Waldwolle

[806] Waldwolle (Lana pini silvestris), eine in Österreichisch Schlesien von dem Papierfabrikanten Weiß in Zuckmantl erfundenes Fabrikat aus den Nadeln der Kiefern, Föhren u. Fichten. Weiß war der Erste, welcher die rohen Kiefernadeln zur Papierfabrikation zu verwenden suchte, u. fand dabei, daß sich aus den Nadeln ganz feine zum Polstern u. zum Verspinnen geeignete Fasern gewinnen lassen u. daß dabei verwendete, mit Gicht u. Rheumatismus behaftete Arbeiter von ihrem Übel befreit wurden. Zur Ausnutzung dieser Beobachtung brachte er in Preußisch-Schlesien (1849 od. 1850)die Actiengesellschaft Waldwollfabrik in Humboldsau zusammen, welche zugleich die erste Kiefernadel-Dampf-Wannenbadeanstalt in Deutschland anlegte. Ungünstige Verhältnisse führten bald die Auflösung der Gesellschaft herbei, u. darauf errichtete 1855 der Fabrikant Lairitz in Remda im Thüringer Walde eine Waldwollewaarenfabrik, aus welcher viele Hundert Centner rohe W. hervorgehen. Zur Erzeugung der W. sind blos die grünen, völlig ausgewachsenen (nicht abgefallenen od. gelb od. braun gewordenen) Nadeln der Kiefer u. Schwarzkiefer geeignet. Die in ihnen befindlichen Fasern werden von den sie umgebenden, aus Zellgewebe bestehenden Stoffen u. Hüllen befreit u. dann weiter zum Gebrauch zubereitet; namentlich müssen die Nadeln auch von den Hülsen befreit werden, womit sie an den Zweigen sitzen, sonst wird die W. bräunlich od. schwarz. Die grünen Nadeln können aber zum Gebrauch durch Trocknen aufbewahrt werden, indem sie in dünnen Schichten an der Luft od. durch mäßige künstliche Hitze getrocknet weiden. Die Nadeln werden zunächst durch Einweichen in lauem Wasser, wenn sie getrocknet sind, od. durch eine mäßige Gährung, wenn sie grün sind, weiter vorbereitet; hat sich dadurch die Faser von den bröcklichen Umhüllungen gelöst, so wird die Trennung beider aus mechanischem Wege durch besondere Apparate bewirkt. Je öfter die zuerst nur grob getheilten Nadeln der chemischen u. mechanischen Wirkung ausgesetzt werden, desto vollkommener erfolgt die Trennung der nutzbaren Fasern, u. desto schöner u. reiner wird die W. Die vollständig gereinigte u. gebleichte Faser der Nadeln ist weiß u. so lang als die Nadel. Die grobe W. dient als Polstermaterial; sie läßt sich auch verfeinern u. bildet dann eine Art [806] Werg u. läßt sich zu einem ziemlich festen Waldwollgarn verspinnen, woraus durch Weben od. Wirken allerlei Kleidungsstücke verfertigt werben u. welches sich auch zum Stricken u. Häckeln benutzen läßt. Auch Matratzen, Kissen, Steppdecken, Leibbinden, Brust- u. Rückgratwärmer, Einlegsohlen etc. werden aus der W. gefertigt. Durch Vermischung der W. mit Baumwollfasern erhält man die Waldwollwatte, welche zum Umhüllen kranker Glieder benutzt wird. Man schreibt der W. u. den Waldwollfabrikaten wegen der in ihnen enthaltenen Harze, Säuren, Gerbstoff u. ätherischen Öle eine Heilwirkung bei verschiedenen Krankheiten zu, bes. bei Rheumatismus, Gicht, Lungenleiden, Nervenschwäche, auch bei Frost- u. Brandschäden. Von der Körperwärme durchdrungen entwickeln die Waldwollkleider einen sehr angenehmen Waldgeruch. Ebenfalls für medicinische Zwecke gewinnt man bei der Waldwollebereitung auch das Waldwollöl (Fichtennadelöl), u. daraus den Waldwollspiritus; ein Abgang bei der Öl- u. Spiritusbereitung wird zu Waldwollextract eingesotten u. zu Bädern gegen Gichtanfälle benutzt; ein anderer Abgang dabei dient ebenfalls zu Bädern od. auch zum Einathmen bei Lungenkrankheiten. Außerdem liefert die Lairitzsche Fabrik Waldwollölseife, Waldwollmarkpomade, Waldwollliqueur, Waldwollbalsam, Waldwollextractbonbons. Die Waldwolleartikel dürfen nur lauwarm, ohne Lauge u. möglichst mit Waldwollölseife gewaschen werden u. es ist dabei ein scharfes Ausringen zu vermeiden. Die Waldwollpolster sollen auch von Moder, Ungeziefer u. Mottenfraß befreit bleiben.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 18. Altenburg 1864, S. 806-807.
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