Staub

[870] Staub, in der Luft enthaltene Körperchen verschiedener Art, die bei gewisser Größe oder massenhafter Anhäufung dem bloßen Auge sichtbar, aber auch in vollkommen rein erscheinender Luft immer noch nachweisbar sind. In scheinbar staubfreier Zimmerluft läßt ein einfallendes Sonnenlicht sofort zahllose seine Staubteilchen (Sonnenstäubchen) erkennen. Gröbere Stäubchen, von Winden oder vom Kehrbesen aufgewirbelt, fallen bei einigermaßen ruhiger Luft bald nieder; feinere sinken auch in scheinbar ruhiger Zimmerluft[870] meist nicht zu Boden; die feinsten sind dem unbewaffneten Auge unsichtbar, daher nur künstlich nachweisbar und erhalten sich auch in ruhigster Luft schwebend. S. entsteht durch die Verwitterung der Gesteine, wodurch diese in feinste Teilchen zerfallen, die vom Winde weit fortgetragen werden (Wüstenstaub, Löß, s. d.); auch die Vulkane werfen Staubmassen aus, die durch Luftströmungen in weite Entfernungen getragen werden (vgl. Dämmerung). Über kosmischen oder Meteorstaubs. Staubregen. S. entsteht ferner durch zahlreiche Verbrennungsprozesse, die Ruß und Asche liefern (vgl. Höhenrauch); in jedem S. finden sich auch Pollenkörner, Sporen der Kryptogamen, Abschilferungen der Haut und Keime der niedersten Organismen. Endlich erzeugt der Mensch beständig S., indem die Kleidung und das Material, mit dem er umgeht, beständig abgenutzt werden. Aus Flüssigkeiten und von feuchten Oberflächen gelangen niemals Teilchen als S. in die Luft, solange sich jene Substrate in Ruhe befinden; wohl aber kann durch Verspritzen heftig bewegter Flüssigkeiten oder durch Schaum bildung ein solcher Übergang bewirkt werden (Zerstäubung von Meerwasser durch Sturm und Brandung; das Wasser verdunstet, und das Salz bleibt als S. in der Luft). In der Regel aber können von feuchten Massen erst nach dem Austrocknen und Zerkleinern Teilchen als S. in die Luft gelangen. Gröbere Staubteile sinken bei ruhiger Luft zu Boden, feinere werden durch Regen aufgenommen, die Staubteile spielen aber auch bei der Verdichtung des in der Luft enthaltenen Wasserdampfes eine große Rolle, sie bilden die Kerne, auf die sich das Wasser niederschlägt; ganz staubfreie, feuchte Luft kann weit unter den Taupunkt abgekühlt werden, ohne daß sich Wasser daraus tropfbar flüssig abscheidet. In freier Luft fand Aitken bei Regen 32,000, bei schönem Wetter 130,000, in Zimmerluft 1,860,000, an der Decke 5,420,000, auf dem Rigi 210 Staubteilchen in 1 ccm. Landluft enthält weniger S. als Stadtluft, im Winter und Frühjahr und nach Regen ist die Luft ärmer an S. als im Sommer und Herbst und nach langer Dürre. 1 cbm Landluft enthält bei trockenem Wetter 3–4,5, bei feuchtem 0,15 mg S., in Fabriken fand man bis 175 mg S. (vgl. Atmosphäre, S. 51). Aller S. besteht, seiner Bildung entsprechend, aus mineralischen und organischen Substanzen; unter letztern interessieren hauptsächlich die Keime niederster Organismen, die unter den feinsten Staubteilen zu suchen sind. Stets enthält die Luft Sporen von Schimmelpilzen, im März am wenigsten (5480 in 1 cbm), im Juni bis 54,460, nach Regen mehr als nach Trockenheit. An Bakterien ist die Luft im Winter arm (53), im Herbst am reichsten (121), nach Regen weniger reich als bei Dürre. Stadtluft enthält ungleich mehr Bakterien als Landluft. Die angegebenen Zahlen müssen bei der Unvollkommenheit der Methode, nach der sie gewonnen wurden, im allgemeinen als zu niedrig betrachtet werden.

Der in der Luft vorkommende S. wirkt schädlich auf die Haut, hauptsächlich wohl, indem Staubpartikelchen durch geringfügige Verletzungen (Kratzwunden od. dgl.) oder durch Drüsenausgänge eindringen und Hautkrankheiten (Erytheme, Nesselausschläge, Akne, Furunkeln, Ekzeme etc.) erzeugen. Viel stärker werden die Schleimhäute angegriffen, besonders die der Augen und der Atmungsorgane. Bei der Atmung gelangt der S. in den Mund, in die Rachenhöhle, die Luftröhre und die Lungen und wirkt je nach seiner Beschaffenheit teils mechanisch reizend (s. Staubeinatmungskrankheiten), teils auch chemisch oder infektiös durch Einatmen pathogener Bakterien (Lungenschwindsucht durch den S. eingetrockneten Auswurfes). Die neuere Gewerbehygiene sucht deshalb bei den mit Staubentwickelung arbeitenden Berufsarten durch Sicherheitsvorrichtungen den Arbeiter möglichst vor dem S. zu schützen. Dies Bestreben hat vielfach die Maschinen und damit die ganze Fabrikationsart wesentlich umgestaltet, namentlich seitdem durch die soziale Reichsgesetzgebung Krankheit und Invalidität der Arbeiter für den Fabrikanten sehr kostspielige Zustände geworden sind. Dabei hat sich gezeigt, daß die Staubsammlung oft ein noch sehr gut verwertbares Material liefert. Schon der Transport und die erste Vorarbeit am Rohmaterial kann staubfrei gestaltet werden, indem man die gefährliche Handarbeit durch maschinelle Einrichtung ersetzt. Alle Maschinen, die Staub entwickeln, werden ummantelt, die stauberfüllte Luft wird aus der Ummantelung durch einen Exhaustor abgesaugt und ins Freie geleitet, falls nicht drohende Klagen der Nachbarschaft oder der Wert des Materials den Fabrikanten veranlassen, den S. in Staubkammern, die in manchen Fällen mit Wasserbrausen versehen werden, oder durch Gewebefilter, an denen der S. anhaftet, zu sammeln (Bethfilter u. a., vgl. Staubsammler). Wo eine Ummantelung der Stauberzeugungsstelle nicht ausführbar ist, weil sie zur Ausführung von Handarbeiten frei liegen muß, führt man die Ummantelung wenigstens so nahe wie möglich an die Arbeitsstelle heran. Oft muß man sich damit begnügen, unter dem Fußboden Kanäle anzulegen, die mit Gittern bedeckt sind. Ein Exhaustor saugt dann die staubhaltige Luft aus dem Arbeitsraume durch die Kanäle ab. Sortiertische (z. B. für Hadern) erhalten eine siebartige Platte, durch die der S. unter Einwirkung eines Exhaustors in Trichter und aus diesen in Kanäle geführt wird. Wo der gesammelte S. nicht weiter benutzt wird, feuchtet man ihn beim Absaugen an, damit er nicht die Umgebung, aus der die Werkstätten ihre Luft beziehen, verunreinigt. In vielen Fällen kann auch die Staubbildung durch Anfeuchten des zu verarbeitenden Materials vermieden werden. Die Werkstätten müssen hoch und lustig sein, auch sind Wände und Fußböden so einzurichten, daß sie leicht abgewaschen werden können. Sehr wesentlich zur Vermeidung von Staubkrankheiten ist eine dicht schließende Kleidung, Wechsel der Kleidung, gründlichste Säuberung der Hände und des Gesichts in den Pausen und vor dem Einnehmen der Mahlzeit in besondern staubfreien Räumen. Auch Bäder sind dringend erforderlich. Läßt sich der S. bei der Arbeit nicht vermeiden, so müssen Mund und Nase durch Respiratoren geschützt werden, doch wird anhaltender Gebrauch von Respiratoren als zu lästig empfunden. Schwämme wirken ungenügend und sind noch lästiger. Von großer Bedeutung ist, daß der Arbeiter durch Spaziergänge, Sport und lustige gesunde Wohnung den S. aus den Lungen zu entfernen sucht. Der Alkoholismus, der die Gesundheit untergräbt, mindert auch die Widerstandskraft gegen den S.-Zur Verhinderung der Staubbildung auf Straßen hat man sie mit Rohpetroleum besprengt. 5 Tonnen genügen für 1 km Landstraße von 5 m Breite, bei etwas intensivem Wagenverkehr 6–8 Wochen. Statt des Petroleums hat man auch Steinkohlenteer von 60°1–2 mm dick auf sehr trockenen, glatten, staubfreien Boden aufgetragen (1 kg auf 1 qm), nach 2–3 Stunden mit Sand bestreut und diesen eingewalzt. Asphaltin zur Benutzung auf mit leichtem Erdöl getränkten Boden ist eine Lösung[871] von Asphalt in schwerem Rohpetroleum, Masut etc. Auch in Schulen und Turnhallen spielt der S. eine verhängnisvolle Rolle. Hinreichende Reinhaltung ist unter den bestehenden Verhältnissen nicht immer ausführbar, recht gut bewährt hat sich das vierteljährlich einmal erfolgende Auftragen von Stauböl (Fußbodenöl), einer Mischung von Mineralöl und Pflanzenöl auf den Fußboden und tägliches Fegen mit einem scharfen Besen. Das Öl hält den S. derartig fest, daß er nicht wieder aufwirbeln kann. Zur Vermeidung von Staubbildung bei der Zimmerreinigung dient der Vakuumreiniger, der den S. bei der Bildung aufsaugt. Vgl. Migerka, In den gewerblichen Betrieben vorkommende Staubarten in Wort und Bild (2. Aufl., Wien 1896); Renk, Die Luft (im »Handbuch der Hygiene«, von Pettenkofer und Ziemssen, Teil 1, Abt. 2, Leipz. 1886); Tissandier, Les poussières del'air (Par. 1877); Plumandon, Les poussières atmosphériques (das. 1897) und die Literatur bei den Artikeln »Gewerbehygiene, Gewerbekrankheiten und Staubeinatmungskrankheiten«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 870-872.
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