Aether [2]

[92] Aether, eine Gruppe leicht entzündlicher und leicht flüchtiger Körper, die man als Verbindungen zweier einwertiger Alkoholradikale mit. einem Atom Sauerstoff aufzufassen hat, oder auch als einatomige Alkohole, deren Hydroxylwasserstoff durch ein einwertiges Alkoholradikal ersetzt ist, z.B.:


Aether [2]

Außerdem kann man die Aether auch als Anhydride der einatomigen Alkohole (2 Molek. Alkohol minus 1 Molek. H2O), ferner als Oxyde der Alkoholradikale auffassen. Je nachdem die beiden, mit Sauerstoff verbundenen Alkoholradikale (Alkylreste) gleich oder ungleich sind, also entweder ein und demselben oder verschiedenen Alkoholen entflammen, unterscheidet man zwischen einfachen und[92] gemischten Aethern. So ist der Aethyläther C2H5OC2H5 ein einfacher, der Methyläthyläther CH3OC2H5 aber ein gemischter Aether. Von den allgemeinen Bildungsmethoden der Aether sind besonders zwei von Wichtigkeit. – Von besonders theoretischem Interesse ist die von Williamson [1] entdeckte Darstellung aus Natriumalkoholaten mit Jodalkylen:

C2H5 · ONa + JC2H5 = NaJ + C2H5 · O · C2H5,

während nach der folgenden häufigsten und zugleich ältesten Methode (ebenfalls Williamson) die Aether technisch gewonnen werden.

Bei der Einwirkung von konzentrierter Schwefelsäure auf Alkohole bilden sich Wasser und sogenannte Aethylschwefelsäuren, die Aetherschwefelsäure setzt sich dann mit neu zufließenden Mengen Alkohol um zu dem entsprechenden Aether, z.B. Aethyläther, unter Rückbildung der Schwefelsäure:


Aether [2]

Setzt man nur einen Alkohol der Einwirkung der Schwefelsäure aus, so entsteht nur ein Aether; reagiert man aber mit einem Gemenge von zwei Alkoholen, so entstehen drei Aether: zwei einfache und ein gemischter. Der Methyläther ist ein Gas; vom Aethyläther an sind die Aether sehr flüchtige, neutrale, in Wasser wenig lösliche Flüssigkeiten, die leichter als Wasser sind. Die niederen Aether sieden erheblich niedriger als die entsprechenden Alkohole; bei den höheren Gliedern verliert sich diese Gesetzmäßigkeit; die hochmolekularen Aether sind kristallisiert. In chemischer Beziehung zeichnen sich die Aether durch große Beständigkeit aus. Mit Wasser zerfallen sie unter dem Einfluß von Säure erst beim Erhitzen wieder in die Alkohole. Jodwasserstoffsäure spaltet in zwei Moleküle. Jodalkyl, Salpetersäure und Chromsäure führen zu denselben Oxydationsprodukten, welche die Alkohole mit gleichem Alkylrest liefern; Chlor dagegen wirkt substituierend, Phosphorpentachlorid liefert Alkylchloride.

Aether, gewöhnlicher (Schwefeläther, Aethyläther). Molekulargewicht 74. – Zu seiner Darstellung benutzt man das von Boullay angegebene Verfahren. Es wird zunächst ein Gemisch von Weingeist und Schwefelsäure bereitet, das bei etwa 140° siedet (s. auch oben unter Bildungsweisen); das Verhältnis wechselt natürlich je nach der Stärke der beiden Verbindungen. Sehr geeignet ist eine Mischung von 5 Teilen 90 prozentigen Sprits mit 9 Teilen konzentrierter Schwefelsäure, die in gußeisernen Kesseln zum Sieden erhitzt wird. Der gebildete Aether destilliert ab und wird in Kondensatoren verdichtet; während der Destillation läßt man aus einem Reservoir so viel Alkohol nachlaufen, als zersetzt wird, jedoch in dem Maß, daß die Temperatur nahezu konstant bleibt.

Der Theorie nachda beim Prozeß nur Aether und Wasser entliehen, die abdestillieren, und Schwefelsäure zurückgebildet wird – sollte eine geringe Menge Schwefelsäure unbegrenzte Mengen Alkohol in Aether überführen können. In der Praxis aber hat es sich gezeigt, daß man die Operation unterbrechen muß, nachdem etwa die sechsfache Menge der in der ursprünglichen Mischung angewandten Quantität Weingeist verbraucht ist. Dies beruht auf Nebenreaktionen, die stattfinden, da die zur Verwendung gelangenden Materialien nie wasserfrei sind und das bei der Reaktion gebildete Wasser nicht vollständig abdestilliert, die Mischung also schließlich so verdünnt wird, daß die Reaktion ihr Ende erreicht. Außerdem wirkt die vorhandene freie Schwefelsäure zersetzend (unter Kohleabscheidung) auf den Alkohol ein, während die gebildete Kohle Veranlassung zur Reduktion der Schwefelsäure zu schwefliger Säure gibt, die ihrerseits hemmend in den Prozeß eingreift. – Das Destillat, das neben Aether und Wasser noch Alkohol und schweflige Säure enthält, wird zur Entfernung der letzteren mit Kalkmilch behandelt. Der auf dem Wasser schwimmende Aether wird abgehebert, mit Wasser gewaschen und über Chlorcalcium rektifiziert. Wegen der Feuergefährlichkeit dieser Operation darf nicht über freiem Feuer, sondern muß aus Wasserbädern destilliert werden, und die Kondensatoren sind wegen der Flüchtigkeit des Aethers stark zu kühlen. Dieser Aether, obgleich noch geringe Mengen Alkohol und Wasser haltend, ist für technische wie pharmazeutische Verwendung genügend rein. Will man ihn für Laboratoriumszwecke vollständig alkohol- und wasserfrei haben, so behandelt man ihn mit Natriumdraht, wobei sich naturgemäß Wasserstoff entwickelt, und destilliert ihn nach Beendigung der Wasserstoffentwicklung aus gläsernen Apparaten. Bei dieser Reinigung des Aethers löst sich eine ziemlich beträchtliche Menge in den Waschwassern, die jedoch durch Destillation leicht wieder gewonnen werden kann [3]. – Käuflich sind drei Sorten Aether: vom spezifischen Gewicht 0,728, 0,722 und 0,720, während reiner Aether bei 15° das spezifische Gewicht 0,718 hat. Um Aether auf einen Wassergehalt zu prüfen, schüttelt man eine Probe mit dem gleichen Volum Schwefelkohlenstoff;[93] bei wasserfreiem Aether tritt keine Trübung ein. – Alkoholhaltiger Aether färbt sich mit essigsaurem Rosanilin rot [4]. Käuflicher Aether enthält stets Vinylalkohol CH2 = CH(OH), der durch Einwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs auf den Aether entsteht. Der Aethyläther in eine farblose, äußerst bewegliche Flüssigkeit von eigenartigem, durchdringendem Geruch und brennendem Geschmack; er siedet bei 34,9° und hat bei 15,6° das spezifische Gewicht 0,718.

Reiner Aether erstarrt bei –129° kristallinisch und schmilzt bei –117,4°; Wasser und Aether lösen sich gegenseitig, so lösen ca. 11 Vol. Wasser 1 Vol. Aether und 100 Vol. Aether lösen 2 Vol. Wasser. Sehr reichlich löst sich der Aether in konzentrierter Salzsäure. Sein Dampf ist fehl schwer und fließt noch leichter an Gefäßwänden hinunter als Kohlensäure. Er ist ungemein entzündlich und explodiert, mit Luft gemengt, mit großer Heftigkeit. Beim Einatmen ruft er Bewußtlosigkeit hervor. Mit den üblichen organischen Lösungsmitteln, wie Alkohol, Essigester, Aceton, Petroläther, ist der Aether in jedem Verhältnis mischbar und ein ausgezeichnetes Lösungsmittel für die mannigfachsten Substanzen. Wegen dieser Eigenschaft wird er sowohl im Laboratorium wie in der Technik vielfach als Lösungsmittel, teils zum Kristallisieren, teils zum Ausschütteln wässeriger Lösungen benutzt. Auch viele anorganische Substanzen, wie Jod, Chromsäure, die Chloride, Bromide, Jodide von Quecksilber, Kupfer, Eisen, Gold, Aluminium u.s.w. lösen sich in Aether auf. Kollodium ist in Aether gelöste schwach nitrierte Schießbaumwolle. In der Pharmazie verwendet man sowohl reinen Aether als auch eine Mischung von 1 Teil Aether mit 3 Teilen Weingeist (Spiritus aethereus, Hoffmanns Tropfen). Beim Arbeiten mit Aether ist wegen seiner Entzündlichkeit und wegen der Eigenschaft seines Dampfes, mit Luft gemengt zu explodieren, große Vorsicht geboten und die Nähe von Flammen zu meiden. Man bewahre den Aether im Keller an einem dunkeln feuersicheren Orte auf.


Literatur: [1] Williamson, Annalen der Chemie, 77, 37; 81, 73. – [2] Vgl. Kekulé, Lehrbuch der organischen Chemie, Erlangen 1861, Bd. 1, S. 400 ff.; Schmidt, Lehrbuch für pharmaz. Chem., 1901. – [3] Vgl. Stohmann-Kerl, Encyklop. Handbuch der technischen Chemie, 4. Aufl., Braunschweig 1888, I, 8–16. – [4] Squibbs, Jahresbericht der Chemie, 1885, 1162. – [5] Poleck und Thümmel, Berichte der deutsch. chem. Gesellsch., 22, 2863.


Aether ist endlich eine noch immer übliche Benennungsweise für eine Klasse von organischen Verbindungen, die prägnanter als Ester (s.d.) bezeichnet werden und von der im vorhergehenden Artikel behandelten Klasse der eigentlichen Aether scharf unterschieden werden müssen. Leider wird diese Unterscheidung im Sprachgebrauch nicht immer konsequent durchgeführt, und Bezeichnungen wie Essigäther, Salpeteräther statt Essigester, Salpetersäureester finden noch häufige Anwendung.

Bujard.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 92-94.
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