Tracht

[988] Tracht. Über die Kleidungsart der alten Germanen und ihrer Stammverwandten sind wir durch die Römer genau unterrichtet. Tacitus beschreibt sie im 17. Kap. der Germania folgendermassen: Landestracht ist bei Allen ein Überwurf, bestehend aus einem viereckigen Tuchstück, das mit einer Spange oder in deren Ermangelung mit einem Dorn zusammengeheftet wird. Ohne andere Bedeckung liegen sie ganze Tage lang am Herdfeuer. Die Wohlhabenden unterscheiden sich durch den Stoff des Unterkleides, das nicht bauschig, wie bei den Sarmaten und Parthern, sondern anliegend ist und die einzelnen Gliedmaassen hervortreten lässt. Auch Tierfälle tragen sie, wobei die Anwohner des Rheins und der Donau keinen besonderen Unterschied machen; dagegen sind die im Innern des Landes wählerischer, da ihnen kein Handel sonstigen Putz bringt. Sie ziehen gewisse[988] Tierarten vor und durchsetzen ihre Felle mit Lappen aus andersfarbigen Bälgen, welche sie vom entlegneren Ozean und dem uns unbekannten Meere her erhalten. Das Kleid der Frauen ist ganz gleich, wie das der Männer, nur hüllen sie sich öfter in leinene, mit Purpur verbrämte Gewänder. Der obere Teil des Kleides wird nicht zu Ärmeln verlängert, sondern Ober- und Unterarm sind ganz frei und ebenso ist die Brust vom Halse an zum Teil bloss.

Spärlich fliessen die Quellen der folgenden Jahrhunderte bis auf Karl d. G. Thatsache ist, dass die an die römischen Provinzen angrenzenden Volksstämme schon früh sich in Sitten und Gebräuchen, so auch in ihrem äusseren Auftreten, in der Kleidung beeinflussen liessen. Es geschah das aber nicht mit einemmal und nicht an allen Orten zu gleicher Zeit und in gleicher Weise. Sicher ist, dass die altgermanische Einfachheit nach und nach dem römischen Prunke wich, über die Art und Weise des Weichens der einen und des Fortschreitens der anderen sind keine bestimmten Anhaltspunkte vorhanden. Wenn einzelne Nachrichten von einem Prunke reden, der den römischen übertrifft, so sind das entweder Sagen oder haben zum mindesten nur auf die höchstgestellten Personen, auf Könige und Bischöfe Bezug; während man mit Sicherheit annehmen darf, dass das gemeine Volk noch Jahrhunderte lang den Sitten der Väter in bezug auf Kleidung treu blieb, was ihre Lebensweise überhaupt schon mehr oder weniger bedingte.

Der früheste Berichterstatter über die Kleidung der Franken ist Sidonius Apollinaris, der um die Mitte des fünften Jahrhunderts schrieb: »Wallend und blond ist das Haar der Franken, blau ihr Auge; ihre grossen und starken Glieder umschliesst ein enganliegendes Kleid; sichtbar (nackt) ist das Knie, um den Leib tragen sie einen Gurt; mit ihren Streitäxten hauen sie weit; den Schild zu handhaben ist ihnen Spiel, dem Wurfspeer kommt selbst ihr Angriff zuvor; schon in der Kindheit ist Krieg ihre Freude; übermannt kennen sie keine Furcht, ihr Mut dauert über das Leben hinaus.«

Dass aber auch in der Merovingerzeit der Aufwand bei fürstlichen Personen schon gross gewesen sein muss, geht aus verschiedenen Nachrichten hervor. Nach dem Tode des jüngsten Sohnes Chilperichs liess Fredegunde, die Mutter, aus Betrübnis sämtliche Kleider, »die seidenen und die von anderen Stoffen«, sowie die Schmucksachen verbrennen und brauchte zum Fortschaffen derselben vier Karren. Das Gold und Silber liess sie schmelzen und that es bei Seite, »damit nichts in seiner alten Gestalt verbliebe, was ihr die Trauer zurückriefe«.

Besser unterrichtet sind wir über die Tracht der Karolinger. Durch das ausgesprochene, lebenskräftige Deutschtum Karl des Grossen wird der Luxus von dem Hofe und damit aus den oberen Ständen wieder verdrängt und kommt die fränkische Tracht zu ihrer Entfaltung. Karl selbst bediente sich derselben. Über sein Auftreten sagt Einhard, sein Biograph: »Der Kaiser Karl kleidete sich nach vaterländischem, fränkischem Brauch. Auf dem Leib trug er ein linnenes Hemd und ebenfalls linnene Unterhosen, darüber ein mit seidenen Streifen verbrämtes Wams und Beinkleider; sodann bedeckte er die Beine mit Binden und die Füsse mit Schuhen. Nur im Winter bediente er sich zum Schutz der Schultern und der Brust noch eines eigenen, aus Seehundsfell und Zobelpelz verfertigten Rockes; auch trug er einen meergrünen Mantel und beständig das Schwert an der Seite, dessen Handgriff und Gehenk aus Gold oder Silber gearbeitet waren. Mitunter[989] jedoch, so namentlich bei Festlichkeiten oder wenn die Gesandtschaften fremder Völker vor ihm erschienen, führte er auch ein noch reicher mit Gold und Edelsteinen verziertes Schwert. Ausländische Tracht aber wies er zurück, mochte sie auch noch so prunkend sein, und liess sich solche niemals anlegen, nur ausgenommen zweimal in Rom, wo er einmal auf Wunsch des Papstes Hadrian und ein andermal auf die Bitte von dessen Nachfolger Leo die lange Tunika, die Chlamys und römische Schuhe anzog. Einzig bei festlichen Vorkommnissen erschien er in golddurchwirktem Kleide und Schuhen mit Edelsteinen besetzt, den Mantel durch eine goldene Hakenspange zusammengehalten und auf dem Haupte ein Diadem von Gold mit Edelsteinen geschmückt. An anderen gewöhnlichen Tagen indes unterschied sich seine Kleidung nur wenig von der gemeinen Volkstracht«. Aus einer Mitteilung in den »Lorscher Jahrbüchern«, betreffend die Begräbnisfeierlichkeit desselben Kaisers, ist ersichtlich, dass er »heimlich auch unausgesetzt ein härenes Gewand auf blossem Leibe getragen hat«. Die Kleider wurden von den Frauen selber verfertigt, sogar am Hofe des Kaisers, in den sogen. Frauenhäusern. Die Kaiserin und ihre Töchter »beschäftigten sich mit Spindel, Spinnrocken und Wollenarbeit, damit letztere nicht in Trägheit verfielen und sich an Müssiggang gewöhnten«. Zwar konnte es nicht fehlen, dass bei dem lebhaften Verkehr mit den auswärtigen Höfen, sowie angesichts der vielen kostbaren Geschenke, die Karl von Byzanz und sogar von Persien her erhielt, manch köstliches Stück in den Hofschatz kam, das namentlich den Frauen in die Augen stach und sie wenigstens veranlasste, selbige nachzuahmen. Und in der That verwandte man am Hofe grosse Sorgfalt auf Handarbeiten aus dem Stickereifach. Wie gründlich aber der Kaiser seinen Hofleuten die Gier nach köstlichen Pelzwerken verleidete, erzählt die bekannte Anekdote von dem zu Wasser gewordenen Jagdvergnügen. Überhaupt war Karl ein ausgesprochener Feind der fremden Trachten, was schon aus seinen Kleiderordnungen erhellt. Siehe den besonderen Artikel.

Auf die Zeit Ludwig des Deutschen hat bezug, was der »Mönch von St. Gallen« von fränkischer Tracht berichtet, wenn er sagt: »Die Tracht der alten Franken bestand in Schuhen, aussen mit Gold geschmückt, nebst drei Ellen langen Schnüren, scharlachnen Binden um die Beine und darunter aus linnenen ebenso gefärbten Hosen, aber mit kunstreicher Arbeit geschmückt. Über diese und die Binden erstrecken sich in kreuzweiser Windung, innen und aussen, vorn und hinten, jene langen Schnürbänder. Dann ein Hemd von Glanzleinewand, und darüber ein Schwertgehenk. Dieses Schwert wurde zunächst durch die Scheide, dann durch irgend eine Art Leder und drittens von weisser und mit hellem Wachse gestärkter Leinwand so umgeben, dass es mit seinen in der Mitte blinkenden Kreuzchen zum Verderben der Heiden fest erhalten ward. Das letzte Stück ihres Anzuges war ein blaues oder graues Gewand, viereckig und doppelt, dergestalt, dass es über beide Schultern gehängt, vorn und hinten die Füsse berührte, seitwärts jedoch kaum bis zum Knie reichte. Dazu führten sie in der rechten einen Stab mit gleichmässigen Knoten von einem geraden Baumstamme, schön, stark und schreckbar zugleich, mit einem Handgriff von Gold oder Silber, den schöne, erhabene Arbeit schmückte«.

Wie sehr nun von alten Schriftstellern[990] diese Tracht als die altfränkische angeführt wird, so ist doch nicht zu verkennen, dass sie eigentlich die altrömische ist, was namentlich die erhaltenen Miniaturbilder aus dieser fränkischen Zeit bestätigen. Die Männer erscheinen auf denselben in einer bis zum Knie reichenden, enganliegenden Tunika mit langen, knappen Ärmeln. Die Beinkleider sind ebenfalls eng, der Unterschenkel umbunden. Verkürzt sich die Unterschenkelbinde zur Kniebinde, so tritt noch eine besondere Fussbekleidung dazu, die Socken oder Stiefel. Hochgestellte erscheinen auch etwa in einem viereckigen Schultermantel, dessen Enden vorn und hinten tiefer hangen, als zu beiden Seiten. Die Frauen tragen mehr oder minder reichverzierte, lange Unterkleider, einen vermittelst der üblichen Spange gehefteten Mantel und kurz zugespitzte farbige Schuhe. Als ein König, der der fremden Tracht sehr zugethan war, wird Karl der Kahle genannt, der nach den Jahrbüchern aus dem Kloster Fulda (876) griechischen Prunk aus Italien herüberbrachte, einen langen, faltenreichen, dalmatinischen Talar trug mit darüber geschlungenem Gürtel, der bis auf die Füsse hing, den Kopf in Seide gehüllt und mit dem Diadem gekrönt. Dasselbe bekräftigen die Jahrbücher von St. Bertin, die Karl auf der Synode zu Pontion am 21. Juni 876 »mit einem golddurchwirkten Gewande nach fränkischem Schnitte« erscheinen lassen, während er am Schlusse derselben, am 16. Juli, ein griechisches Gewand und die Krone trägt. Die den Römern entlehnte Tracht entsprach aber in der Hauptsache den Anforderungen der Franken, und erhielt sich deshalb ziemlich unverändert zwei volle Jahrhunderte hindurch, ja in ihrem Grundcharakter bis in den Anfang des 14. Jahrhunderts. Die Abänderungen erstrecken sich besonders auf die verschiedenartige Bekleidung der Beine. Mit der allmählichen Verbreitung der männlichen Beinkleider wurden die Schenkelbinden verdrängt, wogegen Stiefel oder Socke von Filz und Leder häufiger wurden und selbst der Kopf zu seinem Schutze hier und da (z.B. in Sachsen schon im 10. Jahrhundert) den leichten Strohhut erhielt. Vom 12. Jahrhundert an wurde auch das Untergewand noch mehr verlängert und der Schultermantel erhielt zuweilen eine Kapuze. Die Vornehmen trugen Kleider nach demselben Schnitt, jedoch mit reichen Randverzierungen und in verschiedener Färbung; der einfache Bundschuh wurde zum höher geschnittenen Halbstiefel. Die Frauen erscheinen im 11. Jahrhundert auch etwa in einer oberen Tunika mit weitgeöffneten Halbärmeln und gewöhnlich in rot oder blau gefärbten Schuhen. Die Könige trugen sich nach Art Karls des Kahlen; doch wird bei Widukind in der Schilderung der Krönungsfeierlichkeit vom Jahre 936 (Otto I.) ausdrücklich erwähnt, dass der König »mit dem enganliegenden fränkischen Gewande bekleidet war« im Gegensatz zu der langwallenden, üppigen griechischen Kleidung. Dieser fränkischen Gemessenheit in der Tracht entsprach auch das allgemeinüblich kurzgeschnittene Haupthaar, während man am griechischen Hof Haar und Bart lang trug und in farbige seidene Tücher hüllte.

Im 11., vielleicht schon im 10. Jahrhundert, entsteht in den höheren Ständen der Brauch, auf dem Leibe zunächst ein leinenes Hemd zu tragen, welches aus naheliegenden Gründen bald allgemein angenommen wurde. Wer sich dessen enthielt und das schon aus dem 8. Jahrhundert bekannte grobhärene Büsserhemd trug, meinte damit den Himmel zu verdienen. Allgemeiner[991] wurde auch in dieser Zeit schon die Kopfbedeckung (siehe dort). Aus einer Klage Thietmars von Merseburg ist zu schliessen, dass sich schon zu Ende des 11. Jahrhunderts Frauen gelüsten liessen, »die einzelnen Teile des Körpers auf unanständige Weise zu entblössen, allen Liebhabern offen zu zeigen, was an ihnen feil sei, und also, obwohl als ein Greuel vor Gott und eine Schande vor der Welt, ohne irgend welche Scham allem Volke zur Schau einherzugehen«. Aus den Miniaturbildern dieser Zeit ist nicht zu ersehen, wie Thietmars Worte zu verstehen sind. Es darf aber angenommen werden, dass nicht völlige Nacktheit der Frauen den Ankläger so schamrot gemacht hat, sondern vielmehr die knappe Gewandung, welche die Körperformen zu deutlich hervortreten liess.

Mit dem Aufschwung, den der Handel – zum grossen Teil durch die Kreuzzüge veranlasst – im 12. Jahrhundert nahm, brachen sich auch die verschiedenen ausländischen Trachten immer mehr Bahn. Zur Metropole dieses Handels war Venedig geworden, auf dessen Markte Byzanz, Indien, Ägypten, Nordafrika und Spanien mit ihren Erzeugnissen vertreten waren, und zwar bestanden diese vornehmlich in Schmucksachen, Kleiderstoffen und fertigen Kleidern. Bei den Beziehungen, welche auch die deutschen Städte mit Venedig pflegten und besonders der deutsche Hof, konnte es nicht fehlen, dass die alte fränkische Tracht bei den höheren Ständen bald völlig, beim aufstrebenden Bürgerstande nach und nach verdrängt wurde. Seidene und köstliche baumwollene Tücher verdrängten die einheimischen, und es konnte der Wettstreit zwischen den Ständen und Geschlechtern sich nach Belieben entfalten. Viel erwähnt wird bei den Dichtern des 12. und 13. Jahrhunderts Seide aus Ninive, Bagdad, Alexandrien, Adramant, Assagauk, Alamansura, Pelpiunte, Meuriente, Ecidemonis, Agathyrsienthe, Tabronit, Mohrenland, Zazamank u.s.w. Als Stoffe werden sonst noch genannt: der Baldachin, Blialt oder Plialt, Cyclat, Palmat, Pfawin, Triblat, Pfellel, Tyras, Tymit, Taft, Marroch, Sindel, bei welcher Gelegenheit mit Weitschweifigkeit auch die Heimat und Zubereitungsart des betreffenden Stoffes angegeben wird, wobei oft die wunderlichsten Mären erzählt werden. Am höchsten geschätzt war der Pfellel, dann der Baldachin von Balbeck (Bagdad) und der Sammt, der zu Ende des 12. Jahrhunderts unter den Vornehmen schon stark verbreitet war. Häufig kam auch der Siglat oder Cyglat in Gebrauch, den man oft wie den Baldachin bestickte und mit Goldfäden durchwirkte. Selbstverständlich war man auch bemüht, diese Stoffe nachzuahmen, d.h. im eigenen Lande zu verfertigen; so wird bereits in dieser Zeit der Zürcher Seide und des Regensburger-Zendals erwähnt. So wurde auch die einheimische Weberei, die Leinwand- und Wolltuchweberei, namentlich vom Niederrheine aus verarbeitet und verbessert. Neben der schon aus Karls des Grossen Zeiten bekannten »Friese« kamen jetzt durch Verwendung englischer, ungarischer, und spanischer Wolle auch feinere Tücher auf, Scharlach, Saja, Rasch, Fritschal, Bogram, Barragan, Lodon und Kamelot. Der Bogram wurde aus Ziegenhaaren gewoben, der Kamelot aus Kamelhaaren. Auch die Benennungen Zwillich, Belker und Schetter kamen in dieser Zeit schon auf. Mit der Weberei kamen auch die Färberei, Wirkerei und Stickerei mehr in Aufnahme, wie überhaupt ein Gewerbe das andere unterstützte und anregte.

Selbstverständlich ist, dass nicht jede Hausfrau sich getraute, diese köstlichen Stoffe selbst in Arbeit[992] zu nehmen, um so mehr, da auch der Schnitt der Kleider immer komplizierter wurde. So entstand im 12. Jahrhundert ein neues Handwerk und damit eine neue Zunft, die der Snider, in Frankreich Talierer genannt, die anfänglich die Tuchkrämer auch in sich begriffen. Im 13. Jahrhundert heisst man sie »Mentler, Gewand- und Flickschneider« und erst später werden sie in »Manns- und Frauenschneider« ausgeschieden.

Was nun die Art der Kleidungsstücke und ihre Zahl betrifft, so bleibt dieses trotz der veränderten Verhältnisse so ziemlich gleich, – Hemd, obere Tunika, Beinkleidung und Mantel machen in der Hauptsache auch jetzt noch die männliche Tracht aus. Das Hemd, hemede, nider-wât, nider-kleit, ist von Leinwand gemacht, kurzärmelig, nach Art der Tunika vorn geschlossen. Die Hose, caliga, hatte vielfach doch die Gestalt der Trikots, indem sie als Langstrümpfe die Beine bis in die Mitte der Oberschenkel bekleidete und dort an die Broche, femoralia, (unserer Schwimmhose ähnlich) anschloss oder auch als ein Stück mit derselben den Leib bis zur Hüfte bedeckte. Bei den Armen tritt eine einfache Pumphose auf, die am obern Rande durch einen eingenähten Riemen zusammengezogen wird. Auch die ganzen Trikots wurden mittelst Schnüren an den Hüften geheftet, d.h. meist mit dem Oberkleide zusammengenestelt, wozu diese sowohl wie der Hüftengürtel entsprechend durchlöchert waren. Diese Trikots wurden aus Seide oder Wolle gewebt, vorherrschend einfärbig, besonders rot, dann oft auch gestreift oder jeder Beinling in eigener Farbe. Die Schuhe, Halbstiefeln, wurden nach wie vor aus Zeug, Filz oder Leder gefertigt und erhalten immer noch verschiedene Farben; doch herrscht bereits die schwarze vor. Sie wurden mehr oder minder weit ausgeschnitten und offen getragen oder mit Riemen gebunden, sogar vereinzelt auch geschnäbelt, welche Manier Graf Fulko von Anjou oder Angers um 1089 seiner übelgebauten Füsse wegen aufgebracht haben soll. Am deutlichsten zeigte sich der fremde Einfluss im Roc oder Rock. Bei den dienenden Ständen herrschte als Untergewand zwar immer noch die kurze Ärmeltunika vor, bei den Beamten aber und bei Personen von Rang oder Stand verlängerte diese sich derart, dass sie oft aufgeschürzt werden musste. Das Stutzertum schlitzte sie auch vom Gürtel abwärts ganz auf und zackte den untern Rand zu schmalen Lappen aus. Auch trug man mitunter über diesem ein zweites, ärmelloses Untergewand, das ungegürtet herabhing, vom 13. Jahrhundert an als Schapperun, Warkus, Kappe, beständig zum vollen Anzug gehörte und jetzt eine Kapuze oder Ärmel oder auch beides zugleich erhielt und zwar die Ärmel als weite Halb- oder Hängeärmel. Das untere Gewand hiess Sukkenîe und wurde in seinem oberen Teile sehr verengt. Es war das Hauskleid, während die »Kappe« auf Reisen und zur Jagd darüber angezogen wurde. Vornehme trugen auf der Jagd auch ein besonderes »Pirsgewant«, einen kurzen Umhang von Pelzwerk. Der Mantel (siehe dort) hatte seine ursprüngliche Form, diejenige eines halbkreisförmigen, mehr oder minder weiten Umhangs, noch immer bewahrt, wurde nun aber nicht mehr ausschliesslich nach römischer Sitte auf der linken Schulter getragen, sondern als Rückenmantel auf beiden Schultern zugleich. Die Kopfbedeckung kommt noch selten vor, wo sie aber auftritt, da ist es die Rundkappe, die spitzige Pelzmütze und der breitkrempige Strohhut. (Siehe Kopfbedeckung.)

Die weibliche Kleidung entsprach[993] der eben besprochenen. Zunächst ist es auch im 12. Jahrhundert nur noch ein Kleid, der Rock, der auf blossem Leibe getragen wird. Er bleibt auch längere Zeit noch das einzige Kleidungsstück der Bediensteten und der Armen. Vermögliche tragen bald das Hauptkleidungsstück über demselben und seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auch schon das dritte. Der Stoff des Hemdes ist Leinwand oder Seide; wo es ein einziges Kleidungsstück bleibt – ein grober Wollenstoff. Der Rock bedeckte den Oberkörper sehr knapp, erweiterte sich aber an den Hüften zu einem langen Schleppkleide, dem die weiten Hängeärmel entsprachen. Die Geistlichkeit nahm Anstoss an dieser Tracht und untersagte sie auf einem Konzil um 1185 aufs nachdrücklichste. Sie erhielt sich jedoch bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts, wo die (in ihrem oberen Teile) weitere ärmellose Suggenîe oder Suckenîe aufkam, die auch von den Männern bald allgemein getragen wurde. Erwähnt werden bei den Dichtern noch der kurze Bolt, wahrscheinlich ein Überwurf, der Surkot, ein dem Skapulier ähnlicher Überhang, vorn und hinten herabhängend, an den Seiten offen, oben mit einem Kopfloch versehen – und ferner der Swanz oder das Swänzelîn, vermutlich eine Suckenîe mit Schleppe. Mantel, Fuss- und Kopfbekleidung, wenigstens erstere zwei, unterschieden sich nicht von denjenigen der Männer, wogegen die kostbaren fremden Geschmeide von den Frauen im allgemeinen mehr geliebt werden, als von den Männern, wie wenig auch die Männer, natürlich die Fürsten vorab, den glänzenden Erzeugnissen der Goldschmiedekunst abhold waren. Im Inlande zeichneten sich auf diesem Gebiete die Augsburger und Nürnberger Goldschmiedewerkstätten aus. Haar und Bart wurden immer noch kurz geschnitten; der volle Bart kennzeichnet den Juden, dem überdies ein zuckerhutförmiger Hut mit kurzem, herabhängenden Rand vorgeschrieben war, welche Bestimmungen von späteren Kirchenversammlungen dahin erweitert wurden, dass der Hut hornartig gekrümmt und das Unterkleid auf der Brust oder dann der Mantel mit einem orangefarbenen Rad bezeichnet werden müsse. Ebenso mussten sich die jüdischen Weiber und Kinder auffällige Kennzeichnung gefallen lassen.

Wohl auch gegen Ende des 12. Jahrhunderts mögen besondere Abzeichen für Beamte aufgekommen sein, sei es nun dass diese in einem eigenartig gestalteten Kleidungsstück selbst oder in einer Verzierung desselben bestanden.

Auch des Stabes wird als eines solchen Abzeichens erwähnt. Es müssen aber diese Abzeichen überhaupt anfänglich nur bei besonders hohen Festlichkeiten getragen worden sein, wenigstens erscheint auf einem Bilde in der Manesseschen Liederhandschrift, die zwischen 1280 und 1328 gesammelt worden, der Böhmenkönig Wenzel II. in seinem vollen Ornate, während seine sämtlichen Begleiter ohne besondere Kennzeichen dargestellt sind. Auch ist mit Gewissheit anzunehmen, dass in gleicher Weise die Auszeichnung der Kur- oder Wahlfürsten kaum vor dem Ende des 13. Jahrhunderts aufkam. Diese bestand in einem langen, roten Mantel, besetzt und gefüttert mit Hermelin und einem Kragen von demselben Stoffe, und in einer roten Rundkappe mit Hermelinbesatz, bei den vier weltlichen Fürsten von Sammet, bei den geistlichen von Tuch.

Zu eben der Zeit, als der Hof seine Beamten äusserlich kennzeichnete, nahm auch die bürgerliche Amtskleidung in den städtischen Gemeinwesen ihren Anfang. Die höchste Gewalt war die richterliche,[994] und für ihre Träger findet man zuerst – und zwar schon in den Rechtsbüchern des 13. Jahrhunderts – bestimmte Vorschriften über ihr Erscheinen bei deren Ausübung. Der Richter musste auf einem vierbeinigen Stuhle sitzen »als ein grisgrimmender Löwe, den rechten Fuss über den linken geschlagen«, bekleidet mit einem Mantel, den sollen sie »uppen den schulderen hebben, sunder wapenen solen sie sin«. Und »swar man dinget in bi koninges banne, dar ne sal noch scepenen (Schöffen) noch richtere kappen hebben an noch hüdeken noch huven noch handschuhe«. Zudem trägt der Richter einen weissen (entrindeten) Stab. Schultheissen und Landgrafen sitzen auch, sowie die übrigen Schöppen oder Schöffen auf der Schöppen-Bank. Sie tragen Stab und Mantel und überdies einen gelben Krempenhut, dessen Spitze hornartig rückwärts gebogen erscheint. Untergeordnete Beamte trugen die Farben der Stadt, vielleicht auch die Wahrzeichen derselben in Form von Wappenschildchen, wie auch jede Zunft – mancherorts auch einzelne Geschlechter – ihr eigenes Wahrzeichen führte.

Schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hatte Deutschland die Führerschaft unter den europäischen Landen an Frankreich abtreten müssen, das auch in bezug auf die Tracht eine völlige Umgestaltung hervorrief, indem es mit den altrömischen Überlieferungen völlig brach und dadurch für das Kostüm eine durchaus selbständige, höchst wechselvolle Fortgestaltung anbahnte. Deutschland widerstand dem französischen Einflusse bis gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts und der Grundcharakter der Bekleidungsart blieb bis dahin dem bisherigen gleich. Dann aber brach mit einemmale der ganze Widerstand, und die Flut des Neuen brach nun um so kräftiger herein. Adels- und Bürgerstand suchten sich zu überbieten »und was beide in äussern Genüssen nicht selber ersannen oder vermochten, ersann und vollführte die Geistlichkeit. Wie heftig auch der Einspruch wurde, den einzelne gesinnungstüchtige Männer, Prädikanten und Moralisten, und selbst Behörden dagegen erhoben, und wie wirksam auch dies teilweise war, im ganzen blieb man sich getreu, ja fühlte sich darum um so entschiedener geneigt, im Eigenwillen zu beharren und eben nur sich, dann oft bis zum Mutwillen, in ungebundenster Art zu genügen.«

Zwischen 1330 und 1340 kam die neue Tracht in Aufnahme, zuerst bei der Jugend, dann bei den Erwachsenen männlichen Geschlechts, zuletzt bei den Frauen. Der Verfasser der Limburger Chronik (1349) sagt hierüber: »Die alten Leut, mit Namen die Manne, trugen weite und lange Kleider, die hatten nicht Knäufe, allein an den Ärmeln hatten sie drei oder vier Knäufe. Die Ärmel waren bescheidentlich weit, und die Röcke oberhalb der Brüste gerunzet und eingefranzt, vorne geschlitzet bis an den Gürtel. Die jungen Mannsleute trugen kurze Kleider, abgeschnitten, auf den Lenden gerunzet und gefalten, mit engen Ärmeln, die Kogeln gross. Darnach zur Hand trugen sie Röcke mit vierundzwanzig oder dreissig Girnen, und lange Heuken, die waren gekneuft, vorne nieder bis auf die Füss, und Stumpf – Schuh. Etliche aber trugen Kogeln, die hatten vorne einen Lappen, die reichten herab bis an die Knie, die Lappen verschnitten und verzuselt. Es hat diese Tracht gar manches Jahr gewährt.«

»Die Herren und Ritter, wenn sie hoffahrten, hatten lange Kappen an ihren Ärmeln bis auf die Erde herabhängend, gefüttert mit Bunt oder kleinem Spelt (grauem Pelzwerk),[995] als wie es den Herrn und Rittern gebührt.«

»Frauen und Weibspersonen waren gekleidet, wann sie gingen zu Hof oder Tanz, mit Perkkleidern, darunter Röcke mit engen Ärmeln, und das oberste Kleid hiess Sorkete; es war zu beiden Seiten, beneben und unten aufgeschlitzt und gefüttert, im Winter mit Bunt, im Sommer mit Zindel, darnach es auch jedem Weibe ziemlich war. – Es trugen die Frauen, so Bürgerinnen waren, in den Städten gar ziembliche Heuken, die nannte man Veelen und war daran des kleinen Gespens (Gespenstes) von Distelschit kraus gefallen und eng gefalten, bei dem einen mit einem Saum bei nahe einer Spanne breit, und kostet einer neun oder zehn Gulden.«

Zum Jahre 1350 schreibt derselbe Chronist: – – »und machten die Leute neue Kleidung. Nun waren die Röcke unten ohne Girnen, und sie waren auch nit gekürzet, sondern lang und dergestalt enge, dass ein Mann nicht wohl darin schreiten mochte, und gingen eine Spanne unter die Knie; da fingen auch die Schnabelschuhe an.«

»Die Frauen trugen neue Hauptfinstarn, so dass man die Brüste beinahe halb sahe. Wiederum auch machten die Männer Röcke kurz eine Spanne unter die Gürtel; auch trugen sie Heuken, die waren alle rund und ganz, die hiesse man Glocken, die waren weit, lang und auch kurz.«

Und schon 1362 weiss der Chronist eine weitere Neuerung zu berichten: »In diesen Tagen vergingen die grossen weiten Ploderhosen und Stiefeln; diese hatten oben rot Leder und waren verhauen (aufgeschlitzt) und gingen die langen Ledersen an. Die waren eng, mit langen Schnäbeln, hatten Krappen, einen bei dem anderen, von der grossen Zehe an, bis oben aus, und hinten aufgenestelt bis halb auf den Rücken hin. Dahingegen vergingen nun die weiten und kurzen Ledersen, die hatten oberhalb gut Leder und waren (unterwärts) verhauen. Da ging auch an, dass die Männer sich vorne, hinten und neben zunestelten und gingen also hart gespannt. Die jungen Männer trugen gemeiniglich geknäufte Kogeln, als wie die Frauen. Diese Kogeln währten dreissig Jahr und vergingen darnach wieder.«

Wie es bei Nachäffereien zu geschehen pflegt, waren es besonders die auffälligsten Absonderlichkeiten der französischen Mode, die eifrig nachgeahmt und überboten werden wollten, so die überaus weiten Hängeärmel der Röcke, die Schwänze der Kapuzen, die Schnäbel der Schuhe und die Auszattelung der Ränder. Während die Franzosen z.B. die engen Röcke vollständig zugeknöpft trugen, schlitzten die Deutschen dieselben zuerst an den Seiten noch etwas auf und versahen diese Schlitzen wieder mit Knöpfen in dichtester Reihe. Den kurzen Rock nannte man schlechthin »Schecke« und entlehnte diesen Ausdrnck wahrscheinlich dem Englischen (jacke, jacket), den längeren nannte man Wams, wammesin, wambeson, gambeson, mit welchem Ausdruck anfänglich das ritterliche Untergewand bezeichnet wurde. Der Hüftgürtel behielt seine ursprüngliche Stelle bei uns noch lange Zeit bei, indem nur vereinzelte Stutzer ihn tiefer hinunterrückten, wie es die französische Mode vorschrieb. Als Beinkleid war die enganliegende Hose jetzt am verbreitetsten, doch waren auch die alten Einzelbeinlinge noch üblich. Was aber der Verfasser der Limburger Chronik unter der »Ploderhose« versteht, ist nicht ersichtlich. Die spitzen Schnabel der Schuhe waren oft eine Elle lang und die gleiche unsinnige Übertreibung bemächtigte sich der Kugeln (Gugeln, Kogeln, Gogeln, lat. cuculus,[996] Kappe), der üblichen Kopfbedeckung, die mit Lappen- und Zaddelwerk unförmig behangen und mit mehr als ellenlangen Schwänzen versehen wurden. Für die Mäntel behielt man die zwei bisher üblichen Formen der »Heuke« und »Glocke«, den linken Schultermantel, der auf der rechten geheftet wird, und den zweiteiligen Schurz, der oben ein Knopfloch besitzt, vorn und hinten weit herabhängt und zu den Seiten offen ist.

Gleichzeitig mit der neuen Tracht kam bei den Männern auch das lange Haar und der Bart wieder in Aufnahme, wie Hagecius schon um 1329 sagt: »Nun auch begann die Ritterschaft ihre Bärte lang wachsen zu lassen, da man sich vordem glatt trug; auch trugen einige Knebelbärte, gleich Hunden und Katzen nach heidnischer Art. Andere aber, ihre Mannheit verleugnend, nahmen weibischen Gebrauch an, trugen langherabhängendes Haar, kämmten und bleichten es nass an der Sonne. Etliche, die vor allen andern berufen und schön erscheinen wollten, brannten und kräuselten ihr Haar, und je zierlicher einer dies konnte, je schöner er sich zu sein bedünkte.«

Die Frauen gaben zuerst das ärmellose Unterkleid auf oder wandelten es zum Sorket um, indem sie es zur rechten und zur linken von unten herauf stark aufschlitzten. Darauf liess man es wieder ungeteilt, verengte es aber und versah es mit Ganzärmeln. Bald aber überboten sie ihre Männer im Wetteifer, nach französischer Art sich zu kleiden. Das Kleid wurde in seinem obern Teile eng, dafür aber tief ausgeschnitten, sodass Hals und Schultern, oft auch ein grosser Teil der Brust entblösst erschienen. Um so verschwenderischer war man mit dem faltigen untern Teile desselben, der – wenn auch nicht in demselben Masse wie in Frankreich – in einer Schleppe endigte. Der Gürtel wurde reich verziert und im Laufe der Zeit unförmig verbreitert. Als Kopfbedeckung benutzten auch die Frauen den Gugel. Daneben kommt als eine deutsche Kopftracht die Haube vor, die Kopf und Schultern bedeckt und an ihrem äussern Rande, der das Gesicht umschliesst, einen weichen Besatz von Krausen trägt, weswegen sie auch »Hullen« oder »Kruseler« genannt werden. Die jungen Mädchen tragen noch den Stirnreif oder Schapel bei offenem oder langgeflochtenem Haar. Der Schleier wurde immer häufiger.

Als Mantel beliebte den Frauen immer noch der bis dahin übliche Rückenmantel, der auf der Brust befestigt wurde; seltener trugen sie die »Heuke.« Im übrigen ist zu bemerken, dass das, was hier aufkommt, dort schon fällt, und was von einer Stadt gesagt werden darf, auf eine andere nicht Bezug hat, wenigstens nicht in demselben Grade; denn – wie ein österreichischer Chronist sagt: »Jeder kleidete sich nach Gefallen, einige trugen Röcke von zweierlei Tuch, bei andern war der linke Ärmel beträchtlich weiter als der rechte, ja bei manchen sogar noch weiter als der ganze Rock lang war. Andere hatten beide Ärmel von derartig gleicher Weite, und wiederum andere verzierten den linken auf mancherlei verschiedene Weise, teils mit Bändern von allerlei Farben, teils mit silbernen Körnlein an seidenen Schnüren. Einige trugen auf der Brust ein Tuchstück von verschiedener Farbe, mit silbernen und seidenen Buchstaben geziert. Noch andere trugen Bildnisse auf der linken Seite der Brust, und aber andere wickelten sich die Brust ganz mit seidenen Ringen ein. Einige liessen sich die Kleider so eng machen, dass sie solche nur mit Hilfe anderer oder vermittelst Auflösung einer Menge kleiner Knöpflein, womit die Ärmel bis auf die Schultern, auf Brust und Bauch ganz besetzt[997] waren, wirklich an- und ausziehen konnten« etc.

Auch der mehrmals genannte Limburger Chronist verliert die Geduld, die jeweiligen Änderungen in der Tracht mit der Ausführlichkeit zu behandeln, wie er es anfangs gethan. So sagt er vom Jahre 1370 kurz: »Neue Kleidung ging an in dem Jahre, das waren die langen Tapperte, die trugen sowohl Männer als Frauen, und trugen die Männer die Hauken kurz, weit, auf beiden Seiten geknäuft; und währte nicht lang in diesen Landen.« Er überspringt dann zehn Jahre und bemerkt (1380): »Wer heuer ein guter Schneider war, der taugt jetzt nicht eine Fliege, also hat sich der Schnitt verwandelt in diesen Landen in so kurzer Zeit.«

»In demselben Jahr« – erzählt er weiter – »gingen die Männer und die Frauen, edle und unedle, Knaben und Jungfrauen mit Tapperten, und hatten die in der Mitte gegurtet, und die Gürtel hiess man Duchsing; die Männer trugen sie kurz und lang, wie sie wollten, und machten daran grosse, lange und weite Stauchen, einesteils bis auf die Erde. Diesen Schnitt haben sie nicht von Notdurft oder aus Grobheit angenommen, sondern lediglich von Hoffahrt.«

»Da auch fing es an, dass man nicht mehr die Haarlocken und Zöpfe trug, sondern die Herren, Ritter und Knechte trugen gekürztes Haar oder Krüllen, über den Ohren abgeschnitten, gleich wie die Conversbrüder. Da dies die gemeinen Leute sahen, thaten sie es ihnen nach.«

»Es führten die Ritter, Knechte, Bürger und die reisigen Leute überhaupt, lange Schecken, Scheckenröcke, geschlitzet hinten und beneben, mit sehr grossen und weiten Ärmeln, die Pieschen (Wülste) an den Ärmeln betrugen eine halbe Elle oder mehr. Das hing den Leuten über die Hände und wo man wollte, schlug man sie aut. – Die Hundskogeln führten Ritter und Knechte, Bürger und auch reisige Leute. – Item auch trugen die Männer Ärmel und Wämser ohne Schoppen und andere Kleidung, die hatten Stauchen bis nah auf die Erde, und wer von ihnen die allerlängste trug, das war ein Mann.«

»Böhmische Kugeln trugen die Frauen, die gingen da an in diesen Landen. Diese Kugel stürzte eine Frau auf ihr Haupt und standen vorne auf zu Berge, über dem Haupt, als wie man die Heiligen in der Kirche malet mit den Diademen.«

Der »Tappert«, auch Trappert oder Trapphart genannt, war ein Überziehrock von mässiger Weite, anfangs bis auf die Füsse reichend, vorn vom Gürtel abwärts aufgeschlitzt, mit beliebigen Ärmeln versehen. Bald wurde er verkürzt und reichte so nur noch bis zum Knie. Gegürtet wurde er mit dem »Duchsing« (Dupsing, Dusing, Teusinke), der nach einer alten, nun neuerstandenen Sitte mit Schellen und Glöckchen geziert war.

Diese wurden zuerst, wie es heute noch üblich ist, mit dem Pferdegeschirr in Verbindung gebracht, also selbstverständlich nur von den höheren Ständen angewendet; als man sie aber auf Gürtel, Ärmel, Kugel und sogar auf die Schuhe übertrug, da liessen sich die Behörden dagegen auf. So gebot 1343 der Rat zu Nürnberg: »Kein Mann noch Frau soll keinerlei Glocken, Schellen, noch irgend von Silber gemacht hangende Dinge an einer Kette noch an einem Gürtel tragen.« Und nach der Göttinger Chronik erschienen auf den grossen Festen, die Herzog Otto um 1370 und 1376 veranstaltete, viele Ritter, Weiber und Jungfrauen geziert mit herrlichen Purpurgewändern und klingenden, silbernen und goldenen Gürteln und Borten, mit langen Röcken und[998] Kleidern, die gingen alle schurr schurr und kling kling.«

Wie der Tappert selbst sich erweiterte, so wurde das Unterkleid nach französischem Muster immer kürzer und enger, sodass die Räte allen Ernstes zur Wahrung des Schicklichkeitsgefühls dagegen auftreten mussten, so der zu Konstanz im Jahre 1390: »Wer in einem blossen Wamms zum Tanz oder auf die Strasse geht, soll es fein ehrbahrlich machen und die Scham hinten und vorne decken, dass man die nicht sehen möge.«

Die Frauen hinwieder wetteiferten darin, ihre »Leibchen« auf Brust und Rücken recht weit auszuschneiden und diese entblössten Teile recht voll erscheinen zu lassen durch Anwendung eines breiten, engen Gürtels, der die Taille möglichst lang und dünn erscheinen liess. Der Schellengürtel hing nur lose an den Hüften. Als Kopfbedeckung kam zu der bisherigen noch neu hinzu das aus Gold- und Silberfäden geflochtene, mit kleinen Metallanhängseln, Perlen und Steinen reich gezierte Haarnetz, ebenfalls ein deutsches Produkt, das den damals in Frankreich allgemein verbreiteten »Atour« nicht recht aufkommen liess.

Wie allgemein aber zu Ende des Jahrhunderts die neue Tracht schon war, d.h. wie sie auch die kleinen und kleinsten Städte schon völlig für sich eingenommen hatte, beweist eine Nachricht aus Kreuzburg: »Die reichen Leute hatten Teusinke um, war ein silberner Gürtel, da hingen Glöcklein an; wenn eines ging, schellte es um ihn her. Das Mannsvolk hatte Kappen mit wollenen Troddeln, ellenlang und setzten sie über die Stirn. Ihre Schuhe waren vorn spitzig, fast ellenlang. Ja einige machten an die Spitzen Schellen. Auch hatten die Männer Hosen ohne Gesäss, banden solche an die Hemden. Die reichen Jungfrauen hatten Röcke ausgeschnitten hinten und vorne, dass man Brüste und Rücken fast entblösst sah. Auch waren diese Röcke geflügelt und auf den Seiten ausgefüttert. Etliche, damit sie schmal blieben, schnürten sich so enge ein, dass man sie umspannen mochte. Die adeligen Frauen hatten geschwänzte Röcke (Schleppen), vier oder fünf Ellen lang, sodass sie Knaben nachtrugen. Die Frauen und Mädchen hatten an Röcken dopple dicke Säume, handbreit; die reichen Weiber silberne Knäufen oder breite silbernes Schalen, von oben bis unten auf die Schuh. Die Mägde trugen Haarbänder von Silber, vergoldete Spangen und hangende Flammen (Schleier) zum Geschmück auf den Häuptern; die Weiber auch lange Mäntel mit Falten, unten weit, mit zwiefachem Saum handbreit, oben mit dickem, gestärktem Kragen, anderthalb Schuh lang: hiessen Kragenmäntel. Auch hatten die Männer Wämmser von Barchent, mitten waren doppelte Kragen mit Taig zusammengekleistert, und kurze Röcke mit zwei Falten, kaum wurde der Hinterste bedeckt.«

Noch weiter ging das 15. Jahrhundert. Namentlich die Jugend war bemüht, die gegebenen Formen der bisherigen Tracht durch neue Zuthaten noch auffälliger zu machen, weswegen denn auch Verordnung über Verordnung erschien, dem »Lappen- und Zaddelwerk«, der »geteilten Kleidung«, der »Schellentracht« und den »Schnabelschuhen« den Krieg zu erklären. Doch herrschte – sagte ein alter Chronist – »anno 1400 und bis man schrieb 1430 ein so grosser Überfluss an prächtigem Gewand und Kleidung der Fürsten, der Grafen, Herrn, Ritter und Knechte, auch der Weibspersonen, als vor niemals gehört worden; auch trug man da silberne Fassungen oder Bänder mit Glocken von zehn, zwölf, fünfzehn und zuweilen von zwanzig Marken (etwa zehn Pfund).[999] Etliche auch trugen rheinische Ketten von vier oder sechs Marken, samt kostbarlichen Halsbändern, grossen silbernen Hüftgürteln und mancherlei Art von Spangenwerk.«

Zur Auszaddelung eignete sich der Tappert am besten; er erhielt daher in dieser Zeit die weiteste Verbreitung. Ausgezaddelt wurden zuerst die weiten Ärmel, dann aber der ganze Rand und endlich der Halskragen und selbst die Schulterstücke. Bald war der ganze Rock ausgezaddelt, dass er weder zu schützen, noch zu decken vermochte. Die einzelnen Zaddeln waren von ungleicher Grösse und Form, und oft mit weiteren Zaddeln derart überlegt und übernäht, dass das ganze wirklich ein »Zaddelwerk« genannt werden durfte. Mit der Mitte des 15. Jahrhunderts kam dann neben dem Tappert auch die Schaube auf, indem jener auf der Vorderseite geöffnet allmählich in diese umgestaltet wurde. Die sogenannte Teilung der Kleider hatte immer noch zumeist auf die Beinkleider Bezug. Da der Tappert als mehr oder minder langes Obergewand den Rock oder das Wams bedeckte, schenkte man letzterem weniger Aufmerksamkeit. Doch gab es auch etwa einzelne Stutzer, die den Rock in zwei Farben, zwei Hälften, geteilt trugen.

Von der Kleidung der Frauen ist wenig neues zu melden. Während einige Frauen der höchsten Stände sich durch ihr schlichtes, würdevolles Auftreten auszeichneten und darum den Künstlern ihrer Zeit als Vorbilder zu Darstellungen der Maria und andern Heiligenbildern dienten, bemühten sich die übrigen, im Wettstreit mit den Männern den Sieg davon zu tragen, indem sie das Zaddel- und Schellenwerk nachahmten, Brust und Rücken womöglich noch schamloser entblössten und das Schnürleibchen, »Gefängnis«, noch enger machten. Die freien Haarlocken wichen mehr wieder den aufgebundenen Flechten, die mit Rosetten- und Edelstein gezierten Goldstreifen, künstlichen Kränzen, gestickten Bändern, mit Blumen und Federn geschmückt wurden. Wer das Geld für einen ersten Schmuck erlegen konnte, der liess sichs nicht gereuen, unglaubliche Summen zu opfern; wer keinen echten bezahlen konnte, begnügte sich mit einem unechten, wie er ihn bei öffentlich zu Recht bestehenden Handwerksinnungen haben konnte. Seine Blüte aber erreichte das Stutzertum in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und zwar am burgundischen Hofe, wo es sich in beiden Geschlechtern jedweder Fessel entwand und die tolle Laune dem Anstand, der Schönheit und Zweckmässigkeit überordnete. Monstrelet schreibt zum Jahre 1467 in sehr bezeichnender Weise: In dieser Zeit machten die Männer die Kleidung so kurz, dass man die genaue Form ihrer culs und genitoires sehen konnte, ganz so, wie bei den bekleideten Affen. Auch in Deutschland trug man statt der langen Tapperte nun die vorn offene Schaube oder den kurzen, engen Scheckenrock, dazu eine Hose, deren Knappheit sich bis zur Schamlosigkeit gesteigert hatte und die eine Schamkapsel erforderlich machte. Auch wurde die Jacke weit ausgeschnitten, der Ausschnitt mit köstlichen Borden verziert und mit einem Brustlatz unterlegt, wie ihn die Frauen trugen. Die Ärmel wurden verkürzt, aufgeschlitzt und die Schlitze unterpufft. Hie und da fanden auch schon die französischen, hochaufgepolsterten Schultern ihre Anwendung. Der Mantel musste begreiflicherweise lappenartig verkümmern oder zu einem blossen Schaustücke sich verengen, das – mit einer weiten Halsöffnung versehen – nur etwa den Rücken bedeckte und vorne auf der Brust durch eine thunlichst lange Schnur zusammengehalten wurde, damit ja dem[1000] Auge des Beobachters nichts vorenthalten bleibe, was derselbe sehen wollte und sehen sollte. Auch das Rückenstück wurde zuweilen ausgeschnitten wie die Brust und dann in gleicher Weise mit einem Unterlatz versehen. An kostbaren Besätzen und Stickereien fehlte es ebenfalls nicht; letztere stellten nicht selten einen Sinnspruch oder ein Sinnbild dar und fehlten sogar auf den Beinlingen der Hose nicht. Diese war eigentlich auf das Bein gespannt, mit Nesteln gebunden. Oft zerfiel sie der Länge nach in zwei Stücke, indem der Unterschenkel seine eigene Bekleidung hatte, die am Knie an die obere Hose angenestelt wurde. Auch trug man überhaupt zwei Hosen übereinander, die untere lang, die obere von anderer Färbung nur bis zum Knie. Die Brust war auch etwa geschlossen und dann weiberbusenartig hoch gepolstert.

Hinsichtlich der »Gehalwirung« oder Teilung (miparti) ging man nun so weit, dass nicht nur die Hose, sondern überhaupt das ganze Kleid in zwei Hälften zerfiel, nach Farbe, Form und Stoff, was sogar auf die Kopfbedeckung und Fussbekleidung Bezug hat, sodass der Mann von der einen Seite etwa ganz rot, von der andern ganz blau, von vorn und hinten aber halb blau und halb rot erschien. So kleidete 1459 der Pfalzgraf am Rhein 1300 Mann in blau und weiss, und die Frankfurter Chronik erzählt von einem Bernhard von Rohrbach, einem reichen Stutzer daselbst, dass er um 1464 sich ein »geteilt Kleit« machen liess, »rot und wys zu eyn Farbe uff der linken Sitten und mitten uff der Gosen als das Rothe und wys zusammen genegt; ytel Knop und mit Gatteln rot und wys, und oben uff iklichem Knop eyn silbern Spang gestegt, als Perlin, und also auch Rock, Koller und Kogel.« Doch beliebte auch die Mehrteilung; so waren um 1473 die Krieger der Stadt Augsburg dreifarbig gekleidet, weiss und rot, durch grün geteilt. Die Teilung nach der Form erstreckte sich auf die Ärmel und Beinlinge.

Die Schnabelschuhe erhielten sich trotz der heftigsten Angriffe, die sie von allen Seiten erlitten und trotz der augenfälligen Unzweckmässigkeit bis zum Jahre 1490, wo man ins andere Extrem überging, nämlich zum breiten, »entenschnabelförmigen« Schuh. Kopfbedeckungen waren vorab der Hut in den verschiedensten Gestaltungen, daneben die Mützen, Sendelbinden und Gugeln. Das Haupthaar trug man gegen Schluss des Jahrhunderts lang; wer von Natur dieses Schmuckes entbehrte, der trug falsche Haare (siehe Perrücke); der Bart wurde mit wenigen Ausnahmen immer noch geschoren. Ausgenommen in der Teilung der Kleider, machten die Frauen auch in der burgundischen Tracht getreulich mit. Die Schleppe wird bis 4 Ellen lang, und muss von dienender Hand getragen werden. Dadurch wird auch das Unterkleid sichtbar, weswegen es unterwärts reich besetzt wird. Der Halsausschnitt bleibt weit, ja er vertieft sich noch und nimmt das kostbare, feine aber durchsichtige Vorstecktuch auf, das die Gestalt eines Kragens oder eines Brustlatzes hat, darin die sonst völlig freien Brüste vom Leibchen unterstützt, ruhten. So schreibt der Erfurter Chronist zum Jahre 1480: »Mädchen und Frauen trugen köstliche Brusttücher, auch vorn mit breiten Säumen gestickt, mit Seide, mit Perlen oder Flitter, und ihre Hemden hatten Säcke, dahinein sie die Brüste steckten, das alles zuvor nicht gewesen war.« Gegen Ende des Jahrhunderts teilte man auch nach französischer Manier das Leibchen von dem Rock und gab nun dem ersteren noch freiere Gestaltung. Besondere Aufmerksamkeit schenkten sie auch jetzt der Kopfbedeckung. Neben den vielen[1001] einheimischen Formen tritt besonders die französische »hennin« auf, meist kegelförmig geflochten und mit einem breiten, flügelartigen Behänge versehen. Sie ist vereinzelt schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zu treffen, kann sich aber auch jetzt noch nicht nachhaltig einbürgern, wie überhaupt die Gefallsucht in der Tracht am Schluss der 15. Jahrhunderts jene Höhe erreicht hatte, die sie keinen ruhigen Halt mehr gewinnen liess.

Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts brachte, was die Tracht anbelangt, wenig neues. Man begnügte sich im allgemeinen, das alte in etwas veränderter Form, bald verbessert und bald verschlechtert, bald vereinfacht und bald erweitert, immer wieder zu probieren. Namentlich was die Kleidung der Frauen betrifft, trat nach und nach eine Wendung zum Zweckmässigeren und Anständigem insofern ein, als die Schleppe sich verkürzte und mancherorts ganz wegfiel und das Leibchen sich nach oben wieder mehr schloss oder bei einem weiten Halsausschnitt der »Goller« Schultern und Brust deckte. Für die männliche Kleidung waren die Landsknechte tonangebend, deren lockeres Wesen selbstverständlich keine durchgreifende Wendung zum Guten versprach. Vielmehr gestaltete sich namentlich die Hose schamloser, als je, sodass schon zu Maximilians Zeit die Hofleute ernstliche Klagen gegen die Kriegsgesellen und ihr Auftreten zu führen sich bemüssigt fanden; der Kaiser aber, der sie nicht entbehren konnte, antwortete ausweichend, dass man ihnen für ihr »kümmerlich und unselig Leben doch ein wenig Freud und Ergötzlichkeit gönnen solle.« Die wichtigste Neuerung dieser Zeit ging mit der Kopfbedeckung vor, indem das Barett die bisher bestehenden in kurzer Zeit aus dem Felde schlug, und zwar bei Männern sowohl als bei Frauen. Letztere behielten daneben nur noch die enganschliessende Haarhaube.

Was den Stoff der Kleider anbelangt und die Ausstattung mit Schmucksachen und Stickereien, so blieb es auch hierin beim alten, d.h. jedermann wendete hiefür auf, was seine Mittel erlaubten, weswegen denn auch die geistlichen und weltlichen Behörden in zahllosen Erlassen gegen die überhandnehmende Prachtliebe auftraten und bis ins kleinste bestimmten, wie sich die verschiedenen Geschlechter und Stände zu tragen hätten. Der Erfolg blieb aus. Auch die Presse benutzte bald nach Erfindung der Buchdruckerkunst die günstige Gelegenheit, Flugschriften in die Welt hinauszuschicken, die das verblendete Volk belehren sollten. So schrieb der Magister Westphal: »Wenn man sich in der weiten Welt umsiehet und Achtung darauf gibt, so wird man finden, das fast alle Völker, Länder und Nationes ihre eigene besondere gewisse Tracht, Art und Form der Kleidung haben. Allein wir Deutschen haben nichts gewisses, sondern mengen dies jetzt erzählte und noch viel mehr alles durcheinander, tragen Welsch, Französisch, Husernisch, und ja nahe allerdingen Türkisch dazu. Wer wollte oder könnte wohl erzählen die mancherlei wunderlichen und seltsamen Muster und Art der Kleidung, die bei Manns- und Weibspersonen oder Volk in dreissig Jahren her, auf- und wieder abgekommen ist, von Ketten, Schauben, Mänteln, Pelzen, Körsen, Röcken u.s.w.? Jetzt hat man den Schweizerschnitt, bald den Kreuzschnitt, den Pfauenschwanz in die Hosen geschnitten, und eine solche schändliche, gräuliche und abscheuliche Tracht daraus worden, dass ein fromm Herz dafür erschrickt und seinen grossen Unwillen daran sieht. Denn kein Dieb am Galgen so[1002] hässlich hin und her bommelt, zerludert u. zerlumpt ist als die jetzigen Hosen der Eisenfresser und Machthansen, pfui der Schande!«

Um 1553 wurde nämlich durch Landsknechte eine völlige Umgestaltung der Hose hervorgerufen; es entstand die vielgenannte und vielgehasste »zerluderte, zucht- und ehrverwegene pludrige Teufelshose«, die sogenannte Pluderhose. Man fertigte sie aus einer Ueberfülle von sehr dünnem Stoff, gewöhnlich aus Seidengewebe, und fasste diesen durch mehrere bandartige Streifen von Sammet oder Tuch, sodass das ganze weit und schlotterig von den Hüften herabhing. Die Nürnberger Chronik nennt das Lager des Kurfürsten Moritz (Magdeburg) als den Ort, wo diese Hose erfunden worden sein soll; während in dem Gedichte: »Ein new Klaglied eines alten Deutschen Kriegsknechts wider die grewliche vnd vnerherte Kleidung der Pluderhosen« das »Braunschweiger landt« genannt ist als der Ort, wo erfunden worden sei »eine grosse sünd vnd schand«. Jedenfalls ist sie eine deutsche Erfindung, denn Andreas Musculus sagt um 1555: »Wer Lust hätte von Wunders wegen solche unflathige, bubische und unzuchtige Pluderteufel zu sehen, der such sie nit unter dem Papsttum, sondern gehe in die Städte und Länder, die jetzund lutherisch und evangelisch genennet werden, da wird er sie häufig zu sehen kriegen, bis auf den höchsten Greuel und Ekel, dass ihm auch das Herz darüher wehe thuen und dafür als für dem greulichsten Meerwunder sich entsetzen und erschrecken wird.« Die Landsknechte müssen ihre Freude an solchen Angriffen gegen ihr liebstes Kind gehabt hahen, denn sie verlängerten die Hose, die anfänglich nur bis zum Knie reichte, bald bis auf die Knöchel herab und brauchten gewöhnlich 20–40 Ellen für eine Hose, während in einzelnen Fällen 100–130 Ellen verwendet wurden. Die gleiche Verschwendung wendeten sie auf die Ärmel ihrer Jacke an, und als dann in den sechsiger Jahren ein hoher, fast kegelförmiger Filz- oder Pelzhut als Kopfbedeckung hinzukam, der selber wieder von Federbüschen oder Bändern flatterte, da war das Kostüm allerdings bis zu einem gewissen Abschluss gediehen, aber für einen Krieger im Felde viel weniger geschickt, als für einen Hanswurst auf dem Jahrmarkt. Doch erhielt die Hose auch unter der Zivilbevölkerung in kurzer Zeit grossen Anhang, wie sehr auch die Sittenrichter gegen sie auftraten. Kurfürst Joachim II. von Brandenburg liess mehrere Lumpenhösler aufgreifen, in einem Käfig drei Tage hindurch öffentlich ausstellen, Musikanten davor aufspielen. Auch liess er einigen Edelleuten das »zottige Hosengeplump« auf offener Strasse heimlich loslösen, so dass sie allem Volke zum Gespötte wurden. Das alles half nicht, die Hose erhielt sich bei den Landsknechten sowohl, als im Volke überhaupt, bis zum Erlöschen des freien Söldnertums, bis in das letzte Jahrzehnt des 16., in der Schweiz bis in das 17. Jahrhundert.

Die »ehrbar gesinnten« Bürgersleute und der Adel jedoch befreundeten sich wenigstens mit der langen Pluderhose nie, trugen aber eine kurze, die weniger bauschig war und zwischen dieser und der engen Schlitzhose die Mitte hielt. Doch wendeten auch sie verhältnissmässig zur Ausstattung des Latzes oder der Schamkapsel zu viel auf an allerlei Schleifenwerk. Neben dieser Hose oder vielmehr in Verbindung mit derselben trug man auch jetzt noch die enge Kniehose, sowie die alte Strumpfhose mit und ohne Zwickel, die lange Hose dagegen nur noch in den höchsten Ständen. Daneben kamen auch die seidenen gestrickten[1003] Hosen auf, wenn auch nicht allgemein, da sie noch zu teuer waren. Noch seltener waren die spanischen und spanisch-französischen Oberschenkelhosen und die glatten oder mit Bandstreifen dicht überzogenen, straff ausgepolsterten Rundwülsten, häufiger wieder die von den Hüften bis zum Knie reichenden ausgepolsterten Pumphosen und die unten offene Kniehose. Mit diesen versöhnten sich die Sittenrichter allmählich; wenn sie auch die spanischen »Herpauken« und die Schlumperhosen anfangs nicht ganz billigen konnten, so waren sie doch annehmbarer als die »Pluderhosen«. Zwar schreibt Johann Strauss: Die Plumphosen zieren wohl, wenn sie ohne Latz gemacht werden und nicht gar so weit. Jetzt aber müssen sie mit Haar ausgefüllet sein, dass einer darin pauset wie ein Malzsack. Man muss drei Kälberhäute (das Haar) zu einem Paar haben. Und da sonst nichts ausgezogenes darin ist, so muss doch d'Stotzer, wie sie es nennen, ausgezogen sein und unter die Augen sehen. Pfui der Schand! »Man machet Diebsäck (Taschen) drein, dass man wie die Spitzbuben, allerlei Gattung bald hinraffen mag.«

Die Jacke, die man zu den Pluderhosen trug, war eng, reichte vom Hals bis zu den Hüften, hatte da Vorstoss und war wattiert und gesteppt. Die unentbehrliche Schlitze wurde mit Streifen besetzt oder mit allerlei Knopfwerk. Die Ärmel hatten dieselben Verzierungen, waren aber weit. Johann Strauss schreibt darüber: »Was für Üppigkeit mit Wams und Puffjacken getrieben wird, das siehet man. Der Leib am Wams, ob er wohl fein und glatt angemacht wird, so muss er doch mit Seiden durch und durch umstöppt sein; vorne seltsame Kneuffel dran, von Stein, Korallen, Glas oder Horn. Oben einen Kragen darauf, der weit hinausstarret, Ärmel daran, die einer, wegen der Grösse und Weite, kaum an den Armen tragen kann. Die müssen vorn auch eingefaltet sein, dass sie Kröss gewinnen. Die trägt man an den Armen, wie die Gartenknecht ihre Camisseckel an den Armen tragen.« Mit dem Fall der Pluderhosen wurden wenigstens auch die Ärmel der Jacken einfacher, im übrigen war aber gerade das Wams den fremden Einflüssen am meisten unterworfen. Man versah dasselbe mit Schulterwülsten, polsterte es unter der Taille zu dem Spitzbauch aus und nahm sogar den französischen Gänsebauch an, so dass 1586 Andreas Osiander der Jüngere, Diakon zu Urach, sich darüber also vernehmen liess: »Ein gar herrlicher Schmuck aber seind die hässlichen langen ausgefüllten Gänssbäuch, die oben gleich unter dem Hals anfangen und herab bis weiter unter die Gürtel hangen, wie ein Erker an ein Haus hanget, dass er schier umziehen möchte.«

Der Halskragen oder die Kröse war bis in die Mitte dieses Jahrhunderts mit dem Hemde verbunden als ein leicht gekrauster Streifen Weisszeug. Von da ab wurde er selbständig behandelt und verbreitete sich immer mehr, bis die »über sich ragenden oder auf die Schulter herabhängenden Mühlstein-Krägen« daraus entstanden. Der mehrgenannte Johann Strauss sagt betreffend der Krösen: Obwohl das Hemd von Materie nit gar so köstlich ist und bisweilen von grober Leinwandt, so muss doch oben darauf kommen ein Krauss oder Gekröss von gar köstlichem Gezeug, und dasselbe über alle Massen weit und hoch, dass kaum die Ohren herausragen und der Kopf herausgucket, wie aus einem Sacke. Das muss gestärket sein, dass es starret und steif stehet. Solche Krausen sind etwa gedoppelt und hinten zugemacht (u.s.w.). Welsche und[1004] spanische Krägen, mit viel abhängenden Schnürlein, tragen ihrer eins Teils auch. Die alte Tracht, wie man etwa die alten Fürsten von Sachsen mit ihren Hemden und Krägen um den Hals malet, taug nit mehr. »Vorne zu den Ärmeln müssen auch Kröss herausgehen, wie das höllische Feuer zu allen Fenstern herausschlägt.«

Über die Oberkleider sagt derselbe: »Ein Leibrock mit einem selbstangeschlossenen Schurz oder eine Harzkappe stehet ehrbaren Leuten wohl. Die Handwerksleut haben ihr Schurzfell, Fürhänge und Koller, ist ehrbar und stehet wohl. Oberkleider sind jetzt, Gottlob, das meiste Teil leidlich und löblich; feine Bürgerröck zu Winter und Sommer; sonderlich die feinen, langen und ehrbaren Kappen oder Mäntel ohne und mit Ärmel, die kleiden und zieren wohl alte und junge Leute.« Aber bald darauf sagt er: »Die ehrbaren Leibröcke und Harzkappen gehen ab und kommen auf die Puffjacken, die sind gar auf die Kürze abgericht, dass der Stossdegen hinten vor kann ragen, und vorne müssen sie offen sein, dass man die Kneuffel am Wamms und anderes mehr sehen mag. Die Heffte drann müssen gar gross und ungeschaffen sein. Die Schlingen wie die Geschirrinken so gross; die Haken wie die Schnäbel an Löffelgänsen.«

Unter der Harzkappe ist eine verkürzte Schaube verstanden, die wie der kleine spanische Schultermantel jetzt viel getragen wurde. Beide wurden mit einem breiten, hochstehenden Schulterkragen versehen oder mit Pelzwerk reich verbrämt, und es herrschte zwischen ihnen kaum ein merklicher Unterschied, ausser dass die Harzkappe in Anlehnung an die Schaube meist weite Armlöcher oder auch weite geschlitzte Halb- oder Ganzärmel erhielt. Wurde sie bis zu den Hüften gekürzt, so hiess sie Puffjacke. – Die ursprüngliche lange Schaube dauerte fort beim Alter, bei dem Gelehrtenstande und als Abzeichen der höheren Beamten.

Als Kopfbedeckung erhielt sich das Barett bis in die achtziger Jahre neben dem spanischen Hute, welcher es dann verdrängte. Es war unterdessen einfacher geworden, meist ungeschlitzt, ein flaches, deckelförmiges Käpplein. Die Schuhe erhielten endlich wieder eine Form, die dem Fusse angepasst war, mussten dagegen immer noch aus verschiedenen Stoffen hergestellt, geschlitzt und unterpufft sein, »auf dass das Wasser bald wieder herauskommen kann,« meint schalkhaft Johann Strauss. Dabei bediente man sich, wie bisher, eines Unterschuhes, der aber jetzt die Gestalt der Pantoffeln erhält. Auch durch diese fühlt sich Strauss beleidigt: »Auch muss man nicht allein im Winter (welches etlichermassen eine Entschuldigung hätte), sondern auch mitten im Sommer auf Pantoffeln daherschlürfen und junge Kerl schleifen dieselben an den Füssen hernach, und klopfen damit wie die alte sechzigjährige oder siebzigjährige Weiber.« Und: »Was soll man sagen von den ungeheuer grossen Hentzsken, die etliche auch im Sommer tragen, so weit, dass einer ein ziemlich Paar gerade Ärmel daraus könnte machen lassen.« Diese Hentzsken waren weniger Fingerhandschuhe, als grosse stulpenartige Fäustlinge von derbem Zeug oder feinem Leder.

Die Haartracht war weniger bestimmt, als in früheren Perioden. Im ganzen trug man sich kurzgeschoren und bartlos, doch strichen einzelne das Haar vorn »über sich und machten gepuffte Kolben, daraus man siehet, wie ein rauher Igel« oder »wann eine Sau zornig ist, dass ihr die Borsten über sich stehen.« Neben glattrasierten Gesichtern findet man auch wallende[1005] Vollbärte, zugespitzte Kinn- und blosse Lippenbärte.

Die weibliche Kleidung schlug in das Gegenteil um. An die Stelle der beliebten Nacktheit des früheren Jahrhunderts trat jetzt in rascher Aufeinanderfolge eine Versteifung. Verhüllung von Brust und Hals wurde zur unerlässlichen Anstandsforderung. Die Halskrause fehlte nicht. Die Ärmel wurden eng und blieben ungeschlitzt. Dafür erhielten die Schulterstücke eine wulstige, breitausladende Erhöhung. Während die Sittenrichter noch vor kurzem über die »unfletige, schantbarliche« Nacktheit sich ausliessen, richteten sie ihre Pfeile nun gegen eine übertriebene »Vermummelung«, die aus der Eitelkeit entsprungen, recht ehrbar zu scheinen und den Teint zu schonen. Die Schleppe war weggefallen, der obere Rock hing in mässiger Weite vielfach gefaltet herab, sodass er auch den Fuss völlig deckte. Auch das Leibchen war durchaus geschlossen. Daneben trug man auch nach spanisch-französischer Mode geöffnete Röcke, und zwar hiess man sie enge, wenn sie nur von der Taille abwärts, weite, wenn sie ganz herauf geöffnet waren. Natürlich waren die Unterkleider in diesem Falle um so köstlicher. Das Oberkleid wurde durch Unterfütterung mit derbem Stoff, Filz oder mit metallenen Reifen (Springer) mehr oder minder starr ausgespannt. Es geschah das beim geschlossenen, wie beim offenen. Lassen wir wieder den eifrigen Johann Strauss reden: »Die Krösen tragen sie (die Frauen) mit den Mannspersonen gemein. Die Ärmel müssen unter den Uchsen und unten am Arm durchsichtig sein, dass man die weisse Haut sehen mag. Die Brustlätze auf das schönste gezieret, mit Pulsterlein fein gefüttert, dass sie pausen, als sie reif zum Handeln sein. Die Schweife unten an Kleidern müssen von Sammet und Seiden sein, und ist etwa das Kleid oben kaum Sackleinwand. Springer darunter, dass sie wie eine Glocke einen Zirkel geben und weit um sich sparren. Die feinen Leibjäckchen tun sie weg, nehmen Schäublein, Harzkäpplein, und dieselben kurz genug, dass man den Pracht unten sehen mag. Vor Zeiten trug das Frauenzimmer fein lange Schauben, jetzt sind sie verhauen bis auf die Gürtel, wie der Landsknecht Käpplein. Was für Unkosten auch an die Mäntel gewendet worden, das sieht man vor Augen. Man kann so teure Gewandt nicht bekommen, man braucht es darzu, und welche Frau den teuersten hat, dass ist die beste. Die Jungfrauen desgleichen. Auf diese und dergleichen Stücke ist nun jetzt aller Dichten und Trachten gerichtet, und was sie verdienen, ergattern und erobern, bisweilen auch dass es wohl besser döcht, das wenden sie an die leidige Hoffart. Und geht manche Dienstmagd dermassen her, dass sie es wohl einer reichen Bürgerstochter zuvortut. Darnach wenn sie zur Ehe greifen sollen, da ist weder Bett, Kissen noch Pfuhl, Decke noch Strecke.« Es war also lediglich der allzugrosse Aufwand, der nun getadelt werden konnte und was der äusserst gestrenge Sittenrichter hier hervorhebt. Die Rügen betreffs der Schlitzen und durchsichtigen Ärmel gehen nur nebenher und können wohl nur für die erste Zeit, jedenfalls nicht allgemeine Geltung haben.

Der offene Oberrock rief der Schürze, die aus Weisszeug, schwarzer Seide oder leichtem Taffet gemacht und mit Stickereien und anderem Besatz geziert wurde. Auch Gürtel mit zierlichen Täschchen, Bestecken (Scheiden) und Schlüsseln behangen, Fächer, Tragspiegel, Uhren und Handschuhe trug man nach spanisch-französischem Vorbilde, und das Taschentuch wurde zu einem eigentlichen Prunkstück. Besondere[1006] Unterröcke, wie sie in Frankreich bereits üblich geworden, scheinen noch selten zu sein und die Frauenhose wird in deutschen Trachtbüchern noch um das Jahr 1600 als eine Besonderheit der italienischen Frauen erwähnt. Hinsichtlich der Fussbekleidung ist wenig Neues zu berichten. Die Frauen schlossen sich hierin den Männern an, trugen also den geschlitzten farbigen Schuh und den Pantoffel oder die Trippe.

Der Mantel gestaltete sich bei den Frauen frei. Er war bald kürzer, bald länger, bald mit einem leichten Umhange versehen, bald köstlich pelzverbrämt. Hochstehende Kragen wurden bei ungünstiger Witterung auch etwa aufgeschlagen und bedeckten so den Hals und Kopf zugleich. Als Kopfbedeckung kommen neben Barett und Haarhaube auch gold- und silbergezierte Mützen und Schleier oder Stürzen wieder mehr in Aufnahme. Das Haar wurde nach wie vor am Nacken hochgebunden; Bräute und Brautjungfern trugen es frei oder legten es in Flechten um den Kopf. Nach den sechziger Jahren liess man es in zwei Zöpfen über den Rücken herunterhängen, was zu dem Luxus der falschen, blonden Zöpfe führte. Von 1585 an trug man die grossen Halskrägen, verzichtete um ihretwillen auf die Zöpfe und band das Haar hochaufstrebend mit mancherlei Schmuck ausgestattet nach französischer Frisur. Da diese nicht selten mit Draht unterstützt war, verglich sie Osiander in nicht sehr galanter Weise mit »Sauhägen, da man die Ruten über die Tremel zeucht.«

Für die Tracht des 17. Jahrhunderts blieb Frankreich massgebend oder wurde es mehr als je. Schon zu Anfang desselben erhielt die kurze, rundwulstig gespannte, langstreifig geschlitzte Oberschenkelhose am Pariser Hofe den Vorzug und gelangte bald zu weitester Verbreitung. Das Wamms erhielt lange Schösse, die den Unterleib bedeckten, die Taille rückte höher oder verschwand ganz und wurde bloss durch ein farbiges Schleifenwerk angedeutet. Die Ärmel erweiterten sich. Den Fuss kleidete ein hoher Reiterstiefel, der bald in seinem obern Teile sich beträchtlich erweiterte. Der niedere Schuh war mit Maschenwerk geziert und steckte in einem schützenden Überschuh. Der Mantel wurde beträchtlich erweitert, oft zu einem förmlichen Knöpfrock umgestaltet, die Ärmel gekürzt oder zur Hälfte umgeschlagen, der Rand oft mit Pelz besetzt, der Kragen vielgestaltig. Der Hut wurde breitkrämpig und überschwänglich geziert, das Haar frei und wallend.

Die verschiedenen deutschen Landesteile verhielten sich zu diesem französischen Einflusse ungleich. Die einen erlagen ihm bald, die andern erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Leicht zugänglich waren für dieselbe z.B. die Höfe in Düsseldorf, derjenige der Pfalz, von Bayern, Braunschweig und Hannover, am schwersten derjenige zu Wien und unter den Städten Hamburg, Lübeck, Bremen, Ulm, Nürnberg, Augsburg, Frankfurt a.M. und Strassburg. Am gierigsten griff das Stutzertum darnach, und dieses verbreitete seine Losung »à la mode« oder »allamode« (gegenüber stand »allväterisch«) seit den Zwanzigerjahren mit sichtlichem Erfolg. Zahlreich und heftig waren die Angriffe der Gegner. Namentlich von den Kanzeln wurde das Wort Gottes in unzweideutigem Sinne ausgelegt; aber umsonst. Da war es wieder die Presse, die das Wort festhalten und dem Auge aufnötigen musste, wenn das Ohr nicht hören wollte. Kaplan Johann Ellinger schrieb im Jahre 1629 den »Allmodischen Kleyder Teuffel« und zierte den Titel mit acht allmodisch gekleideten Figuren.[1007]

Dem Wort kam auch die darstellende Kunst zur Hilfe. Um 1628 erschienen die ersten »fliegenden Blätter«, welche zum Teil in masslosen Übertreibungen die hoffärtigen Neuerungen bildlich zum Gespötte machten und sie mit Spottgedichten begleiteten. Ein solches ist betitelt: »Monsieurisch Alla mode vnd Damische Bisarrie«. Ein anderes führte unterwärts die Aufschrift: »Wie sich ein deutscher Monsieur in Kleydern halten soll, er soll haben: Immagination – haar, Patient – barth, Responsion – huth, Indifferent – hutschnur, Legation – feder – – – Stultisissmus – gang vnd geberden« u.s.w. im ganzen zwanzig verschiedene Stücke.

Die Zerrüttung Deutschlands in politischer Beziehung und der wechselvolle, alles verheerende Krieg hatten namentlich die Jugend aus Rand und Band gebracht und besonders die erwachsene männliche Jugend, die nichts Grösseres kannte, als die französische Grossthuerei in allen Stücken nachzuahmen. Das erklärt denn auch das Auftreten eines Hans Michael Moscherosch (1600–1669), der wie kein anderer Schriftsteller seiner Zeit, berufen war, die Entartung seines Volkes zu geisseln. Er schrieb als Philander von Sittewald 1646 eine satirische Schrift: »Wunderliche und wahrhafte Gesichte« und bald darauf seinen »Alamode Kehraus«, worin es unter anderm heisst: »Diese langen Haare, also herunterhangend, sind rechte Diebeshaare, und von den Welschen, welche umb einer Missethat oder Diebsstücks willen irgend ein Ohr abgeschnitten, erdacht worden, damit sie mit den Haaren es also bedecken möchten. Und ihr wollt solchen lasterhaften Leuten in ihrer Untugend nachäffen? ja oft eurer eignen deutschen Haare euch schämen? Wollt hingegen lieber eines Diebs oder Galgenvogels Haar euch auf den Kopf setzen lassen? Aber wer sich seines eigenen Haares schämt, der ist nicht werth, dass er einen deutschen Kopf hat« (u.s.w.) »Bist du ein Deutscher? warum denn musst du ein Welsch Haar tragen? Warumb muss das Haar also lang über die Schultern herabhangen? warumb willstu es nicht kurz beschneiden auf deutsche Weise?« Und vom Bart: »Da deine Vorfahren es für die grösste Zierde gehalten haben, so sie einen rechtschaffenen Bart hatten, so wollet ihr den welschen unbeständigen Narren nach alle Monat, alle Wochen eure Bärte beropfen und bescheeren, bestummeln, bestutzen, ja alle Tag und Morgen mit Eisen und Feuer peinigen, foltern und martern, ziehen und zerren lassen? jetzt wie ein Schnecken – Bärtel, bald wie ein Jungfrauen – Bärtel, ein Teller – Bärtel, ein Spitz – Bärtel, ein Maikäfer – Bärtel« (u.s.w.) »Nun ist eure meiste Sorge, sobald ihr morgens aufgestanden, wie ihr den Bart rüsten und zuschneiden möget, damit ihr vor jungen Narren und Lappen könnt durchwischen. O ihr Weiber-Mäuler! Ihr Unhärigen. In den Löffeljahren geht ihr zu zapfen, zu trillen, zu ropfen, bis die Gauchshaar herauswollen; und wann ihr durch Gunst der Natur dieselbige endlich erlangt habt, so wisst ihr ihnen nicht Marter genug, bis ihr sie wieder vertreibet! Ihr Bart-Schinder! Ihr Bart-Schneider! Ihr Bart-Stutzer: Ihr Bart-Zwacker! Ihr Bart-Folterer! Ihr Bart-Wipperer!« u.s.w. Und vom Hut sagt er: »Wie viele Gattungen von Hüten habt ihr in wenigen Jahren nicht nachgetragen? Jetzt ein Hut wie ein Ankerhafen, dann wie ein Zuckerhut, wie ein Cardinalshut, dann wie ein Schlapphut, da ein Stilp Ehlen breit, da ein Stilp Fingers breit; dann von Geissenhaar, dann von Kameelshaar, dann von Biberhaar, von Affenhaar, von Narrenhaar; dann ein Hut als ein Schwarzwälder Käss,[1008] dann wie ein Holländer Käss, dann wie ein Münster Käss.« Wams und Hose: »Und möchte mancher meinen, er sehe einen Kramladen aufgethan oder in einen Paternoster-Laden, so mit mancherlei Farben von Nesteln, Bändeln, Zweifelstricken, Schlüpfen und anderen, so sie favores (Liebespfänder) nennen, sind sie an Haut, an Hosen und Wams, an Leib und Seel behenket, beschleket, beknöpfet und beladen.« So behandelt er auch die andern Teile der Tracht.

Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die französischen Stulpstiefel von ausserordentlicher Weite, unten mit breitem Spornleder und mit schweren, rasselnden Ledersporen, sowie die weitstulpigen, langbefranzten Handschuhe und die ledernen Überziehwämser, kurzschossig, mit Ärmeln oder wenigstens mit Armlöchern versehen.

Aber auch die Frauen hatten ihre Sittenrichter. Georg Friedrich Messerschmid sagt in einer gedruckten Predigt (Strassburg 1615) über sie: »So lasset uns doch nicht von der Narrheit abweichen, ehe wir zuvor die Eitelkeiten der Weiber in den äusserlichen Aktionen, Thun, Vorhaben und Lassen entdecken und offenbaren: als wie sie sich so sehr delectiren und belustigen, hübsch zu sagen, sich mit mancherlei Farben anzustreichen und schön zu machen. Sie erkühlen das Antlitz mit fersigblühend Wasser, bestreichen und zärteln das Fleisch mit Limonensaft, mit Eselsmilch. Sie erhalten sich mit Rosenwasser, Wein und Alaun. Sie gebrauchen sich der Tragant-Täfelein von Quittenkernen, des gebranden Weins, des ungelöschten Kalks, ihnen ein recht vollkommen Bleiweiss-Sälblein zu präpariren. – Siehe, da werden gesehen ausstaffirte Spiegel-, Rosen- und Spicanardiwasser, Bisam, Zübeth, Rauchwerke, schmäkend Pulver von Aloes, Cipern, Stabwurz, Schmalkügelein, Bisamkopf, Muskatnüssen – – – da sieht man Sträl (Kämme), Spiegel, Ohrenlöffel, Haareisen, Haarschären, Rumpfzwänglein und Pfriemen. Da stehen Schächtelein, Büchslein, irdene Geschirrlein, gläserne Fläschlein, Schisselein, Schärblein, Häfelein, Eyerschaalen, Muscheln, gespickt und ausgefüllt von allerhand Pflästerlein und Sälblein. – – – Da tritt die Magd herbei, die Haarbögen zu rüsten, ihnen die Rosen und Nestel zu binden, die Haarscheidel zu machen, die Haar recht zu ordnen und zerteilen, sie einzuschmiren, die Achseln zu ziehen und einzuhalten, um ihnen davornen und dahinten zu helfen, die Pantoffeln und Stelzenschuhe beizutragen, die Falten zu erheben, den Schweiff (die Schleppe) zu erlupfen.« –

»Da tritt dann Frau Venus herein mit wohlaufgeputztem Kopfe, mit aufgelegten Büschen, mit auf der Seite aufgebundenen Hornen, mit gelben, braunen, blauen, grünen, schwarzen, weissen Haarflechten, mit güldnen Binden und Floren, mit Masken, mit Larven, mit Federbüschen, mit einem Huth, darauf Stiefften, Medaglien, oder vergüldten Müntzen; mit neugebachen, fantastischen Bossen: mit Armbanden um den Arm, mit diamantnen Ringen an den Fingern, mit Ketten um den Halss und Gehenkten an durchlöcherten Ohren; mit Nägelsblumen (Nelken) wohl offtermalen in der rechten, mit Rosen in der linken Hand. Auf solche Manier, nun herausgeputzt, da kommt sie eben recht für, wie eine Falsche und angestrichene Isabella. – Weiteres zur grösseren Zärtlichkeit trägt sie seidne oder von Gold gestückte Handschuh; zu Winterszeit ein Schluffer von Zobel, den Sommer durch einen Windfahnen oder Mückenschleicher. Was wollen wir nun aber von ihrer Halszierde erzählen? wie viel ich deren gesehen, welche Kragen tragen,[1009] die vielmehr für Karrenräder zu haltend seynd? Und ich weiss nicht, wie sie sich dafür zeichnen (bekreuzen) können. Und obschon die Sache mehrers nicht werth ist, thut es doch Not, Thüren und Pfosten zu erweitern, sonst können sie nicht hinein. Auch sieht man zwar, dass sie monatlichen solcher Krägen formen, verändern und changiren, welche Veränderungen dann offtermalen mehr kosten, als wohl bisweilen ein ganz newes Kleide. Und ich weiss eine Persohn, die hat für einen dicken Kragen fünfzig Kronen spendirt; ist zwar für einmal genug. Nun fragt sich, ob dieses nicht Würkungen der Narrheit sein, welche solchen Leuthen es dermassen so süss einredet, dass sie sich dürfen bereden, sie stehen desto besser, je mehr sie mit dergleichen parfümirten Bossen aufgezogen kommen.«

Zu diesen Thorheiten wurden den Frauen gerechnet das knöpfrockartig gestaltete Überkleid mit langen Schössen und kurzen oder langen geschlitzten Ärmeln, die vorn mit Litzen und Knöpfen dicht besetzt waren, dann der grosse Schlapphut, wie sie ihn den Männern nachtrugen, der gefältete, breitherabfallende Kragen und die Stulphandschuhe, sowie die Hosen, die »die hohen Madonnen unter den Röcken trugen.«

Auch die haushälterische Kurfürstin Magdalena Sibylla von Sachsen beklagt sich brieflich schwer über die Leipziger Frauen (ihrem Gatten Johann Georg II. gegenüber) und Dr. Höpner in dort gelangt 1641 an den Senat wegen eines Schneiders, der französische Pracht und Hoffart von »theuren Halssgen und allerlei Hauptgeschmuck und andere neue Moden zu Stärkung der verbotenen und verpönten Kleiderhoffarth zu feilem Kauf auslasse, also dass von Frauen und Jungfrauen ein grosser Concursus, gleichsam eine Wallfart, zu ihm angestellt werde. Da Gott dadurch erzürnt, der Obrigkeit Gebot übertreten und der Stadt ein grosses Unglück zugezogen werde, ... so sollte die Obrigkeit ihres hohen Amtes handhaben und gegen die Förderer und Fortpflanzer der vermaledeiten Kleiderhoffardt mit exemplarischen Strafen verfahren.«

Auch in Versen wurde die neue Mode viel gegeisselt. Friedrich Logau (1604–1659) schreibt in seinen Epigrammen:


»Diener tragen insgemein ihrer Herren Liverei:

Soll's denn sein, dass Frankreich Herr, Deutschland aber Diener sei?

Freies Deutschland, schäm dich doch dieser schnöden Kriecherei!«

Und ein anderer deutscher Satiriker, Joachim Rachel (1618–69) schreibt:


»Ein jeglich zweites Wort, muss jetzt französisch seyn;

Französisch Mund und Bart, französisch alle Sitten,

Französisch Rock und Wams, französisch zugeschnitten.

Was immer zu Paris die edle Schneiderzunft

Hat neulich aufgebracht, auch wider die Vernunft,

Das macht ein Deutscher nach. Sollt ein Franzos es wagen.

Die Sporen auf dem Hut, Schuh an der Hand zu tragen,

Die Stiefel auf dem Kopf, ja Schellen vor dem Bauch,

Anstatt des Nestelwerks: der Deutsche thät es auch.

Bei einem sammtnen Rock die groben Leinwandhosen?

Wer hat es sonst erdacht, als Narren und Franzosen?

Wenn selber Heraklit den Plunder sollte sehen:

Er liess (mit Gunst gesagt) vor Lachen Einen gehen.«


In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geht es in gleicher Weise fort. Bei den Männern ist es besonders die schutzförmige »Unterrockhose«,[1010] die im Verein mit der Perrücke am meisten angefochten wird. Wolfgang Ouw, Pastor zu Flensburg, liess sich um 1663 folgendermassen über dieselben vernehmen: »Was sind die unerhörte weite Männerhosen, die für einem Jahr erstlich auffgebracht, anders als abgekürtzte Weiber-Röck, es gehen 20–30 und mehr Ellen darein, daraus man vor diesem zwei und mehr Kleider hat machen können. O der grossen Üppigkeit! Von diesen Hosen möchte man fast eben dasjenige schreiben, was vor Jahren von den Zucht- und Ehrverwegenen pludrichten Hosen Teuffel ist auffgezeichnet worden. Pfuy, wie hat dieser Teuffel, in so geschwinder Eil, so viel Länder und Städte eingenommen.

Die Weiber standen hinter ihren Männern in keiner Weise zurück. Sie liessen sich allmonatlich eine Modepuppe von Paris kommen, um ja keine Thorheit länger als nötig war zu versäumen; sie schickten auch ihre Schneider dorthin, dass diese sich dort über alles vergewissern, was die Tracht beschlagen konnte.

Der obengenannte Wolfgang Ouw schrieb weiter (1663): »Wollte jemand die Kleiderpracht der Weiber anatomiren, würde man genug zu thun kriegen. Kürtzlich und wahrhafftig kann man davon also urteilen. 1. Wird gesündiget superfluitate, dass man an Gewand, Kammertuch, Bänder etc. mehr gebraucht, als die Nothdurft erfordert. 2. Wird gesündigt sumptuositate, da man allerlei theure Sachen auff den Leib leget, in Gold und Silber-Stück, Seiden, Sammet, Atlas und andern theuerbahren Wahren sich kleidet. 3. Wird gesündigt novitate, dass keine Tracht so neu, bunt, krauss, wunderlich, alamodisch, man närret, äffet und alamodiret immer nach, bald gehet man Frantzösisch, bald Englisch, bald Niederländisch, bald Polnisch, ja sollten die Türken kommen, man wurde wol auff Türkisch gekleidet gehen. 4. Wird gesündiget levitate und scurilitate, da man sich mit leichtsinniger Kleidung behanget, die Glieder, so Gott und die Natur zudecken heisset, schändlich entblösset, und sonst auff ander Weise seine Leichtsinnigkeit an den Tag giebet, oder andere mit Kleider dazu anreitzete! –

Wenn Ouw sich hier darüber beklagt, dass nicht nur die französische Mode nachgeahmt werde, sondern auch die aller andern Länder und Völker Europa's, so ist es wohl mehr der Unmut, der dieses schreibt, als die Wahrheitsliebe; denn wenn auch Frankreich selbst das eine und andere in ähnlicher Form dem Ausland entlehnt, d.h. von diesem irgend eine Anregung empfangen haben mochte, so zeigte sich jetzt der französische Erfindungsgeist auf diesem Gebiete so unerschöpflich, dass er auch dem putzsüchtigsten Stutzertum ein vollständiges Genüge leisten konnte.

Neben der übermässigen Verwendung des Haarpuders, der Schminke und der Schönpflästerchen waren es jetzt die Schleppen, die Brustlätze und »Fontangen«, die am meisten Anstoss erregten. Die letztere war ein Kopfputz und rührte von der schönen Fontange her. Ihre Entstehungsgeschichte zeigt so recht die überreif krankhafte Modesucht des französischen Hofes. Auf einer Jagdpartie trug nämlich die Maitresse einen kleinen, mit Federn geschmückten Hut. Ein heftiger Wind nötigte sie, den Hut zu entfernen und ihr Haar, damit es nicht allzusehr in Unordnung gerate, mit Bändern aufbinden zu lassen. Wie nun der König die Enden und Schleifen derselben im Winde flattern sah, ward er so entzückt, dass er die Trägerin bat, so zu verbleiben. Natürlich wussten die übrigen Hofdamen nichts eiligeres zu thun, als schleunigst den[1011] zufälligen Putz ihrer Konkurrentin nachzuahmen, und so konnte es nicht fehlen, dass der Modewelt das neue Glück in kurzer Zeit zugetragen wurde.

Im Jahre 1689 erschien gegen die Fontange ein Schriftchen, das an Derbheit der Sprache nichts zu wünschen übrig liess. Es war betitelt: »Der gedoppelte Blasbalg der üppigen Wollust, nemlich die erhöhete Fontange und die blosse Brust, mit welchem das alamodische und die Eitelkeit liebende Frauenzimmer in ihrem eigenem und vieler unvorsichtigen Manns-Personen sich darin vergaffenden Herzen ein Feuer der verbothenen Liebes-Brunst angezündet, so hernach in einer hellleuchtenden grossen Flamme einer bitteren Unlust ausschlägt, Jedermänniglich, absonderlich dem Tugend und Ehrbarkeit liebenden Frauenzimmer zu guter Warnung und kluger Vorsichtigkeit vorgestellet und zum Druck befördert durch Ernestum Gottlieb, bürtig zu Veron.« Eine zweite erschien ein Jahr später zu Frankfurt: »Die verabgötterte Fontange im Gnadenschoss des Königs von Frankreich verblichen, jetzund aber auf den Häuptern des Frauenzimmers in Teutschland wieder lebendig worden, von F.L. von Hohen-Uffer«. Der ausgesprochene Eifer und der nicht zu verkennende gute Wille blieben auch hier ohne Erfolg; die Fontange erhielt sich bis um 1720, denn sie war französisch, und ein im Jahr 1689 zu Geyersbergk erschienenes Schriftchen sagt mit Recht: »Es ist ja leider! mehr als zu sehr bekannt, dass, so lange der Franzosen-Teuffel unter uns Teutschen regieret, wir uns am Leben, Sitten und Gebräuchen also verändert, dass wir mit gutem Recht, wo wir nicht gar naturalisirte Franzosen seyn und heissen wollen, den Namen eines neuen, sonderlichen und in Franzosen verwandeltes Volk bekommen können. Sonsten wurden die Franzosen bei den Teutschen nicht ästimiret, heute zu Tage können wir nicht ohne sie leben und muss alles französisch sein. Französische Sprache, französische Kleider, französische Speisen, französischer Hausrat, französisch Tanzen, französische Musik, französische Krankheiten, und ich befahre, es werde auch ein französischer Tod darauf erfolgen, weil ja die hiedurch verübten Sünden nichts anders prognostizieren .... Die meisten deutschen Höfe sind französich eingerichtet, und wer heutzutage an denselben versorgt sein will, muss französisch können und besonders in Paris, welches gleichsam eine Universität aller Leichtfertigkeit ist, gewesen seyn, wo nicht, darf er sich keine Rechnung am Hofe machen. Indessen mochte dies noch hingehen .... Allein dies ist auch bis auf Privatpersonen, und bis zu dem Pöbel gekommen, und man darf sich nur in den Städten umsehen, so wird man finden: alles ist französich.«

»Will ein Junggesell heute zu Tage bey einem Frauenzimmer attresse haben, so muss er mit französischen Hütigen, Westen, galanten Strümpfen u.s.w. angestochen kommen. Wenn dieses ist, mag er gleich sonst eine krumme Habichts-Nase, Kalbes-Augen, Buckel (oder wie es andere, die dergleichen Personen affectionirt sind, hohe Schulter nennen), Raffzähne, krumme Beine und dergleichen haben, so fragt man nichts darnach: genug, dass er sich nach langem Lernen a la mode frans stellen kann. Man hält ihn für einen recht geschickten Kerl, ob er gleich nicht für einer Fledermaus erudition im Kopff, und anstatt des Gehirns Heckerling hat. Es ist und bleibt ein Monsieur, bevoraus wenn er etwas weniges parliren kann.«

Unter sothanen Umständen hielt es schwer, ja es war ganz unmöglich, durch eine äussere Macht dem Unwesen Einhalt zu thun. Selbst[1012] die hochobrigkeitlichen Erlasse dieser Zeit treten weniger mehr gegen die Tracht selber auf, als gegen die Vermischung der Stände. Diese sollen auseinandergehalten werden, also, dass man sie erkenne in ihrem äusseren Auftreten. Das war es, was der Hof und der Adel wollte, was aber die andern Stände eben hassten. Die Standesunterschiede waren die Haupttriebfedern dieser Konkurrenz auf Leben und Tod, indem die einen sie mit aller Mühe wiederherstellen, die andern verwischen wollten.

In diesem Sinne erlässt Georg I. von Sachsen schon um 1612 eine Verordnung, die jedem Stand bis ins kleinlichste vorschreibt, was er tragen darf und was nicht, wie viel Zeug zu diesem Kleidungsstücke verwendet werden dürfe und wie viel zu jenem und wie jedes Zeug zu schneiden, zu zieren und zu tragen sei. Da erhalten ihre Vorschriften: »Die vom Adel und das adeliche Frauenzimmer; Professores vnd Doctores auff den Universitäten. Deren Weiber; der Doctoren Töchter; Hoffdiener so nit graduiret, Item Secretarien; Magistri; der Hoffdiener und Secretarien Weiber (und ›ihre Töchter‹): Pfarrern, Weiber vnd Kinder; Studiosi; Schlösser, Amtvögte, Verwalter, Bürgermeister vnd Ratsverwandten (Manns- vnd Weibspersonen); deren Söhne; deren Weibern, Jungfrawen; von Handelsleuten, Kramern vnd vermögenden Bürgern, so nicht von ihrem Handwerge, sondern von jhren Gütern, Renthen oder anderm bürgerlichem Gewerb sich allein ernehren; deren Söhne, Weiber vnd Töchter, Gemeine Bürger, Handwergsleute vnd Gesellen; Gemeinen Bürger vnd Handwerger Weiber vnd Töchter; Handwerger in Vorstädten; Vorstädter, so eigene Häuser haben, auch die Pfalbürger; Dienstboten, Knechten und Mägden; der Bawerssmann beneben Weib vnd Kindern ....«

Im 18. Jahrhundert – um auch dieses der Vollständigkeit willen noch kurz zu berühren – blieb Frankreich trotz seines sittlichen Zerfalles immer noch massgebend. Noch unter der Regierung Ludwig XIV. trat für die männliche Kleidung der Charakter der Faltenlosigkeit ein. Der Rock wurde bald etwas enger getragen, bald weiter und ganz geöffnet, nach dem Tode Ludwigs ganz oder halb zugeknöpft. Die Stutzer liessen ihn von der Taille abwärts mit derben Stoff oder mit Fischbein glockenförmig aussteifen, was bis zum Ausgang der Vierzigerjahre beliebte. Der Kragen blieb weg, die Ärmel erhielten einen breiten Überschlag. Der Besatz blieb ein reicher. Die Weste verlängerte sich wieder bis zum Knie. Die Oberschenkelhose verengte sich wieder und die Strumpfhose bestand meist aus weisser Seide. Als Fussbekleidung griff man zum Schuh mit Seidenlaschen und Spannschnalle. Die Perrücken wurden bedeutend einfacher.

Die Damenwelt verzichtete auf den übermässig aufgetürmten Kopfputz, da 1714 der König an zwei Engländerinnen den »niederen« so reizend gefunden, dass er sich äusserte: »Wenn doch die französischen Damen nur so verständig wären, ihre lächerliche Coiffure gegen jene zu vertauschen«. Und eben durch dieselben kam auch der kleine Reifrock wieder zu Ehren, der bald einen Umfang von sieben und mehr Fuss erreichte. Um aber die Schleppe doch nicht zu entehren, befestigte man rücklings zwischen den Schultern oder an der Taille eine entsprechende Stoffmasse. Der Oberleib steckte in einem engen Leibchen, der Halsausschnitt wurde tiefer. Begreiflich erhielt jedes Stück einzeln wieder seine besondere Durchbildung.

Deutschland fuhr fort, das neueste nachzuahmen. Unberührt blieb davon höchstens noch etwa die Landbevölkerung, die einesteils die Mittel nicht hatte, solchen »Staat« anzuschaffen,[1013] andernteils die Zeit nicht, ihn zu tragen und zu pflegen. Auch war bei dem Abhängigkeitsverhältnis, das zwischen Stadt und Land zu gunsten der ersteren vielorts noch herrschte, bei dem letzteren die Abscheu vor der »städtischen« Mode schon allein vermögend, sie in Misskredit zu bringen. So ging der Mode-»Teufel« seinen Gang trotz der immerwährenden Angriffe, die er auch jetzt zu erdulden hatte, namentlich von Seiten der Frommen, die an der Hand der Bibel haarscharf nachwiesen, dass diese Mode vor Gott ein Greuel sei. So die Schrift: »Inversus Dekalogus Mundi. Das ist: Die verkehrte Welt. Oder zehn Hauptlaster der heutigen Welt. Wider die H. Zehn Gebote Gottes, Sehr anmutig und lustig zu lesen. Nebst einen angenehmen Valet der Welt, Vorgestellet von Einem Weltkündigen Liebhaber der Wahrheit, Nahmens B.F.H. Gedruckt im Jahr Christi 1712.« u.a.m.

Mehr und mehr wich auch in den östlichen Staaten aller Widerstand; selbst Wien erschloss sich nach dem Ableben Karl VI. der jeweiligen Mode immer mehr, und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts war kaum ein deutscher Hof zu finden, der nicht nach französischem Muster eingerichtet gewesen wäre. Selbst das Zubehör an Jagden, Festen, Opern u.s.w. wollte Keiner mehr entbehren. Voran Sachsen unter August I. und II. und dem Günstling des letzteren, dem Grafen von Brühl, der einen eigenen Hofstaat unterhielt mit zahllosen Hausbeamten, (z.B. dreissig Köchen), für die er die Kleidungsstücke bis in's Kleinste aus Paris bezog. Die Sachsen galten daher mit Recht als »die Franzosen in Deutschland«.

Die Prachtliebe des ersten preussischen Königs, Friedrich I., ist bekannt. Anders verhält sich Friedrich Wilhelm, der bei seinem Regierungsantritt (1713) 88 Kammerherren und zahlreiche andere Bedienstete entliess und dadurch unzweideutig zu erkennen gab, wessen man sich bei ihm zu versehen habe. Er selbst trug einen braunen Rock (Habit) mit englischen Aufschlägen und eine rote, mit Silber bordierte Weste, von 1719 an eine schmucklose Uniform. Die Wolkenperrücke vertauschte er zuerst mit dem einfachen »Muffer« oder »Mirleton«, entfernte aber auch diesen bald und flocht die eigenen Haare in einen Zopf, was er auch auf sein Heer übertrug. Sein ganzer Hof, Gemahlin und Kinder inbegriffen, folgten seinem Beispiel. Auch in weiteren Kreisen blieb sein Vorgehen nicht ohne Einfluss, da er klug genug war, nicht durch Erlasse, die doch nicht auszuführen waren, sich selber, sondern die Hoffart selbst durch ihre Darstellung zu blamieren. So führte er der französischen Gesandtschaft, die aus dreissig Personen bestand und deren Einfluss bei Hofe er brechen wollte, bei einer Revue ganz unerwartet die Profosen der Regimenter in französischer Tracht vor mit möglichster Übertreibung – in riesigen Hüten, mit Federn bedeckt, in Röcken mit übergrossen Aufschlägen und mit gewaltigen Haarbeuteln. Das that gute Wirkung, um somehr, da der König bald darauf auch allen als »infam« Erklärten den Haarzopf abschneiden und die Perrücke aufsetzen liess. So wählte er auch für seine lustigen Räte immer dasjenige aus, was er lächerlich machen wollte. Auf diese Weise brachte er bei den Männern eine soldatische Kleidung, den knappen, abgeschrägten, blauen Frack und den dreieckigen Hut zu ziemlicher Verbreitung. Die grosse Perrücke blieb nur noch bei Ministern, Räten, Doktoren und Geistlichen und wurde im übrigen durch den »Muffer« ersetzt Wer sich mit dem Zopfe nicht befreunden konnte,[1014] kräuselte die Haare über den Ohren zu kleinen Rundwülsten auf. Vorsteckärmel und Schürzen wurden gebraucht, »Jabot« und Manschetten von den Hemden getrennt behandelt, überhaupt ging von Preussen ein neuer Geist der Ernüchterung und Sparsamkeit aus. Weniger glücklich war der König mit seinen Reformplänen bei den Frauen. Diese, anfänglich schüchtern nachgebend, entschädigten sich für die beschränkte Stofffülle durch die Ausstattung mit köstlichen Spitzen, und als Friedrich Wilhelm starb und Friedrich II. den Thron bestieg, verfielen sie wieder vollständig dem Hang nach der französischen Mode; wie auch die Männer, trotz dem militärischen Gepräge, das ihr Auftreten behielt, für den französischen Einfluss wieder zugänglicher waren, umsomehr, da der neue König, wenn auch nicht ein Freund der französischen Tracht, so doch ein Verehrer der französischen Bildung war und die französischen Gelehrten an seinem Hofe stets gern gesehen und gelitten waren. Zudem war Friedrich viel zu sehr mit seinen weitgehenden Plänen beschäftigt, als dass er den kleinlichen Streit um den »Frack der Friedrich-Wilhelms-Männer« hätte aufnehmen und weiterführen mögen. In seinem Alter sprach er sich wohl hie und da scharf gegen den modischen Kleideraufwand aus; es geschah das aber mehr nur in einer Anwendung seiner eigensinnigen Herrscherlaune und blieb darum auch ohne Erfolg. Frankreich hatte mit seiner Mode zu Ende des Jahrhunderts die Welt erobert und es behielt sie, bis es ihr mit dem Schwerte in der Hand auch die »Freiheit« bringen wollte. Der Ausgang des Kampfes ist bekannt: Das alte Europa wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Die alten Staatsformen fielen mit ihren beengenden Vorschriften und Verordnungen und mit diesen fiel auch der Gegenstand, den sie bekämpft, die französische Tracht. Nach Weiss, Kostümkunde. Köhler, die Entwicklung der Trachten in Deutschland, Nürnberg 1878. Vgl. Jakob von Falke, Kostümgeschichte der Kulturvölker, Stuttgart 1880.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 988-1015.
Lizenz:
Faksimiles:
988 | 989 | 990 | 991 | 992 | 993 | 994 | 995 | 996 | 997 | 998 | 999 | 1000 | 1001 | 1002 | 1003 | 1004 | 1005 | 1006 | 1007 | 1008 | 1009 | 1010 | 1011 | 1012 | 1013 | 1014 | 1015
Kategorien:

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon