Kirche

[578] Kirche. (Baukunst)

Aus der Bestimmung eines jeden Gebäudes, muß der Baumeister den Plan seiner Einrichtung erfinden, und die Art der Verzierung wählen. Da die Kirchen itzt die gemeinesten öffentlichen Gebäude sind, so verdienen sie vorzüglich das Nachdenken eines Baumeisters. Meistentheils sind sie zu einem doppelten Gebrauch bestimmt; zur Anhörung der geistlichen Reden, und zur Feyer gottesdienstlicher Ceremonien. Es giebt Kirchen, wie alle Kirchen der Protestanten, wo das erstere die Hauptsache ist; andre aber, wie die größten und prächtigsten Kirchen der Römisch-Catholischen Christen, sind vorzüglich zum zweyten Gebrauch bestimmt, und der erstere ist nur zufällig. Es wär demnach unüberlegt, [578] wenn ein Baumeister beyde Arten nach einerley Grundsätzen anlegen wollte.

Die Kirchen, die vorzüglich zur Feyer der Ceremonien eingerichtet sind, werden natürlicher Weise so angeordnet, daß der ganze inwendige Raum in vier Theile abgetheilt wird, die Halle, das Schiff, die Abseiten, und den Chor. Das Schiff ist der vornehmste und größte innere Platz auf dem das Volk zur Feyer der Ceremonien steht. Die Abseiten ein Platz oder ein räumlicher Gang um das Schiff herum, damit man von allen Seiten her, gemächlich in das Schiff kommen könne. Der Chor ist der Platz, auf dem die Diener der Religion die heiligen Gebräuche verrichten. Darum ist er am Ende des Schiffs, um etliche Stufen über dasselbe erhoben, damit alles was darauf vorgeht, von dem im Schiffe versammelten Volke könne gesehen werden. Die Halle ein Vorplatz am Eingang, damit die Thüren der Kirche nicht unmittelbar an den offenen Platz stoßen.

An der vordern Seite des Chors steht der Altar, gerade vor dem Schiff. Der Chor selbst ist nach einer eyförmigen Figur abgeründet, und hat von oben seine eigene gewölbte Deke. Beydes darum, weil der Chor der Platz ist, wo die zum Absingen der Hymnen und andrer Gesänge bestellten Sänger stehen. Darum muß der Baumeister den Chor nach den Regeln der Akustik, oder der Wissenschaft, der besten Verbreitung des Schalles einrichten. Was in dem Chor gesungen wird, muß ohne verwirrenden Wiederschall leicht, und doch deutlich im ganzen Schiff vernommen werden.

Neben dem Chor sind noch ein paar besondere Abtheilungen, davon eine die Sacristey genannt wird, wo die zum Gottesdienst gehörige Geräthschaft, die heiligen Kleider u. d. gl. aufbehalten werden, und wo die Diener der Religion zur gottesdienstlichen Feyer sich ankleiden. Die andre Abtheilung kann zur Anlegung der Treppe dienen, die auf den Kirchthurm und unter das Dach der Kirche führet. Insgemein hat das Schiff seine eigene Wölbung, die auf einem Gebälke ruhet, das von Pfeilern oder Säulen getragen wird

Der Geschmak, der in einer solchen Kirche, sowol in der ganzen innern Einrichtung, als in den Verzierungen augenscheinlich herschen muß, ist Größe und feyerliche Pracht. Und es ist kein Werk der Baukunst, wo der Baumeister so viel großen Geschmak nöthig hat, wie bey diesem. Der Anblik, muß jeden Anwesenden mit Ehrfurcht erfüllen. Von kleinen Zierrathen, die das Aug vom Ganzen abziehen, muß nichts da seyn: auch nichts schimmerndes, das nur blendet. Einfalt mit Größe verbunden, ist der Charakter einer vollkommen gebauten Kirche. Darum sind einzelne, hier und da zerstreute Gemählde mit Recht zu verwerfen. Ein ganz durchgehendes Dekengemählde über dem Schiff, ist das Vorzüglichste. Und wenn man noch andre Gemählde anbringen will, so müssen sie sich auf jenes beziehen, und einigermaaßen Theile desselben ausmachen, welches allemal möglich ist. Alle einzele Bilder, ohne Beziehung auf das Ganze, so gebräuchlich sie auch sind, streiten gegen den wahren Geschmak, der in einem solchen Gebäude herrschen soll.

Vielleicht ist eine einzige besondere Anmerkung hinlänglich, einem verständigen Baumeister die vorhergehende Anmerkung einleuchtend zu machen. Es ist in Brüßel eine Kirche, (auf den Namen derselben besinne ich mich nicht mehr) wo an an jedem Pfeiler des Schiffs, die Statüe eines Heiligen steht. Diese Statüen sind groß, und in gutem Verhältnis mit dem Gebäude, aber zum Ganzen thun sie nicht die geringste Würkung, weil jede für sich steht, die eine vorwerts nach dem Altar, die andre gerade vor sich, die dritte nach der Halle zu gekehrt u.s.f. Wie leichte wär es da gewesen, alle diese Statüen in ein Ganzes, mit dem ganzen Gebäude zu verbinden? Man hätte sie alle in mannigfaltigen anbetenden Stellungen gegen den Hauptaltar wenden können, als wenn sie dem Volke das Beyspiel der Anbetung gäben; jede nach dem eigenen Charakter der abgebildeten Person. Dergleichen Verzierungen dienen die Würkung des Ganzen zu verstärken, und sind der wahren Absicht der Kunst gemäß.

Es ist sehr gewöhnlich, daß an den Abseiten der Hauptkirchen verschiedene kleine Capellen angebracht werden, deren jede ihren eigenen kleinen Altar hat. Auch dieses ist, ob es gleich durchgehends üblich ist, ein Mißbrauch, gegen dessen Fortpflanzung die Baumeister arbeiten sollten. Denn dieses hebt vollends die Einheit des Ganzen auf. Für geringere und für ganz besondere Gelegenheiten dienende gottesdienstliche Feyerlichkeiten, dazu nur wenige Menschen [579] kommen; können ja besondere kleine Capellen gebaut werden.

Dieses wenige kann hinlänglich seyn, denen, die dergleichen Kirchen bauen, oder bauen lassen, zu zeigen, wie nöthig es sey, überall auf den wahren Zwek der Sachen zu sehen. Auch diesem Theile der Kunst, fehlet es noch an einer wahren gründlichen Critik, die den Baumeister in seinen Verrichtungen immer auf dem geraden Weg halte. So bald man willkührlich verfährt, so läuft man Gefahr ungereimte Dinge zu machen.

Die protestantischen Kirchen, erfodern eine andre Anordnung, der Chor kann ganz wegbleiben, wenn nur an dessen Stelle, am Ende des Schiffs ein etwas erhabener Platz ist, auf dem die Diener der Religion bey Feyerung der weniger prächtigen Gebräuche, dem ganzen Volke sichtbar sind. Auch die Abseiten sind da eben nicht nöthig, weil insgemein das ganze Volk versammelt ist, ehe mit dem Gottesdienst der Anfang gemacht wird. Indessen schaden die Abseiten nichts, wenn sie als Gänge gebraucht werden: nur müssen sie nicht, wie häufig geschieht, zu eben dem Gebrauch bestimmt werden, als das Schiff; denn es ist geradezu ungereimt, das Volk auf Plätze zu stellen, wo es weder den Prediger, noch die Geistlichen sehen kann, die in andern gottesdienstlichen. Verrichtungen begriffen sind. Kirchen wo diese Ungereimtheiten vorkommen, und sie sind nicht selten, beweisen, wie wenig man auch in einem so wichtigem Gebrauch der Baukunst, nach Grundsätzen verfährt.

Das Wichtigste bey Anordnung einer protestantischen Kirche, ist eine solche Einrichtung, daß an jedem Orte der Kirche der Prediger von vorne gesehen und auch verstanden werde. Dazu ist nun offenbar die ovale Form der Kirche die vortheilhafteste. Ein nicht allzulängliches Vierek, geht auch noch an, wenn nur die Kanzel nicht an einer der längern, sondern an einer schmalen Seite angebracht wird. Eine gute Einrichtung ist es, die ich irgendwo gesehen habe, daß gerade über dem Orte des Altars oder des Communions - Tisches und Taufsteines, eine Art einer sogenannten Empor-Kirche steht, an deren Mitte die Canzel ist.

Um in solchen Kirchen den Platz ins engere zusammen zu ziehen, wird oft über die Abseiten eine offene Gallerie herumgeführet, die man Empor-Kirchen nennet, weil der Platz, da das Volk sitzet, empor gehoben ist. Dieses ist überall nöthig, wo die Versammlung sehr zahlreich ist, und der Zuhörer über Tausend sind. Denn ein Schiff diese zu fassen, würde schon zu groß seyn, als daß der Prediger an allen Orten könnte verstanden werden.

Kirchen, die vorzüglich zum Predigen bestimmt sind, erfodern inwendig eben keine Pracht, wenigstens keinen Reichthum; denn dieser würde nur die Aufmerksamkeit stöhren. Also kann man sich hier mit edler Einfalt, und mit den schlechterdings wesentlichen Verzierungen der Baukunst begnügen. Aber diese Kirchen müssen ein volles Licht von allen Seiten haben, nur nicht von der Canzel her, weil dieses die Zuhörer, die den Prediger im Gesichte haben müssen, blenden würde. Vorzüglich muß der Ort der Canzel gut erleuchtet seyn. Ueberhaupt muß alles Inwendige einen guten Anstand haben, daß kein Mensch von Geschmak sich an irgend etwas stoße. Weiß sollten Deken und Wände, nicht gelassen werden, weil sie blenden; eine sanfte grünliche oder röthliche Farbe, schiket sich besser. Ueberall aber müßte auf die höchste Reinlichkeit und auch auf Nettigkeit der Arbeit gesehen werden.

Von außen muß eine Kirche auf den ersten Anblik Größe und Würde zeigen. Große Parthien; nichts Ueberladenes; nichts von den kleinen Zierrathen der Wohnhäuser; weit mehr glattes, als buntes; wenigstens ein schönes, aber mehr einfaches, als bunt verkröpftes und verschnörkeltes Haupportal. Die Thürmer, wenn sie nur gute Verhältnisse haben, geben den Kirchen ein schönes Ansehen. Weit mehr aber eine Cupel. Die sehr hohen und schmalen, wie Nadeln gespizten Thürme sind Einfälle eines schlechten arabischen Geschmaks. Runde, nicht allzuhohe Thürme, mit Cupeln bedekt, stehen am besten.

Schon die Griechen hielten in den schönsten Zeiten der Baukunst, die jonische Ordnung für die schiklichste zu den Tempeln ihrer Götter1, und sie ist es auch für unsre Kirchen. Wir wollen die dorische Ordnung dazu nicht ganz verwerfen. Nur daß keinem Baumeister die ungereimte Pedanterey dabey einfalle, die Metopen des Frieses nach antiker Art, mit Opfergefäßen und Hirnschädeln von Opferthieren zu verziehren. Was sich für einen heidnischen Tempel schikte, kann darum nicht an einer Kirche stehen. [580] Billig sollten alle Kirchen auf ganz freye Plätze gesetzt seyn. Nur die Klosterkirchen leiden eine Ausnahme, welche nothwendig mit den Klöstern müssen verbunden werden. Aber aus den Kirchhöfen Begräbnisplätze zu machen, ist ein Mißbrauch, über den schon lange geschrien wird. Zu Monumenten für Verstorbene könnten sie noch dienen, nur nicht zum Begräbnis selbst.

Die größte, schönste und prächtigste Kirche der Welt ist wol die Peterskirche in Rom, und nach dieser die Paulskirche in London. Beyde gehören unter die größten Werke der Baukunst, die jemals unternommen worden. Der Jesuit Bonanni hat eine eigene Geschichte der Peterskirche geschrieben.2 Um denjenigen Lesern, die selbst nicht an die Quellen der Kunstnachrichten kommen können, einigen Begriff von diesem merkwürdigen Gebäude zu geben, führen wir folgendes davon an.

Das Ganze dieses erstaunlichen Werks besteht aus. der Kirche selbst, und dem damit verbundenen ovalen Vorhof, der 400 Schritte lang, und 180 breit ist. Diesen Vorhof schließen zwey bedekte Säulengänge ein, an denen 320 Säulen stehen. Das Dach über die beyden Säulengänge ist flach, und mit 86 Statüen der Heiligen, in mehr als doppelter Lebensgröße, besetzt. Mitten in dem Vorhof, dem Haupteingange der Kirche gegen über, steht der berühmte Obeliscus des Sesostris, den ehemals der Kayser Caligula aus Aegypten nach Rom bringen, und den in den neuern Zeiten der Pabst Sixtus V. durch den berühmten Baumeister Fontana in diesen Vorhof hat setzen lassen.3 Dieser Obelisk ist von Granit aus einem Stük, 80 Fuß hoch, ohne das Postament, daß an sich 32 Fuß hoch ist.

Die Kirche selbst ist ins Kreuz gebaut; ihre Länge, die Dike der Mauren mit eingerechnet, beträgt 970 römische Palmen, oder 666 2/3 pariser Fuße. Die Breite des Gewölbes über das Schiff ist 123 Palmen, und die ganze Breite eines Flügels der Kirche, mit der Dike der Mauren 414 Palmen. Ueber die Mitte erhebt sich eine prächtige Cupel, die von M. Angelo angegeben, und durch die Baumeister della Porta und Fontana ausgeführt worden. Am Haupteingang ist eine Halle, deren Länge 314, die Breite 60 Palmen ist.

Den Anfang zu diesem Gebäude machte Julius II. unter dem Baumeister Bramante. Nachher haben die größten Meister der Kunst, M. Angelo, Jul. Sangallo, Giocondo, Raphael, Barozzi, Bernini u.a. ihre Kunst daran gezeiget. Fontana der ein eigenes Werk über diese Kirche geschrieben hat, schäzet, daß es zu seiner Zeit bereits 80 Milionen Scudi gekostet habe. Die inwendigen Schönheiten an Gemählden, Statuen und Denkmälern, sind der Größe und Pracht des Gebäudes angemessen.

Nach diesem ist die Paulskirche in London auch ein Gebäude das wegen seiner Größe merkwürdig ist. Ihre ganze Länge ist 500 Englische Fuß. Inwendig ist sie, bis zulezt an die Cupel 215 Fuß hoch, und von außen beträgt die ganze Höhe bis an die Spize der auf der Cupel stehenden Laterne 440 Fuß.4

1S. Jonisch.
2Historia templi Vaticani Romæ. 1700. Fol.
3Die Beschreibung des Schiffes auf dem er nach Rom gebracht worden, kann man beym Plinius Hist. Nat. L. XVI. c. 40. lesen.
4S. Description de la cathedr. de St. Paul tirée des Memoires de Guill. Dugdale et de Chrst. Wren.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 578-581.
Lizenz:
Faksimiles:
578 | 579 | 580 | 581
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon