERHUIS beruht die Schönheit auf dem guten Verhältnis eines Gegenstandes zur auffassenden Seele, auf der leichten Übersichtlichkeit des Mannigfaltigen; schön ist das, was in kürzester Zeit die größte Fülle von Vorstellungen erzeugt (Oeuvr. philos. 1792). – Von Einfluß auf die deutsche Ästhetik sind die Versuche einer psychologischen Theorie des Schönen bei den Engländern gewesen. SHAFTESBURY leitet das Gefühl des Schönen aus der Wahrnehmung von Ordnung, Einheit, Harmonie durch den inneren Sinn ab und setzt das sittlich Gute (s. d.) dazu in Beziehung (Sens. comm. IV, 3). HOME unterscheidet »eigene« Schönheit (»intrinsic beauty«) und »Schönheit der Beziehung« (»relativ beauty«). Erstere ist Gegenstand der Empfindung, letztere erfordert »understanding and reflection«. »In a word, intrinsic beauty is ultimate: relative beauty is that of means relating to some good or purpose« (Elem. of Crit. I, 3, p. 195 ff.). Nach BURKE ist die Schönheit eine sociale Emotion, indem uns das Schöne zum Zusammensein mit ihm reizt, in uns Liebe, sanfte und gesellige Gefühle erregt. »We call beauty a social quality« (Enqu. I, 10). Die Schönheit ist ohne Zweckbewußtsein (»in beauty the effect is previous to any knowledge of the use«). Zur Liebe und zum Geschlechtlichen setzt ERASMUS DARWIN das Ästhetische in Beziehung (Zoonom. XVI, 6). Bei angehäufter Energie ist die Sinnesbetätigung als solche schon lustvoll (l.c. XL, 6). Vom Schönen ist das Erhabene (s. d.) zu unterscheiden.

Eine neue Begründung erhält die Ästhetik durch KANT. Die »ästhetische Urteilskraft« bezieht sich nicht auf das Erkennen oder Begehren, sondern auf das Gefühl der Lust und Unlust. In der Urteilskraft liegt ein apriorisches Princip der ästhetischen Beurteilung, das auf die subjective, ästhetische Beschaffenheit des Objects geht, vermöge deren dieses Lust erweckt, und dies, weil das Bewußtsein der Zweckmäßigkeit des Objects für das Erkenntnisvermögen zugrunde liegt. Das Geschmacksurteil bezieht Vorstellungen durch die Einbildungskraft aufs Subject, ist nicht logisch, sondern ästhetisch. »Was an der Vorstellung eines Objects bloß subjectiv ist, d. i. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenstand ausmacht, ist die ästhetische Beschaffenheit derselben« (Kr. d. Urt. Einl. VII). Das Ästhetische bildet die Vermittlung zwischen Natur und Sittlichkeit (l.c. § 6). Das ästhetische Urteil ist a priori, insofern es subjective Allgemeingültigkeit besitzt, vermöge deren es die Einstimmung jedermanns mit dem eigenen Geschmack (s. d.) erwartet, wenn auch nicht absolut fordert (ib.). Schön ist, was uninteressiert, durch sich selbst, ohne Begehren, »ohne Begriffe, als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird« (ib.). (Schon MENDELSSOHN sagt: »Wir betrachten die Schönheit der Natur und der Kunst, ohne die mindeste Regung von Begierde, mit Vergnügen und Wohlgefallen«, Morgenst., Schrift. II, 294 f.; vor ihm schon MONTESQUIEU: »Lorsque nous trouvons du plaisir à voir une chose avec une utilité pour nous,[87] nous disons qu'elle est bonne, lorsque nous trouvons du plaisir à la voir sans que nous y dêmêlions une utilité présente, nous l'appellons belle«, Réflex. sur les causes du plaisir... Oeuvr. 1835, p. 586; RIEDL: »Schön ist, was ohne interessierte Absicht sinnlich gefallen und auch dann gefallen kann, wenn wir es nicht besitzen«, Theor. d. schön. Künste 1767, S. 17; SULZER: »Das Schöne gefällt uns ohne Rücksicht auf den Wert des Stoffes, wegen seiner Form oder Gestalt, die sich den Sinnen oder der Einbildungskraft angenehm darstellt«.) »Schön ist, was ohne Begriff als Gegenstand eines notwendigen Wohlgefallens erkannt wird« (l.c. § 22). Schönheit ist die »Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zweckes an ihm wahrgenommen wird« (l.c. § 17). Es gibt zweierlei Arten von Schönheit, »freie Schönheit (pulchritudo vaga), oder die bloß anhängende Schönheit (pulchritudo adhaerens). Die erstere setzt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegenstand sein soll; die zweite setzt einen solchen und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach demselben voraus« (l.c. § 16). Den Übergang vom Schönen zum Sittlichen bildet das Erhabene (s. d.). Die Kunst ist »Hervorbringung durch Freiheit«, »als ob es ein Product der bloßen Natur sei« (l.c. § 45). In ihr gibt die Natur, vertreten durch das Genie (s. d.) schöpferisch Regeln (l.c. § 46). Eine Weiterbildung erfährt diese Ästhetik durch FR. SCHILLER. Er leitet die Kunst aus dem Spieltrieb (s. d.) ab. Im Spiel befreit sich der Mensch von den Sorgen und Engen des Alltags, er erhebt sieh zu etwas Höherem, lebt eiu reineres, freieres Leben. Denn »der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt« (Üb. d. ästh. Erz. d. M. Br. 15). (Vom »freien Spiel der Vorstellungskräfte« spricht schon KANT, Kr. d. Urt. § 9.) Die Kunst ist dem Menschen als etwas Specifisches eigen. Das Ästhetische vermittelt zwischen Natur und Sittlichkeit, läutert den Menschen, ist ein eminenter Culturfactor. (Üb. d. äst. Erz. d. M., Ph. Schr. S;. 183; vgl. Br. 23.) Der ästhetische Sinn sucht »in der Form ein freies Vergnügen« (Üb. Anm. u. Würde, Phil. Schr. S. 128), »ohne alle Rücksicht auf Besitz, aus der bloßen Reflexion über die Erscheinungsweise« (Üb. d. Erhab., l.c. S. 190). Vernunft und Sinnlichkeit stimmen im Schönen zusammen Üb. Anm. u. W., l.c. S. 128). Die Schönheit ist »die Bürgerin zweier Welten«, »sie empfängt ihre Existenz in der sinnlichen Natur und erlangt in der Vernunftwelt das Bürgerrecht« (l.c. S. 105), dadurch, daß die Vernunft das Sinnliche übersinnlich behandelt, es zum Ausdruck einer Idee macht (l.c. S. 104 f.). Schönheit ist »Freiheit in der Erscheinung« (WW. XII). W. v. HUMBOLDT erinnert in dem Gedanken der Harmonie zwischen der sinnlichen und der geistigen Natur des Menschen durch das Ästhetische an Schiller. Ein Gegner Kants ist HERDER (Kalligone 1800). Er behauptet u. a.: »Interesse hat die Schönheit, ja alles Gute hat nur durch sie Interesse« (l.c. I, 195). »Des Menschen Spiel, wie das Spiel der Natur ist sinniger Ernst« (l.c. III, 290). Schönheit ist »das Gefühl der Vollkommenheit eines Dinges«. Beziehungen zur Kant-Schillerschen Ästhetik weisen ästhetische Bemerkungen J. G. FICHTEs auf (WW. VIII, 275 u. ff., IV, 355), auch solche FR. SCHLEGELs, der eine Theorie des Häßlichen gibt. – Nach GOETHE ist Schönheit da vorhanden, wo wir »das gesetzmäßige Lebendige in seiner größten Tätigkeit und Vollkommenheit schauen« (WW. Hempel, XXV, 155). Das Kunstwerk stellt die Grundformen der Dinge in individuellen Gestaltungen und typischer Vollkommenheit dar: Das Schöne ist eine »Manifestation geheimer Naturgesetze«[88] Weim. Ausg. Bd. 48, S. 201). Nach BOUTERWEK ist die Aufgabe der Ästhetik, »zu erklären, was wir empfinden, wenn wir mit Recht urteilen, daß etwas schön ist, und wie sich die Empfindung des Schönen zu den natürlichen Anlagen sowohl als zur Entwicklung einer musterhaften Cultur des menschlichen Geistes verhält« (Ästh. I, 3). Wir wollen wissen, »was sich in der Seele ereignet, wenn wir etwas schön finden« (. c. I, 19). Das ästhetische Gefühl ist »das ursprüngliche Menschengefühl«, das »menschliche Urgefühl« (l.c. I, 41), »ein Gefühl, in welchem die menschliche Natur wie ein ungeteiltes Ganzes wirkt« (ib.). Daß Spiel ist mit der Kunst verwandt (l.c. S. 42 ff.). Das Schöne beruht auf dem Gesetz einer »harmonischen Tätigkeit aller geistigen Kräfte« (l.c. I, 50). Schönheit beruht auf gewissen Verhältnissen einer Mannigfaltigkeit von Eigenschaften der Dinge zu unserem Geisteszustande (l.c. S. 56). »Allen Elementen des Schönen liegt zum Grunde eine innere Harmonie oder ästhetische Einheit im Mannigfaltigen« (l.c. S. 58), die wieder auf die Einheit der Seele zurückführt. Es gibt keinen besonderen Schönheitssinn (l.c. S. 71). Alles Schöne interessiert unmittelbar durch sich selbst (l.c. S. 80). Die Kunst ahmt nicht nach, sondern wetteifert mit der Natur (l.c. S. 200 ff.). Die Bouterweksche Auffassung des ästhetischen Gefühls billigt GRILLPARZER (WW. XV, 131). »Schön ist dasjenige, das, indem es das Sinnliche vollkommen befriedigt, zugleich die Seele erhebt.« »Die Schönheit ist die vollkommene Übereinstimmung des Sinnlichen mit dem Geistigen« (ib.). »Wenn der sinnlich befriedigende Eindruck durch Erweckung der Idee des Vollkommenen ins Übersinnliche hinüberreicht, so nennen wir das das Schöne« (ib.). »Schön ist, was durch die Vollkommenheit in seiner Art die Idee der Vollkommenheit im allgemeinen erweckt« (l.c. S. 136). Die Kunst ist »die Hervorbringung einer andern Natur, als die, welche uns umgibt, einer Natur, die mehr mit den Forderungen unseres Verstandes, unserer Empfindung, unseres Schönheitsideals, unseres Strebens nach Einheit übereinstimmt« (ib.).

Mit SCHELLING beginnt die Reihe der speculativen Ästhetiker, der Vertreter einer idealistischen Gehaltsästhetik. Nach SCHELLING ist die Kunst die Überwindung der Gegensätze des Realen und Idealen. Sie stellt das Absolute (Unendliche) endlich dar, nachdem sie es in der Anschauung erfaßt, und zwar unbewußt: »Der Grundcharakter des Kunstwerks ist... eine bewußtlose Unendlichkeit« (Syst. d. tr. Ideal. S. 463 459). Sie ist die Vollendung des Wissens und der Philosophie (l.c. S. 486, 475), sie »bringt den ganzen Menschen, wie er ist,... zur Erkenntnis des Höchsten« (l.c. S. 480). Ihr Ziel ist »die Vernichtung des Stoffes durch Vollendung der Form« (Üb. d. Verh. d. bild. Künste zu d. Nat. 1807, ähnlich schon SCHILLER). Schönheit ist »das Unendliche endlich dargestellt« (Syst. d. tr. Id. S. 465). Nach SOLGER macht die »künstlerische Ironie« (der Romantiker) das Wesen der Kunst aus, denn »sie ist die Verfassung des Gemüts, worin wir erkennen, daß unsere Wirklichkeit nicht sein würde, wenn sie nicht Offenbarung der Idee wäre, daß aber eben darum mit dieser Wirklichkeit auch die Idee etwas Nichtiges wird und untergeht« (Vorles. üb. Ästh. 1829, S. 241). Im Schönen offenbart sich die Idee in der Existenz unmittelbar, daher ist alle Kunst symbolisch (l.c. S. 66f., 73; Erwin 1815, II, 41). CHR. KRAUSE erblickt in der Schönheit »die am Endlichen erscheinende Göttlichkeit oder Gottähnlichkeit« (Vorles. üb. Ästh. 1882, S. 88). Schön ist, »was Vernunft, Verstand und Phantasie in einem ihren Gesetzen gemäßen, entsprechenden Spiele der Tätigkeit befriedigend[89] beschäftigt und das Gemüt mit einem uninteressierten Wohlgefallen erfüllt« (Gr. d. Ästh. § 10). CHR. WEISSE definiert die Ästhetik als »Wissenschaft von der Idee der Schönheit« (Syst. d. Ästh. 1830). Subjectiv ist Schönheit »die aufgehobene Wahrheit«, objectiv Erscheinung und Form der Dinge, ein Maßverhältnis. Das Häßliche ist das »unmittelbare Dasein der Schönheit«. HEGEL definiert das Schöne als »das sinnliche Scheinen der Idee« (Vorles. üb. Ästh. 1835, I, 144). Nur als »den Geist bedeutende, charakteristische, sinnvolle Naturform« soll die Wirklichkeit durch die Kunst nachgeahmt werden (Encykl. § 558). Die Kunst, die sinnliche Darstellung des Absoluten (Ästh. I, 90), bringt den Inhalt erst zum Bewußtsein (l.c. § 562), sie reinigt den Geist von der Unfreiheit (ib.). Es gibt classische, symbolische, romantische Kunst (l.c. § 561 f.; Ästh. I, S. 99 ff.). Ästhetik ist »Philosophie der Kunst« (Ästh. I, 3). Nach K. ROSENKRANZ ist das Häßliche das notwendige negative Correlat zum Schönen, dessen die Kunst bedarf, um die Idee nicht einseitig zur Anschauung zu bringen (Ästh. d. Häßl. S. 115, 38). Nach SCHOPENHAUER wiederholt die Kunst »die durch reine Contemplation aufgefaßten ewigen Ideen«. »Ihr einziger Ursprung ist die Erkenntnis der Ideen; ihr einziges Ziel Mitteilung dieser Erkenntnis« (W. a. V. u. V. Bd. I, § 36). Jedes Ding ist schön, sofern es »Ausdruck einer Idee« ist (l.c. § 41). Die Kunst sondert die Idee aus den Zufälligkeiten der Wirklichkeit, verhilft dadurch zur leichteren Auffassung des Wesens der Dinge (l.c. § 37), die Musik ganz unmittelbar (l.c. § 52). In der ästhetischen Anschauung reißen wir uns vom Willen los, dieser schweigt, alles Streben kommt zur Ruhe, wir sind »reines Subject des Erkennens«. So ist die Kunst ein »Palliativ« gegen das Leiden (l.c. § 38 u. ff.). Eine idealistische Gehaltsästhetik findet sich bei LOTZE (Gr. d. Ästh.2, § 20; Gesch. d. Ästh. S. 97); auch bei SCHASLER (Ästh. I u. Das Syst. d. Künste2, 1885); ferner bei TH. VISCHER: Schön ist »die Idee in der Form begrenzter Erscheinung« (Ästh. I, 54; so auch CARNERI, Sittl. u. Darw. S. 79). »Die Natur ist der Boden, woraus der Geist aufsteigt« (D. Schöne u. d. K.2, S. 92). Im Schönen ist »verborgene Philosophie« (l.c. S. 99). Im Individuum muß das Gattungsmäßige erscheinen (l.c. S. 105). Das Schöne ist »ausdrucksvolle Form, formgewordener Ausdruck, Einheit von Ausdruck und Harmonie, oder mimisch-harmonische Form« (l.c. S. 78). Es findet ein unbewußtes »Einfühlen«, ein »Leihen«, »Unterlegen« seitens der Seele statt (l.c. S. 69 f., 77). CARRIERE erblickt das eigentlich Ästhetische in der Form, diese aber schon als »Ausdruck des Innern« genommen (Ästh. I, S. VII). Schön ist, »was sofort durch sein Erscheinen die ihm zugrunde liegende Idee in uns wachruft« (l.c. S. 19), »was rein durch seine Form gefällt« (l.c. S. 76). Schönheit ist »angeschaute Zweckmäßigkeit« (l.c. S. 89), »die Idee, welche ganz in der Erscheinung gegenwärtig, die Erscheinung, welche ganz von der Idee gebildet und durchleuchtet ist« (l.c. S. 70). Nach KIRCHMANN ist schön das idealisierte, sinnlich angenehme Bild eines seelenvollen Realen (Ästh. 1868). Wie HORWICZ lehrt er eine Gefühlsästhetik. V. HARTMANN sieht im Schönen eine Erscheinungsform des unbewußt Logischen. In der Realität, mit der Form, wird die Idee erfaßt – lehrt die »concret-idealistische« Ästhetik. Das Schöne ist sinnlich ästhetischer Schein »in der Sphäre einer idealen Phänominalität«. Durch die Kunst werden nur »ästhetische Scheingefühle« erweckt, es genießt das »Schein-Ich« ästhetisch (Phil. d. Schön. 1887, S. 26, 455 ff.). RUSKIN erklärt die Schönheit für die Manifestation des schöpferischen Weltgeistes (Lect. on Art 1870).[90]

Zwischen Gehalts- und formalistischer Ästhetik vermitteln verschiedene Philosophen. Nach WUNDT liegt in jedem ästhetischen Urteil »eine unmittelbare Anerkennung des selbständigen Wertes der den Gegenstand des Urteils bildenden geistigen Lebensinhalte« (Syst. d. Phil.2, S. 674). Der ästhetische Wert liegt schon im Object selbst begründet, er beruht auf objectiven Bedingungen. Die Hauptfrage der Ästhetik lautet: »Welche Eigenschaften müssen die Gegenstände haben, um in uns ästhetische Wirkungen hervorzubringen« (l.c. S. 674 ff.). Es gefällt niemals die Form als solche, sondern »die vollkommene Angemessenheit der Form an den Inhalt« (l.c. S. 677 ff.). Die Kunst will das wirkliche Leben darstellen, aber nicht durch einfache Nachahmung, sondern durch Hervorhebung des Bedeutsamen in dessen Reinheit. Gegenstand der künstlerischen Schöpfung ist »die ideale Wirklichkeit«, d.h. die Wirklichkeit, »wie sie im Lichte der durch die Anschauung in künstlerischen Genius erweckten Ideen erscheint«. Die Idee, welche die Einheit des ästhetischen Objects vermittelt, liegt latent schon in ihm. Nur der »bedeutsame Lebensinhalt« ist ästhetischer Gegenstand (l.c. S. 683 ff.). Aufgabe der Kunst ist, »die Wirklichkeit in der Fülle ihrer bedeutsamen Formen in die Sphäre jener reinen Betrachtung zu erheben, von der jedes der Versenkung in den Gegenstand selbst fremde Begehren weit abliegt« (l.c. S. 687 ff.; Grundz. d. ph. Psych. II4, 235 ff., 250 ff., 526). Ähnlich lehrt VOLKELT, der in dem »Menschlich-Bedeutungsvollen« den Gegenstand der Kunst erblickt (Ästh. Zeitfrag. 1895). Die Ästhetik hat »in metaphysische Betrachtungen auszulaufen« (l.c. S. 221, Ästh. d. Trag. S. 425 ff.). Die »ästhetische Beseelung« ist wichtig (Zeitschr. f. Philos. Bd. 113, 115; vgl. auch WITASEK, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 25). RIEHL: »Die Kunst ist productive Tätigkeit, kein Spiel«, sie ist »ein Complement des Lebens« (Z. Einf. in d. Phil. S. 174 f.).

Die formalistische Ästhetik hat ihren Begründer in HERBART. Dieser versteht unter »Ästhetik« die Wissenschaft von den Werturteilen überhaupt, also auch die Ethik (s. d.). Das Gefühl des Schönen entspringt aus formalen, inneren Verhältnissen zwischen unseren Vorstellungen, der Inhalt kommt erst secundär zur Geltung (Psych. a. Wiss. II). So auch R. ZIMMERMANN (Allg. Ästh. 1865). Das ästhetische Urteil als Kunsturteil bezieht sich auf die Formen der Objecte (l.c. § 351). Das Schöne als solches gefällt nur durch die Form (Stud. u. Krit. 1870, II, 252). So auch TH. VOGT (Form u. Gehalt in d. Ästh. 1865) und VOLKMANN (Lehrb. d. Psych. II4, 355). – Vermittelnd lehren KOESTLIN (Ästh. 1869) und SIEBECK: Zum Ästhetischen gehört zunächst eine anregende Gestaltenfülle, dann ein besonderer Inhalt (Das We(s. d.) ästh. Ansch. 1875).

Entgegen der speculativen oder vag empirischen »Ästhetik von oben« fordert FECHNER eine »Ästhetik von unten auf«, und zwar auf experimenteller Grundlage (Vorarbeiten bei ZEISING, Lehre vom »goldenen Schnitt«). Er unterscheidet zwischen »directem« und »associativem« Factor des Ästhetischen. »Direct... ist der Eindruck eines Gegenstandes, insofern er subjectiverseits von der angeborenen oder nur durch Aufmerksamkeit und Übung im Verkehr mit Gegenständen gleicher Art entwickelten und verfeinerten inneren Einrichtung abhängt, associativ, insofern er von einer Einrichtung abhängt, die dadurch entstanden ist, daß sich der Gegenstand wiederholt zu Verbindung und Beziehung mit gegebenen Gegenständen anderer Art dargeboten hat« (Vorsch. d. Ästh. I, S. 121).[91]

In verschiedener Weise wird die Ästhetik psychologisch begründet. LIPPS sieht im Schönen ein ästhetisch Wertvolles, einen Eigenwert (Kom. u. Humor S. 199). Die Kunst ist gerichtet »auf Erzeugung eines in sich selbst Wertvollen« (l.c. S. 209). Aller ästhetische Genuß »liegt schließlich einzig und allein in der Sympathie begründet« (l.c. S. 216). In der Kunst handelt es sich um »ästhetischen Schein« (Ausdruck schon bei SCHILLER, bedeutet bei ihm einen »Schein, der weder Realität vertreten will, noch von derselben vertreten zu werden braucht«, Ästh. Erz. 26). In der ästhetischen Anschauung beseelen wir das Object, legen ein ideelles Ich in es hinein (ästhetische »Einfühlung«) (Ästh. Einf., Zeitschr. f. Psych. u. Phys. 1900; Eth. Grundfr. S. 180). »Inhalt und Form eines Kunstwerkes sind jederzeit zwei untrennbare Seiten einer und derselben Sache« (Eth. Gr. S. 181). Die einzelnen Bedingungen des Ästhetischen sind aufzusuchen (vgl. Raumästh. 1897, Ästh. Factoren d. Raumansch. 1891). Eine psychologische Fundierung der Musik enthält die »Tonpsychologie« von K. STUMPF (eine physiologische die »Lehre von den Tonempfindungen« von HELMHOLTZ). H. V. STEIN definiert die Ästhetik als »Lehre vom Gefühl« und »Lehre von den Kunstwerken« (Vorles. üb. Ästh. S. 1 f.). »Ästhetik soll das Kunstwerk mit dem gesamten geistigen Leben deutend und. erklärend in Beziehung setzen« (Entst. d. neuer. Ästh. S. 263). Das »Verweilen beim Eindruck als solchem« ist das Element des Ästhetischen (Vorles. S. 4; ähnlich R. WAHLE, D. Ganze d. Philos. S. 397 ff.). Der ästhetische Eindruck besteht in der Fülle normaler Tätigkeit (Vorles. üb. Ästh. S. 4). Die ungehinderte Ausübung der (triebartigen) Einheitsfunction des Bewußtseins erweckt das ästhetische Wohlgefühl (l.c. S. 9). Unter »organischer Association« ist die ästhetisch bedeutsame Association zu verstehen (l.c. S. 14). Die Aufgabe aller Künste ist, »eine Sache zu bedeutendem Ausdruck zu bringen« (l.c. S. 19). Grundform des Ästhetischen ist das »freie Spiel der Vorstellungen« (l.c. S. 28). Eine Loslösung vom Begehren findet statt (l.c. S. 30). »Schön« = »ein Aufgehen im Schauen« (Entsteh. d. neuer. Ästh. S. 97). DILTHEY betont die »Steigerung der auffassenden Kräfte, die Erweiterung der Seele, ihre Entladung und Läuterung, wie sie das große Kunstwerk hervorbringt« (Deutsche Rundsch. 1892, S. 225; vgl. Die Einbildungskr. d. Dicht. S. 309). Nach HÖFFDING ist die Kunst eine »ideelle Fortsetzung der Naturentwicklung«, sie lehrt uns »die Augen aufmachen«, »sie auf die großen leitenden Züge heften und dadurch die Wirklichkeit besser verstehen« (Psychol.2, S. 250). Nach JODL stellt die Kunst die typischen Fälle der Wirklichkeit anschaulich dar (Psych. S. 156 ff.). J. A. HERZOG definiert das Ästhetische als das, »was reine Affecte erregt« (Was ist ästh.2, S. 55). Die reinen, ästhetischen Affecte sind schwächer als die gemeinen, unpersönlich (l.c. S. 39 ff.). Durch die Kunst wollen wir getäuscht sein (l.c. S. 65).

K. GROOS verbindet die psychologische mit der biologischen Interpretation des Ästhetischen. Er bringt das Ästhetische zum Spiel in Beziehung (Spiele d. Mensch. S. 348, vgl. S. 445 f.). Der ästhetische Genuß ist ein »spielendes sensorisches Erleben« (Spiele d. Mensch. S. 505), »das edelste Spiel, welches der Mensch kennt« (D. ästh. Genuß S. 14). Der Selbstzweck des Spiels (s. d.) liegt auch im ästhetischen Genuß vor (ib.). GROOS verbindet Lotzes und R. Vischers Theorie des innerlichen Miterlebens mit Schillers Lehre vom Spiel (l.c. S. 179). »Das innerliche Miterleben ist... das eigentliche Centrum des ästhetischen Genießens« (l.c. S. 183). Die »Scheingefühle«, die den ästhetischen Schein[92] begleiten, sind wirkliche, nicht bloß vorgestellte Gefühle (l.c. S. 209). Ästhetischer Schein ist »ein Product der Einbildungskraft, die sich von dem äußeren Gegenstand ein inneres Bild ablöst, welches sie nur dadurch erhalten kann, daß sie sich einseitig auf bestimmte Teile der Sinnesempfindung concentriert« (Einl. in d. Ästh. S. 40). Nur der »herrschende Schein« ist ästhetisch (l.c. S. 45), er ist »innere Nachahmung« (l.c. S. 84). Die ästhetische Anschauung ist »eine innere Nachahmung des äußerlich Gegebenen, durch welche sich das Bewußtsein das innere Bild, den ästhetischen Schein erzeugt und in der Erzeugung dieses Scheins spielend verweilt« (l.c. S. 196). Die »ästhetische Illusion« ist »eine Täuschung, die ich selbst im freiwilligen Spiel der inneren Nachahmung erzeuge. Ich versetze mein Ich spielend in das fremde Object, und diese Selbstversetzung, die jeden leblosen Gegenstand personificiert, gilt mir als bestehend, obwohl ich recht gut weiß, daß sie in Wirklichkeit nicht stattfindet« (l.c. S. 191). Drei Arten der ästhetischen Illusion (»ästhetische Realität« bei LIPPS) gibt es: »Illusion des Leihens, Copie, Original-Illusion, Illusion des Miterlebens« (Ästh. Gen. S. 23, 213 ff.). Die »ästhetische Sympathie« beruht darauf, daß der gebotene Inhalt, dem wir eigene Zustände anschauend »leihen« (der Ausdruck ist von VISCHER, Ästh. II, 1, 27), mit unseren Neigungen, Bedürfnissen u.s.w. übereinstimmt. Daher ist der Inhalt des ästhetisch Wirksamen durch ererbte Triebe bestimmt. Die »monarchische Einrichtung« des Bewußtseins beeinflußt die künstlerische Darstellung; diese bedeutet der Natur gegenüber eine Erleichterung unserer Concentration auf das ästhetisch Wertvolle. K. LANGE polemisiert gegen alle »metaphysisch-transcendentalen« sowie gegen die Theorien der »Einfühlung« und »Association« (D. Wesen d. Kunst I, 4). Kern des künstlerischen Genusses ist die »bewußte Selbsttäuschung« (vgl. Die bew. Selbstt., 1895). Die Aufgabe der Kunstlehre ist die Ermittlung und Erklärung des »ästhetischen Gattungsinstincts« (We(s. d.) K. S. 15). Form- und Inhaltsästhetik sind beide einseitig (l.c. S. 17). Die »Illusionstheorie« erblickt im psychischen Vorgang des ästhetischen Schauens selbst die unmittelbare Ursache der ästhetischen Lust (l.c. S. 18). Die ästhetische Illusion ist ein »ästhetisches Spiel«, »bewußte Selbsttäuschung« (l.c. S. 27), die einem Grundbedürfnis entgegenkommt (l.c. S. 28). In der Kraft der Illusion besteht das Realistische (l.c. S. 31). Die Ästhetik ist »die Wissenschaft von den ästhetischen Lustgefühlen«, den receptiven und productiven (l.c. S. 33). Die Kunst hat sich aus dem Spiel entwickelt, ist eine besonders verfeinerte Form des Spiels (l.c. S. 50). Endziel der Kunst ist die »Steigerung und Vervollkommnung des Menschentums durch Vertiefung und Erweiterung der Anschauungen und Gefühle« (l.c. II, S. 57). Die ästhetische Lust beruht »lediglich auf der Stärke und Lebhaftigkeit der Illusion« (l.c. I, S. 81), entsteht »aus der in der Vorstellung vollzogenen Übersetzung des Toten ins Leben, der phantasiemäßigen Beseelung des in Wirklichkeit Unbeseelten« (l.c. S. 84). Ästhetische Beseelung ist »jede Anschauung eines toten Naturgebildes, bei der wir dasselbe in der Phantasie beleben« (l.c. II, 381). Die Illusionsgefühle sind gedämpfte, gemäßigte Gefühle, »Gefühlsvorstellungen« (Scheingefühle) (l.c. S. 100 ff.). Der Kunstgenuß liegt in dem »Widerspiel zweier einander eigentlich widersprechender Bewußtseinsinhalte, einerseits des Wissens von der Scheinhaftigkeit des Wahrgenommenen, anderseits des Glaubens an die Wirklichkeit« (l.c. S. 224); der ästhetische Genuß ist »die Folge einer gleichzeitigen Entstehung zweier Vorstellungsreihen, die sich eigentlich ausschließen« (l.c. S. 326, 334 = »Schaukeltheorie«).[93] Die bewußte Selbsttäuschung ist »diejenige Form der geistigen Reception..., die dem Menschen erlaubt, in der verhältnismäßig kürzesten Zeit die verhältnismäßig größte Zahl von Vorstellungen und Gefühlen in sich aufzunehmen, ohne zu ermüden« (l.c. S. 345). Das Schöne ist »das, was Menschen mit richtiger und intensiver Naturanschauung in Illusion versetzt« (l.c. S. 54, 347, 349, 351, 357). Naturschön ist, »was, mit den denkbar geringsten Veränderungen in die Kunst übersetzt, eine ästhetische Wirkung hervorbringen würde« (l.c. II, 349). Das Spiel (s. d.) hat eine biologische und sociale Bedeutung, damit aber auch die Kunst. »Kunst ist jede Tätigkeit des Menschen, durch die er sich und andern ein von praktischen Interessen losgelöstes, auf einer bewußten Selbsttäuschung beruhendes Vergnügen bereitet und durch Erzeugung einer Anschauungs-, Gefühls- oder Kraftvorstellung zur Erweiterung und Vertiefung unseres geistigen und körperlichen Lebens und dadurch zur Erhaltung und Vervollkommnung der Gattung beiträgt« (l.c. II, 60). In der Form des Scheins ergibt sich ein Mittel der Ausgleichung der Einseitigkeiten menschlicher Kräfte und Fähigkeiten (l.c. S. 54 ff.).

Biologisch wird das Ästhetische auch von H. SPENCER gedeutet. Er leitet die Kunst aus dem Spiele (s. d.) ab. Eine Vorbedingung des Ästhetischen ist die Ablösung eines Gefühls von der (bewußten) Aufgabe, dem Leben unmittelbar zu dienen (Psych. § 535, S. 172), die bewußte Zwecklosigkeit liegt im Schönen (l.c. S. 715). Doch macht sich in den ästhetischen Gefühlen eine möglichst wirksame und ungehinderte Tätigkeit der Sinne und der Association geltend (l.c. §. 536, S. 716 ff.). Auf den Zusammenhang der Kunst mit dem Spiele weist auch SULLY hin (Unt. üb. d. Kindh. S. 306). Die ästhetischen Genüsse bilden einen »Überschuß aber die täglichen Befriedigungen« (Handb. d. Psychol. S. 366 ff.). Nach L. DUMONT ist schön, »was in der Einheit einer und derselben Vorstellung ein Vielfältiges darstellt, so daß es einen beträchtlichen Kraftaufwand erfordert, um diese Vorstellung im Geiste zu verwirklichen« (Vergn. u. Schm. S. 205 ff.). A. LEHMANN betont, die ästhetischen Gefühle seien nicht ganz trieblos (Gefühlsleb. S. 348). »Alles, was bei der Betrachtung Lust erregt, heißt schön« (ib.). Nach R. HAMERLING hängt der ästhetische Trieb mit dem Lebenswillen und der Lebensfreude, der Freude an dem, was ist, zusammen (At. d. Will. II, 231). Ähnlich NIETZSCHE, der die Kunst als »Stimulans zum Leben« betrachtet (WW. VIII, 135). Sie lehrt »Lust am Dasein zu haben« (II, 207; vgl. ZEITLER, Nietzsches Ästhetik 1900) Ästhetik ist »eine angewandte Physiologie«. CH. DARWIN bringt das Ästhetische zum Sexuellen in Beziehung (Urspr. d. Mensch.), so auch NIETZSCHE und G. NAUMANN (Geschlecht u. Kunst 1899, S. 159), ferner W. BÖLSCHE (Liebesl. in d. Nat. 2. Folge, l901). Physiologisch begründen die Ästhetik GRANT ALLEN (Physiol. Aesthetics 1877) und G. HIRTH. – Nach W. JERUSALEM sind die ästhetischen Gefühle »eine Wirkung befriedigter oder gehemmter Functionsbedürfnisse« (Lehrb. d. Psych.3, S. 174). Das ästhetische Genießen ist eine Art Spiel (l.c. S. 176). »Die Kunstwerke regen alle unsere seelischen Tätigkeiten an« (l.c. S. 176). Die ästhetischen Gefühle haben infolge ihres functionellen Ursprungs, wegen ihrer Begierdelosigkeit, »etwas Zartes und dabei zugleich etwas Reinigendes und Läuterndes an sich« (l.c. S. 177). Die Kunst beruht auf »Liebeswerbung« des Künstlers für das von ihm Dargestellte (Einf. in d. Philos.)

Kulturgeschichtlich-ethnologisch wird die Kunst betrachtet von GROSSE (Anfänge d. Kunst), der auch die sociale Bedeutung der Kunst betont (l.c.[94] S.299 ff.; der tiefste Grund und Wert der Kunst besteht in der Betätigung und in dem Genusse der Freiheit Kunstwiss. Studien 1900, S. 15), sowie von YRJÖ HIRN (Origins of art 1900) und K. BÜCHNER (Arb. u. Rhythmus), der die gesellige Arbeit als Auslöserin rhythmischer, ästhetischer Functionen betrachtet.

Die sociale Bedingtheit der Kunst betont (vorher schon u. a. DUBOS, PROUDHON, Du principe de l'art.., 1865) H. TAINE durch seine Theorie vom »Milieu«. »L'oeuvre d'art est déterminée par un ensemble qui est l'état général de l'esprit et des moeurs environnantes« (Phil. de l'art 1865, p. 17, 22, 98). Der Zweck des Kunstwerkes ist, einen wesentlichen Charakter, eine Idee deutlicher und vollständiger darzutun, als es die wirklichen Objecte tun (vgl. ZEITLER, Die Kunstphilos. von Hipp. Ad. Taine 1901). Die sociale Function der Kunst betonen u. a. besonders GUYAU (L'art au point de vue sociologique, 1888), er ist gegen »l'art pour l'art«. Durch die Kunst wird die sociale Solidarität und Sympathie erweckt und gesteigert (l.c. p. 15 u. ff.). »Le but le plus haut de l'art est de produire une émotion esthétique d'un caractère social« (l.c. p. 21). Ähnlich TARDE, G. SÉAILLES (Ess. sur le genre dans l'art2, 1897). Gegner dieser Auffassung ist u. a. RENOVIER (La théorie esthétique du jeu, Critique philos. 1885). Er vertritt die Kantsche Theorie (Nouv. Monadol. p. 312 ff.). M. BURCKHARD: »Einmal beeinflussen die socialen Bestrebungen den gegenständlichen Inhalt der Kunst, und diese wirkt dann durch die künstlerische Gestaltung der durch sie propagierten Ideen fordernd auf die sociale Bewegung selbst zurück; dann aber hat die Kunst durch das ihr innewohnende formale Moment... einen mächtigen Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung« (Ästh. u. Socialwiss. 1895, S. 4 f.). Der Schönheitssinn »entsprang aus den Eindrücken, welche einerseits gewisse für die Entwicklung der Gattung förderliche Körpereigenschaften auf die Individuen dieser Gattung, anderseits die Erscheinungen der umgebenden Natur auf die inneren Stimmungen, insbesondere auf das ganze Liebesleben üben« (l.c. S. 11). Erst war das im Kampf ums Dasein Nützliche angenehm, schön, später gefiel das Schöne um seiner selbst willen (l.c. S. 70 f.). Eine reiche historische Zusammenstellung der Lehren von der Beziehung zwischen Kunst und Moral gibt E. REICH (Kunst u. Moral 1901), der die sociale Bedingtheit und Wirksamkeit der Kunst scharf betont. Zur Geschichte der Ästhetik vgl. R. ZIMMERMANN, Gesch. d. Ästh. 1858. M. SCHASLER, Krit. Gesch. d. Ästh. 1871. LOTZE, Gesch. d. Ästh. in Deutschl. 1868. V. STEIN, Die Entsteh. d. neuern Ästh. 1886. Vgl. Erhaben, Komisch, Tragisch, Form.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 85-95.
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