[204] Royer-Collard (spr. rŭajē-kollár), Pierre Paul, franz. Gelehrter und Staatsmann, geb. 21. Juni 1763 zu Sompuis in der Champagne, gest. 4. Sept. 1845, Advokat beim Pariser Parlament, wurde 1789 nach der Erstürmung der Bastille zum Mitglied der Munizipalität der Hauptstadt gewählt. Seine energische Opposition gegen die Anarchie erwarb ihm den glühendsten Haß der Jakobiner. Nach der Flucht des Königs schied er aus der Munizipalität, und nach dem Sturz des Thrones (10. Aug. 1792) floh er nach Sompuis, wo er sich verborgen hielt. Im Mai 1797 trat er in den Rat der Fünfhundert. Seit 1810 Professor der Philosophie an der Faculté des lettres, übte er bedeutenden Einfluß auf die Neugestaltung der französischen Philosophie, indem er die »doktrinäre« Schule[204] begründete. 1814 ernannte der König den treuen, aufrichtigen Royalisten zum Staatsrat und Generaldirektor des Buchhandels, 1815 zum Präsidenten der Kommission für den öffentlichen Unterricht. Gleichzeitig trat er in die Abgeordnetenkammer, wo er als eifriger Verteidiger des konstitutionellen Systems wirkte, was 1820 den Verlust seines Amtes zur Folge hatte. Er schloß sich nun offener der Opposition an und galt als das Haupt der Doktrinäre (s. d.). 1827 wurde er Mitglied der Akademie. Bei den Kammerwahlen von 1828 ward er von sieben Wahlkollegien zugleich gewählt und zum Kammerpräsidenten ernannt. Im März 1830 überreichte er Karl X. die berühmte Adresse der 221 Deputierten und trug dadurch zum Ausbruch der Julirevolution bei. Doch lag der Sturz der ältern Bourbonen durchaus nicht in seinem Plan. Bei der neuen Ordnung der Dinge zog er sich zurück. Vgl. Philippe, R., sa vie publique, etc. (Par. 1857); Barante, La vie politique de R. (3. Aufl., das. 1878, 2 Bde.); Spuller, R. (das. 1895). Sein Bruder Antoine Athanase, geb. 7. Febr. 1768, erwarb sich als medizinischer Schriftsteller einen Namen und starb 27. Nov. 1825 als königlicher Leibarzt und Professor der Medizin in Paris.