[371] Teer, Produkt der trockenen Destillation vieler organischer Körper, entsteht stets neben einer sauren oder ammoniakalischen wässerigen Flüssigkeit und einem Gasgemisch. Man gewinnt den T. als Nebenprodukt bei der Leuchtgasfabrikation, bei der Darstellung von Holzessig etc.; in andern Fällen ist der T. das Hauptprodukt, und stets besitzt er großen Wert, seitdem man zahlreiche, in verschiedenster Weise verwertbare Substanzen in ihm entdeckt hat. Alle Teere sind braun bis schwarz, dickflüssig, von empyreumatischem Geruch, schwerer als Wasser und damit nicht mischbar; sie brennen mit rußender Flamme und geben an Wasser und Alkohol lösliche Stoffe ab. Alle Teere, im einzelnen von sehr verschiedener Beschaffenheit, enthalten flüssige und starre Kohlenwasserstoffe von sehr verschiedener Flüchtigkeit (wie Benzol, Toluol, Paraffin, Naphthalin, Anthrazen etc.), ferner säureartige Körper (die Phenole, Karbolsäure etc.) und Basen (Anilin, Chinolin etc.), dann auch pech- oder asphaltbildende Substanzen. Wegen ihres Gehalts an Phenolen wirken die Teere stark fäulniswidrig. Holzteer gewinnt man als Nebenprodukt bei der Darstellung von Holzkohle, Holzgas (s. Leuchtgas, S. 467) und Holzessig; doch ist die Teerschwelerei bisweilen auch Hauptzweck und verarbeitet dann harzreiche Nadelhölzer teils in Meilern mit trichterförmiger Sohle, von der der T. in ein Sammelgefäß abgeleitet wird, teils in eingemauerten, stehenden großen eisernen Kesseln, in denen das Holz erhitzt wird, während man die Teerdämpfe in einem durch Luft gekühlten Apparat verdichtet. Man erhält etwa 17 Proz. T. Holzteer ist dunkelbraun, riecht durchdringend, schmeckt widerlich scharf und bitter, vom spez. Gew. 1,0751,160, löst sich größtenteils in Alkohol und Äther, mischt sich mit Fetten und gibt an Wasser Essigsäure und brenzlige Stoffe ab. Man benutzt ihn zu konservierenden Anstrichen, zum Kalfatern der Schiffe, zum Teeren der Taue etc., zur Darstellung von Pech und Ruß; bei Destillation gibt er leichte Teeröle (Holzöl, leichtes Holzteeröl), die aus Kohlenwasserstoffen bestehen, aber nur wenig Benzol enthalten und meist als Fleckwasser benutzt werden, schwere Öle, ebenfalls Gemische von Kohlenwasserstoffen, die man auf Ruß verarbeitet oder zum Imprägnieren von Holz verwertet, auch wohl Paraffin und Kreosot. Letzteres wird besonders aus Buchenholzteer dargestellt. Birkenholzteer dient zur Bereitung des Juftenleders. Torfteer wird durch trockene Destillation des Torfes in Schachtöfen oder Retorten, ähnlich wie Braunkohlenteer, dargestellt, auch bei der Verkohlung des Torfes als Nebenprodukt gewonnen. Er ist ölartig, braun bis schwarzbraun, riecht sehr unangenehm, vom spez. Gew. 0,8960,965. Durch Destillation gewinnt man leichte Kohlenwasserstoffe, die wie Benzin und Photogen benutzt werden (Turfol), schwere, noch als Leuchtöle verwendbare Öle, Schmieröle, Paraffin und sehr schwer flüchtige, flüssige Kohlenwasserstoffe, aus denen Leuchtgas bereitet wird, als Rückstand Asphalt. Braunkohlenteer ist sehr verschieden, je nach der Beschaffenheit der Kohle. Im allgemeinen ist er dunkelbraun, riecht widerlich kreosotartig und erstarrt leicht durch hohen Paraffingehalt. Der aus Schwelkohle gewonnene T. ist butterartig, wachsgelb und bildet das Rohmaterial der Paraffinfabriken. Man gewinnt daraus durch Destillation leichte und schwere Öle (Benzin, Photogen, deutsches Petroleum, Solaröl), Schmieröl und namentlich Paraffin. In ähnlicher Weise gewinnt und verwertet man T. aus bituminösen Schiefern. Am wichtigsten ist Steinkohlenteer (Kohlenteer), den man in Leuchtgasanstalten und bei der Koksbereitung als Nebenprodukt gewinnt. Er ist schwarz bis braunschwarz, übelriechend, dickflüssig, vom spez. Gew. 1,151,22. Er besteht aus flüssigen und festen Kohlenwasserstoffen (Benzol, Toluol, Cumol, Cymol, Anthrazen, Naphthalin etc.), Säuren (Phenol, Kresol, Phlorol, Rosolsäure), Basen (Anilin, Chinolin, Toluidin etc.) und Asphalt bildenden Substanzen. Die quantitative Zusammensetzung des Teers schwankt je nach der Beschaffenheit der Kohle und der Ausführung der Destillation. Im allgemeinen entsteht bei schneller Destillation in hoher Temperatur viel Gas und wenig T., der arm an Ölen, aber reich an Naphthalin ist. Die Bestandteile des Steinkohlenteers bilden das Rohmaterial für mehrere wichtige Industriezweige. Um sie zu gewinnen, unterwirft man den T. in sehr großen Blasen, liegenden Zylindern oder kofferförmigen Retorten aus Eisenblech einer Destillation über freiem Feuer. Es entweichen zuerst Gase, dann gehen mit steigender Temperatur ammoniakalisches Wasser, leichte Öle, schwere Öle und feste Kohlenwasserstoffe über, und als Rückstand bleibt Steinkohlenasphalt, der um so härter ausfällt, je weiter die Destillation bei immer gesteigerter Temperatur getrieben wurde. Bisweilen treibt man die flüchtigsten Öle durch Wasserdampf ab, den man direkt in den T. leitet. Der Wasserdampf reißt die flüchtigen Kohlenwasserstoffe dampfförmig mit sich fort und wird mit ihnen zugleich in Kühlapparaten verdichtet. Selligue und de la Haye in [371] Autun verarbeiteten 1839 den T. von bituminösem Schiefer zur Gewinnung von Leuchtgas. Zu Ende der 1840er Jahre stellte Young bei Glasgow aus Bogheadkohlenteer ein Mineralöl (Hydrokarbür) und Paraffin dar, und um dieselbe Zeit entstanden die irischen Öl- und Paraffinfabriken, die Torf verarbeiteten. Seit 1850 entwickelte sich die Paraffinindustrie in Deutschland. Steinkohlenteer wurde zuerst etwa 1846 destilliert, um karbolsäurehaltiges Teeröl zur Imprägnierung von Eisenbahnschwellen zu gewinnen. Das leichte Teeröl wurde nur von Brönner als Fleckwasser benutzt und galt als lästiges Nebenprodukt, bis es um 1856 durch die Entwickelung der Anilinfarbenindustrie allmählich der wichtigste Bestandteil des Teers wurde. Die erste größere Fabrik zur Verarbeitung von Steinkohlenteer in Deutschland wurde 1860 in Erkner bei Berlin gegründet. Erst später gewannen wieder die schwerer flüchtigen Teerbestandteile, wie Karbolsäure, Naphthalin und Anthrazen, erhöhte Bedeutung. Die leichten Steinkohlenteeröle werden wegen ihres Gehalts an Benzol und Toluol hauptsächlich in der Farbenindustrie benutzt, schwerere karbolsäurehaltige Öle dienen zum Imprägnieren des Holzes, schwere Kohlenwasserstoffe als Schmieröl, Naphthalin und Anthrazen finden Verwendung in der Farbenindustrie, ebenso das Phenol, das aber auch zu sehr vielen andern Zwecken, namentlich zur Darstellung von Salizylsäure und in der Medizin, benutzt wird. Aus Toluol und Naphthalin stellt man auch Benzoesäure dar. Der Asphalt dient zur Darstellung von Asphaltröhren und Briketten, zum Belegen von Fußböden etc., außerdem dient Steinkohlenteer auch zu konservierenden Anstrichen, zum Vertreiben von Ungeziefer, und wo er keinen Absatz findet, verbrennt man ihn in Gasanstalten zum Heizen der Retorten. Der Steinkohlenteer der Berliner Gasanstalten liefert:
Deutschland führte 1905: 372,925 dz T. ein und 428,892 dz aus. Vgl. Lunge, Destillation des Steinkohlenteers (Braunschw. 1867) und Industrie des Steinkohlenteers (4. Aufl, mit Köhler, das. 1900); R. Wagner, Tabellarische Übersicht der Produkte der trocknen Destillation der Steinkohle (Würzb. 1873); Schultz, Chemie des Steinkohlenteers (3. Aufl., Braunschw. 1901, 2 Bde.); Köhler, Der Steinkohlenteer (Bresl. 1893); Gräfe, Die Braunkohlenteer-Industrie (Halle 1906).