Trichinenkrankheit

[703] Trichinenkrankheit (Trichinose), eine Krankheit, die nach dem Genuß von mit lebenden Trichinen behaftetem Schweinefleisch eintritt. Die ersten Symptome hängen ab von der Gegenwart und Fortentwickelung der Trichinen im Magen und Darm, die weitern von dem Eindringen unzähliger Embryonen in die Muskeln, die letzten von der Beendigung der Wanderung und der allmählichen Beruhigung der Muskelreizung während der vor sich gehenden Einkapselung der Trichinen. Die aus trichinenhaltigem Fleisch durch den Magensaft befreiten, vorher eingekapselten Trichinen begatten sich im Darm am 2.–3. Tag und erzeugen am 6.–7. Tag zahllose Embryonen. Abgesehen von dem anfänglich schleichenden Verlauf oder den zuweilen beobachteten stürmischen choleraähnlichen Magendarmerscheinungen, klagen die Patienten in der Regel einige Stunden oder einen Tag nach dem Genuß trichinösen Fleisches über heftiges Magendrücken, über Aufstoßen und Übelkeit, verbunden mit dem Gefühl großer Mattigkeit und Abgeschlagenheit. Meist tritt einigemal Erbrechen schleimiger und galliger Massen ein. Vom siebenten Tage ab, dem Beginn der Einwanderung der Trichinenembryonen in die Muskeln, stellen sich, gleichviel ob deutliche gastrische Symptome vorangegangen waren oder nicht, vage Schmerzen, Gefühl von Steifsein und wassersüchtige Anschwellung des Gesichts, besonders der Augenlider, ein. Die Bewegungen werden nun bald sehr erschwert, da die Muskeln starr, unnachgiebig werden, beträchtlich anschwellen und äußerst schmerzhaft sind. Dabei besteht ein dem typhösen ähnliches, daher auch die Diagnose erschwerendes Fieber. Die Wanderung betrifft nur die Embryonen der im Darm befindlichen geschlechtsreifen Trichinen, die sich in die Darmschleimhaut einbohren und die Embryonen in diese absetzen. Besonders reichlich pflegen die letztern in die Beugemuskeln am Oberarm, in die Wadenmuskeln, das Zwerchfell und die Zwischenrippenmuskeln, ferner in die Augenmuskeln einzuwandern[703] Der Tod kann bei schweren Fällen an Zwerchfelllähmung oder an allgemeiner Erschöpfung eintreten und ist von der 2.–7. Woche zu befürchten. Leichte Trichinosefälle gelangen in einigen Tagen bis Wochen zur Genesung; in schwereren Fällen zieht sich die Krankheit 6–7 Wochen hin, ja manchmal vergehen mehrere Monate bis zur vollen Gesundung. Die Gefährlichkeit der Krankheit hängt ab von der Quantität der genossenen Trichinen, in einzelnen Epidemien stieg die Sterblichkeit bis auf 30 Proz. der Erkrankten. Wirksame Heilmittel der Trichinose sind bis jetzt nicht gefunden; Mittel, die auf die auf der Wanderung befindlichen und in die Muskeln eingedrungenen Trichinen wirken, fehlen ganz, und selbst für frische Fälle sind noch keine sichern Abführmittel für die im Darm vorhandenen Trichinen entdeckt worden.

Die Gefahr der T. läßt sich für den Menschen nur durch eine richtige Vorsorge abwenden. Die Schweine müssen möglichst vor der Infektion durch Trichinen bewahrt werden. Das Schwein erhält seine Trichinen durch Verschlucken der mit dem Kot andrer Schweine abgegangenen Darmtrichinen und Embryonen, außerdem durch das Fressen trichinösen Fleisches andrer Schweine, wie der Fleischabfälle vom Schweineschlachten. Es ist mithin notwendig, diese Abfälle und alles trichinenhaltige Fleisch durch anhaltendes Kochen unschädlich zu machen. Werden die Abfälle nur fortgeworfen oder leicht vergraben, so können sie von Ratten gefressen werden, und diese übertragen dann wieder die Trichinen auf die Schweine. Die Schweineställe müssen daher auch vor dem Eindringen von Ratten geschützt werden. Ein zweites Schutzmittel liegt in der obligatorischen mikroskopischen Untersuchung aller frisch geschlachteten Schweine. Da die Trichinen an gewissen Körperstellen, und zwar im Zwerchfell, den Zwischenrippen-, Hals-, Kehlkopf-, Kiefer- und Augenmuskeln und besonders an den Übergängen der Muskeln in die Sehnen stets am reichlichsten sich vorfinden, so wählt man solche Stellen zur Untersuchung. Man schneidet aus jedem dieser sechs Muskeln ein 2–3 cm langes Stückchen aus und fertigt von jedem Stückchen etwa fünf Präparate an, indem man kleine Teilchen zwischen Glasplatten bis zur Durchsichtigkeit quetscht und dann bei 40maliger Vergrößerung untersucht. Hat man in den 30 Präparaten keine Trichinen gefunden, so darf man auch die Ungefährlichkeit des Schweines annehmen. Vielfache Erfahrungen haben den Wert dieser obligatorischen Trichinenschau bestätigt. Wer wissentlich trichinenhaltiges Fleisch feilhält oder verkauft, verfällt nach dem deutschen Reichsstrafgesetzbuch (§ 367) in eine Geldstrafe bis zu 150 Mk. oder in Haftstrafe bis zu 6 Wochen, während es in der Regel als fahrlässige Tötung oder Körperverletzung zu bestrafen sein wird, wenn dadurch der Tod oder die Krankheit einer Person herbeigeführt wurde. Das letzte und sicherste Schutzmittel vor Trichinen besteht darin, daß man Speisen aus Schweinefleisch nur gehörig durchkocht oder durchbraten genießt. Kurze Einwirkung einer Wärme von etwa 56°, wie es bei dem sogen. Wellfleisch geschieht, tötet die Trichinen nicht, ebensowenig längere Einwirkung einer höhern Wärme von 75° und darüber auf dickere Stücke, so daß diese im Innern saftigrot bleiben. Letzternfalls werden nur die in den Außenteilen befindlichen Trichinen getötet, während die im Innern vorhandenen lebendig bleiben und beim Genuß eine Infektion vermitteln. Nur längeres Kochen und Braten nicht zu dicker Stücke bei mindestens 65–70° richtet die Trichinen sicher zugrunde. Ebenso sterben sie zweifellos nach einer zehntägigen Einpökelung des Fleisches in nicht zu großen Stücken ohne Hinzufügung von Wasser, 30 g Kochsalz auf 1 kg Fleisch gerechnet, sowie nach energischer Heißräucherung, bei der eine Temperatur von 65° erreicht wird. Dagegen ist ein schwächeres Pökeln, das den Trichinen weniger Wasser entzieht, sowie die Kalträucherung oder gar die Schnellräucherung, bei der die Schinken und Würste nur mit Holzessig oder Kreosot überstrichen werden, völlig wirkungslos. – Die T. ist als solche erst seit 1860 bekannt. Seitdem sind viele Trichinose-Epidemien festgestellt worden. Die Krankheit existierte auch schon früher, man schrieb sie aber einem vermeintlichen Wurstgift oder Schinkengift zu; ihre größere Häufigkeit in der Gegenwart erklärt sich aus der jetzigen Schnellräucherung und aus der Neigung, das Fleisch roh oder oberflächlich gebraten, saftig und blutigrot zu genießen. Vgl. Wolff, Untersuchung des Fleisches auf Trichinen (8. Aufl., Bresl. 1896) und die Schriften gleichen Inhalts von Johne (10. Aufl., Berl. 1907), Long und Preuße (7. Aufl., das. 1906); Heller, Invasionskrankheiten (in Ziemssens »Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie«, 3. Bd., 2. Aufl., Leipz. 1876); Mosler und Peiper, Tierische Parasiten (2. Aufl., Wien 1904) sowie Literatur zu »Trichine« (S. 703).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 703-704.
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