Rheumatismus

[113] Rheumatismus (v. gr.), der Gicht verwandte, schmerzhafte, selten mehr mit Abstumpfung des Gefühles verbundene, od. als verlarvter R. unter der Gestalt anderer u. schmerzloser Leiden auftretende Krankheit, befällt bes. die muskulösen u. häutigen Theile u. entsteht durch äußere Einflüsse, vorzüglich Erkältungen. Im Allgemeinen mag wohl dem R. ein Reiz zu Grunde liegen, welcher von den Säften, die in dem Theile, bes. in den feineren Gefäßen, sich bewegen, od. in diese eindringen, ausgeht. Nach der Lehre der Humoralpathologie ist es eine eigene rheumatische Materie, welche in einem Theile sich festsetzt u. durch ihren Reiz die rheumatischen Schmerzen verursacht; der schnelle Wechsel der Rheumatismen, indem dieselben plötzlich auf entfernte Theile überspringen, deutet aber an, daß die Nerven wenigstens eben so vielen Antheil an Bildung der nächsten Ursache haben. Indem ein von R. befallener Theil in einen gereizten Zustand versetzt wird, unterliegt er immer einer entzündlichen Affection; man betrachtet daher auch den R. als eine Art der Entzündung, welche man als Rheumatische Entzündung unterscheidet, die aber von einer eigentlichen (phlegmonösen) bes. dadurch abweicht, daß sie an sich weder in Eiterung, noch in Brand den Übergang macht. In dem Verhältniß aber, als das Entzündliche beim R. (Geschwulst, Hitze, Röthe) mehr hervortritt, wird der R. zu einem hitzigen, zu dem sich dann, wenn die Krankheit eine gewisse Höhe erreicht, auch ein Fieber (das Rheumatische Fieber) gesellt. Der Schmerz ist nicht immer im entsprechenden Verhältniß zu der Entzündung in dem Fieber u. beruht mehr darauf, daß Nerven der unmittelbare Sitz des Übels, od. wegen Lage des Theiles der Affection bes. ausgesetzt sind. Es ist nicht leicht ein Körpertheil, welcher nicht von R. befallen werden könnte, doch liebt er vorzugsweise muskulöse u. äußere Theile. Im Allgemeinen sind Störungen der Hautausdünstung, bes. in den einzelnen Theilen, also Erkältung, die häufigsten Veranlassungen der Rheumatismen; dieselben treten wohl auch in Begleitung anderer pathologischen Zustände ein, u. jeder geschwächte, zugleich aber reizbare u. verzärtelte od. erschlaffte Körper ist dem R. leicht u. häufig unterworfen, daher auch Abhärtung des Körpers, bes. der Haut, u. die Fürsorge für Unterhaltung der natürlichen Hautausdünstung die wirksamsten Mittel sind, um sich gegen Rheumatismen zu bewahren u. die Disposition dafür abzustumpfen. Übrigens kommt der R. in allen Graden vor, von der leichtesten Affection an bis zum wüthendsten Schmerzgefühl; er ist eben so oft nur auf die Dauer weniger Stunden od. Tage beschränkt, als er auch Jahre lang anhalten kann, bes. als chronischer, sogenannter kalter R., welcher hartnäckig sich in einzelnen Stellen festgesetzt hat. Eben so kann er sich nur auf eine kleine Strecke beschränken, dagegen aber auch über den ganzen Körper verbreiten, bes. als vager R. im Wechsel. Er bildet dann von einer Menge anderer Krankheiten nur eine Art. So unterscheidet man rheumatischen Kopfschmerz, rheumatisches Augen-, Ohren-, Zahnweh, rheumatische Hals-, Brust-, Darm-, Magen-, Blasenentzündung etc. Lebensgefährlich wird der R. nur, indem er edle Theile befällt. Die Behandlung richtet sich nach den Umständen, bes. der Complication. Die Unterhaltung u. Beförderung der Ausdünstung durch schweißtreibende Mittel, Einhüllen der Theile in Flanell, Wachstaffet, ungewaschene Schafwolle, Katzenfelle, ableitende Hautmittel, vorzüglich Vesicatorien u. Tilgung der obwaltenden Schärfe der Säfte sind die Hauptgesichtspunkte der Cur. Das ausgebildete Rheumatische Fieber verlangt seine Periode zur Entscheidung, welche meist gegen den 7. od. 14. Tag eintritt, durch einen gut zu unterhaltenden Schweiß, neben Krisen durch den Harn; doch können in complicirten Fällen auch andere Krisen eintreten. Chronische Rheumatismen widerstreben oft der kräftigsten ärztlichen Hülfsleistung.[113] Gewöhnlich sind hier andere Krankheitszustände vorhanden, welche ihre Cur erschweren; die natürlichen warmen Bäder, wie die Teplitzer, Wiesbadener, Aachener, Badener (bei Wien) u.a., richten oft noch das Meiste aus, auch Dampfbäder, bes. die Russischen Bäder (s.d.) u. die Wassercur. Zu den hartnäckigsten u. leidenvollsten chronischen Rheumatismen gehören auch das Lenden- u. Hüftweh bei völliger Ausbildung u. der Gesichtsschmerz; doch haben diese Zustände, wenn sie eine gewisse Höhe erreichen, auch Andeutungen gichtischen Charakters.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 113-114.
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