[66] Magengeschwür, eins der häufigsten Magenleiden, tritt in verschiedenen Formen auf und hat für die Gesundheit und das Leben sehr verschiedene Bedeutung. Kleine, flache Substanzverluste von Hanfkorngröße mit gerötetem Grund, sogen. hämorrhagische Erosionen, haben keine größere Bedeutung und verheilen meist, ohne eine Spur zurückzulassen. Verschwärungen der geschlossenen Drüsenfollikel der Magenschleimhaut sind an sich selten und heilen mit Zurücklassung einer unbedeutenden Narbe, ohne dem Kranken auf längere Zeit belästigende Symptome zu verursachen. Eine sehr wichtige und schwere Form des Magengeschwürs dagegen ist das sogen. chronische, runde oder durchbohrende M. (Ulcus ventriculi chronicum, s. rotundum, s. perforans). Dies beruht auf einer umschriebenen Selbstverdauung der Magenwand und wird daher auch Ulcus pepticum genannt. Warum die Magenwand von dem stark eiweißlösenden Magensaft normalerweise nicht angegriffen wird, ist auf sehr verschiedene Weise erklärt worden. Jedenfalls bestehen gewisse Schutzvorrichtungen für die lebende Schleimhaut, die durch schädigende Einflüsse an umschriebenen Stellen unwirksam gemacht werden können. Nach Virchows Ansicht entsteht das M. dadurch, daß zunächst eine Verstopfung kranker arterieller Gefäße eintritt, daß infolgedessen die Magenwand, soweit sie das kapillare Stromgebiet der verstopften Arterie bildet, brandig abstirbt, und daß der Magensaft die brandig gewordene Stelle, die seiner Einwirkung keinen Widerstand leisten kann, durch Selbstverdauung zur Erweichung und zum Zerfall bringt. Wenn auch auf diese Weise im Tierexperiment ein M. künstlich erzeugt werden kann, so ist doch der Hergang beim natürlichen M. meistens ein andrer, indem nämlich irgend eine spezifische Widerstandsfähigkeit des lebenden Gewebes die Verdauung verhindert und irgend eine beliebige Schädigung des Zellebens diese Fähigkeit vermindert. Neuerdings wird behauptet, daß die Magenwand (ebenso wie die Darmwand) sogen. Antifermente enthalte, d. h. Körper, die den Zellen Schutz gegen die Fermente der natürlichen Verdauungssäfte biete. Die Disposition für das chronische M. ist sehr verbreitet, denn unter 20 Leichen ist je eine mit einem M. oder mit der Narbe von einem solchen versehen. Das chronische M. kommt im reisen Alter häufiger als in der Kindheit, bei Frauen und bleichsüchtigen Personen häufiger als bei Männern und kräftigen Individuen vor. Häufig werden Diätfehler, Genuß zu kalter und zu heißer Speisen, Mißbrauch von Spirituosen als Ursachen bezeichnet; doch ist dies völlig unbewiesen. Das chronische M. hat seinen Sitz am häufigsten in dem an den Pförtner angrenzenden Teil des Magens, häufiger an der hintern als an der vordern Magenwand und fast immer an dem kleinen Bogen des Magens oder in seiner Nähe. Selten kommt es im Magengrund vor. Zuweilen ist nur ein Geschwür vorhanden, häufiger zwei oder mehrere, mitunter 30 bis 40, die sich dann gewöhnlich in verschiedenen Stadien befinden. Das M. zeigt scharfe Umgrenzung, der Grund ist meist völlig rein, ohne Sekret oder abgestorbene Gewebsteile, Entzündung fehlt oder findet sich nur in geringem Maß bei ältern Geschwüren. Bei sehr tief gehenden ältern Geschwüren sieht man am Magen von außen her ein kreisrundes Loch mit scharfem Rand, von innen her gesehen bildet das Geschwür gleichsam Terrassen und stellt einen flachen Trichter dar. Die Größe schwankt zwischen 6 mm im Durchmesser bis zur Größe eines Talerstücks und darüber, in seltenen Fällen bis zur Handtellergröße. Oft heilt das Geschwür, bevor es alle Magenhäute durchbrochen hat. Es bildet sich dabei eine Narbe in der Magenwand, die gewöhnlich ein strahlenförmiges Aussehen hat. War das Geschwür sehr groß, so kann seine Heilung zu einer Verengerung deo Magens führen, indem die anfangs weiche Narbe sich später stark zusammenzieht. Eine solche Verengerung des Magens führt zu starken Beschwerden. Häufig wird ein M. durch Verwachsung der Magenwand mit dem ihr zunächst benachbarten Organ (Bauchspeicheldrüse, Leber, Zwerchfell etc.) gleichsam verlegt, so daß es nicht nach der Bauchhöhle durchbrechen kann. Während das Geschwür um sich greift, werden durch dasselbe nicht selten größere oder kleinere Blutgefäße des Magens zerstört, und es kommt dann zu bedeutenden Blutergüssen in die Magenhöhle. In seltenen Fällen von chronischem M. sind die Anzeichen einer Magenaffektion so geringfügig, daß man die Krankheit ganz übersieht, bis plötzlich nach allmählicher Durchbohrung der Schichten der Magenwand zuletzt auch die die letztern gegen die Bauchhöhle abgrenzende seröse Haut durchbrochen wird und durch Austritt des Mageninhalts in die Bauchhöhle eine tödliche Unterleibsentzündung entsteht, oder bis durch Anfressung eines größern Blutgefäßes eine gefährliche Magenblutung eintritt. Es kann aber auch das M., nachdem der Magen sich mit seinen Nachbarorganen verlötet hat, in den Pleurasack, in die Lungen, in den Herzbeutel, in den Darm, ja nach außen durch die Bauchwand durchbrechen, oder es bildet sich durch Durchbruch des Geschwürs in einen hinter dem Magen gelegenen Raum ein Abszeß unter dem Zwerchfell.
Das gewöhnlichste Zeichen des Magengeschwürs sind Schmerzen in der Magengegend. Diese Schmerzen sind andauernd, vermehren sich bei Druck, sind an einer Stelle besonders heftig und steigern sich periodisch zu den heftigsten Anfällen, wobei sie in der Magengegend beginnen und nach dem Rücken hin ausstrahlen. Die Anfälle pflegen sich fast immer kurze Zeit nach der Mahlzeit einzustellen und stehen mit der Schwerverdaulichkeit und der reizenden Eigenschaft der genossenen Speisen in geradem Verhältnis. Durch Erbrechen tritt Erleichterung ein; die Schmerzen dauern aber oft stundenlang fort, wenn sich kein Erbrechen einstellt. In einzelnen Ausnahmefällen treten die Schmerzen gerade bei leerem Magen auf und werden durch Zufuhr von Speisen erleichtert, oder die Kranken bleiben, wenn sie schwerverdauliche Speisen genossen, von Schmerzen verschont, während leichter verdauliche Speisen heftige Schmerzen hervorrufen. Die Schmerzen bei der Verdauung werden hauptsächlich durch den Reiz verursacht, den der saure Magensaft auf die Geschwürsfläche ausübt. Zudem ist der abgeschiedene Magensaft beim M. meistens besonders stark sauer durch einen gegenüber der Norm stark gesteigerten Salzsäuregehalt. Die Untersuchung des Mageninhalts auf seinen Prozentgehalt auf [66] Salzsäure (im Erbrochenen oder einer mit der Magensonde entnommenen Probe) dient daher im Zweifelsfalle zur Sicherstellung eines Geschwürs. Fast immer kommt bei dem chronischen M. auch, periodisches Erbrechen vor, das durch dieselben Veranlassungen, welche die Schmerzanfälle bedingen, hervorgerufen zu werden pflegt und bald kürzere, bald längere Zeit nach der Mahlzeit eintritt. Wenn zu den heftigen Magenschmerzen und zu dem Erbrechen, die regelmäßig nach der Mahlzeit eintreten, sich noch Blutbrechen hinzugesellt, so besteht über das Vorhandensein eines chronischen Magengeschwürs kaum ein Zweifel. Manche Kranke leiden an Ausgetriebenheit der Magengegend, an Aufstoßen und heftigem Sodbrennen, ihr Appetit liegt gänzlich danieder; andre befinden sich in den schmerzfreien Stunden verhältnismäßig wohl, und selbst ihr Appetit ist kaum vermindert. Fast stets ist dauernde Stuhlverstopfung vorhanden. Das chronische M. kann frühzeitig die Ernährung untergraben, in andern Fällen aber leidet die Ernährung weniger oder fast gar nicht. Der Verlauf der Krankheit ist meist sehr langwierig, wenn man von den Fällen absieht, wo die Magenblutung oder die Durchbohrung der Magenwand scheinbar das erste Symptom der Affektion ist. Das Übel kann viele Jahre lang bestehen, während der die Beschwerden mannigfache Schwankungen darbieten. Nicht selten tritt mitten in der scheinbaren Genesung plötzlich Blutbrechen auf. Es können auch die Leiden mit aller Heftigkeit wieder zurückkehren, nachdem sie jahrelang ganz verschwunden waren. Am häufigsten endet das chronische M. mit Genesung. Dieselbe ist aber sehr oft unvollständig, wenn nämlich das M. durch eine Narbe heilt, welche die Bewegungen des Magens an einer bestimmten Stelle hemmt, oder wenn der Magen infolge des Geschwürs an ein benachbartes Organ angelötet wurde und nun bei Bewegungen von der Verwachsungsstelle aus gezerrt wird. Solche Störungen bedingen die Fortdauer der Schmerzanfälle, die zuweilen noch heftiger sind als zuvor.
Bei der Behandlung des Magengeschwürs ist vor allem der Magen möglichst zu schonen, seine Arbeit auf das Mindestmaß einzuschränken, da die langanhaltenden Bewegungen des Magens, seine Zusammenziehungen bei der Entleerung in den Darm, die Dehnung durch den Speisebrei und die Abscheidung des stark sauren Verdauungssaftes die Heilung natürlich erschweren. In schweren Fällen ist es daher sehr vorteilhaft, zunächst einige Tage lang unter völliger Umgehung des Magens nur durch Nährklistiere (s. Ernährungstherapie) Nahrung zuzuführen. Demnächst wird als schonendste Kost Milch, Suppe mit verrührtem Ei, Kakao, gelöste Fleisch- und Eiweißpräparate, Zwieback und ähnliches gegeben, nach ca. einer Woche schließt sich hieran eine etwas gehaltreichere, aber noch vorwiegend breiige, weiche, leichtverdauliche Kost mit Fleisch vom Huhn, Kalbshirn und -bries, Kartoffelbrei. Allmählich erfolgt dann der Übergang zu leichtverdaulicher Vollkost. Bei dieser Kostordnung ist strengste Bettruhe und in der ersten Zeit dauernde Anwendung heißer Umschläge auf die Magengegend erforderlich. Trinken von Karlsbader Wasser ist dabei zweckmäßig. Bei chronischen Fällen von M. kann manchmal auch eine ambulante Behandlung durchgeführt werden. Hierbei ist besonders die Anwendung großer Gaben von basischsalpetersaurem Wismut bewährt, das sich als schützender Niederschlag auf die Geschwürsfläche auslegt. Die heftigen Schmerzanfälle erfordern manchmal narkotische Mittel (Morphium), bei heftiger Blutung ist vollkommene Körperruhe notwendig. Stark blutende und sehr langwierige Geschwüre müssen häufig chirurgisch behandelt werden durch Resektion (Ausschneidung) des betreffenden Teiles der Magenwand. Daß man bei Perforation unter Umständen versuchen muß, den Kranken durch den Bauchschnitt zu retten, ist wohl zweifellos. Vernarbt das M. und tritt narbige Verengerung, z. B. des Pförtners, ein, so ist Magenerweiterung (s. d.) die Folge, die alsdann nur durch die dort erwähnten operativen Eingriffe beseitigt werden kann.
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