Broglie

[444] Broglie (spr. bröllj'), 1) François Marie, Herzog von, Marschall von Frankreich, geb. 11. Jan. 1671 in Paris, gest. 22. Mai 1745 in Ferrières, aus einer piemontesischen, seit 1656 in Frankreich naturalisierten Familie (Broglio), nahm seit 1689 an allen Feldzügen in Deutschland, Italien und Flandern Anteil. Er ward 1733 als Generalleutnant Villars' Armee in Italien zugewiesen, erhielt dort 1734, zum Marschall erhoben, den Oberbefehl und siegte bei Parma und Guastalla. Nach dem Frieden erhielt er das Gouvernement im Elsaß und focht im Österreichischen Erbfolgekrieg unter Belle-Isle (26. Nov. 1741 Einnahme von Prag), dem er später im Oberkommando der böhmischen Armee folgte. Er fiel aber in Ungnade, weil er Bayern den Österreichern überlassen mußte, und zog sich in seine kurz vorher zum Herzogtum B. erhobene Baronie Ferrières zurück.

2) Victor François, Herzog von, Marschall von Frankreich, Sohn des vorigen, geb. 19. Okt. 1718, gest. 1804 in Münster, focht unter seinem Vater in Italien und im Österreichischen Erbfolgekrieg. Im Siebenjährigen Krieg kommandierte er in Hessen, eroberte Kassel (1758), siegte über die Hessen bei Sandershausen und schlug den Herzog Ferdinand von Braunschweig 13. April 1759 bei Bergen, wofür er vom Kaiserzum deutschen Reichsfürsten erhoben wurde. Hierauf nahm er Minden, bahnte sich den Weg nach Hannover und wurde (August 1759) zum Oberbefehlshaber und Marschall ernannt. Er bewahrle sich als der tüchtigste Feldherr der Franzosen im Siebenjährigen Kriege. 1764 erhielt er das Generalgouvernement Metz und Lothringen. Beim Ausbruch der Revolution 1789 zum Kriegsminister ernannt, befehligte er die zwischen Paris und Versailles zusammengezogenen Truppen, nach deren Abfall er emigrierte. 1792 übernahm er den Oberbefehl über die Armee der Brüder des Königs und trat nach deren Auflösung 1797 in russische Dienste.

3) Charles François, Graf von, Bruder des vorigen, geb. 20. Aug. 1719, gest. 16. Aug. 1781, ward 1752 Gesandter am Hof des Königs August III. von Polen und bemühte sich im geheimen Auftrag des Königs Ludwig XV., dem Prinzen von Conti den Weg zum polnischen Thron zu bahnen, wurde aber durch die Intrigen seiner Gegner von seinem Posten verdrängt und diente daher seit 1758 im Siebenjährigen Krieg im Korps seines Bruders, des Herzogs von B. Er behielt aber die Leitung der geheimen Diplomatie, die sich besonders um die polnischen Angelegenheiten und die Vorbereitung einer Landung in England drehte. 1764 wurde er an den Hof berufen, aber 1773 auf Aiguillons Betrieb verwiesen. Nach Ludwigs XV. Tode wurde er begnadigt. Vgl. Boutaric, Correspondance secrète de Louis XV (Par. 1866, 2 Bde.); Herzog Albert von Broglie (s. unten 7), Le secret du roi. Correspondance secrète de Louis XV avec ses agents diplomatiques 1752–1774 (2. Aufl., das. 1879, 2 Bde.).

4) Claude Victor, Prinz von, Sohn von B. 2), geb. 1757, focht für die Unabhängigkeit Nordamerikas, wurde 1789 Abgeordneter des Adels von Kolmar und Schlettstadt in der Nationalversammlung und später bei der Rheinarmee verwendet. Weil er aber die am[444] 10. Aug. 1792 beschlossene Suspension des Königs nicht anerkannte, wurde er 27. Juni 1794 guillotiniert.

5) Maurice Jean Magdalène, Bruder des vorigen, geb. 1766, gest. 1821 in Paris, widmete sich dem geistlichen Stand, emigrierte während der Revolution und erhielt vom König von Preußen eine Pfründe in Posen. 1803 nach Frankreich zurückgekehrt, wurde er von Napoleon I. zum kaiserlichen Almosenier und 1805 zum Bischof von Acqui, 1807 zum Bischof von Gent ernannt. Er fiel aber 1809 in Ungnade und wurde auf die Insel Marguerite gebracht, wo er seinem Bistum entsagte. Nach der Restauration 1814 erhielter seine bischöfliche Würde wieder, verlor sie jedoch wegen Widersetzlichkeit bei Errichtung des Königreichs der Niederlande abermals und wurde in contumaciam zur Deportation verurteilt.

6) Achille Charles Léonce Victor, Herzog von, Pair von Frankreich, Sohn von B. 4), geb. 1. Dez. 1785 in Paris, gest. daselbst 25. Jan. 1870, ward unter Napoleon I. Staatsrat, Auditeur, Militärintendant, später Attaché und Gesandtschaftsrat in Wien, Prag und Warschau. 1814 zum Pair ernannt, gehörte er zur Partei der Doktrinäre und vertrat mit Guizot die Grundsätze der konstitutionellen Erbmonarchie. Nach der Julirevolution wurde er 30. Juli 1830 provisorischer Minister des Innern, 11. Aug. Minister des Kultus und öffentlichen Unterrichts und Präsident des Staatsrats, trat aber im November nebst den übrigen Doktrinären zurück und ward Gesandter in London. Vom Oktober 1832 bis April 1834, dann vom November 1834 bis Februar 1836 war er wieder Minister des Auswärtigen und vom März 1835 an bis zu seinem Austritt zugleich Ministerpräsident. Er verfolgte eine England freundliche, energische und doch friedliche Politik; allein sein stolzes und absprechendes Wesen machte ihn nach allen Seiten mißliebig. Im Mai 1849 ward er in der Nationalversammlung einer der Führer der Rechten. Er protestierte gegen den Staatsstreich vom 2. Dez. 1851 und zog sich dann ins Privatleben zurück. Seit 1855 war er Mitglied der Akademie. B. veröffentlichte seine literarischen Arbeiten unter dem Titel: »Ecrits et discours« (Par. 1863, 3 Bde.); aus seinem Nachlaß gab sein Sohn heraus: »Vues sur le gouvernement de la France« (1870, a. Aufl. 1871), »Le libre échange et l'impôt« (1879) und die Memoiren: »Souvenirs du feu duc de B.« (1886, 4 Bde.). Vgl. Guizot, Leduc de B. (Par. 1872). – Seine Gattin Albertine (geb. 1797, gest. 1839), die einzige Tochter der Frau v. Staël, schrieb: »Fragments sur divers sujets de religion et de morale« (anonym, 1840). Vgl. »Duchesse de B., lettres, 1814–1838« (Par. 1895).

7) Jacques Victor Albert, Herzog von, ältester Sohn des vorigen, geb. 13. Juni 1821, gest. 19. Jan. 1901, schlug, noch sehr jung, die publizistische Laufbahn ein. In seinen Schriften zeigte er sich als Gegner der Extreme und verteidigte zu gleicher Zeit die katholischen Interessen und den konstitutionellen Liberalismus. Die Hauptwerke seiner ersten Periode sind: »L'Eglise et l'Empire romain an IV. siècle« (Par. 1856–69,3 Abtlgn. in 6 Bdn., wovon einzelne mehrfach aufgelegt wurden); die »Etudes morales et littéraires« (1853); »Questions de religion et d'histoire« (1860, 2 Bde.) und die »Nouvelles études de littérature et de morale« (1868). 1862 wurde er in die französische Akademie aufgenommen. Bei den Wahlen vom 8. Febr. 1871 in die Nationalversammlung gewählt, erhielt er 19. Febr. von Thiers den Botschafterposten in London. Zugleich war er für eine Restauration des Königtums und die Fusion der Bourbonen und Orléans tätig. Als ihn Thiers daher im Mai 1872 von London abberief und sich immer entschiedener für die Republik erklärte, bewirkte B. an der Spitze der Monarchisten 24. Mai 1873 seinen Sturz und trat selbst an die Spitze des neuen Ministeriums, in dem er außer dem Vorsitz das Auswärtige, später das Innere übernahm, um die Thronbesteigung Heinrichs V. mit den Orléans als Thronfolgen herbeizuführen. Er regierte durchaus reaktionär und klerikal, konnte sich aber doch nicht die Gunst der Legitimisten erwerben und ward von diesen 22. Mai 1874 gestürzt. Im Senat wurde er Führer der reaktionären Parteien, welche die Republik sich nicht befestigen lassen wollten, und trat 17. Mai 1877 wieder an die Spitze des Ministeriums, in dem er auch die Justiz übernahm. Doch bei den Neuwahlen wurde B. in seinem eignen Departement nicht gewählt und erhielt 20. Nov. seine Entlassung. Er widmete sich nun wieder den Studien und veröffentlichte nach Familienpapieren das Werk über seinen Großoheim (s. oben 3); ferner die gegen Preußen sehr parteiischen Werke: »Frédéric II et Marie-Thérèse« (1882, 2 Bde.; deutsch von Schwebel, Minden 1883); »Frédéric II et Louis XV« (1884, 2. Aufl. 1887); »Marie-Thérèse impératrice« (1888, 3. Aufl. 1892); »Maurice de Saxe et le marquis d'Argenson« (1891, 2 Bde.); »La paix d'Aix-la-Chapel Ie« (1892); »L 'alliance autrichienne« (1895); »Le dernier bienfait de la monarchie« (1901). Außer den Memoiren seines Vaters (s. oben) gab er auch die Memoiren Talleyrands (1891, 5 Bde.) heraus. Vgl. Fagniez, Leduc de B. (1902). – Sein zweiter Sohn, Emmanuel (geb. 1854), schrieb: »Le fils de Louis XV, Louis, dauphin de France« (1877); »Fénelon à Cambrai« (1884); »Mabillon et la société de l'abbaye de Saint-Germain-des-Près« (1888, 2 Bde.); »Bernardin de Montfaucon et les Bénedictins« (1891); »Catinat, l'homme et la vie« (1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 444-445.
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