[79] Chlorkalk (Bleichkalk, Bleichpulver), Produkt der Einwirkung von Chlor auf möglichst reinen, vorsichtig gelöschten Kalk. In aus Sandsteinplatten, Steinzeug oder Backsteinen mit Hilfe von Asphalkitt konstruierten und mit Teer sorgfältig überzogenen Kammern breitet man den Kalk in dünner Schicht aus und leitet kaltes, trocknes, salzsäurefreies Chlorgas hinein, bis bei einem Überschuß von Chlor in der Kammer das Gas nur noch sehr schwach absorbiert wird. Man unterbricht dann die Zuleitung des Chlors und verbindet vor dem Offnen die Kammer mit dem Schornstein oder mit einem mit Kalkmilch gespeisten Absorptionsturm, in welchen die chlorhaltige Luft aus der Kammer gesaugt wird. Man benutzt auch Mehrkammersysteme, die das Chlor der Reihe nach durchströmt, und Hasenclever hat einen Apparat zur Darstellung von C. angegeben, bei dem mehrere weite horizontale Röhren, die durch vertikale Stutzen verbunden sind, übereinanderliegen. Das Kalkhydrat wird durch ein Rührwerk aus einer Röhre in die andre befördert, während das Chlor dem Kalkhydrat entgegenströmt. Für die Bildung eines möglichst kräftigen Chlorkalks ist ein bestimmter Feuchtigkeitsgehalt des Kalkhydrats von wesentlicher Bedeutung, auch darf die Temperatur desselben bei der Absorption des Chlors nicht über 50° steigen, um die Bildung von chlorsaurem Kalk zu vermeiden. C. bildet ein weißes, krümeliges, etwas backendes Pulver, das eigentümlich nach unterchloriger Säure riecht, an der Luft langsam Feuchtigkeit anzieht und endlich zerfließt. Mit etwa 10 Teilen Wasser angemacht, löst sich der größte Teil, während Kalkhydrat zurückbleibt; die Lösung reagiert alkalisch, schmeckt herb salzig und enthält die bleichend wirkenden Bestandteile des Chlorkalks. C. zersetzt sich allmählich selbst bei vollkommenem Luftabschluß, viel schneller im Sonnenlicht (unter Entwickelung von Sauerstoff) und an der Luft. An heißen Sommertagen warm in Fässer verpackter C. explodiert bisweilen ohne jede äußere Veranlassung. Beim Aufbewahren verliert C. im ersten Jahr monatlich 0,50,9 Proz. wirksames Chlor, und zwar am meisten in den heißen Monaten. Die Einwirkung des Chlors auf Ätzkalk geht niemals so weit wie die auf Kalkmilch. Niemals erhält man C. mit mehr als etwa 4243 Proz. wirksamem Chlor, und stets tritt bei Behandlung des Chlorkalks mit Wasser Ätzkalk auf. Man nimmt jetzt an, daß der C. nach CaOCl2 zusammengesetzt sei. Aus der Lösung des Chlorkalks entwickeln Säuren unterchlorige Säure, die sehr kräftig bleicht. Diese Zersetzung bewirkt auch die Kohlensäure der Luft, und deshalb werden Gewebe, in Chlorkalklösung getaucht, schneller gebleicht, wenn man sie an die Luft hängt, als wenn sie von der Flüssigkeit bedeckt bleiben. Größere Mengen starker Säuren machen aus C. auch Salzsäure frei, und diese zersetzt sich dann mit der unterchlorigen Säure und entwickelt Chlor. Rührt man C. mit Sodalösung an, so entstehen kohlensaurer Kalk, unterchlorigsaures Natron und Chlornatrium; ebenso erhält man Unterchlorigsäuresalze von Magnesia (Chlormagnesia), Zink, Tonerde etc., wenn man C. mit Bittersalz, Zinkvitriol, schwefelsaurer Tonerde zersetzt. Beim Erwärmen zerfällt C. sowohl in Substanz als in konzentrierter Lösung in Chlorcalcium und Sauerstoff unter Bildung von etwas chlorsaurem Kalk. Mehrere Oxyde entwickeln aus C. schon bei gewöhnlicher Temperatur, viel lebhafter beim Erwärmen Sauerstoff, und es genügen z. B. wenige Tropfen einer Kobaltchlorürlösung, um aus klarer Chlorkalklösung einen regelmäßigen Sauerstoffstrom zu erhalten. 1 kg C. gibt 92,4 Lit. Sauerstoff.
C. kommt mit verschiedenem Gehalt an bleichendem Chlor in den Handel; diesen Gehalt ermittelt die Chlorometrie (s.d.). C. wird vorzüglich in der Bleicherei angewendet: er dient außerdem als fäulniswidriges und desinfizierendes Mittel, zur Darstellung von [79] Chloroform, Chlor, Sauerstoff, als oxydierendes Mittel bei Darstellung von Farbstoffen etc., zum Entfuseln von Branntwein, in der Kattundruckerei zur Erzeugung weißer Muster auf farbigen Geweben, zum Vertreiben von Ratten, Mäusen, Raupen und anderm Ungeziefer etc. Als Arzneimittel benutzt man C. zum Befeuchten fauler oder träger Geschwüre, auch bei Gangrän, als Einspritzung bei veralteter Gonorrhöe, als Vorbeugungsmittel gegen die Klauenseuche; aus Viehställen vertreibt er Stechfliegen, ohne dem Vieh irgendwie schädlich zu sein. C. hat seiner Transportfähigkeit wegen den sogen. flüssigen C., d. h. eine Lösung von unterchlorigsaurem Kalk, vollständig verdrängt. Wo aber der Transport nicht in Frage kommt, ist das flüssige Präparat vorteilhafter. Man erhält es, indem man gewaschenes Chlor in ein liegendes Faß treten läßt, in dem Kalkmilch durch eine Flügelwelle stark bewegt wird. Das über dem Spiegel der Flüssigkeit eintretende Gas wird schnell absorbiert; man muß aber die Operation unterbrechen, bevor aller Kalk gelöst ist, auch darf die Flüssigkeit höchstens ein spezifisches Gewicht von 1,14 erreichen, weil sich sonst chlorsaurer Kalk bildet. Flüssiger C. wurde zuerst 1798 von Tennant in Glasgow dargestellt, aber schon im folgenden Jahr durch den trocknen C. ersetzt. Die Tonne C. kostete damals 168 Pfd. Sterl., 1830: 23 und 1878: 5 Pfd. Sterl. Vgl. Lunge, Handbuch der Sodaindustrie (2. Aufl., Braunschw. 1896, 3 Bde.).