Seiltänzer

[797] Seiltänzer, 1) gymnastische Künstler, welche allerhand schwierige Bewegungen produciren, auf dem Kopfe stehen, balanciren, Burzelbäume schießen, sich überschlagen, auf den Händen gehen, u. vorzüglich auf dem scharf angespannten Seile mit u. ohne Balancirstange tanzen u. die genannten, sowie allerhand andere Künste ausführen. Schon den Griechen in späterer Zeit waren die S. (Schönobatä) bekannt, doch um vieles höher stand diese Kunst (Schönobatik) bei den Römern, wurde aber nur von Sklaven geübt; man unterschied Funambuli, welche auf starken Seilen, u. Neurobatae, welche auf dünnen Seilen tanzten, u. welche man, da diese Seile in der Entfernung wegen ihrer Dünne nicht mehr gesehen worden, Lufttänzer (Viatores aërei, Aërobatae) nannte. Bes. zeigten sie ihre Künste bei den Säcularischen Spielen, wo ein dickes, abwärts laufendes Seil (Catadromus) dazu auf dem Theater ausgespannt war. Weil aber bisweilen solche Künstler durch Herabfallen verunglückten, so gab der Kaiser Aurelianus den Befehl, daß künftig Kissen untergelegt werden sollten, auch spannte man Netze unter das Seil aus. Nicht allein Menschen gingen auf Seilen, sondern auch Elephanten hatte man dazu abgerichtet, u. unter Neros Regierung ritt ein römischer Ritter auf einem Elephanten über das Seil. Später kamen von Indien u. Ägypten aus solche S., nachdem sie ganz Asien durchzogen hatten, auch nach Constantinopel, deren Künste sich nicht allein aufs Tanzen, Schwingen, Stehen etc. auf dem Seile beschränkten, sondern auch auf Kunststücke auf Pferden, Balanciren etc. erstreckten. Im Mittelalter waren die S. weniger gewöhnlich, doch kamen zuweilen indische u. persische Gaukler der Art vor. In der neueren Zeit zeichneten sich bes. die Italiener als S. aus u. hauptsächlich machten sich die Chiarinis in diesem Fache berühmt; sie nannten sich (unrichtig) Akrobaten, während sich andere frühere Equilibristen nannten. Auch Franconi u. Furioso in Paris excellirten hierin. Unter den mehr Wagenden zeichnete sich Kolter durch seine Ascension, d.h. das Steigen auf einem scharf gespannten Seile nach einem Thurm od. einem anderen hohen Haus, Vogelstange od. dergl., aus; doch haben dieselbe ihm jetzt viele Andere nachgemacht, darunter bes. Waitzmann (der Schwiegersohn Kolters), welcher zu den bedeutendsten S-n der Gegenwart gehört; in neuester Zeit hat sich in Amerika namentlich Blondel ausgezeichnet, welcher auf einem gespannten Seile sogar über den Niagarafall hinwegging. Auch das Seilschwingen, wo auf dem schlappen an zwei Punkten befestigten u. schaukelmäßig in Bewegung gesetzten Seile allerhand künstliche Bewegungen u. Übungen gemacht werden, gehört hierher. 2) Ein Zirkel, mit welchem die Weite der Uhrplatten gemessen wird, er ist ein Doppelzirkel u. das eine Paar seiner Schenkel ist etwas auswärts gebogen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 15. Altenburg 1862, S. 797.
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