[715] Geschwür (Ulcus), ein durch Gewebszerfall herbeigeführter Substanzverlust äußerer oder innerer Organoberflächen. Findet ein Gewebszerfall inmitten eines Organs statt, so spricht man von Nekrose oder Abszeß; aus beiden kann ein G. entstehen, sobald die häutige Decke durchbrochen (das G. »bricht auf«, »verschwärt«, »exulzeriert«) und damit die freie Oberfläche erreicht ist. So werden als G. häufig entzündliche Erkrankungen bezeichnet, die streng genommen, wenigstens anfänglich, keine Geschwüre darstellen, sondern nur dann solche bilden, wenn sie eine Haut- oder Schleimhautoberfläche erreichen und hier Gewebszerfall herbeiführen. So spricht man von Hautgeschwüren, wo es sich, wie beim Furunkel oder Karbunkel (s.d.), um umschriebene vereiternde Hautentzündungen handelt, von Zahngeschwüren bei Wurzelhautentzündung der Zähne, von Fingergeschwür bei der Fingerentzündung (s.d.) oder Panaritium, obwohl dieselbe eine Zellgewebsentzündung am Finger darstellt. Wenn ein Abszeß oder eine andre oberflächliche, mit Gewebszerfall einhergehende Erkrankung durch Durchbruch an die freie Oberfläche zum G. wird, so entleert sich der tote, meist mit Eiterzellen untermischte Inhalt des Geschwürs, Grund und Ränder enthalten ebenfalls Eiterzellen, und später tritt eine reaktive Entzündung im Nachbargewebe auf, die ein eiteriges oder jauchiges Sekret auf die Geschwürsfläche absetzt. Je nachdem nun die Entzündung der Ränder und des Grundes zur Bildung eines jungen Granulationsgewebes führt, aus dem sich die Narbe entwickelt, oder aber zu fernerm Zerfall, d. h. Vergrößerung, Anlaß gibt, unterscheidet man gute und bösartige Geschwüre. Ist das Granulationsgewebe (wildes Fleisch) zu üppig, so entsteht das schwammige oder fungöse G.; ist es schlaff, so erscheint das torpide G., wie bei den meisten sogen. Bein- oder Fußgeschwüren, die eigentlich meist durch Stoß oder andre Verletzung entstandene Unterschenkelgeschwüre sind und sich teils wegen des unmittelbar darunter belegenen Schienbeins schwer überhäuten, meist auch stark nässen (daher Salzfluß in der Volkssprache), deshalb sehr langwierig sind, auch in günstigen Fällen nur langsam heilen und namentlich bei vorhandenen Krampfadern leicht wieder aufbrechen. Ist die Fleischwarzenbildung sehr bluthaltig ohne Neigung zum Heilen, so spricht man von einem erethischen G., sind die Ränder aufgeworfen und hart, von einem kallösen G., ist endlich eine brandige, rapid weiter um sich fressende Verjauchung da, vom phagedänischen G., dem bösartigsten von allen, das namentlich bei syphilitischer Infektion vorkommt (phagedänischer Schanker). Wenn Abszesse zur Oberfläche durchbrechen, so entstehen tiefe, oft unterminierte, sinuöse, Geschwüre. Die Ursachen der Geschwüre sind sehr mannigfaltig: sehr häufig bestehen sie in chronischen Entzündungen auf Grund spezifischer Infektionen, wie Tuberkulose, Syphilis, Skrofulose, Skorbut etc., indem die entzündeten Gewebsteile zerfallen und Substanzverluste hinterlassen. Auch Gewebsschädigung durch Erfrierung oder Verbrennung führt oft zu Geschwüren. Auch kann eine Neubildung den Boden für das Absterben des Gewebes bilden, wodurch krebsige und gummöse Geschwüre entstehen, die an allen Schleimhäuten vorkommen. Diphtheritische Erkrankungen führen an der Hornhaut und im Rachen häufig zu Geschwüren. Manche Geschwüre, wie z. B. die Magengeschwüre, scheinen durch Verlegung des einen bestimmten Gewebsbezirk mit Blut versorgten Gefäßes (z. B. durch ein mitgerissenes Gerinsel, »Embolus«) zustande zu kommen. Form und Größe des Geschwüres richten sich nach seiner Entstehungsursache. So ist das G. im Magen oder Darm scharf umschrieben, glattrandig, oft so tief, daß die ganze Wand abstirbt und im Magen oder Darm ein Loch entsteht; das tuberkulöse G. ist linsenförmig (lentikulär) zu Anfang, später bekommt es zerfressene Ränder, da sich immer wieder neue stecknadelgroße Knötchen (Tuberkeln) bilden und zerfallen. Bezüglich der Darmgeschwüres s. d. Die Behandlung der Geschwüre ist bei allen konstitutionellen Krankheiten allgemein und nur insoweit örtlich, als das G. frei zugänglich liegt. Die örtliche Behandlung besteht in antiseptischer Wundbehandlung, Desinfektion, Anregung der Fleischwucherung durch Reizsalben etc., Mäßigung zu starker Wucherung durch Höllenstein, Umschneidungen der Geschwürsränder (bei kallösen Geschwüren), Pflasterverbänden. Die Überhäutung großer Geschwürsflächen sucht man auch durch Überpflanzung von Hautstückchen (s. Transplantation) zu erreichen. Bei ausgedehnten Unterschenkelgeschwüren, die oft jeder Behandlung trotzen, kann Absetzung (Amputation) des Gliedes in Frage kommen. Die Lehre von den Geschwüren heißt Helkologie.