Ton (Musik)

[1156] Ton. (Musik)

Dieses Wort wird selbst in der Musik, wo es seine eigentliche Bedeutung vorzüglich behält, dennoch von ganz verschiedenen Dingen genommen. 1. Bedeutet es den Klang der Instrumente überhaupt, als den besondern Klang einer Flöte, einer Violine u.s.f. Denn man sagt von einem solchen Instrument, es habe einen schönen, hellen, vollen, oder einen schlechten, dumpfichten, unangenehmen Ton. Es wäre der Mühe wol werth, daß man versuchte die verschiedene Arten des Tones, nach dem eigenthümlichen Charakter jeder Art, zu bestimmen. Der Ton der menschlichen Stimme wird durchgehends mit Recht für den vollkommensten gehalten, weil er jeden Charakter annehmen kann. Blas-Instrumente haben offenbar einen ganz andern Charakter des Tones, als Sayteninstrumente, und von diesen ist der Ton derer, die gestrichen werden, wieder von dem, der durch das Anschlagen oder Zupfen der Sayten hervorgebracht wird, ganz verschieden. Es giebt Instrumente die einen klagenden Ton haben, andre haben einen fröhlichen. Wo es darum zu thun ist, den Menschen durch Töne in würkliche Leidenschaft zu sezen, kommt sehr viel auf die gute Wahl des Instruments an, das den schiklichen Ton dazu hat.

2. Durch Ton verstehet man auch überhaupt einen Klang von bestimmter, oder abgemessener Höhe. So sagt man: der Ton C oder c; ein Baßton, ein Tenorton u.s.f. In eben diesem Sinne sagt man von einem Instrument überhaupt, es sey im Choroder Cammerton gestimmt.

3. Besonders bedeutet das Wort ein Intervall von einer einzigen diatonischen Stufe, und da unterscheidet man ganze und halbe Töne. Ganze Töne werden die größern Stufen C-D, D-E; halbe Töne die kleinern E-F, F-Fis, u.s.f. genannt. Die ganzen Töne sind wieder zweyerley: der große ganze Ton C-D, hat das Verhältnis von 8/9, der kleine ganze Ton, wie D-E, hat das Verhältnis von 9/16 Auch die kleinern diatonischen Stufen, die man halbe Töne nennt, sind von ungleicher Größe; bald in dem Verhältnis von 15/16 bald von 243/2561.

4. Ton bedeutet auch die ganze Tonleiter, oder diatonische Folge der acht zur Octave eines jeden Tones gehörigen Sayten. Wenn man sagt, ein Stük sey aus einem gewissen Ton gesezt, oder man spiehle aus einem gewissen Tone, so heißt es so viel, man nehme zur Fortschreitung des Gesanges nur die Töne, die in der Octave desselben Tones nach seiner harten oder weichen Tonart liegen. Und weil in größern Stüken der Gesang durch mehrere Tonleitern vermittelst der Modulation durchgeführt wird, so wird der Ton, in dessen Tonleiter das Stük anfängt und endiget, und die auch durch die ganze Modulation hindurch vorzüglich herrscht, der Hauptton des Stüks genennt2.

Ehe die halben Töne Ton (Musik)in das System eingeführt worden, hatte das ganze System nur sechs Töne, deren jeder seine eigene diatonische Tonleiter hatte, nämlich C, D, E, F, G und A.3 Aber aus jedem dieser Töne war man gewohnt, auf zweyerley Weise den Gesang zu bilden, indem man die Melodie auf die obere, oder untere Hälfte der [1156] Tonleiter einschränkte.4 Daher entstunden also zwölf verschiedene Töne, von denen man für jeden Gesang den schiklichsten auszusuchen hatte. Dieses nennt man insgemein die zwölf alten Tonarten; und wir sprechen in einem besondern Artikel davon.

Nach der heutigen Beschaffenheit der Musik hat jede der zwölf Sayten des Systems seine diatonische Tonleiter, sowol nach der harten, als nach der weichen Tonart. Folglich kann man gegenwärtig von vier und zwanzig Tönen, deren jeder seine eigene Tonleiter hat, denjenigen wählen, den man für den zu sezenden Gesange für den schiklichsten hält. Es ist nöthig, daß wir über diesen Punkt nähere Erläuterung geben; weil wir verschiedentlich bemerkt haben, daß in den Meinungen der Tonsezer selbst noch zu viel Ungewißheit über diese Materie herrscht.

Nach der sogenannten gleichschwebenden Temperatur5 hätte man in der That nur zwey verschiedene Töne, einen nach der großen, oder harten, und einen nach der kleinen oder weichen Tonart. Wir haben aber in dem angeführten Artikel gezeiget, daß diese Temperatur, wenn sie auch auf Orgeln, oder Clavieren würklich angebracht wäre, in der Musik überhaupt nicht statt haben könne; weil weder die Sänger, noch die Violinisten sich nach derselben richten können, sondern in ihren reinen Fortschreitungen allemal andre Accorde hervorbringen, als die, die nach der gleichschwebenden Temperatur erfolgen sollten. Es war also schlechterdings nothwendig, eine Temperatur zu finden, in welcher jeder Ton die Intervalle bekam, die durch reine Fortschreitungen verschiedener Stimmen entstehen, und wir haben gezeiget, daß die Kirnbergerische Temperatur so beschaffen sey.

Wenn wir also diese zum Grunde legen, so finden wir in der That, daß jede Sayte des Systems darinn ihre harte und weiche diatonische Tonleiter hat, die sich bald mehr, bald weniger von andern unterscheidet. Einige dieser Tonleitern haben ihre große Terz in dem Verhältnis von 4/5, andre von 64/81 noch andre von 405/512 in der kleinen Tonart haben einige ihre Terz von 5/6, andre von 27/32 und noch andere von 1024/1215 und dieser Unterschied findet sich auch in den Sexten, Septimen und Secunden.

Da nun jede Sayte ihre eigene diatonische Tonleiter bekommt, die sich bald mehr, bald weniger von allen andern unterscheidet, so muß nothwendig, auch jeder Ton seinen eigenen Charakter bekommen, der gegen die andern mehr, oder weniger absticht. Verschiedene dieser Töne sind sich zwar bis auf einige Kleinigkeiten ähnlich; andre aber unterscheiden sich merklicher von allen andern. Wir werden an einem andern Orte Gelegenheit haben, in einer Tabelle alle vier und zwanzig Tonleitern nach den wahren Verhältnissen ihrer Intervallen anzugeben, und ihre Differenzen deutlich vorzustellen.6

Man muß aber bey dieser Vergleichung der Töne nicht blos die Tonleiter der Haupttöne, sondern auch ihrer Dominanten, und überhaupt aller ihrer Ausweichungen gegen einander halten, um zu sehen, wie verschieden auch der Charakter der Töne sey, in welche man zunächst ausweicht. Daraus kann man denn die Art eines jeden der vier und zwanzig Töne richtig kennen lernen. Diese Kenntnis aber dienet alsdenn dem Tonsezer, daß er in jedem besondern Fall, den Ton aussucht, der sich zu seinem Ausdruk am besten schikt.

Damit man die Verschiedenheit der vier und zwanzig Töne nach den Verhältnissen der vorerwähnten Temperatur, wenn in jedem derselben seine natürlichen Ausweichungen7 und die Dominantenaccorde mit begriffen werden, mit einem Blik übersehen könne, geben wir davon nach ihrer abnehmenden Reinigkeit folgende Vorstellung:

Ton (Musik)

C ist der reineste Durton, weil außer dreyen Dominantenaccorden alle Ausweichungen desselben rein sind; in G dur kömmt schon ein härterer Dominantenaccord mehr vor; D dur wird durch die Ausweichung in A dur und Fis moll noch härter; F kömmt schon dem A dur nahe, der wieder weniger hart, als E dur ist, u.s.f. bis Gis dur, der der allerhärteste Durton ist.

Mit den Molltönen hat es dieselbe Bewandniß. A ist der reineste und B der weichste Mollton.

Es ist gewiß, daß die reinsten Töne zum pathetischen Ausdruk wenig geschikt, hingegen, mit Rüksicht auf den besondern Ausdruk der Moll- oder [1157] Durtonart8, zur Belustigung, zum lermenden und kriegerischen; zum gefälligen, zärtlichen, scherzhaften; oft zum blos ernsthaften Ausdruk am besten zu gebrauchen sind. Die weniger reinen Töne sind nach dem Grad ihrer wenigern Reinigkeit allezeit würksamer zu vermischten Empfindungen, deren Ausdruk in den härtesten Dur- und den weichsten Molltönen von der gewaltsamsten Würkung ist.

Hieraus erhellet hinlänglich, daß der Tonsezer nicht blos in der Wahl der Tonart, ob er die harte oder weiche zu nehmen habe, sondern auch des Tones selbst, sehr sorgfältig seyn müsse. Die Stüke derer, die eine solche sorgfältige Wahl getroffen haben, lassen sich deswegen nie ohne Schaden in andere Töne versezen, deren Reinigkeit merklich von der verschieden ist, nach der sie ursprünglich gesezt worden. Dieses kann jeder erfahren, der die anderswo9 vorgeschlagene Probe mit dem Chor Mora, aus der Oper Iphigenia, oder mit dem Xenophon des Herrn Bach aus dem musikalischen Allerley10 machen will.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
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