Neiße [2]

[774] Neiße, 1) Fürstenthum im Regierungsbezirk Oppeln der preußischen Provinz Schlesien, der größere Theil zu Preußisch- u. der kleinere zu Österreichisch-Schlesien gehörig; jener enthält 24 QM. mit 110,000 (Hauptstadt N.), u. dieser 16 QM. mit 57,000 Ew. (Hauptstadt Jauernik). Das ganze Fürstenthum grenzt an die schlesischen Fürstenthümer Münsterberg, Brieg u. Oppeln, den österreichischen Kreis Troppau, an Mähren u. die Grafschaft Glatz; ist südlich eine durch einzelne Höhenzüge mit dem Mährischen u. Glatzer Gebirge zusammenhängende, wellenförmige Ebene (Spitze: Bischofskuppe); im preußischen Antheile meist eben u. fruchtbar, im österreichischen gebirgig; bringt Getreide, Flachs, Wald u. Vieh. Seit 1810 hat das preußische Fürstenthum N. aufgehört, Mediatbesitzung des Erzbischofs von Breslau zu sein, u. ist nun königliches Fürstenthum, unter die zwei Kreise N. u. Grottkau des Regierungsbezirks Oppeln vertheilt; die Geschichte s. Schlesien (Gesch.); 2) preußischer Kreis, aus einem Theile dieses Fürstenthums gebildet; 14 QM., 83,600 Ew.; ist eben u. hügelig, fruchtbar, hat Viehzucht, Gewerbe u. wird von der N. u. Biele bewässert; 3) Kreisstadt darin, an beiden Ufern der Neiße in sumpfiger Gegend, unweit des Einflusses der Biele in die Neiße u. an der Zweigbahn Brieg-N. der Oberschlesischen Eisenbahn; ein besonderer Graben der Biele wird in zwei Armen durch die Stadt geleitet u. dient theilweise zur Bewässerung der Festungsgraben. N. ist Festung ersten Ranges; die Stadt ist durch einen Hauptwall mit zehn Bastions u. einer Faussebray befestigt; vor den Curtinen liegen Ravelins, Tontregarden u. Lünetten, welche zum Theil einen völligen Mantel bilden, u. bes. östlich der Stadt unterhalb der Neiße ein System von Außenwerken. Auf dem linken Ufer der Neiße, etwa 1200 Schritte von derselben, liegt dominirend das Fort Preußen, ein tenaillirtes reguläres Fünfeck, welches durch ein eben solches Werk umschlossen ist, mit Tontregarden, Ravelins u. nach der feindlichen Seite noch fünf detachirte Lünetten. Westlich vom Fort Preußen hält die Kaninchenredoute die nahe Höhe fest, zwischen ihr u. Fort Preußen liegt eine Batterie, welche mit beiden durch eine eigene gedeckte Communication zusammenhängt. Eine gleiche doppelte Communication läuft vom Fort Preußen divergirend nach der Neiße herab u. schließt die Friedrichstadt ein. Innerhalb dieser Communication (hohes Retranchement) ist ein verschanztes Lager für etwa 10,000 Mann. Die Hauptstärke N-s besteht aber in Überschwemmungen, mit der mittelst der Anspannung der Neiße u. der Biele die östliche u. westliche Gegend der Stadt (westlich bis an die Höhe, auf welcher die Kaninchenredoute u. die casemaliirte Batterie liegt) unter Wasser gesetzt werden kann. Das Inondations-Retranchement sichert den niedrig gelegenen Theil der Friedrichsstadt vor Überschwemmung. N. als Festung ist gegen Österreich gerichtet, von hier[774] aus beginnen zwei Straßen über die Sudeten, die nach Zuckmantel u. die nach Troppau, welche sich bei Jägerndorf vereinigen. N. hat (im sonstigen bischöflichen Palast) Fürstenthumsgericht, 7 katholische Kirchen (große gothische Pfarrkirche, Kreuzkirche), 2 evangelische Kirchen (eine früher Franciscanerkirche, die andere der frühere Fürstensaal), Synagoge, Archipresbyteriat, 2 Hospitäler, katholisches Gymnasium, Realschule, beide mit Bibliotheken, bedeutende Gewehrfabrik u. Artilleriehandwerksstätte, Pulvermühle, Leinenfabrikation, Baumwollenspinnerei, Strickgarn- u. Zwirnfabriken, Färbereien, Bierbrauereien, Gemüsebau, Getreide- u. Garnmärkte, 2 Buchhandlungen, 3 Buchdruckereien, 2 Steindruckereien, Freimaurerlogen zur weißen Taube u. zu den 3 Lilien; 13,000 Ew. (2000 Protestanten) ohne Garnison (5000 Mann). Auf dem nahen Kapellenberge steht ein 1816 errichteter Obelisk. Vor der Stadt ist ein Mineralbad: Heinrichsbrunnen. – N. wurde 1284 vom Herzog Heinrich IV. verwüstet; 1621 vom Herzog von Jägerndorf, 1632 von den Sachsen u. 1642 von den Schweden erobert, 1741 von Friedrich dem Großen belagert, jedoch erst durch den Breslauer Frieden an ihn übergeben u. von ihm sehr befestigt; 1758 von den Österreichern belagert, wurde es von Friedrich II. entsetzt. 1769 besuchte Joseph II. hier König Friedrich II. 1807 wurde N. von den französischen u. Rheinbundstruppen belagert u. capitulirte den 1. Juni u. wurde am 16 Juni übergeben. Vgl. Kastner, Geschichte der Stadt N., Neiße 1854.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 774-775.
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