Burg

[405] Burg, im allgemeinen ein beteiligter Wohnsitz des Adels.

Aus dem Altertume sind derartige Gebäude bekannt in Babylonien, Assyrien, Griechenland (Akropolis), Rom. Der deutsche mittelalterliche Burgbau schließt einesteils an die römischen und andernteils an die altgermanischen Traditionen an; der römische Einfluß wird zumeist überschätzt, schon deshalb, weil die Römer in Deutschland ihre beteiligten Lager in die Ebene, die ursprünglichen Bewohner aber stets auf die Bergspitzen und Felsen verlegten. Indessen wurden manchmal alte Römertürme mit zu Verteidigungszwecken benutzt. – Sehr häufig wurden zum Burgbau langgestreckte Bergrücken verwendet und diese mit einer Wallanlage versehen, zumeist aus Erde und Steinen bestehend. Der ausgehobene tiefe Graben lieferte das Material für den hohen Wall. Die eigentlichen Festungswerke wurden aus Stein errichtet, während die Wohngebäude im engeren Sinne in der ältesten Zeit durchweg aus Holz hergestellt waren. Die Verteidiger einer Feste fanden bald, daß sich quadratische und kreisrunde Burganlagen mit der geringsten Zahl von Mannschaft verteidigen ließen; auf Grund dieser Wahrnehmung entstanden in Deutschland im 10. und 11. Jahrhundert die aus Holz und Erde errichteten sogenannten »Spitzwälle«. Die gleiche Konstruktion wurde in Frankreich Mottes (Erdhaufen) und in England Mounds genannt, während die mittelalterliche lateinische Bezeichnung Mota lautet [1]. Die Unzulänglichkeit des Materials führte später zur Errichtung fester steinerner Türme und Mauern. Der Grundplan aber blieb dem der alten Motae-Anlagen treu, wie man dies beispielsweise an[405] der Oberburg und Niederburg von Rüdesheim noch nachweisen kann. Auf diesen Grundlagen beruht der eigentliche Burgbau.

Die bedeutenderen Burgen des Mittelalters bestanden zumeist aus einem äußeren und einem inneren Hof oder aus einer Hoch- und Niederburg. Die Vorburg (Faubourg) oder Niederburg enthielt einen großen Hof, die Burgfreiheit, die von Stallungen, Wohngebäuden für die Reisigen, Küchen und Backräumen umgeben war und auch zuweilen eine Kirche einschloß. Hinter diesem Hof, zumeist durch eine Zugbrücke verbunden, befand sich auf der Spitze des Berges die Hochburg, und wenn keine Spitze vorhanden war, erhob sie sich auf einer künstlichen Erhöhung, dem obenerwähnten Spitzwall oder Mota, auch Burgwall oder Burghalde genannt. An der Zugbrücke pflegt ein Turm zu stehen, der das Tor enthält, das durch das Fallgatter geschützt erscheint. An dem Tore befanden sich erkerartige Ausbauten, aus denen siedendes Pech auf die Angreifer gegossen werden konnte (Pechnasen). Aus dem obenerwähnten Tor gelangte man zuerst in den Zwinger, den wohlbefestigten Burghof, und hierauf durch ein zweites Tor in den ziemlich engen inneren Burghof (die Ballei), der zumeist von Gebäuden und hohen Mauern mit Wallgängen (Parcham) umgeben war. Alle Bauten weit überragend, erhob sich hier ein hoher, meist viereckiger Turm, der Bergfried. Ihm gegenüber pflegte sich das Herrenhaus zu befinden, auch Palas genannt; eine Freitreppe führte häufig in den ersten Stock desselben, und hier befand sich der große Fest- und Bankettsaal, mit einem mächtigen Kamine ausgerüstet. In der Nähe dieses Saales stand zumeist die Burgkapelle. Das untere Geschoß enthielt eine Halle für die Dienerschaft, Küchen und Wirtschaftsräume sowie geräumige Kelleranlagen und häufig auch das Burgverlies (einen Kerker), wenn sich dasselbe nicht im Bergfried befand. Desgleichen fand sich häufig ein Brunnen innerhalb des Herrenhauses oder wenigstens in dessen Nähe vor, der im Falle einer Belagerung die ganze Besatzung mit Wasser zu versehen hatte. Die oben beschriebenen Räume des ersten Stockwerkes können als Repräsentationsräume aufgefaßt werden; es gab aber bei großen Burganlagen auch noch häufig ein besonderes Wohnhaus für den Burgherrn. – Charakteristisch für den Burgbau der romanischen Periode ist der Umstand, daß die Ritter bei Anlage ihrer Burgen wesentlich auf Sicherheit und Fertigkeit derselben und weniger auf Bequemlichkeit sahen.

In Deutschland haben sich aus der alterten Zeit bedeutende Reste erhalten, insbesondere von der Burg St. Ulrich bei Colmar, von der Wartburg [2], von der Burg Dankwarderode (Sitz Heinrichs des Löwen) zu Braunschweig [3], von dem Schlösse zu Münzenberg sowie von den Kaiserpalästen zu Goslar, Wimpfen und Gelnhausen [4] u.a.m. Die Hauptstütze der Verteidigung liegt neben Wall und Mauer in dem Hauptturm (dem Bergfried); außerdem erscheint der innere Hof durch eine Mauer in zwei Teile geteilt. Einen wohlerhaltenen polygonen Bergfried hat die Burg Steinsberg bei Sinsheim in Baden (Fig. 1). Sehr bemerkenswerte alte Burgen besitzt namentlich auch die Schweiz, so die Kyburg bei Winterthur, die Habsburg im Aargau und die Burg Hohenrätien bei Thusis. Im 12. Jahrhundert kamen ausgedehntere und reichere Anlagen vor; das bedeutendste Beispiel bietet die auf einem kleinen Bergplateau gelegene, in neuerer Zeit mit großen Kosten wiederhergestellte Wartburg (Fig. 2). Der Besucher gelangte zunächst in einen kleinen, wohlbefestigten Vorbau, durch diesen dann über eine Zugbrücke (5) in einen Tordurchgang, über den sich ein fester Turm (6) erhob. Das Innere der Burg wurde durch einen mächtigen Turm in zwei Teile geteilt, die von den Angreifern jeder für sich genommen werden mußten. In der Nähe dieses Turmes befand sich das Landgrafenhaus, Palas (10), zu dessen erstem Stockwerk sich eine Freitreppe erhob; hier erschienen die Wohn- und Schlafräume sowie die Kapelle angeordnet, während sich in dem oberen Stockwerke der große Rittersaal erstreckte. Diese beiden Geschosse öffneten sich durch Galerien auf gekuppelten Säulen nach dem Hofe zu. Ein tiefer Ziehbrunnen (14) sowie ein weiterer Turm (12) und mehrere Nebengebäude (13 und 15) vervollständigten[406] die Anlage. Aehnliche Burgbauten finden sich noch zu Eger in Böhmen, zu Seligenstadt, zu Lobdeburg bei Jena, ferner wäre zu erwähnen: der Trifels (Rheinpfalz), die Niederburg bei Rüdesheim, Burg Rechberg bei Gmünd, die Kästenburg in Rheinbayern u.s.w. [5]. In Frankreich stammen die ersten Anlagen von den kriegerischen Normannen und bestanden zumeist aus einem mächtigen viereckigen Turme (Donjon), der oft gegen 25 m breit war, sich in mehreren Stockwerken bis 30 m erhob und außerdem durch Gräben und Wallmauern gesichert wurde, oben durch einen Zinnenkranz und einen Umgang abgeschlossen, der, auf Konsolen ruhend, hervortrat. Im Erdgeschosse befanden sich zumeist die Vorratsräume und der Ziehbrunnen, im ersten Stockwerke der große Saal, in den oberen Geschossen die Wohn- und Schlafräume. Die Schlafstellen wurden häufig in die oft 4 m dicken Mauern gelegt und von den Fensternischen aus zugänglich gemacht. Einer der bedeutendsten Donjons befindet sich zu Beaugency, bei dem, wie gewöhnlich, der Eingang im ersten Stockwerke, die alle Stockwerke verbindende Treppe in der Dicke der Mauer liegt. Aehnlich ist der Donjon von Loches (Fig. 3) gestaltet, der jedoch einen besonderen Vorbau besitzt, in dem sich die Treppe zu dem ersten Stock und die Kapelle befindet. Im 12. Jahrhundert erfolgte neben einigen Neuerungen im Befestigungswesen auch bei größeren Anlagen das Bestreben nach einigem Komfort und größerer Prachtentfaltung; das bedeutendste Beispiel dieser Zeit bietet die imposante Burg zu Arques bei Dieppe. Auch nach England kamen die Normannen und legten ähnliche feste Turmbauten an, die hier Keep-tower genannt wurden. Interessant ist der Turm von Hedingham in Essex (Fig. 4). Der Zugang liegt hier ebenfalls im ersten Stockwerke; die 4,26 m dicken Mauern enthalten schmale Schlafstellen, die mit den Fensternischen in Verbindung stehen. Das zweite und dritte Stockwerk wurde von einem mittleren Gurtbogen überspannt, und bildeten beide Geschosse einen Saal (Fig. 5); es konnte jedoch zu Zeiten der Belagerung eine Zwischendecke eingezogen werden. Wohnlicher und von reicherer Ausstattung war der Keep-tower von Rochester sowie derjenige von Rising-Castle zu Norfolk.

Der Burgbau der sogenannten gotischen Periode charakterisiert sich durch fortifikatorische Verbesserungen und größere Prachtentfaltung. Von den bedeutenden Burganlagen frühgotischer Zeit in Deutschland ist namentlich Schloß Marburg zu nennen (Fig. 6), das 1311 vollendet wurde. Dasselbe liegt ebenfalls auf einem Bergrücken; an der Ostseite führt ein Fahrweg zu einer Zugbrücke, auf der man zunächst in den äußeren weltlichen Hof B gelangt, dann kommt man zu dem sogenannten neuen Bau (1489). Westlich davon erhebt sich in einem schmalen Hofe der Hauptbau C mit einer frühgotischen Schloßkapelle und dem großen Rittersaal D. Wohl der bedeutendste Burgbau dieser Zeit ist das Schloß des Großmeisters des Johanniterordens zu Marienburg in Preußen [6]. Der älteste Teil bildet das Hochschloß mit der einschiffigen Kirche, einem hohen Glockenturm und einem großen Kapitelsaal; alle diese Räume gruppieren sich um einen von Kreuzgängen umschlossenen quadratischen Hof mit einem Brunnen in der Mitte. An diesen Bau reiht sich das weiträumige Mittelschloß, das die prachtvolle Wohnung des Großmeisters sowie die der Ritter enthält. Von den Räumen sind namentlich der Remter des Großmeisters sowie der Ordensremter (Fig. 7) hervorzuheben.[407]

Aehnliche Burgbauten der Spätzeit finden sich namentlich in der Schweiz, z.B. das wohlerhaltene Schloß zu Neuenburg (Neuchâtel), ferner das malerische Schloß Estavayer am Neuenburger See, das Schloß Vufflens (Waadtland) und die Schlösser zu Lausanne und Grandson. Aus der ältesten Residenz der französischen Könige (an dem Orte steht zurzeit das Palais de justice in Paris) ist die prächtige St. Chapelle in Paris noch wohl erhalten geblieben. An glanzvoller Durchführung den königlichen Schlössern wohl noch überlegen war der päpstliche Palast zu Avignon, an dessen Bau sich eine Reihe von Päpsten beteiligte. In England nahmen die Schlösser der gotischen Spätzeit, wenn sie auch wohlbefestigt erscheinen, doch vornehmlich einen wohnlichen Charakter an. Die große Halle, die alle Gäste vereinigt, kann als der innere Mittelpunkt der ganzen Anlage betrachtet werden; die Decke dieses Raumes wird zumeist durch einen offenen Dachstuhl ausgezeichnet. Als bedeutendste Bauten dieser Art sind die Schlösser von Kenilworth und Warwick-Castle zu bezeichnen. An diese reihen sich Windsor-Castle, Hampton-Court bei London, mit schöner, wohlerhaltener Halle, u.a.


Literatur: [1] Handbuch der Architektur, II. Teil, Bd. 4, Die romanische und gotische Baukunst, 1. Heft: Die Kriegsbaukunst von August v. Essenwein, Darmstadt 1889. – [2] Puttrich, L., Denkmäler der Baukunst des Mittelalters in Sachsen, 1. Abt., Bd. 2, Leipzig 1847. – [3] Winter, L., Die Burg Dankwarderode zu Braunschweig, Braunschweig 1884. – [4] Krieg, G.H., v. Hochfelden, Geschichte der Militärarchitektur in Deutschland, Stuttgart 1859. – [5] Lübke, W., Geschichte der Architektur, 6. Aufl., Leipzig 1884. – [6] Frick, F., Schloß Marienburg in Preußen, Berlin 1803. – S. a.: Piper, Otto, Burgenkunde, Forschungen über gesamtes Bauwesen und Geschichte der Burgen innerhalb des deutschen Sprachgebiets, München 1895; Wibel, Ferd., Die alte Burg Wertheim a.M. und die ehemaligen Befestigungen der Stadt, Freiburg i. B. 1895.


Fig. 1.
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Fig. 2.
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Fig. 3.
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Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5.
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Fig. 6.
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Fig. 7.
Fig. 7.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 2 Stuttgart, Leipzig 1905., S. 405-408.
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