[722] Trinkgelage, festliche Vereinigung zum Zwecke des geselligen Genusses geistiger Getränke. Bei den Griechen begann das T. (symposion) nach der Beendigung des eigentlichen Festmahls (s. Gastmahl), wenn der Nachtisch aufgetragen und dem guten Geist ein Trankopfer dargebracht worden war. Getrunken wurde nur ein im Mischgefäß (Krater) mit warmem oder kaltem Wasser im Verhältnis von 1:3 oder 2:3 verdünnter, auch mit Schnee gekühlter Wein. Aus dem Krater wurde dann das Getränk mit dem Schöpfer (oinochoë) in die Becher gefüllt. Rote, weiße und gelbe Weine wurden miteinander gemischt, namentlich magere, aber bukettreiche Weine mit fetten, auch wurden Würzen oder Honig oder sogar Wohlgerüche zugesetzt. Auch Obstweine wurden genossen. Die Leitung des Gelages und der dabei stattfindenden Unterhaltungen, unter denen das Kottabosspiel (s. d.) besonders beliebt war, übernahm ein von der Gesellschaft gewählter oder durch das Los (bez. Würfel) bestimmter Vorsteher (Symposiarch, basileus, archon tes poseos, der auf Sizilien mnamon hieß). Dieser überwachte die Trinkordnung und brachte die Gesundheiten aus. Auch das Zutrinken zur Rechten um den Tisch herum (epi dexia) und das Vortrinken von Person zu Person waren gebräuchlich. Nicht minder mußte Straftrunke leisten, wer die vom Symposiarchen gestellten, oft scherzhaften Aufgaben, Rätsel und Fragen oder allerlei schwer ausführbare Kunststückchen nicht löste. Bei diesen Gelagen herrschten große Ungezwungenheit des Tones und geistreiche, witzige Unterhaltung. Zur Erhöhung des Genusses traten Flöten- und Zitherspielerinnen (Kitharistinnen) auf, jugendliche Sklaven produzierten mimische Darstellungen. und selbst Gaukler und Gauklerinnen wurden herbeigezogen. In Rom wurde die Abhaltung besonderer T., die sich ebenfalls an die Hauptmahlzeit (coena) anzuschließen pflegten, erst allgemeiner, als die Römer griechische Sitten angenommen hatten, und man hielt sich dann ziemlich streng an das griechische Vorbild. Beliebt war das ad numerum bibere, wobei man so viele Becher leerte, als der Name des zu Feiernden Buchstaben enthielt, oder so viele Lebensjahre man ihm wünschte. Das in der Runde Trinken (circumpotatio) artete namentlich bei den Leichenschmäusen derartig aus, daß dieser althergebrachte Brauch durch besondere Gesetze der Dezemvirn verboten wurde. Während des Gelages spendete man den Göttern zahlreiche Libationen. Um den Durst zu reizen, wurden pikante Leckerbissen (bellaria) serviert. Eigentümliche T. finden im Orient, namentlich in der Türkei, statt und zwar vor dem Abendessen bei Gelegenheit des Servierens eines appetitreizenden Imbisses (TschakmakZechen). Man trinkt, da Wein den Gläubigen verboten ist, nur Branntwein (Raki oder Mastika), erst mit Wasser verdünnt, nach und nach aber immer ungemischter, und diese mit dem unschuldigen Titel eines Imbisses belegten Gelage werden oft stundenlang fortgesetzt und arten schließlich zu wüsten Saufereien aus. Die schiitischen Perser huldigen aber dem Wein. Ein Zechgelage in Persien (Bewirtung, mihmani) wird im Enderun (Harem) abgehalten und zwar nach dem Nachtmahl. Die persische, von Mirza Schaffy[722] besungene Trinketikette beschränkt sich im wesentlichen darauf, daß der Trinker sich hüten muß, den Bart beim Trinken zu benetzen sowie Kleider und Fußboden mit vergossenen Wein zu verunreinigen. Auch diese nur in höhern Gesellschaftskreisen üblichen Gelage arten zu wahren Orgien aus. Bei den Deutschen waren T. schon in den ältesten Zeiten üblich. Sie hatten zugleich eine religiöse Grundlage. Der heil. Kolumban traf im 7. Jahrh. um eine große Bierkufe gelagerte Germanen, die erklärten, ihrem Merkur (Wodan) zu opfern, ähnlich wie die Chewsuren im Kaukasus (nach Radde) noch heute ihre Götter durch Trinken ihres heiligen Bieres verehren und bei Persern und Indern das Haoma- und Somatrinken religiöser Brauch war. Die Seligkeitsvorstellung der Germanen knüpfte wesentlich an die Vorstellung froher Gelage in Walhalla an, wobei die Helden Met tranken und Odin Wein. Bei den irdischen Trinkfesten wurden den Göttern zahlreiche Gedächtnisbecher (Minnebecher) gewidmet: der erste zu Ehren Odins, der zweite zu Ehren Thors und der Freyja, der dritte zum Gedächtnis berühmter Helden (Bragakelch) und der vierte zum Andenken abgeschiedener Freunde. Schon zu Anfang des 6. Jahrh. war diese Sitte ganz allgemein. In gefüllten Bechern brachte man sich die durch die Sitte vorgeschriebenen Höflichkeiten dar: Willkommen, Valettrunk, Ehrentrunk, Rund-, Kundschafts- und Freundschaftstrunk. Hieran schloß sich das nach ganz bestimmten Regeln geordnete Zu- und Vortrinken, das Wett- und Gesundheittrinken (s. d.). So pflanzte sich die Sitte festlicher T. bis zum Mittelalter fort; sie wurden abgehalten in den Burgen, in den Festsälen der Städte, an den Höfen und selbst auch in den Refektorien der Klöster. Eine große Leistung, z. B. die dem Ritter Boos von Waldeck zugeschriebene Leerung eines mit Wein gefüllten Reiterstiefels auf einen Zug, wurde mit Pfründen oder Entsatz (im Rothenburger Festspiel) belohnt, und zum Andenken daran bekamen die großen Humpen oft Stiefelgestalt, woher die Redensart einen guten Stiefeltrinken. Über das Trinken bestanden ganz bestimmte, durch Trinkordnungen festgestellte Gesetze, z. B. die Hoftrinkordnung des sächsischen Kurfürsten Christian II. Besonders berühmt waren die Zechgelage am Hofe Augusts des Starken, wo die sächsischen Kavaliere die Aufgabe hatten, ihre polnischen Standesgenossen unter den Tisch zu trinken. In den slawischen Ländern war es noch ärger, und die Aufzeichnungen des Ritters Hans von Schweinichen enthalten erbauliche Dinge darüber. Eine eigentümliche Abart bilden die studentischen Zechgelage; besonders die Universität Tübingen war durch Handhabung von Trinkregeln berühmt. Vorzügliche Gemälde von Trinkgelagen jener Zeit gaben Michael Moscherosch (»Gesichte Philanders von Sittewalt«) und Hans Sachs in seinem Gedicht »Wer erstlich hat erfunden das Bier«. In der Gegenwart werden eigentliche T., d. h. Festversammlungen, bei denen das Trinken Alleinzweck ist, mit Ausnahme der Studenten-, Professoren- und Alteherrenkommerse, nicht mehr abgehalten, aber die englische Sitte, daß die Damen nach dem Diner den Tisch verlassen, während die Herren zum fröhlichen und starken Zechen beisammen bleiben, kommt ihnen nahe. Vgl. Schultze, Geschichte des Weins und der T. (Berl. 1868); Samuelson, History of drink (2. Aufl., Lond. 1880); Rogers, Drinks, drinkers and drinking (Albany 1881); Grässe, Bierstudien (Dresd. 1872); Bennert, Trinkkunst (Köln 1894); M. Bauer, Der deutsche Durst (Leipz. 1903).