[97] Bobbinnet oder englischer Tüll (Tülle anglais; Bobbin-net), eine Art geflochtenen Erzeugnisses, als Putz- und Kleiderstoff allgemein bekannt und verbreitet. Man unterscheidet glatten Tüll und Mustertüll (englische Tüllgardinen u.s.w.).
Die Fäden, aus denen der glatte Tüll besteht, bilden durch ihre Verschlingungen sehr regelmäßige, sechseckige Oeffnungen oder Maschen. Das Geflecht (oder Gewebe im weiteren Sinne) entlieht durch die Vereinigung von drei Fadensystemen: eines, das in Schlangenform senkrecht von oben nach unten geht, das ist die Kette; eines, das von rechts oben nach links unten läuft; eines, das von links oben nach rechts unten läuft, welche beiden letzten Systeme den Schuß, den Eintrag darstellen. Wenn man den Gang eines Eintragfadens verfolgt, so findet man, daß derselbe seine Richtung bis an den äußersten oder letzten Kettenfaden beibehält, sich dann um diesen zweimal herumschlingt und dann, nach der andern Seite zurückkehrend, in einer der vorigen entgegengesetzten Richtung läuft. Am Bobbinnetstuhl selbst ist die Kette senkrecht ausgespannt. Das Einflechten des Eintrages geschieht durch die Bewegung von kleinen Spulen (Bobbins), deren Anzahl ebenso groß ist wie jene der Kettenfäden, zwischen denen sie bald vor-, bald rückwärts durchgeschoben werden. Die Spulen müssen natürlich so schmal sein, daß sie ungehindert zwischen zwei Kettenfäden hindurchgehen können. Man hat Maschinen, die mit einer Spulenreihe, und solche, die mit zweien arbeiten [1].
Die Herstellung des Mustertülles kann auf folgende Weisen geschehen: 1. Man webt sogenannte Stick- oder Schlingfäden in die auf die obenangegebene Weise erzeugten glatten Stoffe ein. Dieses Einweben kann an einzelnen Stellen oder fortlaufend geschehen. 2. Man ändert die einfache Fadenverbindung des glatten Gewebes ab und bewirkt hierdurch, daß an gewissen Stellen im Zeuge größere Löcher oder Maschen entstehen, die von kleineren gewöhnlichen Maschen umgeben sind. Die Kette wird statt in zwei in mehrere Teile abgeteilt, die nach Maßgabe der Muster jeder für sich eigentümliche und voneinander unabhängige seitliche Bewegungen erhalten (auch seitlich liegende sogenannte Dropper-Jacquards). 3. Endlich sind 1. und 2. verbunden. Bei dem Gardinengrund (englische Tüllgardinen) wendet man drei Fadensysteme an, und zwar Kette, Musterfäden, Bindefäden. Die Kette läuft längs durch das ganze Stück hindurch, die Musterfäden gehen zwischen benachbarten Kettenfäden hin und her und werden an denselben durch die Bindefäden festgebunden. Das Hin- und Hergehen der Muster- oder Schußfäden wird dann direkt durch die Jacquardmaschine beeinflußt, so daß jedes beliebige Muster erzielt werden kann, dem die charakteristische Bindung zugrunde liegt [2]. Die Teilung der Kettenfäden wird nach Points, Punkten, Maschen auf 1 Zoll engl. angegeben, und die Maschinen heißen demnach 6, 8, 9, 10, 11, 12-Punkt-Maschinen. Es ist nun zwischen solchen Maschinen zu unterscheiden, bei denen eine seitliche Verschiebung der die Spulen (Bobbins) tragenden Schlitten (Carriages) stattfindet [1], und zwischen solchen, bei denen die Schlitten immer in einer und derselben Ebene schwingen [2]. Die Erzeugnisse der ersten Maschinengattung sind dadurch gekennzeichnet, daß die Schuß-(Bobbin-)Fäden über mehrere nebeneinander[97] liegende Fäden der geraden Kette fortschreiten (sogenannter glatter Tüll oder Tulle anglais, Quillings, Spotted net), während bei der zweiten Maschinengattung teilbare Grundarten zustande kommen (Twistlacemaschinen) [3],
Bezüglich des Antriebes der Schlitten kann man die Maschinen noch unterscheiden in solche mit Antrieb von unten bezw. von oben. Der Antrieb von unten erfolgt entweder durch Zug- bezw. Schubschienen (sogenannte Lockermaschinen), oder die Schlitten haben unten die Form von Zahnbögen, in die eine Zahnwelle eingreift (sogenannte Rollermaschinen); beim Antrieb von oben greifen Treibstangen in Zahnlücken der Schlitten (sogenannte Levermaschinen). Als zweites Unterscheidungsmerkmal für die Musterstühle dient das Mittel, durch das die Stellung der Fäden erfolgt. Bei den Gardinenstühlen (Curtainmaschinen) bezw. bei den Maschinen, die Tüllspitzen mit Gardinengrund liefern, erfolgt die Auswahl der seitlich zu Heilenden Fäden durch hakenförmig gebogene »Auswähler« (Selectors oder Interpreters), die mit einer hinter der Maschine in der Höhe angebrachten Jacquardeinrichtung in Verbindung flehen. Die Fäden der Spitzenmaschinen (Lacemaschinen) sind dagegen in besondere Schienen eingezogen, die durch an der Seite der Maschine angebrachte Einrichtungen (Dropper-Jacquards) dem gewünschten Muster gemäß gestellt werden [3]. Die Gardinenstühle werden jetzt meist so gebaut, daß sie Weben bis zu einer Breite von 256 Zoll engl. = 6,5 m liefern. Das gibt bei einer 12-Point-Maschine 3072 Fadensysteme, d.h. man stellt je nach der Breite gleich vier oder fünf Stücke nebeneinander her. Die Weber werden nach der Anzahl der Schuß bezahlt, die nach »Racks« abgeteilt werden; deshalb ist an jeder Maschine ein Zählwerk angebracht. Da die Maschinen von England nach Deutschland kamen, werden noch überall englische Bezeichnungen gebraucht. Der sogenannte Rack zählt in England bei Tattingsmaschinen 240 Vor- und Rückwärtsbewegungen der Schlitten, bei Maschinen für glatten Tüll 720, bei Twistlacemaschinen 960 solcher Spiele.
Nach Art der Bobbinetmaschinen ist auch die außerordentlich geistreich durchgebildete Spitzenklöppelmaschine von August Matisch [4] insofern gebaut, als sie gleichfalls nach Art der Scheiben gebaute schmale Spulen (Bobbins) benutzt, die sich auf Schlitten (Carriages) befinden, die wiederum auf Kämmen (Combs) sich bewegen, nur unterscheidet sie sich wesentlich dadurch, daß das Netzwerk (Net), hier die Spitze, ohne Zuhilfenahme von Ketten- oder Baumfäden, aus den Spulenfäden allein hergestellt wird. Dies wird bei dieser Spitzenklöppelmaschine im Gegensatz zu den bekannten Bobbinnetmaschinen dadurch ermöglicht, daß 1. beliebige Spulenfäden beliebig lange und beliebig oft außer Tätigkeit gesetzt werden, so daß sie während dieser Zeit in keiner Weise an der Herstellung der Spitze teilnehmen; 2. beliebige Spulenfäden miteinander kreuzen; 3. die Aufeinanderreihung der Bindungen in beliebiger Aufeinanderfolge vorgenommen wird; 4. gerade so wie beim Klöppeln mit Hand jeder Faden in ganz gleicher Weise verwendet und derselbe allmählich von einer Spitzenkante zur andern geführt wird, falls dies die Konstruktion der Spitze erheischt, wodurch auch die Herstellung unteilbarer Grundarten ausführbar wird; 5. die fertiggestellten Bindungen an beliebiger Stelle beliebig lang festgehalten werden, und 6. die fertige Spitze willkürlich erst nach Verwendung eines ganzen Musters (Rapports) aufgewunden wird. Die Maschine verwendet einen dreiteiligen Kamm bei einem feststehenden Mittelkamm [5]; Vorder- und Hinterkamm sind in ihrer Längsrichtung verschiebbar. Unter dem Einfluß von Stechern, wie solche bei den zur Erzeugung von Bobbinnet in Streifen (Entoilage, Quillings) dienenden Maschinen angewendet werden, und durch Zuhilfenahme der bei den Levermaschinen benutzten Zugstangen (Bars) können alle durch die Stecher verstellten Schlitten gleichzeitig an der Bewegung gehindert werden. Die Stecher erhalten hierbei ihre Bewegung von Jacquardmaschinen, und da erstere unabhängig voneinander angeordnet sind, so können je nach dem Muster der Jacquardkarten beliebige Schlitten beliebig oft und beliebig lang zurückgehalten werden. Die gegenseitige Umschlingung der Fäden wird hierbei dadurch ausgeführt, daß die Spulen Vierseitbewegungen (Square motions) umeinander vollführen. Die Bewegungen der das Spitzengebilde aufnehmenden Nadeln werden gleichfalls von Jacquardmaschinen beeinflußt.
Literatur: [1] Prechtls Technologische Encyklopädie, Stuttgart 183069, 2. Bd., S. 497. [2] Müller, E., Bobbinnetmaschinen und Jacquardeinrichtung, Civilingenieur 1884, S. 513; Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing. 1885, S. 461, 481; Dinglers Polyt. Journ. 1885, 258. Bd., S. 305; Müller, E., Handbuch der Weberei, Leipzig 1895, S. 860. [3] Kraft, M., Studien über mechanische Bobbinnet- und Spitzenherstellung, Berlin 1892. [4] D.R.P. Nr. 94337, 98936, 99140, 102023, 102778; Maschine von Farigoule vgl. D.R.P. Nr. 132521 und brit. Patent Nr. 50595 vom Jahre 1899. [5] D.R.P. Nr. 102778.
E. Müller-Dresden.
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