Meridiānkreis

[632] Meridiānkreis (Mittagsfernrohr, hierzu Tafel »Meridiankreis«), das aus der Verbindung von Passageninstrument u. Mauerkreis (s. d.) entstandene, durch Reichenbach und Repsold Anfang des 19. Jahrh. eingeführte Hauptinstrument der praktischen Astronomie, mit dem man unter Zuhilfenahme einer Uhr die Kulminationszeiten und damit die Rektaszensionsdifferenzen sowie gleichzeitig die genauen Kulminationshöhen der Sterne beobachten kann, aus welch letztern man durch Subtraktion der Äquatorhöhe die Deklinationen findet. Der M. besteht aus einem nur in der Ebene des Meridians beweglichen Fernrohr, das mit einer horizontalen, genau von O. nach W. gerichteten Achse fest verbunden ist, und dessen Neigung gegen den Horizont durch Ablesung an einem senkrecht zur Achse befestigten Kreis gefunden wird.

Die beifolgende Tafel zeigt den M. der Straßburger Sternwarte, der von Repsold in Hamburg erbaut ist. Sein Objektiv hat eine freie Öffnung von 162 mm und eine Brennweite von 1,9 m. Auf zwei sehr fest fundierten und ganz unabhängig vom umgebenden Mauerwerk aufgeführten Steinpfeilern, die auch vollkommen getrennt sind vom Fußboden, damit keinerlei Erschütterungen sich auf die Pfeiler übertragen, sind zwei mit ihren Mittellinien von W. nach O. gerichtete durchbrochene eiserne Zylinder A, A' gelagert, die an ihren innern Endflächen in der Mitte zwei nach oben offene, Y-förmige Lager tragen. In diesen Lagern ruhen die Enden der Achse des Fernrohrs, die aus möglichst genau kreisrunden Stahlzylindern von 9 cm Dicke bestehen. Das Mittelstück der Drehungsachse besteht aus einem würfelförmigen Hohlkörper B, der durch zwei angeschraubte Hohlkegel C, C' mit den beiden Stahlzapfen verbunden ist. An diesen Würfel sind rechtwinklig zur Drehungsachse ein Paar andre schwach kegelförmige Röhren D, D' angesetzt, die den Körper des Fernrohrs bilden; am Ende der einen Röhre befindet sich das Objektiv O, am andern der Okulareinsatz O', der im gemeinschaftlichen Brennpunkt beider ein vollständiges Fadenmikrometer hat. Man beobachtet nun die Zeiten, zu denen der Stern, dessen Ort bestimmt werden soll, die vertikalen Spinnfäden passiert, und notiert sie nach den Schlägen einer Uhr oder registriert sie mittels eines elektrischen Stromes auf einem Chronographen. Um das Fernrohr auch genau auf die Höhe des Sterns einstellen zu können, werden die vertikalen Fäden noch durch zwei nahe beieinander liegende horizontale Fäden gekreuzt, zwischen denen man den Stern hinlaufen läßt. Der Kreis K, der zur Ablesung der Kulminationshöhe der Sterne dient, besteht aus Messing mit eingelegtem Silberstreifen, der eine bis zu 2 Minuten gehende Kreiseinteilung enthält. Zur Ablesung dienen vier Mikroskope M, die an den Seitenwänden des eisernen Zylinders A in Abständen von je 90° angebracht sind. Um auch Bogensekunden und deren Zehntel ablesen zu können, sind die Mikroskope mit Fadenmikrometern versehen. Auf der andern Seite des Fernrohrs ist noch ein zweiter Kreis K' angebracht, der nur in ganze Grade geteilt ist und bloß an vier um 90° voneinander entfernten Stellen je einen Grad[632] bis 2 Minuten geteilt enthält; er findet hauptsächlich bei sogen. Zonenbeobachtungen Verwendung. Bei Beginn jeder Beobachtung hat man dann diesen auf der Achse drehbaren Kreis mittels Triebwerks so zu stellen, daß die erwähnten kleinen Bogen unter den Beobachtungsmikroskopen erscheinen, die auf dem benachbarten Pfeiler angebracht sind, wenn das Fernrohr auf die Höhe der zu beobachtenden Zone eingestellt ist.

Den Kreisen gab man früher, um feinere Teilungen anbringen zu können, einen sehr großen Durchmesser, wodurch sie indessen der Durchbiegung durch die Schwere und der Verspannung durch ungleiche Erwärmung sehr ausgesetzt wurden, weshalb man die Durchmesser jetzt kleiner nimmt, dabei aber stärker vergrößernde Mikroskope anwendet; bei dem Straßburger M. beträgt der Durchmesser der Kreise nur 65 cm, und die angewandte Vergrößerung der Mikroskope ist eine 40 sache. Um aber die Höhe eines Sterns bestimmen zu können, muß man den Punkt des fest mit der Achse verbundenen Kreises K kennen, welcher der vertikalen oder horizontalen Lage des Fernrohrs entspricht. Um den der erstern Lage entsprechenden Punkt, den Radirpunkt, zu finden, ist unter der Mitte der horizontalen Achse ein Gefäß mit Quecksilber (ein Quecksilberhorizont) aufgestellt, auf das man das Fernrohr richtet; bei genau vertikaler Lage des letztern muß dann, wenn man das Licht einer Lampe durch das Okular auf das Fadenkreuz fallen läßt, dieses letztere mit seinem Spiegelbild zusammenfallen. Man dreht das Fernrohr nun so weit, bis die Bilder der beiden horizontalen Fäden des Fadennetzes mit ihren Spiegelbildern zusammenfallen, alsdann befindet sich die durch die Achse und durch die Absehenslinie des Fernrohrs bestimmte Ebene genau senkrecht auf der Horizontalebene, und die Ablesung des Kreises K entspricht dem Radirpunkt. Für die vertikalen Fäden wird bei dieser Stellung das Spiegelbild gewöhnlich nicht mit dem Faden zusammenfallen, was anzeigt, daß die Absehenslinie des Fernrohrs nicht vollständig mit der Lotlinie zusammenfällt. Mittels des beweglichen Fadens des Fadenmikrometers kann man die Größe dieser Abweichung, die sich, wie gleich ersichtlich sein wird, aus zwei Fehlern des Instruments, der Neigung und der Kollimation, zusammensetzt, messen. Wie schon erwähnt, muß die Achse des Instruments genau horizontal sein, und das Fernrohr oder genauer seine Absehenslinie genau senkrecht auf der Achse stehen. In Wirklichkeit sind diese Bedingungen jedoch nie erfüllt, vielmehr sind immer kleine Fehler vorhanden, die auch infolge von Temperaturveränderungen und Verschiebungen des Erdbodens und der Pfeiler durchaus nicht konstant sind, und daher vor jeder Beobachtung bestimmt werden müssen, um später in Rechnung gezogen zu werden. Die Abweichung der Umdrehungsachse von der horizontalen Lage, die sogen. Neigung des Instruments, wird mittels des Niveaus (Wasserwage) P, das mit zwei Armen auf die Zapfen gehängt wird, ermittelt. Dasselbe ist in der Abbildung sichtbar und scheint die freie Drehung des Fernrohrs zu beeinträchtigen, jedoch wird die Bestimmung der Neigung nur vor und nach einer Beobachtungsreihe vorgenommen, während der Beobachtung selbst verbleibt das Niveau an seinem Aufbewahrungsorte. Die Abweichung der Neigung der Absehenslinie gegen die Umdrehungsachse von 90°, der sogen. Kollimationsfehler, setzt sich aber mit dem Neigungsfehler der Achse zusammen zu dem Fehler der Absehenslinie gegen die vertikale Richtung, den man, wie bereits erwähnt, mittels des Quecksilberhorizonts bestimmt. Hat man also die Neigung ermittelt, so ist alsdann auch der Kollimationsfehler bestimmt. Dieser Fehler läßt sich auch noch auf andre Weise bestimmen, und es dienen dafür verschiedene Hilfseinrichtungen, die jedem M. beigegeben werden. Zunächst kann man mittels eines auf Schienen im Fußboden fahrbaren Umlegebocks das ganze Instrument aus seinen Lagern herausheben, aus den Pfeilern herausfahren, um die vertikale Achse des Bockes um 180° drehen und dann wieder in seine Lager hineinlegen, so daß das zuerst im O. befindliche Achsenende des Fernrohrs nunmehr im W. liegt, und zwar wird dann das Fernrohr, wenn es nicht genau senkrecht zur Umdrehungsachse steht, um den doppelten Betrag des Fehlers nach der entgegengesetzten Seite zeigen. Stellt man daher das Fernrohr in beiden Lagen auf eine feste terrestrische Marke ein und mißt mittels des beweglichen Fadens den Abstand derselben gegen den Mittelfaden, so wird die halbe Differenz der Einstellungen in beiden Lagen den Kollimationsfehler ergeben. Für eine weitere Bestimmung des Kollimationsfehlers dienen die Kollimatoren, zwei südlich und nördlich vom M. in gleicher Höhe mit der Achse des Meridiankreises in der Richtung des Meridians aufgestellte Fernrohre, die sich mit Hilfe von Niveaus genau horizontal stellen lassen und ihre Objektive dem M. zukehren. Der Würfel B des Meridiankreises hat nun an den nicht mit Ansatzstücken versehenen Seiten mit Deckeln verschließbare Öffnungen, durch die hindurch bei senkrechter Stellung des Fernrohrs die Kollimatoren auseinander gerichtet werden können. Die Kreuzungspunkte ihrer Fadennetze bilden eine feste gerade Linie, die ebenfalls die Ermittelung des Kollimationsfehlers des Meridiankreises gestattet. Man richtet nämlich das Fernrohr nacheinander auf beide Kollimatoren und mißt jedesmal die Entfernung des Mittelfadens des Meridiankreises vom Mittelfaden des Kollimators, die halbe Differenz der beiden Messungen ergibt dann den Kollimationsfehler. Man kann die Kollimatoren auch benutzen, um den Punkt des Kreises K zu ermitteln, welcher der horizontalen Stellung des Fernrohrs entspricht (den Horizontpunkt), indem man das Fernrohr so lange dreht, bis die Horizontalfäden des Kollimators und des Meridiankreises zusammenfallen, die zugehörige Ablesung des Kreises K gibt dann den Horizontpunkt. Dieser würde genau 90° vom Nadirpunkt abstehen, wenn das Fernrohr bei horizontaler Lage nicht infolge der Schwere eine kleine Durchbiegung erlitte. Man richtet deshalb das Fernrohr auch auf den andern Kollimator, und da die Wirkung der Schwere jetzt den entgegengesetzten Sinn hat, so ist das Mittel aus beiden Ablesungen von dem Einfluß der Schwere frei, während die halbe Differenz beider die Größe der Durchbiegung für die horizontale Lage des Fernrohrs gibt; daraus läßt sich dann die kleine Veränderung berechnen, welche die optische Achse des Fernrohrs bei beliebiger Neigung durch die Schwere erleidet.

Eine weitere Bestimmung des Horizontpunktes des Kreises wird ermöglicht unter Benutzung des Quecksilberhorizonts Q, der auf einem in der Richtung des Meridians fahrbaren Wagen aufgestellt ist. Das Spiegelbild eines hellen, den Meridian passierenden Gestirns erscheint bei Beobachtung im Fernrohr um denselben Winkel unter dem Horizont, um den das direkte Bild im Fernrohr über demselben erscheint. Die halbe Summe der Angaben des Kreises für die Beobachtung des reflektierten und des direkten Bildes des Sterns ergibt daher den Horizontpunkt, die halbe [633] Differenz die Höhe des Sterns über dem Horizont. Wie ersichtlich, lassen sich die Fehler des Meridiankreises auf verschiedene Weise bestimmen, es ist dies aber auch bei dem Hauptpräzisions-Instrument der praktischen Astronomie, mit dem die fundamentalsten Beobachtungen gemacht werden, für die Genauigkeit derselben unbedingt nötig.

Von größter Wichtigkeit für die Genauigkeit der Beobachtungen ist ferner die vollkommen kreisrunde Form der Zapfen der horizontalen Umdrehungsachse des Fernrohrs. Um sie prüfen zu können, enthält die Achse im Innern ein Fernrohr, und zwar befindet sich an dem einen Ende der Achse das Objektivglas und im Brennpunkte desselben am andern Ende eine auf eine Glasplatte photographierte kleine Scheibe. Beobachtet man nun dieses Scheibchen, während man das Fernrohr um seine Achse dreht, in einem in der Verlängerung dieser Achse aufgestellten Kollimatorfernrohr, so wird dasselbe entweder ruhend erscheinen, oder einen Kreis beschreiben, wenn die Zapfen genau kreisrund sind; im entgegengesetzten Fall muß man aus den zickzackförmigen Abweichungen den Einfluß auf die Messung berechnen.

Die Abweichung der Absehenslinie des Meridiankreises von der Meridianebene, der Azimutfehler, wird durch Beobachtung von Polsternen in oberer und unterer Kulmination bestimmt. Um aber etwaige kleine Veränderungen dieses Fehlers zu erkennen, sind in 145 m Entfernung von. der Sternwarte Meridianzeichen oder Miren aufgestellt, bestehend in einer Metallplatte mit seiner Durchbohrung, hinter der ein Spiegel steht, der beleuchtet wird. Die Lage des so sichtbaren Lichtpünktchens gegen die Fäden im Fernrohr wird mittels einer Mikrometerschraube gemessen. Um einer raschen Abnutzung der Zapfen der horizontalen Achse vorzubeugen, liegen dieselben nicht mit dem vollen Gewicht des Instruments in den Lagern, sondern es wird die Achse durch die mit Rollen versehenen Haken H, H unterstützt, die mit den Hebeln J, J' verbunden sind, an deren andern Enden Ketten, die Gewichte tragen, aufgehängt sind. Der Ring R dient als Handhabe bei der Drehung des Fernrohrs; L, N sind Klemmvorrichtungen zur Feststellung und Feinbewegung des Fernrohrs, G, G' Gegengewichte zu dem Ring R und den Klemmvorrichtungen; F ist ein Fernrohr mit schwacher Vergrößerung (Sucher) zur ersten Einstellung des Meridiankreises.

Um die Teilstriche des Kreises sowie die Fäden des Fadennetzes im Fernrohr bei Nacht sichtbar zu machen, wird durch ein System von Prismen und Spiegeln das Licht zweier Lampen auf die unter den Mikroskopen sichtbaren Stellen des Kreises sowie in das Innere des Fernrohrs geworfen, und zwar kann man hier beliebig das Fadennetz beleuchten, so daß dieses hell im dunkeln Gesichtsfeld erscheint, oder es läßt sich auch das Gesichtsfeld beleuchten, von dem sich dann das Fadennetz dunkel abhebt. Auch kann man bei Beobachtung lichtschwacher Sterne durch ein im Würfel befindliches Drahtnetz die Beleuchtung im Fernrohr abschwächen. Die größten Meridiankreise befinden sich auf den Sternwarten zu Paris (236 mm Öffnung), Kiel (217 mm), Washington (216 mm), Cambridge und Nizza (200 mm).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 632-634.
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