Stachel

[818] Stachel (Aculëus), bei Pflanzen im weitern Sinne jede mit einer starren, stechenden Spitze versehene Bildung. Stacheln treten bald nur als Anhangsteile fertig angelegter Organe an Blättern oder Stengeln auf (Haut- oder Trichomstacheln), oder sie entstehen durch Umwandlung von ganzen Blättern oder Blatteilen (Blatt- oder Phyllomstacheln), oder sie stellen selbständige, umgewandelte Sprosse (Kaulomstacheln) dar. Die letzten beiden Gruppen unterscheiden sich im allgemeinen durch ihre bestimmte morphologische, einem Blatt oder einem Sproß entsprechende Stellung von den Hautstacheln und werden besser gemeinsam als Dornen (s. Dorn) bezeichnet, während die Bezeichnung S. für die stechenden Hautgebilde reserviert bleibt. Die Hautstacheln sind bald einzellige Haarbildungen, bald vielzellige Gewebekörper oder Zwischenbildungen beider; sie sind meistens gefäßlos. Übergangsbildungen zwischen Haut- und Blattstacheln finden sich bei den Kakteen, deren Stacheln aus den Vegetationspunkten der Achselknospen wie wahre Blätter, jedoch ohne deren Entwickelungsfähigkeit, hervorgehen. Unter den Blattstacheln bilden sich einige durch Metamorphose von Nebenblättern (Robinie); andre gehen aus umgewandelten Blatteilen (Blauzahnstacheln, z. B. der Stechpalme) hervor, wieder andre entstehen durch Umwandlung eines ganzen Blattes (Berberitze); auch die in den Achseln von Laubblättern stehenden Stacheln von Citrus sind metamorphosierte Blätter des Achselsprosses (Blattdornen). Ebenso verschieden ist auch der Ursprung der Kaulomstacheln; es können überzählige Knospen (Genista) oder normale Achselknospen (Ononis) zu Dornen auswachsen. Bei vielen Arten von Crataegus und Prunus wandelt sich ein ganzer blatttragender Zweig in einen Dorn um. Auch kann umgekehrt ein Dorn wieder als blatttragender Zweig erscheinen. Auch der Hauptsproß[818] erzeugt unter Umständen, wie bei Rhamnus cathartica, durch Verholzung des Vegetationspunktes einen endständigen Dorn. Endlich können z. B. bei Palmen (Iriartea, Acanthorrhiza) und bei Myrmecodia auch Wurzeln unter Abwerfung oder Umbildung der Wurzelhaube verdornen (Wurzeldornen). Die Stacheln dienen als Schutzorgan der Pflanze gegen Angriffe weidender Tiere oder als Verbreitungsmittel, insbes. bei stacheligen Früchten, die im Haar- oder Federkleid von Tieren hängen bleiben und dadurch weiter transportiert werden. Stacheln und Dornen treten an der Pflanze meist da auf, wo sie am meisten des Schutzes bedarf; so sind z. B. manche Arten von Prunus und Pirus nur in jugendlichem Zustande bestachelt, solange sie von Weidetieren angegriffen werden können; auch bei Rosen und Brombeerarten sind die jungen Triebe am stärksten bewaffnet. Entweder sind die grünen Pflanzenteile selbst mit Stacheln und Dornen bewehrt, wie bei den Distelblättern zahlreicher Kompositen, Umbelliferen, den Nadelblättern vieler Koniferen und Gräser, wie Nardus und Festuca alpestris, deren Rasen das Weidevieh an den Nüstern verwunden, u. a., oder die Waffen sind nicht an den zu schützenden, sondern einem benachbarten andern Pflanzenteil angebracht, wie bei den Alhagigebüschen (Alhagi kirgisorum, Genista horrida), den Phryganagestrüppen (Villa spinosa, Koniga spinosa, Euphorbia spinosa u. a.), den fleischigen Nopalgewächsen (Kakteen und die ihnen habituell ähnlichen Euphorbiazeen), den Tragantsträuchern (Astragalus-Arten) Südeuropas und des Orients, deren Blattspindeln nach Abwerfen der Seitenfiedern einen Dornenkranz um die jüngern Zweige und Blätter herstellen, und den stachelstarrenden Polstern von Halimodendron, Ammodendron persicum und andrer Pflanzen der innerasiatischen Steppen, die an Stachelpflanzen außerordentlich reich sind. Vgl. Delbrouck, Die Pflanzenstacheln (Bonn 1875). – Bei Tieren ist der S. eine Waffe zur Verteidigung oder zum Angriff, aber auch zur Anbohrung von Pflanzen, Erdreich etc., um die Eier hineinzulegen (Legestachel). Besonders verbreitet ist er bei den Insekten (Bienen, Wespen etc.); häufig fließt durch ihn ein in besonderer Drüse bereitetes Gift in die Wunde (Giftstachel, s. Hautflügler); stets sitzt er bei ihnen am Ende des Hinterleibes, nie am Munde (die Steckvorrichtungen der Mücken, Wanzen etc. sind Mundteile, keine Stacheln). Beim Stachelschwein sind die Stacheln Haargebilde, bei Fischen umgewandelte Flossenstrahlen. Über die Stacheln der Stachelhäuter s. d. Vgl. Schutzeinrichtungen (mit Tafeln).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 818-819.
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