[332] Kommunismus (lat.), in einer besondern Bedeutung des Wortes nach dem allgemein üblichen wissenschaftlichen Sprachgebrauch ursprünglich ein bestimmtes Grundprinzip der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung einer menschlichen Gemeinschaft, nämlich das der Gütergemeinschaft mit wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit der Individuen und völligem Aufgeben der individuellen wirtschaftlichen Selbständigkeit. Dann wurde das Wort der Ausdruck für alle auf diesem Prinzip beruhenden Theorien und Systeme menschlicher Gemeinwirtschaften und deren geschichtliche Erscheinung. In einem engern Sinne bezeichnet es von diesen Theorien und Systemen nur diejenigen, die jenes Prinzip zum Grundprinzip eines Staatswesens und einer Volkswirtschaft machen (Staatskommunismus). Im folgenden ist von dem K. in diesem engern Sinne die Rede. Der K. in diesem Sinne hat mit dem Sozialismus (s. d.) manche Verwandtschaft, so daß es schwer ist, ihn von diesem vollständig und scharf zu trennen. Beide Systeme bezwecken eine nach der Meinung ihrer Anhänger bessere Staats- und Gesellschaftsordnung, als die bestehende ist, und sind ursprünglich aus einem humanen Bestreben hervorgegangen: die Not und das Elend im Volksleben zu beseitigen. Sie wollen die Armut, das Proletariat, die Unmoralität verbannen und die Unterschiede in den wirtschaftlichen, moralischen und sozialen Verhältnissen der Menschen ausgleichen oder aufheben, sie wollen allen eine glückliche materielle und moralische Existenz sichern und deshalb das Staats- und Wirtschaftsleben auf neuen Grundlagen errichten. Beide beruhen auf dem Glauben, daß durch eine vollständige Um- und Neugestaltung der gegenwärtigen Rechts- und Gesellschaftsordnung die Ursachen aller beklagten wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und politischen Übelstände beseitigt werden könnten. Für diese neue Ordnung stellen sie als Grundprinzip hin, daß die wirtschaftliche Freiheit des einzelnen eingeschränkt werden und die Gesamtheit die Sorge und Verantwortlichkeit für die Lage der einzelnen übernehmen müsse. Auf dieser Grundlage erfinden sie für das ökonomische Gebiet neue Organisationen der wirtschaftlichen Tätigkeit, der Produktion und der Verteilung der Güter, welche die Forderungen einer angeblichen Gerechtigkeit verwirklichen sollen. Doch lassen sich zwischen dem Sozialismus und dem K. sowohl rücksichtlich der Zielpunkte wie der praktischen Vorschläge für die Neugestaltung der bestehenden Zustände auch einige erhebliche Unterschiede konstatieren. Freilich gehen auch unter den Kommunisten selbst die Meinungen auseinander, und man spricht deshalb von verschiedenen kommunistischen Systemen. Aber gewisse Grundanschauungen finden sich doch bei allen, und diese sind es, die das Wesen des K. im strengern Sinne charakterisieren. Es sind hauptsächlich folgende: Der K. sieht die Wurzel aller Übelstände im Privateigentum. Dieses mache erst die Menschen zu Egoisten und lasse den an sich berechtigten und nützlichen Trieb zur Selbsterhaltung und Förderung der eignen Interessen ausarten in die unberechtigte und schädliche Selbstsucht. Die Folge sei bei der bisherigen Rechtsordnung unter der Herrschaft der persönlichen Freiheit die Ausbeutung des einen durch den andern, die wirtschaftliche und damit auch die soziale und politische Ungleichheit. Das Privateigentum müsse demnach vor allem beseitigt werden. Charakteristisch für den K. ist ferner, daß er Menschenglück und gerechte, normale Zustände in der Gesellschaft nur da sieht, wo unbedingte Gleichheit der einzelnen besteht. Es soll daher kein ökonomischer, sozialer, politischer Unterschied irgendwelcher Art bestehen und Gleichheit der Arbeitslast, des Einkommens und des Genusses herbeigeführt werden. Zu diesem Zweck wird eine Organisation der wirtschaftlichen Tätigkeit der einzelnen von Gesellschafts wegen gefordert. Diese soll auf der Gütergemeinschaft beruhen; alle Produktions-wie alle Genußmittel sind Eigentum der Gesamtheit. Es besteht kein Privateigentum und kein Erbrecht. Die Gesamtheit regelt Herstellung, Verteilung, Verbrauch der materiellen Güter nach dem Grundsatz der Gleichheit. Für alle Arbeitsfähigen besteht Arbeitszwang. Die Ernährung und Ausbildung der Jugend ist gleich und erfolgt auf gemeinsame Kosten. In diesem Ideenkreis bewegen sich alle Kommunisten. Im einzelnen und in der Art, wie sie ihre Ideen zu verwirklichen dachten, weichen sie voneinander ab.
Schon im Altertum hat Platon in seiner »Politeia« (»Der Staat«) und den »Nomoi« (»Die Gesetze«) eine Art von kommunistischem Staat als Idealstaat hingestellt. In diesem, der die ideale Verwirklichung der griechischen Staatsidee sein soll, besteht nicht die volle, sondern nur eine teilweise Gütergemeinschaft, noch weniger die volle Gleichheit der Menschen. Seit dem 16. Jahrh. hat fast jedes Jahrhundert hervorragende Vertreter des kommunistischen Gedankens aufzuweisen. Die erste eingehende und geistvolle Darstellung und Verteidigung des K. und das erste Bild eines wirklich kommunistischen Staates lieferte Thomas Morus in einem Jugendwerk: »De optimo reipublicae statu deque nova insula Utopia libri duo« (1516, deutsch von H. Kothe in Reclams Universal-Bibliothek), dessen Ideen freilich der spätere Staatsmann und Kanzler Heinrichs VIII. von England nicht mehr vertrat. Das Werk erregte wegen der scharfen und freimütigen Kritik des damaligen, auf der privilegierten Ausbeutung beruhenden Klassen- und Ständestaates großes Aufsehen. Aus ihm schöpften später vielfach Kommunisten ihre Ideen und ihre Gründe. Unter diesen sind als Erfinder kommunistischer Staatsordnungen besonders hervorzuheben der kalabresische Dominikanermönch und Philosoph Thomas Campanella, 15681659, der das phantastische Bild eines kommunistischen Staates in seinem Werk über den Sonnenstaat (»Civitas Solis«, 1620) entwarf, und dessen Ideen in dem Jesuitenstaat an den Ufern des Paraguay in der ersten Hälfte des 17. Jahrh. zum Teil verwirklicht wurden; ferner der französische Rechtsgelehrte Vairasse, aus dessen kommunistischem Werk »Histoire des Sevarambes« (1677) später namentlich der Sozialist Charles Fourier und der Kommunist Cabet einzelne Ideen entnahmen; endlich der Franzose Morelly (»Naufrages des îles flottantes, ou la Basiliade de Bilpai«, Messina 1753; »Code de la nature«, 1755). »Staatsromane« (s. d.) nennt Robert v. Mohl mit Recht diese Werke in seiner historisch-kritischen Darstellung derselben (»Geschichte und Literatur der Staatswissenschaft«, Bd. 1, S. 167 ff.).
Diese Kommunisten waren reine Theoretiker des K. Sie waren nicht bestrebt, ihre kommunistischen Ideen zu verwirklichen. Darin unterscheiden sie sich von den modernen Kommunisten. Diese letztern haben keine neuen kommunistischen Grundgedanken erfunden, sondern bewegen sich in den Ideen von Morus, Campanella, Vairasse, Morelly u. a. Wenn trotzdem von verschiedenen Systemen derselben gesprochen wird, so hat das nur insofern einen Grund, als sie jenen Kommunisten gegenüber und unter sich in der Art der Durchführung des kommunistischen Gedankens, in der [332] Organisation des von ihnen erstrebten kommunistischen Heilstaates auseinandergehen. Die einen (Cabet, Weitling) wollen den K. in einem großen zentralisierten Staat verwirklichen, in dem die Zentralbehörde die Tätigkeit aller einzelnen wie die Marionetten auf einem Puppentheater dirigiert; die andern (Babeuf, R. Owen) wollen die Auflösung des Staates in kommunistisch organisierte, selbständige ländliche Gemeinden ohne Städte. Die einen (Cabet, Weitling) träumen von einem hohen Genuß- und Kulturleben aller, wie es heute nur die Wohlhabenden und Reichen genießen können; die andern (Babeuf, R. Owen) erkannten, daß die kommunistische Gesellschaft den einzelnen nur eine sehr bescheidene materielle Existenz und ein niedriges geistiges Leben verschaffen könne. Die einen erstreben die Gleichheit lediglich in den materiellen Verhältnissen, die andern wollen auch die Gleichheit der Bildung und die Aufhebung der Ehe und der Familie. Die einen endlich wollen Einführung des K. auf dem Wege friedlicher Agitation, die andern auf dem Wege der gewaltsamen Revolution.
Die erste kommunistische Agitation hat François Noël Babeuf (s. d.) 1795 und 1796 in Paris ins Leben gerufen. Es war eine wesentlich politische Bewegung, die kommunistische Lehre und Agitation nur das Mittel, die untern Klassen gegen die bestehende Staatsgewalt zu gewinnen. So ist es erklärlich, daß der Plan des neuen kommunistischen Staates, den er durch die Revolution erringen wollte, weder näher entworfen, noch begründet wurde. Das kommunistische Programm Babeufs, wenn man von einem solchen sprechen will, umfaßte im wesentlichen nur die oben erwähnten allgemeinen kommunistischen Forderungen; seine Besonderheit besteht in folgenden Punkten: 1) der Staat soll wesentlich ein Ackerbaustaat sein, der Betrieb von Gewerben nur stattfinden, soweit er notwendig ist zur Herstellung einfacher Genußmittel und unentbehrlicher Werkzeuge und Maschinen; 2) die Städte als Krankheitserscheinungen des öffentlichen Lebens sollen verschwinden; 3) die allen gleiche Bedürfnisbefriedigung soll ganz einfach sein; 4) die Gleichheit soll zugleich eine Gleichheit der Bildung und des geistigen Lebens sein und, um dies herbeizuführen, der für alle gleiche Unterricht sich nur auf einen elementaren im Lesen, Schreiben, Rechnen, in der Geschichte, den Gesetzen, der Geographie und der Statistik der Republik beschränken, jedes Streben aber, durch Wort oder Schrift ein höheres Wissen zu verbreiten, mit den härtesten Strafen belegt werden.
Nach dem Tode Babeufs löste sich die Partei der Babeuvisten auf. Neue kommunistische Bewegungen zeigten sich zuerst wieder in Frankreich unter der Julimonarchie. Die erste ging aus von Männern, die sich zur Lehre Babeufs bekannten und sich nach ihm Babeuvisten nannten. Einer der Mitverschwornen Babeufs, Ph. Buonarroti, hatte über Babeuf ein Buch geschrieben (die Hauptquelle für die Geschichte der Babeufschen Verschwörung: »Conspiration de légalité dite de Babeuf, suivie du procès auquel elle donna lieu et des pièces à l'appui«, Brüssel 1828, 2 Bde.), das in den 1830er Jahren eine Anzahl radikaler Republikaner zu Kommunisten im Sinne Babeufs gemacht hatte, und diese bildeten 1837 in Paris eine revolutionäre Partei zur Verwirklichung des K. An der Spitze standen Louis Blanqui, Barbès und Martin Bernard. Ihre Ideen vertraten sie für den Pariser Pöbel in der leidenschaftlichsten und zynischsten Weise in ihren Blättern: »Le Moniteur républicain« und »L'Homme libre«; gleich Babeuf wollten auch sie den K. durch die gewaltsame Revolution herbeiführen. Ihre Verbindung hieß die Société des saisons. Am 12. Mai 1839 versuchten sie durch einen Aufstand sich der Stadt Paris zu bemächtigen. Der Aufstand wurde indes unterdrückt, die gerichtliche Untersuchung ergab, daß die eigentliche Verbindung nur einige hundert Personen umfaßte. Man schickte die Führer der Bewegung ins Gefängnis. Aber noch jahrelang wucherte die Lehre Babeufs in den geheimen Klubs der Travailleurs égalitaires, die in Paris und an andern Orten entstanden und den K. Babeufs teils dahin erweiterten, daß sie auch die Aufhebung der Ehe und der einzelnen Familie zur vollen Verwirklichung der persönlichen Gleichheit forderten, teils durch die Forderung von öffentlichen nationalen Werkstätten modifizierten. An die Öffentlichkeit sind diese Klubs bis 1848 weniger getreten, aber im geheimen verbreiteten sie doch die Ideen jenes K. in Proletarierkreisen, und als 1848 nach der Februarrevolution Blanqui und Barbès das Gefängnis verließen, fanden sie eine kommunistische Partei ihrer Richtung vor, mit der sie sofort öffentlich zu agitieren begannen. Die Junischlacht machte ihren Agitationen ein Ende.
Gleichzeitig entwickelte sich in Frankreich ein religiöser K., der, von den Grundgedanken des Christentums ausgehend, die Worte der Bibel anwendete, um mit ihnen die Grundlagen der bestehenden Gesellschaft, Privateigentum und Familie, anzugreifen und im Namen Christi die Gemeinschaft der Güter, die Erhebung der niedern Klassen auf den »Ruinen des Privateigentums«, die Gleichheit des materiellen Lebens unter »dem Panier des Evangeliums« zu fordern, der aber zugleich betonte, daß alle privaten Umgestaltungen, wie notwendig auch immer, nicht durch Gewalt und anarchische Störungen, sondern allein durch die Liebe und Verwirklichung des Gedankens der Brüderlichkeit vor sich gehen dürften. Diesem K., der im ganzen wesentlich negativ und theoretisch war, und der sich völlig unklar blieb über die positive neue Gestalt der kommunistischen Gesellschaft, brach der Priester de Lamennais, vorzüglich durch seine Aufsehen erregenden Schriften: »Paroles d'un croyant« (1834) und »Le livre du peuple« (1837; deutsch, Leipz. 1905), Bahn. Ihn bildeten weiter aus der Abbé Constant (»Bible de la liberté«, 1840), Alph. Esquiros (»L'évangile du peuple«, 1840; »Évangile du peuple défendu«, 1841) und besonders C. Pecqueur, beeinflußt von den Lehren Saint-Simons und Fouriers (s. Sozialismus), durch sein Hauptwerk: »De la république de Dieu. Union religieuse pour la politique immédiate de l'égalité et de la fraternité universelle« (1844). Es kam aber nicht zu einer kommunistischen Partei dieser Richtung.
Eine größere kommunistische Partei in Frankreich zu organisieren, gelang in den 1840er Jahren dem Kommunisten Et. Cabet (s. d.). Ursprünglich ein radikaler Republikaner, der in der reinen demokratischen Republik sein Staatsideal verwirklicht sah, war Cabet als Flüchtling in England Ende der 1830er Jahre durch das Studium kommunistischer Schriften zum Kommunisten, aber einem friedlichen Kommunisten, geworden. Er veröffentlichte 1840 die »Voyageen Icarie, roman philosophique et social«, ein harmloses Buch, in dem in amüsanter Weise die Zustände einer großen kommunistischen demokratischen Republik, Ikarien, geschildert werden. Das Buch ist eine Reisebeschreibung in der Form eines Romans. Die Phantasie Cabets entwarf ein verführerisches Bild[333] von den glücklichen Zuständen des ikarischen Volkes, die dieses der Durchführung der kommunistischen Ideen verdankt. Dort gibt es keine Armut, keine Verbrechen, keine Unmoralität. Alle führen ein hohes Genußleben, alle erfreuen sich des glücklichsten Familienlebens, es blühen Wissenschaft und Kunst, das Problem der Menschheit ist dort gelöst. Das verführerische Bild sollte die Franzosen für die kommunistischen Ideen gewinnen. Ähnliche Zustände glaubte Cabet auch in einem kommunistischen Frankreich nach einem Übergangsstadium, das er auf 50 Jahre annahm, herbeiführen zu können. Während desselben sollte noch das Privateigentum bestehen bleiben, aber der kommunistische Staat durch folgende Maßregeln angebahnt werden: 1) Abschaffung des Intestaterbrechts der Seitenverwandten und des testamentarischen Erbrechts sowie der Schenkungen unter Lebenden. Der Staat ist der Erbe dieser Güter. 2) Staatliche Fürsorge für eine bessere materielle Existenz der untern Volksklassen durch gesetzliche Regelung des Arbeitslohns, durch jährliche Verwendung einer halben Milliarde zur Beschäftigung Arbeitsloser mit dem Bau neuer Wohnungen und Werkstätten, durch Überlassung der Staatsgüter zur Bewirtschaftung an Arme und durch Verringerung der Armee. 3) Reform des Steuerwesens durch starke Luxussteuern und progressive Vermögensbesteuerung. 4) Kommunistische Erziehung der Kinder. Die dritte Generation würde, von der Richtigkeit des K. überzeugt, ihn friedlich einführen. Dies der Inhalt jenes Werkes, das übrigens nirgends eine wissenschaftliche Begründung, resp. Rechtfertigung der kommunistischen Forderungen auch nur versucht. Nach Abfassung dieses Werkes kehrte Cabet nach Frankreich zurück, agitierte dort in Schrift und Wort für die friedliche Verwirklichung des K. und fand zahlreiche Anhänger. Aber zu einer politischen Bedeutung gelangte die Bewegung und die Partei der »Ikaristen« nicht. Ihre einzige Tat war die durch Cabet 1848 vorgenommene Gründung einer ikarischen Kolonie in Nauvoo in Amerika. Allein das Experiment mißglückte; es brachen bald Streitigkeiten unter den Teilnehmern aus. Die aus Nauvoo ausgestoßenen Anhänger Cabets gründeten eine Gemeinde in Chettenham, die 1864 zugrunde ging. Die in Nauvoo Verbliebenen siedelten später nach Adams County in Iowa und 1881 nach Ikarie Speranza in Kalifornien über.
Robert Owen (s. d.) versuchte eine wissenschaftliche Begründung des K., namentlich in seinen beiden Hauptwerken: »New views of society« (1812) und »Book of the new world« (1820). Der Grundgedanke seiner kommunistischen Ideen ist, daß, da der Charakter der Menschen, der ihre Handlungen bestimme, ein Produkt der angebornen Anlagen und der äußern Verhältnisse, unter denen die Anlagen ausgebildet werden und die Menschen leben, sei, der einzelne Mensch aber weder den einen noch den andern Faktor bestimmen könne, niemand für seinen Charakter und seine Handlungen verantwortlich sei. Die Erziehung und die äußern Verhältnisse seien in der heutigen Gesellschaft durch eine falsche Organisation des wirtschaftlichen und sozialen Lebens derart, daß der Charakter der meisten Menschen ein schlechter werden müsse; daher die schlechten Zustände. Das Problem, für alle Menschen günstige äußere Verhältnisse herzustellen, so daß alle, auch die mit schlechten Anlagen, gute Charaktere würden und gut handelten, sei nur durch eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu lösen, bei der aber der kleine Teil, der heute ein höheres Kulturleben führe, auf dieses verzichten müsse; das für alle gleiche materielle Genußleben müsse ein ganz einfaches sein, sich auf eine sehr mäßige Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse beschränken, und das geistige Genußleben müsse auf ein niedriges Maß reduziert werden, wie es in den Urzuständen war, ehe Wissenschaft und Kunst existierten. Das Mittel zur Herstellung jener günstigen äußern Bedingungen findet Owen in der Bildung von kleinen wirtschaftlich selbständigen kommunistischen Gemeinden (von 500 bis 2000 Mitgliedern), die, was sie zum Leben gebrauchen, wesentlich selbst produzieren und nur solche Produkte, die sie notwendig gebrauchen, aber auf ihrem Boden nicht selbst erzeugen können, von andern Gemeinden erwerben sollen. Die Gemeinde ist die Eigentümerin des Bodens und aller andern Güter. Der Gemeinderat, bestehend aus den 3040 Jahre alten Gemeindegliedern, ordnet und leitet die materielle Produktion und Konsumtion und die für alle gleiche Erziehung und Ausbildung. Er weist den einzelnen die Arbeit und die materiellen Bedürfnisbefriedigungsmittel zu. Die einzelnen Arbeiten werden auf die verschiedenen Altersklassen, als welche acht unterschieden werden, verteilt, so daß jeder im Lauf des Lebens nacheinander die verschiedenen Arbeiten zu verrichten hat. Die Erziehung und Ausbildung der Kinder ist gemeinsam, der Unterricht erstreckt sich nur auf die elementaren Fächer, der Hauptpunkt in der Erziehung ist die Ausbildung der Nächstenliebe. Ein radikaler Gegner aller positiven Religionen, verwirft Owen alle kirchlichen Gebräuche und jede Art von Gottesverehrung. Die Ehe soll ein freier Vertrag und jederzeit einseitig auflöslich sein. Owens kommunistische Gesellschaftsordnung bietet ein wenig verlockendes Bild, und es ist daher begreiflich, daß er dafür trotz seiner unermüdlichen, auf ihre friedliche allmähliche Herbeiführung gerichteten Agitation keine Anhänger gewann. Einige Versuche, die er in Amerika und England mit der Durchführung solcher kommunistischer Gemeinden machte, scheiterten vollständig. Als Kommunist und kommunistischer Agitator hat Owen nichts erreicht. Wenn Owens Name noch heute in England mit Ehren genannt wird, so verdankt er das dem epochemachenden Beispiel, das er als humaner Fabrikherr in der sittlichen wie materiellen Hebung seiner Arbeiter gegeben, und der Einwirkung, die er auf die Anfänge des englischen Genossenschaftswesens und der englischen Fabrikgesetzgebung ausgeübt hat.
Auch dem Schneidergesellen Wilh. Weitling (geb. 1808 in Magdeburg, seit 1849 in Amerika, gest. 1871 in New York), dem Verfasser der Schriften: »Die Menschheit, wie sie ist und sein sollte« (1838), »Garantien der Harmonie und Freiheit« (1842) und »Das Evangelium des armen Sünders« (1845, Neudruck Düsseld. 1902), der Anfang der 1840er Jahre in der Schweiz (Zürich, Lausanne, Neuenburg) eine auf kleine Kreise beschränkt gebliebene kommunistische Agitation betrieb, hat man als Autor eines selbständigen kommunistischen Systems bezeichnet. Allerdings hat er ein neues Bild von einem kommunistischen Staat gezeichnet; aber seine Anschauungen sind unreif und reine Phantasieprodukte (für die z. B. charakteristisch ist, daß an der Spitze des großen zentralisierten kommunistischen Staates als die gesamte Produktion, Verteilung und Konsumtion dirigierende Obrigkeit ein Trio von drei Philosophen stehen soll, die durch Preisarbeiten zu dieser Stellung gelangen sollen). Eine neue Art von radikalem, revolutionärem K. ist[334] die des Russen Bakunin (s. d.) und der russischen Nihilisten, die, zusammenhängend mit spezifisch russischen Verhältnissen, auf die völlige Selbständigkeit der kommunistischen Gemeinden gegenüber dem Staat, auf die Abschaffung jeder Religion, Auflösung der Familie und vollständige politische wie soziale Emanzipation des weiblichen Geschlechts ausgeht.
Nicht alle Kommunisten sind nach den Anschauungen eines Bakunin und Babeuf zu beurteilen, und manche landläufige Vorstellungen über K. und Kommunisten treffen nur für einzelne, nicht für alle zu, soz. B. daß die Kommunisten stets irreligiös oder unchristlich, daß sie rohe Materialisten seien, die nur teilen und dem einzelnen ein hohes Genußleben ohne Arbeit bereiten wollten, daß alle die Ehe und die Familie aufheben wollten etc. Aber alle trifft mit Recht der Vorwurf, daß sie unklare Phantasten sind. Ihnen fehlt die klare Einsicht in die menschliche Natur und in die allein möglichen Grundlagen einer gesunden Volkswirtschaft und friedlichen Kulturgemeinschaft, ihnen mangelt das Verständnis der wirklichen Triebkräfte menschlicher Handlungen und derjenigen organischen Gestaltung der Volkswirtschaft, die das Kulturleben der Völker und den Kulturfortschritt der Menschheit bisher bedingt hat und wohl auch in Zukunft bedingen wird. In vollständiger Verkennung dieser Verhältnisse kommen sie zu dem Grundirrtum: der Forderung der radikalen Verwirklichung der Idee der Gleichheit. Sie verkennen die große Bedeutung, die für die individuelle Zufriedenheit wie für das materielle Wohl und den geistigen Fortschritt der einzelnen und der Gesamtheit die individuelle Bewegungsfreiheit und das Bewußtsein der Verantwortlichkeit für die eigne Lage haben; sie verkennen den segensreichen Einfluß der Institutionen des privaten Eigentums und des Erbrechts auf die Erhöhung der individuellen Ausbildung, auf die Steigerung des Arbeitsfleißes und des Sparsinns, auf die Sicherung des steten Fortschritts im Wirtschaftsleben. Wohl läßt sich eine materielle Gleichheit aller durchführen, aber, wie Owen das richtig erkannt hat, nur auf der niedrigsten Stufe menschlichen Genußlebens. Die Durchführung des K. wäre die Nivellierung aller zu Proletariern, die Beseitigung des Kulturlebens und des Kulturfortschritts für die Völker. Inwieweit der moderne Sozialismus dem K. sich nähert, s. unter Sozialismus.
Vgl. L. Stein, Der Sozialismus und K. des heutigen Frankreich (Leipz. 1842) und Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich (das. 1850, 3 Bde.); Sudre, Histoire du communisme (5. Aufl., Par. 1856; deutsch, 2. Aufl., Berl. 1887); Hildebrand, Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft (Frankf. 1848); Marlo (Winkelblech), Untersuchungen über die Organisation der Arbeit (Kassel 18501859, 3 Bde.; 2. Aufl., Tübing. 1886, 4 Bde.); Schäffle, Kapitalismus und Sozialismus (Tübing. 1870); R. Meyer, Der Emanzipationskampf des vierten Standes (Berl. 187475, 2 Bde.); Woolsey, Communism and socialism in their history and theory (Lond. 1880); Leroy-Beaulieu, Le collectivisme (Par. 1884, 4. Aufl. 1903); Nordhoff, Communistic societies of the United States (Lond. 1875); H. A. James, Communism in America (New York 1879); Sagot, Le communisme an Nouveau Monde (Par. 1900); Kleinwächter, Die Staatsromane (Wien 1891); »Schlaraffia politica, Geschichte der Dichtungen vom besten Staat« (Leipz. 1892); Pöhlmann, Geschichte des antiken K. und Sozialismus (Münch. 18931900, 2 Bde.); Herkner, Arbeiterfrage (3. Aufl., Berl. 1902); Adler, Geschichte des Sozialismus und K. (Leipz. 1899, Bd. 1) und dessen Artikel »Sozialismus und K.« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«; weitere Literatur bei »Sozialismus«.
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro