Moose

[125] Moose (Bryophyta, Muscineen, hierzu Tafel »Moose I« in Farbendruck, mit Erklärungsblatt, und Tafel II–III), Abteilung des Pflanzenreichs, kryptogamische Gewächse, die wie die Gefäßkryptogamen einen regelmäßigen Generationswechsel besitzen, im Gegensatz zu diesen in ihrer einfach gebauten, ungeschlechtlichen Generation aber keine echten Wurzeln und keine typischen, mit Gefäßen versehenen Leitbündel ausbilden. Aus der einzelligen Spore der M. geht bei der Keimung meist durch Vermittelung einer faden(algen)ähnlichen Jugendform (Protonema, Vorkeim, Tafel II, Fig. 1) die geschlechtliche Pflanze hervor, die bei manchen niedern Formen nur einen laubartigen, meist dichotomisch verzweigten, kriechenden Thallus bildet (Tafel I, Fig. 1–3), häufiger aber ein beblättertes, mit Haarwurzeln (Rhizoiden) am Substrat befestigtes Stämmchen darstellt (Tafel I, Fig. 4–14), dessen grüne Blätter der Hauptsache nach aus einer einfachen Zellplatte bestehen. Die an der geschlechtlichen Moospflanze auftretenden männlichen Geschlechtsorgane (Antheridien) sind gestielte, sackförmige Behälter (Tafel III, Fig. 1 a u. 3 G), in denen zahlreiche gewundene, mit zwei Geißelfäden versehene Spermatozoiden (Tafel III, Fig. 3 H, J) gebildet werden. Die weiblichen Geschlechtsorgane (Archegonien) sind gestielte, flaschenförmige Behälter (Tafel III, Fig. 4 B u. 7 A, B, C), in deren Bauchteil die Eizelle liegt. Durch Verschleimung der zentralen Zellreihe des Archegonienhalses (Kanalzellen) entsteht ein enger Kanal, der sich an der Spitze öffnet und das Ei von außen zugänglich macht. Bei Gegenwart von Wasser dringen die Spermatozoiden, angelockt durch den aus dem Archegonienhals hervortretenden Schleim, bis zur Eizelle vor. Nachdem durch Verschmelznug eines Spermatozoids mit der Eizelle die Befruchtung ausgeführt worden ist, entwickelt das Ei sich zum mehrzelligen Embryo (Tafel III, Fig. 7 D, f u. E), der schließlich zu der ungeschlechtlichen Pflanze (Sporogonium, Mooskapsel, Moosfrucht) heranwächst. Sie stellt im wesentlichen eine gestielte Kapsel dar (Tafel II, Fig. 3 u. 4; Tafel llI, Fig. 4 C u. 6 D), die mit ihrem untern Ende in dem Gewebe der geschlechtlichen Pflanze haftet und von dort aus ernährt wird, und die in ihrem Innern zahlreiche Sporen erzeugt, die zu vier aus einer Sporenmutterzelle gebildet werden (Tafel II, Fig. 8 C). Neben der mit dem Generationswechsel verknüpften geschlechtlichen Fortpflanzung ist bei den Moosen auch die ungeschlechtliche Vermehrung durch Brutknospen, Brutknöllchen oder Sprossung weit verbreitet.

Man teilt die M. in zwei Reihen: Lebermoose (Hepaticae) und Laubmoose (Musci). Bei den Lebermoosen ist die Protonemabildung bei der Keimung höchstens andeutungsweise vorhanden. Der Sproß ist dorsiventral gebaut und kriechend, entweder ein ungegliedertes Laub (frons, thallus) oder ein niederliegendes Stämmchen mit zwei seitlichen Zeilen einfacher oder zwei- bis mehrlappiger, bisweilen ganz oder teilweise in Wasserbehälter (Wassersäcke) umgewandelter Blätter. Bei gewissen Arten tritt an der Bauchseite des Stämmchens eine dritte Zeile rudimentärer Blätter (Unterblätter, Amphigastrien) auf. Die Geschlechtsorgane stehen entweder am Gipfel des Sprosses (Tafel III, Fig. 4 A) oder in der Achsel der Blätter seitlich (Tafel III, Fig. 3 G), oder sie sind auf besondern, abweichend geformten Sproßabschnitten zu Antheridien-, resp. Archegonienständen vereinigt (Tafel III, Fig. 1, 2 u. 5). Nicht selten sind sie von einem besondern Scheidchen (Perianthium) eingeschlossen. Die Kapsel des Sporogoniums besitzt eine einschichtige Wand, die sich bei der Reise durch Längsrisse in vier Klappen (Tafel III, Fig. 6 E) oder unregelmäßig mit Zähnchen öffnet und neben den Sporen oft noch schlauchförmige Zellen mit spiraliger Wandverdickung (Elateren, Schleuderzellen, Tafel III. Fig. 6 F) enthält, die bei der Sporenausstreuung mitwirken.

Die Laubmoose haben ein wohlentwickeltes Protonema, an dem die Geschlechtspflanzen aus seitlichen Knospen (Tafel II, Fig. 1 C, b) entstehen. Der Sproß ist stets ein zylindrisches Stämmchen, an dem die einfachen Blätter in spiraliger Anordnung ringsum gleichmäßig entwickelt sind. Die Geschlechtsorgane stehen[125] am Gipfel des Hauptsprosses (Tafel II, Fig. 2 E u. Fig. 5) oder seitlicher Kurztriebe, häufig untermischt mit eigenartigen Haargebilden (Paraphysen, Saftfäden) und von eigentümlichen Blättern (Perichätialblättern) umhüllt (Tafel II, Fig. 2 E, p, b). Das Sporogonium (Theca) besteht aus einem Stiel (Borste, seta) und einer Kapsel, die während der Entwickelung von einer aus der Archegonienwand hervorgegangenen Haube (Mütze, Calyptra, Tafel II, Fig. 5 u. 6 c) bedeckt ist. Die Kapselwand ist ein zusammengesetzter Gewebekörper, der einen verhältnismäßig kleinen, noch von einer sterilen Mittelsäule (Kolumella) durchsetzten und deshalb zylindermantel- oder glockenförmigen Sporenraum (Sporensack) einschließt (Tafel II. Fig. 8 A). Bei den Torfmoosen, deren ungestieltes Sporogonium von einer gestreckten, blattfreien Sproßspitze (Pseudopodium) der Geschlechtspflanze emporgetragen wird, ragt die Kolumella nur zapfenförmig in den Sporenraum hinein (Tafel II, Fig. 4). Einigen rudimentären Formen, wie Archidium phascoides (Tafel II, Fig. 3), fehlt sie ganz. Unter der Kapsel der meisten Laubmoose verdickt sich die Borste zu einer als Apophyse bezeichneten Anschwellung, die bisweilen (z. B. bei Splachnum, Tafel I, Fig. 8) eine sehr auffällige Gestalt annimmt, zum größten Teil aus Assimilationsgewebe besteht und an ihrer Oberfläche Spaltöffnungen trägt. Die Eröffnung der Sporenkapsel erfolgt durch Ablösung eines Deckels (operculum), sehr selten durch Längsspalten (z. B. bei Andreaea, Tafel I, Fig. 4 a) oder durch unregelmäßigen Zerfall der Sporenwand. Unterhalb des Deckels ist der Urnenrand des Sporogoniums meist mit einem Mundbesatz (Peristom) aus zierlichen Zähnchen (Tafel II, Fig. 8 B) versehen, die zu vieren oder häufiger in einer ein Multiplum von 4 darstellenden, für jede Art konstanten Zahl auftreten, und entweder in einem einfachen oder in zwei Kreisen (inneres und äußeres Peristom) angeordnet sind.

Die M. sind in weit über 14,000 Arten über die ganze Erde verbreitet und treten in der größten Artenzahl in den kalten und gemäßigten Zonen und in den höhern Gebirgsregionen auf; im äußersten Norden und in den höchsten Gebirgen bilden sie zusammen mit einigen Flechten die letzten Spuren des organischen Lebens. Sie leben teils im Wasser, teils auf der Erde in Mooren, auf Schlamm oder nassem Sand, auf dem Boden von Wäldern, der Borke von Bäumen oder auf Felsgestein und Mauerwerk. Mehrere bedingen als gesellige Pflanzen einen eigentümlichen Vegetationscharakter, indem sie allein eine zusammenhängende Vegetationsdecke von oft meilenweiter Ausdehnung, wie in den Moostundren des arktischen Gebiets, bilden, so besonders Arten aus den Gattungen Sphagnum, Polytrichum, Hypnum. Fossile M. sind wenige aus tertiären Schichten bekannt; im Bernstein eingeschlossen hat man Überreste mehrerer ausgestorbener Arten von Aneura, Lejeunea, Radula und noch lebender Arten von Jungermannia gefunden; auch im Karbon wurden Stammfragmente eines Laubmooses (Muscites polytrichaceus) vom Habitus steriler Polytrichen beobachtet. Die M. sind vielfach die ersten Ansiedler auf kahlem, unfruchtbarem Boden und auf nackten Gesteinsflächen, tragen durch das Eindringen ihrer Rhizoiden zur Zerbröckelung des Gesteins bei, erzeugen mittels der Humusbestandteile, die durch ihre abgestorbenen Teile der Unterlage zugeführt werden, allmählich eine Dammerdeschicht und machen so den Boden für die größere Vegetation urbar; am erfolgreichsten ist diese Wirkung bei den torfbildenden Moosen, Arten der Gattungen Sphagnum, Hypnum, Polytrichum u.a., deren im Laufe der Jahrhunderte angesammelte verkohlte Überreste den wesentlichsten Teil mancher mächtigen Torflager bilden. Andre in kalkreichen Quellrinnsalen der Gebirge wachsende M., wie Gymnostomum curvirostre, Trichostomum tophaceum u.a., inkrustieren sich mit Kalk und tragen dadurch zur Bildung von Kalktuffbänken bei. Da die M. Wasser in sich einsaugen, so schützen sie auch den Boden vor raschem Austrocknen. Im Winter bilden sie Pflanzen und Samen sowie für zahlreiche Insekten eine schützende Decke, dienen größern Tieren zum Lager, den Vögeln zum Nestbau. Die M. enthalten den Weidetieren widerliche Stoffe und werden daher von ihnen nicht gefressen. Schaden bringen einige M. als Unkräuter auf Wiesen und diejenigen größern Laubmoose, die an den Stämmen der Bäume wachsen (s. Baumkrätze). Einige M. dienen als Polster- und Packmaterial, zum Ausfüllen von Decken und Wänden, zum Dichten von Wänden, Fenstern, Dächern, als Bindematerial zu Kränzen etc. Früher wurden einzelne Arten aus den Gattungen Marchantia, Polytrichum, Hypnum arzneilich benutzt.

Systematische Übersicht der Moose.

(Die mit einem * versehenen Gattungen sind auf Tafel I abgebildet.)

A. Die Lebermoose (Hepaticae) umfassen drei Reihen: 1) Marchantiinae. Sproß laubig, Sporogon ohne Kolumella, unregelmäßig mit Zähnen oder mit einem Deckel aufspringend. Familien: Ricciazeen, Sporogon ungestielt, im erweiterten Archegonienbauch eingeschlossen. Elateren fehlen, die Sporen werden durch Zerfall der Kapselwand frei (Gattung Riccia). Marchantiazeen, Kapsel gestielt, mit Elateren, mit Zähnen, Lappen oder einem Deckel aufspringend (Gattungen: *Marchantia [Tafel III, Fig. 5], Fegatella u.a.). 2) Anthocerotinae (Anthoceroten). Sproß laubig, Sporogon mit Kolumella, schotenförmig mit zwei Klappen von der Spitze her sich öffnend (Gattung: *Anthoceros). 3) Jungermanniinae (Jungermannialen). Sproß laubig oder ein beblättertes Stämmchen, Sporogon sich regelmäßig mit vier Klappen öffnend. a) Anakrogynae, Sproß laubig, Sporogonien rückenständig (wichtigste Gattungen: Metzgeria, Pellia, *Blasia, Aneura, Fossombronia); b) Akrogynae, Sproß regelmäßig beblättert, Sporogonien gipfelständig (wichtigste Gattungen: Frullania, Radula, Jungermannia [Tafel III, Fig. 6], Plagiochila, Mastigobryum u.a.).

B. Die Laubmoose (Musci) zerfallen in vier Reihen: 1) Sphagna. Sporogonien ohne Stiel und Haube, Kolumella zapfenartig aufragend, Kapsel mit abspringendem Deckel sich öffnend. Familie: Sphagnazeen oder Torfmoose, mit zahlreichen, in Torfmooren wachsenden Arten (Gattung: *Sphagnum). 2) Schizocarpae Andreaeales. Kapsel durch Längsspalten sich öffnend. Einzige Familie: Andreaeaceae (Gattung: *Andreaea). 3) Cleistocarpae. Kapsel bei der Reise unregelmäßig zerfallend (Gattungen: *Ephemerum, Phascum, Archidium). 4) Bryineae. Größte Abteilung mit mehreren tausend Arten. Die Kolumella durchsetzt den Sporenraum der Kapsel von unten bis oben. Die Eröffnung des mit einer Haube versehenen Sporogons erfolgt durch Abwerfen eines Deckels, der Urnenrand trägt ein regelmäßiges Peristom. Der Versuch Fleischers (»Die Musci der Flora von Buitenzorg«, Leid. 1904 ff.), die Bryineen in ein lediglich auf[126] die Beschaffenheit des Peristoms begründetes natürliches System zu bringen, hat bisher wenig Anklang gefunden. Wir unterscheiden: a) Acrocarpae (Gipfelfrüchtige M.), Archegonien und Kapseln endständig (Gattungen: Weisia, Dicranum, Leucobryum, Fissidens, Ceratodon, Pottia, Barbula, Grimmia, Orthotrichum, *Tetraphis, *Schistostega, *Splachnum, Funaria, *Physcomitrium, Bryum, *Mnium, Webera, Philonotis, Polytrichum, *Buxbaumia); b) Pleurocarpae (Seitenfrüchtige M.), Archegonien am Gipfel kurzer Seitenäste (Gattungen: Fontinalis, Leskea, *Neckera, *Climacium, Hypnum [Tafel II, Fig. 7] u.a.). Viele der genannten Gattungen bilden zugleich Repräsentanten von Familien der M., wie z. B. Bryazeen, Dikranazeen, Grimmiazeen, Orthotrichazeen, Hypnazeen u.a.

Vgl. Gottsche, Lindenberg und Nees v. Esenbeck, Synopsis Hepaticarum (Hamb. 1844–47); Bruch, Schimper und Gümbel, Bryologia europaea (Stuttg. 1837–56, 6 Bde. mit 654 Tafeln); Karl Müller (Halle), Synopsis muscorum frondosorum (Berl. 1849–51, 2 Bde.), Deutschlands M. (Halle 1853) und Genera muscorum (Leipz. 1901); Schimper, Synopsis muscorum europaeorum (2. Aufl., Stuttg. 1876); Limpricht, Die Laubmoose (Bd. 4 der Neubearbeitung von Rabenhorsts »Kryptogamenflora Deutschlands etc.«, Leipz. 1887–1904, 3 Abtgn.); K. Müller (Tübingen), Die Lebermoose (ebenda, Bd. 6, das. 1906 ff.); Leitgeb, Untersuchungen über die Lebermoose (Jena u. Graz 1874–81, 6 Hefte); Göbel, Die Muscineen (in Schenks »Handbuch der Botanik«, Bresl. 1879); Correns, Untersuchungen über die Vermehrung der Laubmoose durch Brutorgane und Stecklinge (Jena 1899); Roth, Die europäischen Laubmoose (Leipz. 1904–05, 2 Bde.). Kürzere populäre Schriften: Sydow, Die M. Deutschlands. Anleitung zur Kenntnis und Bestimmung (Berl. 1881) und Die Lebermoose Deutschlands, Österreichs und der Schweiz (das. 1882); Lützow, Die Laubmoose Norddeutschlands (Gera 1895).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 125-127.
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