[191] Herbarĭum, ursprünglich eine historia plantarum oder eine andre botanische Abhandlung, auch eine Art Museum von Wurzeln, Kräutern, Früchten, die in der Medizin oder in der Kunst benutzt werden, erst seit dem 17. Jahrh. eine für botanische Zwecke hergestellte Sammlung gepreßter Pflanzen (Hortus hiemalis, H. siccus, Herbarium). Im H. bewahrt man die getrockneten Pflanzen oder Zweige zwischen Papierbogen auf. Früchte, Samen, Hölzer, Drogen werden in andrer Weise besonders aufbewahrt. Die Anlegung eines Herbariums ist ein unentbehrliches Mittel für das Studium der systematischen Botanik, da sich die Merkmale der Pflanzen meist auch an getrocknetem Material so erhalten, daß sie noch jederzeit, zumal nach Auskochen in Wasser, erkannt werden können; selbst zur mikroskopischen Untersuchung lassen sich die Teile getrockneter Pflanzen benutzen. Bei Anlegung eines Herbariums sind folgende Regeln zu beachten: 1) Beim Sammeln berücksichtige man möglichst vollständige, mit Blüte und Frucht versehene Exemplare. Von Krautpflanzen sind auch die Wurzeln oder Wurzelstöcke, bez. Zwiebeln oder Knollen erwünscht. Varietäten und Standortsabweichungen werden besonders berücksichtigt, desgleichen Exemplare von verschiedenen Fundorten bei Pflanzen, deren Wohngebiet einer Feststellung bedarf. Zum Transport während des Sammelns dient eine nicht zu klein zu wählende Blechtrommel (Botanisierbüchse). Zarte und sehr kleine Pflanzen, wie Lebermoose oder Algen, werden besonders in Papier eingewickelt oder in verkorkten Glastuben aufbewahrt. 2) Die Zubereitung der Pflanzen für das H. beginnt mit dem Einlegen und Trocknen. Nasse Pflanzen werden mit Löschpapier abgetrocknet, sehr saftige Pflanzen und Pflanzenteile in kochendem Wasser abgebrüht oder mit einem heißen Plätteisen zwischen Papier geplättet. Zum Trocknen kann man Löschpapier benutzen, zwischen dessen Bogen die Pflanzen einzeln zu liegen kommen und zwar so, daß immer einige leere Bogen aufeinander folgen, deren Zahl um so größer sein muß, je dicker oder saftreicher die Pflanze ist. Die eingelegten Pflanzen müssen dann so stark gepreßt werden, daß die Bogen die Pflanzenteile verhindern, sich zu krümmen oder zu schrumpfen, ohne den Zutritt der Lust vollständig zu hindern und die Pflanzen zu quetschen. Man erreicht dies mittels zweier Drahtrahmen, zwischen denen die Bogen mit den Pflanzen[191] durch Klammerketten oder Stricke eingeschnürt werden. Nach 23 Tagen müssen die Papierbogen durch andre ersetzt werden, wenn die Pflanzen bis dahin noch nicht völlig trocken geworden sind, und dies ist je nach Erfordernis zu wiederholen. Besonders bei zarten Pflanzen, aber auch bei festern verwendet man statt des Papiers zum Trocknen vorteilhaft die von Rostowzew in Moskau angegebenen Wattematratzen (Bezugsquelle: Buchbinder Huber, München, Schellingstr. 102), zwischen denen die Austrocknung schneller erfolgt und die Farben der Pflanzenteile besser erhalten bleiben. Die vollkommen trocknen Pflanzen legt man lose in zusammengebrochene Bogen von weißem Papier oder befestigt sie auf einzelnen halben Bogen mittels dünner, gummierter Papierstreifchen. Jedes Exemplar ist mit einer Etikette zu versehen, auf welcher der botanische Name, der Fundort, die Zeit des Einsammelns und auch der Sammler angegeben sein müssen. Sehr kleine Pflanzen, wie die Moose und die meisten niedern Kryptogamen, steckt man in Papierhülfen, auf denen man die Etikette anbringt. Die kleinen, im Wasser lebenden Algen müssen mit Wasser auf Papierblättchen gebracht werden, so daß sie auf denselben austrocknen, oder man fixiert sie auch auf Glasplättchen, was sich für die mikroskopische Untersuchung empfiehlt. Von großen fleischigen Hutpilzen entfernt man den größten Teil ihrer innern Fleischmasse und klebt dann die auf solche Weise erhaltene Haut der einen Hälfte des Hutes und der einen Längshälfte des Stieles auf Papier so übereinander, daß der Pilz gleichsam natürlich vor dem Beschauer steht. Daneben wird noch ein dünner Längsschnitt durch einen ganzen Hut, der Gestalt und Farbe des auf der Unterseite des Hutes befindlichen Hymeniums zeigt, und eine auf Papier aufgefangene Partie Sporen geklebt. 3) Die Anordnung des Herbariums muß nach wissenschaftlichen Grundsätzen erfolgen. Alle Bogen mit Exemplaren derselben Art kommen in einen gemeinsamen ganzen Umschlagbogen, der auswendig an der einen untern Ecke den Artnamen trägt. Alle Arten ein und derselben Gattung werden wieder in einen Umschlagbogen vereinigt, auf dem der Gattungsname angegeben ist. Enthält eine Gattung zahlreiche Arten, so kann man die letztern behufs leichterer Auffindung alphabetisch legen. Die Gattungen aber werden nach einem allgemein anerkannten Pflanzensystem geordnet, die so erhaltenen Pakete werden in Mappen eingebunden, mit entsprechender Aufschrift versehen und in geeignete Schränke oder durch Vorhänge gegen Staub geschützte Regale gelegt. 4) Schutz vor Zerstörung durch Insekten ist unerläßlich, wenn das H. nicht in kurzer Zeit verdorben sein soll. Kleine Herbarien geht man fleißig durch und vernichtet die etwa anzutreffenden Insekten. In größern Herbarien werden die Pflanzen mit alkoholischer Quecksilberchloridlösung vergiftet, indem man sie nach dem Trocknen darin eintaucht oder damit anstreicht, wieder zwischen Löschpapier trocknet und dann erst in das H. einlegt; oder man bringt die Pflanzenpakete von Zeit zu Zeit in eine luftdicht schließende Blechkiste, in der kleine Mengen des sehr feuergefährlichen Schwefelkohlenstoffes zum Verdunsten ausgeschüttet sind. Ob zuerst Ghini in Pisa oder der Schotte John Falconer ein H. angelegt hat, ist unbestimmt. Das Falconersche H. wird 1545 erwähnt. Die ältesten Herbarien, die sich ganz oder teilweise bis heute erhalten haben, sind das des Aldrovandi (1553, 17 Bde. mit etwa 15,000 Pflanzen), das von Girault (1558) und das von Césalpin (1563), die in Bologna, bez. in Paris und Florenz aufbewahrt werden. Ferner sind erwähnenswert die Herbarien von Nauwolf (gest. 1596) in Leiden und C. Bauhin in Basel. Größere Herbarien kann man nicht durch eignes Sammeln zusammenbringen, sondern es ist dazu Verkehr in Kauf und Tausch nötig. Schon im 17. Jahrh. waren Sammler in Ostasien und Amerika tätig, und im Anfang des 19. Jahrh. gründete Hochstetter in Eßlingen einen Reiseverein, der Sammler in die verschiedensten Länder sandte. Gegenwärtig sind zahlreiche geographisch und systematisch begrenzte Sammlungen käuflich zu erwerben. Außerdem bestehen Tauschvereine. Berühmte große öffentliche Herbarien sind das von Kew bei London, das des Britischen Museums und der Linnéschen Gesellschaft zu London, die Herbarien De Candolles und Bolssiers in Genf, diejenigen in Paris, Leiden, Berlin, Wien, Leipzig u. a. Vgl. Kreutzer, Das Herbar (Wien 1864); Mylius, Das Anlegen von Herbarien (Stuttg. 1885); Hinterwaldner, Wegweiser für Naturaliensammler (Wien 1889); U. Dammer, Handbuch für Pflanzensammler (Stuttg. 1891) und Anleitung für Pflanzensammler (das. 1894); Willkomm, Das Herbar (Wien 1892); Wünsche, Anleitung zum Botanisieren und zur Anlegung von Pflanzensammlungen (Berl. 1901); Beck v. Managetta, Hilfsbuch für Pflanzensammler (Leipz. 1902); Saint-Lager, Histoire des herbiers (Par. 1885).