Lobkowitz

[643] Lobkowitz, altes böhm. Geschlecht, das früher Ujezd hieß, sich aber im 15. Jahrh. nach dem Schloß L. benannte. 1440 teilte es sich in die Hassensteinsche und die Popelsche Linie; Nachkommen der erstern bilden das freiherrlich Lobkowitzsche Geschlecht in Bayern (Oberambach). Letztere zerfiel wieder in die Bilinsche, die 1722 erlosch, und die Linie zu Chlumetz, die von Kaiser Ferdinand II. 1623 die Reichsfürstenwürde erhielt. 1715 spaltete sich das Geschlecht[643] wieder in eine ältere und eine jüngere Linie, die beide seit 1807 den Titel eines Herzogs von Raudnitz und Fürsten von L. führen. Beide Linien sind katholisch. Das gegenwärtige Oberhaupt der ältern Linie ist Fürst Ferdinand Zdenko, geb. 23. Jan. 1858, Sohn des Fürsten Moritz (geb. 2. Juni 1831 in Inzersdorf bei Wien, gest. 4. Febr. 1903 in Raudnitz), erbliches Mitglied des österreichischen Herrenhauses, das der jüngern Linie Fürst Georg Christian, geb. 14. Mai 1835. Die namhaftesten Sprößlinge des Geschlechts sind:

1) Bohuslaw, aus der Linie Hassenstein, geb. 1462, gest. 11. Nov. 1510, studierte in Bologna, machte weite Reisen (»der böhmische Ulysses«) und lebte später auf seinen böhmischen Gütern, stand aber in regem Briefwechsel mit gelehrten Freunden, war dichterisch und schriftstellerisch tätig und besaß eine glänzende Bibliothek. Eine Auswahl seiner Schriften erschien 1836 in Prag, herausgegeben von K. Winarický. Vgl. Cornova, Der große Böhme Bohuslaw L. (Prag 1808).

2) Wenzel Eusebius, Fürst von, Minister Kaiser Leopolds I., aus der Chlumetzer Linie, geb. 20. Jan. 1609, gest. 22. April 1677 in Raudnitz, diente während des Dreißigjährigen Krieges in der kaiserlichen Armee, wurde 1647 Feldmarschall, 1652 Hofkriegsratspräsident, betrieb 1658 mit Erfolg Leopolds I. Kaiserwahl und ward 1669 nach dem Sturz Auerspergs leitender Minister. Seine Politik zielte auf ein freundliches Verhältnis zu Frankreich und auf Herstellung absoluter kaiserlicher Gewalt in Österreich und Ungarn, wo er 1670 einen Aufstand mit blutiger Strenge unterdrückte. Der Wechsel in der innern Politik und der Ausbruch des Krieges mit Frankreich (1672) hatten nebst Intrigen am Hofe seinen Sturz zur Folge; des Hochverrats angeklagt, ward er im Oktober 1674 nach Raudnitz verwiesen. Vgl. A. Wolf, Fürst Wenzel L. (Wien 1869).

3) Johann Georg Christian, Fürst von, österreich. General, geb. 10. Aug. 1686, gest. 4. Okt. 1755 in Wien, trat 1707 in das kaiserliche Heer, wurde 1732 Gouverneur von Sizilien, 1733 Feldmarschallleutnant, schloß 1733 die Kapitulation von Messina und wurde 1739 Generalgouverneur von Siebenbürgen. Im Österreichischen Erbfolgekrieg befehligte er ein Armeekorps in Böhmen, unterlag anfangs gegen die überlegenen Streitkräfte der Marschälle Broglie und Belleisle bei Sahay, schloß aber im Dezember 1742 Belleisle mit 16,000 Franzosen in Prag ein; doch gelang es diesem, in der Nacht des 16. Dez. mit 12,000 Mann nach Eger abzuziehen. 1743 stand L. bei der Armee in Italien und vertrieb die Spanier aus Rimini, im August 1746 ward er zur Armee nach Deutschland berufen.

4) August Longin, Fürst von L., Herzog zu Raudnitz, geb. 15. März 1797, gest. 17. März 1842 in Wien, wurde 1826, nachdem er schon früher in Böhmen im politischen Dienst gestanden, Gouverneur des Königreichs Galizien und erwarb sich namhafte Verdienste durch Förderung der geistigen und materiellen Interessen und vorzüglich des Volksschulwesens im Lande. Wegen der Schonung, die er 1831 den nach Galizien geflüchteten Polen zuteil werden ließ, 1832 abberufen, ward er zum Hofkanzler und 1834 zum Präsidenten des Münz- und Bergwesens ernannt. Das neue Münzgebäude in Wien verdankt ihm seine musterhafte Einrichtung.

5) Georg, Fürst von L., Herzog zu Raudnitz, österreich. Politiker, geb. 14. Mai 1835, trat zunächst in den Staatsdienst, spielte, in den böhmischen Landtag gewählt, schon früh eine politische Rolle als Führer des tschechisch gesinnten Feudaladels und wurde 1871 unter Hohenwart zum erstenmal Oberstlandmarschall von Böhmen. Nach dessen Sturz stellte er sich an die Spitze der feudal-klerikalen Agitation, gründete mit dem Grafen Karl Schönborn den Katholisch-Politischen Verein für Böhmen, wurde 1873 in das Abgeordnetenhaus gewählt und 1883 erbliches Mitglied des Herrenhauses. Seit 1884 wieder Oberstlandmarschall in Böhmen, leitete er die tschechische Mehrheit des Landtags bei den Maßnahmen zur Unterdrückung der Deutschen und der Tschechisierung Böhmens, nahm allerdings 1890 an den erfolglosen Ausgleichsverhandlungen mit den Deutschen teil, blieb aber nach wie vor die Seele des feudal-klerikalen Antagonismus gegen das Deutschtum in Böhmen.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 643-644.
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