Trinkgefäße

[722] Trinkgefäße, aus Ton, Metall, Glas und andern Materialien hergestellte Gefäße, deren Grundformen der tiefe Napf, die flachere Schale und der zylindrische Becher sind. Wie noch heute bei den Naturvölkern ausgehöhlte Kürbis- oder Melonenschalen, Kokosnüsse u. dgl. als T. dienen, so wird auch bei den Urvölkern der aus ähnlichen Stoffen hergestellte Napf das erste Trinkgefäß gewesen sein, der bei wachsender Kultur oder in Gegenden, wo derart natürliche T. nicht vorhanden, als Ersatz für die Höhlung der Hände, aus Tonerde geformt und gebrannt wurde, woraus dann durch Hinzufügung eines Fußes die Schale entstand. Schon in vorgeschichtlichen Zeiten kommt die rohe Form der Tasse (s. d.) vor. Schale und Becher sind die T. in den Homerischen Gedichten. Zu einem Trinkgefäß (Trinkschädel) hergerichtete Menschenschädel werden in vorgeschichtlichen Fundstätten hier und da angetroffen (Byciskálahöhle in Mähren). Die Sitte, aus den Schädeln der Feinde zu trinken, war im Altertum bei vielen Völkern (Kelten, Langobarden, Bojern und Skordiskern) verbreitet. In dem Maß, als sich die Tonbildnerei und Metallotechnik der Griechen entwickelten, nahmen die T. die mannigfaltigsten Formen an: Kantharos, Karchesion, Kyathos, Kylix, Phiale und Skyphos sind die Hauptnamen für Becher und Schalen zum Trinken (s. die einzelnen Artikel, vgl. auch Keramik und Vasen). Die Römer trieben einen besondern Luxus in Trinkgefäßen aus Edelmetall und Kristall. Silberne Becher aus römischer Zeit haben sich noch erhalten (s. Hildesheimer Silberfund). Goldbecher kommen im Funde von Nagy-Szent-Miklos aus der Zeit der Völkerwanderung vor. Im Mittelalter war bei feierlichen Gelegenheiten der Pokal das bevorzugte Trinkgefäß, ein auf mehr oder minder hohen, gegliederten Fuß gestellter Becher mit oder ohne Deckel, während im gewöhnlichen Gebrauch Humpen, Krug, Kanne und Becher aus Steinzeug, Fayence, Zinn und Silber die üblichen T. waren. Im 17. Jahrh. wurden in Gold gefaßte Straußeneier und Muscheln als Pokale verwandt; auch nehmen die T. die Form von Tieren, auch von Handwerkszeug an, wie sie für die verschiedenen Innungen charakteristisch sind, z. B. der Ochse in der Fleischerinnung, der Fingerhut für die Schneider. Die Ausbildung der Glasindustrie brachte neue Formen der T. auf, die man unter dem allgemeinen Namen Gläser begreift. Vgl. Tafel »Glaskunstindustrie I«, Fig. 7, 11 und 15, und Tafel II. Die Formen wurden später durch die Flüssigkeit bedingt, für welche die T. bestimmt waren. Näheres über die verschiedenen Formen der T. (Humpen, Paßglas, Pokal, Römer, Stengelgläser, Trinkhorn, Willkomm etc.) findet man in den betreffenden Artikeln. Vgl. auch Schankgeräte.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 722.
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