Nestorianer

[800] Nestorianer, Ketzerpartei der Morgenländischen Kirche, seit dem 5. Jahrh., genannt nach ihrem angesehensten Führer Nestorius, welcher aus Germanikia in Syrien gebürtig, von Theodor von-Mopsuestia in Antiochien gebildet war u. später daselbst Mönch u. Presbyter u. 428 Patriarch von Constantinopel wurde. Ein ihn begleitender Presbyter, Anastasius, bekämpfte öffentlich die in Constantinopel gewöhnliche Bezeichnung der Maria als Θεοτόκος (Gottesgebärerin) u. wurde in dem dadurch erregten Streite bald für einen Läugner der Gottheit Christi erklärt. Da Nestorius sich seiner annahm, die beiden Naturen in Christo sorgfältig auseinander hielt u. die Maria nur Χριστοτόκος (Christusgebärerin) genannt wissen wollte, so gerieth er darüber in Streit mit Cyrillus, Patriarch von Alexandrien, welcher die vollkommene Vereinigungbeider Naturen (Φυσικὴ ἕνωσις) behauptete u. durch eine besondere Schrift an den Kaiser: Περὶ τῆς ὀρϑοδόξου πίστεως (über den rechten Glauben), wiewohl vergebens, denselben für sich zu gewinnen suchte. Cyrillus u. Nestorius berichteten darauf, Letzter in Griechischer Sprache, an den derselben unkundigen römischen Bischof Cölestius, welcher auf einer Synode zu Rom 430 die Lehre des Nestorius verdammte u. ihn selbst excommunicirte, obwohl er selbst später den Ausdruck: Θεοτόκος κατὰ σάρκα, (Gottesgebärerin nach dem Fleische), für zulässig erklärte. Als aber Cyrillus in seinen 12 Anathematismen (Widerrufungsformeln), welche er auf einer Synode zu Alexandria dem Nestorius vorschrieb, den Alexandrinischen Lehrsatz im Gegensatz zum Antiochischen ganz auf die Spitze trieb u. darin zwei wirkliche Naturen Christi ganz zu läugnen schien, sahen die syrischen Bischöfe darin eine Hinneigung zum Monophysitismus u. verbanden sich fester mit Nestorius, welcher 12 heftige Gegenanathematismen aufstellte. Zur Entscheidung des Streites berief nun Kaiser Theodosius II. 431 ein Concil nach Ephesus (das dritte Ökumenische), wo Cyrillus, in Verbindung mit dem leidenschaftlichen Memnon, Bischof von Ephesus, gegen den Rath des vermittelnden Abtes Isidorus von Pelusium, mit 50 Bischöfen seiner Ansicht, noch vor der Ankunft der Syrer, gleich in der ersten Sitzung, im Widerspruch mit den kaiserlichen Gesandten, den gar nicht erscheinenden u. gegen jeden Beschluß protestirenden Nestorius ungehört verdammte. Erbittert darüber erklärten die syrischen Bischöfe unter Johannes von Antiochien auf einer besonderen, sogleich nach ihrer Ankunft gehaltenen Versammlung jene Beschlüsse für nichtig, Cyrills Lehre für ketzerisch u. ihn mit Memnon für excommunicirt u. entsetzt. Indeß wußte es dieser, bes. durch Bestechung u. durch kluge Benutzung des Hasses der Pulcheria gegen Nestorius, dahin zu bringen, daß er selbst freigesprochen, Nestorius aber entsetzt u. in sein Kloster verwiesen wurde, was dieser selbst, der Ränke müde, vom Kaiser erbeten hatte. Die vom Kaiser versuchte Vereinigung beider Parteien auf dem Concil zu Chalcedon 432 war erfolglos, u. die Gegensätze traten nur noch schärfer hervor. Da man den Frieden zu wünschen anfing, so kam es zwar endlich dahin, daß, während Cyrillus 433 ein von dem Bischof zu Antiochien entworfenes Glaubensbekenntniß unterzeichnete, worin er Christo zwei Naturen zugestand, die antiochischen Bischöfe in das gegen Nestorius ausgesprochene Anathema einwilligten. Allein im Grunde wollte sich hierbei doch keine Partei beruhigen. Die Morgenländer, bes. Theodoretus von Cyrus, Alexander von Hierapolis u. Meletius von Mopsuestia, sahen darin einen Verrath an der Wahrheit u. an Nestorius u. mißbilligten laut diese Nachgiebigkeit ihrer Partei, u. Cyrillus wollte, unterstützt non dem wüthenden Bischof Rabulas von Edessa, auch den Lehrer des Nestorius, Theodor von Mopsuestia, noch im Grabe mit dem Anathema belegen. Als Cyrills Partei in einigen Punkten Nachgiebigkeit heuchelte, erklärte der Kaiser die Standhaftigkeit der Antiochier für strafbaren Eigensinn, verfolgte sie u. entsetzte den Meletius u. Alexander. Nestorius selbst wurde durch den Haß seiner Feinde aus dem Kloster in eine ägyptische Oase verwiesen u. dann in der Thebais von einem Verbannungsort zum andern geschleppt, bis er um 440 starb.

Die Nestorianische Partei dauerte indeß, gestützt auf ihre theologische Schule zu Edessa, fort u. erwarb durch die Thätigkeit des spätervertriebenen, aber 435 zum Bischof zu Nisibis erhobenen Barsuma neue Wohnsitze, indem dieser den pers. König Firuz vermochte, die Griechischen Christen aus seinem Reiche zu vertreiben u. die von Rom völlig unabhängigen N. in dasselbe aufzunehmen. Zugleich gründete er in Ktesiphon (Seleukia) ein eigenes Patriarchat für dieselben u. in Nisibis eine Pflanzschule für tüchtige Geistliche. In dem neuen Vaterlande begründeten die N. ihre eigene kirchliche Verfassung. Obgleich sie den Nestorius als einen Heiligen verehrten, so behaupteten sie doch, ihre Lehre sei viel älter als er, nannten sich auch nicht N. (so nur von ihren Gegnern genannt), sondern Chaldäische Christen von ihrem früheren Wohnsitz u. der Chaldäischsyrischen Kirchensprache. In ihrem Hauptdogma selbst waren sie Anfangs nicht ganz einig; die eine Partei lehrte, daß man über die Art u. Weise der Vereinigung zweier Naturen in Christo nichts Näheres wissen könne; die andere glaubte, daß gar keine andere Vereinigung, als die des Willens, der Thätigkeit u. der Würde möglich sei. Auf dem Concil zu Seleukia um 500, unter dem Katholikus od. Jacelich (diesen Namen führte nun der Patriarch) Babbäus, wurde diese Differenz beigelegt u. bestimmt: Christus habe aus zwei Personen, jedoch nur in einer sichtbaren Gestalt, bestanden u. die Vereinigung nur auf den Willen beruht, Maria aber sei blos Christnsgebärerin (vgl. Eutychianer u. Monophysiten). Auch in der Reichskirche hatten die N. immer noch ihre Vertreter, bes. durch den Bischof Ibas von Edessa u. Theodoretus. Im folgenden Jahrhundert verbreitete sich die Lehre dieser neuen Kirchengemeinschaft nach Ägypten, Syrien, Arabien, Indien, ja selbst in die Tatarei u. nach China, wo sie viele Gemeinden gründeten. Noch günstiger, als unter persischer, gestaltete sich ihr Loos unter arabischer Herrschaft. Ihr Patriarch Iesuzabes schloß erst mit Muhammed u. dann mit Omar einen förmlichen Vertrag, u. die N. stiegen zu hohen Staatsämtern. Drückend jedoch wurde ihre Lage im 10. Jahrh. Im 13. Jahrh. machten einige römische Päpste, bes. Innocenz IV. u. Nikolaus IV.,[800] vergebliche Versuche, sie mit der Römischen Kirche zu vereinigen. 1551 zerfielen sie über der Wahl eines neuen Bischofs, indem ein Theil den Simeon Barmas, der andere den Sulakas forderte, welchen der Papst Julius III. 1553 unter dem Namen Johannes geweiht u. zugleich mit einem Legaten gesandt hatte. Die in Indien wohnenden N., die sogenannten Thomas-Christen, wurden vorzüglich von Alexius Menezius verfolgt, man sie dem Päpstlichen Stuhle zu unterwerfen. Dennoch behauptete die Römische Kirche, daß sich die N. dem Papst mehrmals unterworfen haben, bes. soll dies 1274 unter Eugen III., welchem ein Nestorianischer Bischof von Nisibis sein Glaubensbekenntniß nach Rom gesandt habe, ferner unter Eugen IV., wo sich der Metropolitan Timotheus u. And. zum Concil zu Florenz begaben, unter Julius II., welcher den Mönch Simon Salacha zum Patriarchen in Mesopotamien einsetzte, unter Pius IV. u. Paul V. geschehen sein. Allein nur ein Theil der N. hat sich mit der Römischen Kirche unirt, welcher in neuerer Zeit blos mit dem Namen der Chaldäischen Christen bezeichnet wird, während die nicht-unirten noch N. genannt werden. Diese unterscheiden sich bes. dadurch, daß sie nur drei Sacramente (Taufe, Abendmahl u. Ordination) annehmen u. ihren Geistlichen die Verheirathung gestatten. Die frühere wissenschaftliche Bildung ist mit der des Morgenlandes überhaupt gesunken. Noch 1833 fanden amerikanische Missionäre Spuren der N. in Kurdistan, von denen sich indeß ein Theil der Päpstlichen Kirche angeschlossen hatte. Vgl. Cassianus, De incarnatione Christi adversus Nestorium; Liberatus, (Archidiakonus in Carthago um 550), Breviarium causae Nestorian. et Eutychian., herausgeg. von Garner, Par. 1675; A. Grants, The Nest., 1841 (deutsch Basel 1843); G. Percy Badger, The Nestorians and their Rituals, Lond. 1852, 2 Bde.; Baur, Über die Dreieinigkeit, u. Dorner, Von der Person Christi, 1853.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 800-801.
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