Brownianer

[347] Brownianer, Anhänger des Brownianismus (Brownismus), des von John Brown (s.d. 7) 1780 zuerst bekannt gemachten neuen Systems der Medicin, welches in Deutschland erst 10 Jahre nach seiner Erscheinung verbreitet ward, aber hier weit mehr Anhänger als in Eugland fand u. zur Erregungstheorie umgestaltet ward. Fundamentalsätze: das Leben beruht auf einem, dem lebenden Körper eigenthümlichen Vermögen, der Erregbarkeit, u. gewissen, auf diese einwirkenden Potenzen (Reizen). Das Resultat des Einflusses der letzteren auf die Erregbarkeit, der Reizung u. der Rückwirkung der Erregbarkeit, ist die Erregung. Die Reize sind entweder äußere, wie die Wärme u. Kälte, Nahrungsmittel, die Luft etc.; od. innere, nämlich Verrichtungen des Organismus. Ferner sind die Reize entweder allgemeine od. örtliche. Die Erregbarkeit ist gleichmäßig durch den ganzen Körper verbreitet u. hat ihren Sitz vorzüglich im Nervenmark u. in der Muskelsubstanz. Die Reize sind nur quantitativ, nicht qualitativ verschieden, u. es gibt daher auch nur quantitative Verschiedenheiten der Erregung. Da nun die Erregbarkeit für sich nicht thätig zu sein vermag u. es hierzu immer der Reize bedarf, so erscheint das Leben nur als ein durch äußere Kräfte erzwungener Zustand. Die Gesundheit wird durch einen mittleren Grad von Reizung, Krankheit durch einen zu starken od. zu schwachen hervorgebracht. Beide sind daher, weil sie gleiche Ursachen haben, keine verschiedenartigen Zustände. Den allgemeinen Krankheiten geht stets eine Anlage dazu (Opportunität), ein Mittelzustand zwischen Gesundheit u. Krankheit, vorher. Krankheiten der Säfte gibt es nicht, weil diese nicht als Theile des Organismus, sondern als nothwendige Reize für denselben betrachtet werden. Wirken die [347] Reize in stärkerem Grade u. in größerer Menge, als es im gesundheitsgemäßen Zustande geschieht, auf die Erregbarkeit ein, so folgt eine stärkere Erregung (Sthenie), welche die eine Hauptklasse der Krankheiten, die stheuischen, ausmacht, in welchen alle Verrichtungen mit größerer Lebhaftigkeit von Statten gehn; ist dagegen die Erregung zu gering, weil einzelne Reize entweder völlig fehlen od. schwächer wirken, wobei die Erregbarkeit angehäuft wird, so resultirt daraus die wahre od. eigentliche Schwäche, directe Asthenie. Die Schwäche der Erregung kann aber auch eine Folge zu heftiger Reizungen sein, wodurch die Erregbarkeit erschöpft wird, so daß dann selbst Reize des mittleren Grades sie nicht mehr in Thätigkeit zu setzen vermögen, womit der Zustand der uneigentlichen Schwäche od. indirecten Asthenie gegeben ist. Beide Formen der Asthenie bilden die 2. Hauptklasse der Krankheiten, die der asthenischen, welche in direct u. indirect asthenische zerfallen. Da die Krankheit ihre Wurzel nur in einer fehlerhaften Erregung hat, so muß auch die Heilung gegen diese gerichtet sein. Die Natur ist nicht im Stande, Krankheiten zu heilen, weil sie ohne die Reize völlig unwirksam ist, u. es ist dies nur der Kunst durch Veränderung derselben möglich. Die Hauptaufgabe der Heilung ist bei sthenischer Beschaffenheit die Erregung zu vermindern, bei asthenischer sie zu vermehren. Das Geschäft des Arztes besteht daher in nichts weiter, als zu schwächen u. zu stärken. Die Arzneimittel zerfallen in schwächende (antisthenische) u. stärkende (sthenische), sind in ihren Wirkungen nur quantitativ verschieden u. müssen immer so gewählt werden, daß der Grad ihrer Wirkung der dem, in der Krankheit bestehenden Zustande entgegengesetzte ist. Daher verlangen die sthenischen Krankheiten antisthenische, die asthenischen sthenische Arzneipotenzen. Bei aller scheinbaren Einfachheit u. Consequenz konnte der Brownianismus nicht vor dem Richterstuhle der reinen Erfahrung bestehn, weil viele seiner Grundsätze nicht mit dieser harmoniren (namentlich die einseitige, auf das Qualitative nicht Rücksicht nehmende Klassificirung der Lebenskräfte) u. auch die Brownsche Praxis sich vielfach sehr verderblich zeigte. Dennoch wurde es auch von sehr wohlthätigem Einflusse dadurch, daß es das Leben mehr von der dynamischen Seite auffaßte u. die rein materiellen Ansichten desselben verdrängte. Von den Schriften über den B., außer Browns eigenem Werke, sind die wichtigsten: Weikard, Erläuterung u. Bestätigung der Brownschen Arzneilehre, Frkf. 1807; Desselben Medicinisch-praktisches Handbuch auf B-sche Grundsätze u. Erfahrung gegründet, Heilbr. 1796 f., 3 Thle.; Desselben Magazin der verbesserten Arzneikunst für Freunde u. Feinds der neuen Lehre, Heilbronn 1796 f., 4 St.; Marcus, Prüfung des B-schen Systems durch Erfahrungen am Krankenbette, Weim. 1797 bis 1799, 4 St.; Frank, Erläuterung der B-schen Arzneilehre, Heilb. 1808; Girtaner, Darstellung des B-schen Systems, Gött. 1797 f., 2 Bde.; Röschlaub, Von dem Einflusse der B-schen Theorie in die praktische Heilkunde, Würzb. 1798; Desselben Untersuchungen über Pathogenie, Frkf. 1798 bis 1800, 3 Thle., 2. Aufl. 1800–1803; Desselben Magazin zur Vervollkommnung der theoretischen u. praktischen Heilkunde, ebd. 1799–1807, 10 Bde.; Hartmann, Analyse des B-schen Systems, Wien 1802, 2 Thle.; Pfaff, Revision der Grundsätze des B-scheu Systems, Kopenh. 1805.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 347-348.
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