Kunstbutter

[810] Kunstbutter, ein Speisefett, das auf Anregung Napoleons III. 1870 von Mège-Mouriès zuerst dargestellt wurde, um für die Marine und die ärmere Bevölkerung ein gutes Ersatzmittel der Butter zu beschaffen. Frischer Rindertalg, zwischen Eis den Fabriken zugeführt, wird bei 17° mit Wasser sorgfältig gewaschen, auf Maschinen zerkleinert und in einem verschließbaren Gefäß mit Rührwerk bei möglichst niedriger Temperatur mit Wasser geschmolzen. Das flüssige Fett wird in flachen Blechgefäßen auf 45° abgekühlt, wobei ein großer Teil des im Talg enthaltenen Stearins und Palmitins sich kristallinisch ausscheidet, während der Rest dieser Fette in dem Olein gelöst bleibt. Man preßt nun bei 25° ab und erhält ein starres Gemisch von Stearin und Palmitin (40–50 Proz.), das zur Kerzenfabrikation benutzt wird, und ein flüssiges Fett, das bei gewöhnlicher Temperatur Butterkonsistenz annimmt (Oleomargarin, 20 kg aus 100 kg Rohtalg). Dies Fett wird mit ca. 50 Proz. frischer Milch und 50 Proz. Wasser unter Zusatz von etwas Farbstoff und aromatischen Stoffen in einer Buttermaschine bearbeitet und dann wie Butter gewaschen, geknetet, gesalzen und gefärbt. Seit Ende der 1870er Jahre wird zur Erzielung größerer Ausbeute aus dem Talg ein festeres Oleomargarin, bei 55°, selbst 60° (Ausbeute 60–62 Proz.) abgeschieden, dem man dann billige fette Öle, namentlich Baumwollsamenöl, Erdnußöl, Sesamöl, Olivenöl etc., zur Erlangung der Butterkonsistenz zusetzt. Außer Talg werden auch andre Fette, Gekrösefett von Schweinen, Hammeltalg etc., besonders australischer u. amerikanischer Herkunft, auf K. verarbeitet. Gegenwärtig wird die aus dem flüssigen Rohstoff und 12 bis 20 Proz. Rahm oder 20–25 Proz. Milch hergestellte Emulsion in dünnen Strahlen in kaltes Wasser geleitet, dann geknetet etc. K. hat einen milden, angenehmen Geschmack, ist sehr haltbar und ausgiebig, ersetzt die Butter bei der Bereitung von Speisen vollständig und wird nahezu oder vollständig so gut wie Butter verdaut. Gute K. schmeckt besser als billige, minderwertige Butter, und Mischungen von K. mit Butter vermag kaum der Feinschmecker von reiner Butter zu unterscheiden. Die erste Fabrik für K. wurde 1871 in Paris errichtet, jetzt blüht diese Industrie besonders in Nordamerika, Holland, Deutschland (erste Fabrik 1874 in Frankfurt a. M.), Österreich, Frankreich. Die K. und Mischungen derselben mit Butter kamen unter den verschiedensten Namen (Butterine, Sparbutter, Mischbutter, Grasmischbutter, Süßrahmmargarine) in den Handel und wurden am häufigsten als Butter zu verkaufen gesucht. Zur Verhinderung dieses Unfugs und zum Schutz der Landwirtschaft wurden in Dänemark, in den Vereinigten Staaten, in Frankreich und in Deutschland Gesetze erlassen. Das deutsche Gesetz vom 12. Juni 1887 verbot die Bezeichnung K. und schrieb für diese den Namen Margarine vor, es blieb aber in seinen praktischen Ergebnissen hinter den gehegten Erwartungen zurück und wurde 15. Juni 1897 durch ein andres Gesetz (in Kraft getreten 1. April 1898) ersetzt. Die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz schreiben zwecks Erleichterung der Erkennbarkeit von Margarine vor, daß auf je 100 Teile der zur Verwendung kommenden Fette mindestens 10 Teile Sesamöl zugesetzt werden müssen. Sesamöl gibt nämlich, mit einer alkoholischen Lösung von Furfurol und mit einer Säure zusammengebracht, Rotfärbung (Baudouinsche Reaktion). Verkaufsstelle, Gefäße und äußere Umhüllungen müssen die Inschrift Margarine tragen. Vermischung von Margarine mit Butter oder Butterschmalz ist verboten. Wird K. in regelmäßig geformten Stücken feilgehalten, so müssen diese Würfelform haben und selbst oder auf der Umhüllung die Bezeichnung Margarine tragen. Auf K., die nicht zum Genuß für Menschen bestimmt ist, findet das Gesetz keine Anwendung. Vgl. Mayer, Die K., ihre Fabrikation, ihr Gebrauchswert etc. (Heidelb. 1884); Sell, Über K., ihre Herstellung, sanitäre Beurteilung (Berl. 1886); Wollny, Über die Kunstbutterfrage (Leipz. 1887); Soxhlet, Über Margarine (Münch. 1895); Lavalle, Die Margaringesetzgebung und ihre Entwickelung in den einzelnen Kulturstaaten (Brem. 1896); Fleischmann, Das Margarinegesetz vom 15. Juni 1897 (Bresl. 1898); Full u. Reuter, Die deutsche Margarinegesetzgebung (Berl. 1898).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 810.
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