Ton. (Redende Künste)
Ist eigentlich der Klang der Stimme in so fern sie für sich, ohne Betrachtung des Bedeutenden der Wörter, etwas sittliches oder leidenschaftliches hat. Man erkennt nämlich, wenn man auch in einer unbekannten Sprache reden hört, den kläglichen, oder muntern, weinerlichen oder freudigen Inhalt der Rede aus dem Ton, womit sie vorgetragen wird. Man kann aber nach dem Beyspiehl der griechischen Kunstrichter den ganzen Charakter der Rede, in so fern dieselbe durch ganz undeutliche Vorstellung die Empfindung des Sittlichen oder Leidenschaftlichen erwekt, den Ton der Rede nennen.
Um dieses genau zu verstehen, müssen wir bedenken, daß jede Gemüthsfassung und jede Leidenschaft, nicht nur eine ihr eigene Stimme, ihren eigenen Vortrag, sondern auch ihre eigene Sprach und eigene Wendung habe. Die Einfalt, die Unschuld, der Schmerz, die Liebe, der Zorn haben jeder eine Stimme, einen Vortrag, eine Wendung, die ihr eigen ist. Alles was dazu gehört, können wir den Ton der Rede nennen. Wenn man von einem Menschen sagt, er habe in einem hohen Ton gesprochen, so versteht man dieses nicht nur von einer lauten festen Stimme, sondern auch von dem Dreisten oder Kühnen, das in Gedanken und in der Wahl der Worte liegt; und ein pöbelhafter Ton, ist nicht blos eine schlechte pöbelhafte Aussprache, sondern alles in der Rede, was uns anschauend die Vorstellung des Niedrigen und Pöbelhaften erwekt. Daher bemerken wir die Art des Tons auch in Reden, die wir blos lesen, ohne sie zu hören.
Zum Ton gehört demnach alles, was wir recht sinnlich von dem Charakter der Rede empfinden; und hieraus läßt sich die Wichtigkeit des Tones erkennen, der vielleicht mehr würkt, als die klareren Vorstellungen selbst. Ofte macht ein einziges Wort, ein Ja oder Nein, durch den Ton, den man ihm giebt, einen sehr starken Eindruk. Ueberhaupt liegt in dem Ton etwas ganz verführerisches, dem man um so weniger wiedersteht, je dunkeler die Gründe der Würkung sind. Es ist ein Ton der Ueberzeugung, der keinem Zweifel statt läßt, und ein Ton der Falschheit und Verstellung, der den kräftigsten Beweisgründen alle Würkungen benihmt. Die deutlichsten Beweise von der Beleidigung, die uns eine geliebte Person angethan, könnten durch zwey Worte, in dem wahren Ton der Unschuld vorgebracht, gänzlich zernichtet werden.
Darum ist der Ton ein höchstwichtiges Stük der vollkommenen Rede, wenn er mit dem Inhalt und der Absicht der Vorstellungen übereinkommt. Der Redner, der diesen nicht trift, verliehrt seine Arbeit. Es ist aber höchst schweer die Betrachtungen, die hieher gehören, auseinander zu sezen. Wir werden uns bemühen, diejenigen die hierüber genauer nachdenken wollen, auf die Spuhr zu führen.
Zum Ton gehört zuerst, als ein ganz wesentliches Stük, die Stimme, oder, was man im eigentlichen Sinn den Ton der Rede nennt. Quintilian, der weitläuftig von der Stimme handelt, theilet das, was er darüber zu sagen hat, in zwey Punkte. Der erste betrift die Beschaffenheit der Stimme, der zweyte ihren Gebrauch.1 In Ansehung des ersten Punkts unterscheidet er zweyerley Eigenschaften; die Stärke und die ästhetische Beschaffenheit der Stimme.2 Was über die Stärke zu sagen ist, hat wenig [1158] Schwierigkeit: aber desto schweerer ist es den Ausdruk zu Beschreibung der ästhetischen Beschaffenheit der Stimme zu finden. Wir wollen die Benennungen dieses fürtreflichen Lehrers der Kunst in seiner Sprache hersezen. Est (vox) et candida, et fusca, et plena, et exilis, et lenis, et aspera, et contracta, et fusa, et dura, et flexilis, et clara, et obtusa. Und Cicero spricht hievon in folgenden Ausdrüken: Vocis genera permulta, canorum, fuscum; leve, asperum; grave, acutum; flexibile, durum.3 Außer diesen Benennungen findet man noch eine Menge andrer, deren sich beyde Lehrer der Redner bedienen, um die mancherley guten und schlechten Eigenschaften des Tones der Stimmen anzuzeigen. Weil aber in unsrer Sprache wenig über diese Materie gedacht und geschrieben worden, so fehlen uns die Wörter die nöthig wären, um das, was die Römer hierüber bemerkt haben, in unsrer Sprach auszudrüken.
Denen, die öffentlich zu reden haben, empfehlen wir ein fleißiges Studium dieses höchstwichtigen Punktes. Eine genaue Beobachtung wird sie überzeugen, daß in dem bloßen Ton der Stimme sehr große Kraft liege, durch die ofte mehr ausgerichtet wird, als durch das, was man sagt. Es ist nicht schweer zu entdeken, daß diese, manchem so unbedeutend scheinende Sache tiefen Eindruk auf die Gemüther mache. Der Ton der Stimme ist allein schon vermögend jede Leidenschaft in uns rege zu machen. Ein einziges Wort, das fast gar keine Bedeutung hat, als die, die es durch den Ton bekommt, kann Schreken, Furcht, Mitleiden, Zärtlichkeit und andre Leidenschaften sehr schnell rege machen. Redner und Schauspiehler können nicht sorgfältig genug seyn, dergleichen Würkungen zu beobachten, um hernach durch fleißiges Ueben diese vielfältige Kraft in ihre Gewalt zu bekommen. Ich getraue mir zu behaupten, daß ein mittelmäßiger Redner, der seiner Stimme jeden Ton geben kann, allemal mehr ausrichten wird, als der Beste, dessen Stimme troken und zum leidenschaftlichen Ton unlenkbar ist.
Nächst der Stimme an sich, ist ihr Gebrauch zu betrachten. Das Stärkere, oder Schwächere, Schnellere und Langsamere, und dergleichen. Durch diese blos mechanisch scheinenden Eigenschaften der Rede kann die Kraft des Inhalts zernichtet, oder aufs Höchste gebracht werden. Man stelle sich bey der berühmten Antwort der Medea in dem Trauerspiehl des Corneille vor, daß Medea das Moi! mit einer halb erloschenen weinerlichen Stimme sage; so wird man begreifen, daß alle Kraft derselben wegfalle, oder daß der alte Horaz die bekannte Antwort: qu'il mourût, mit einer stotternden, oder weichlichen Stimme vorbringe, so wird das Erhabene selbst lächerlich. Es ist bekannt, daß die ernsthaftesten Reden durch eine comische Stimme lächerlich, und Tröstenden durch den spottenden Ton zu Vorwürfen werden können.
In einem langsamen Affekt, wie die Traurigkeit, die Zärtlichkeit, die Furcht ist, geschwinde sprechen, oder in einem schnellen Affekt, wie der Zorn ist, langsam, würde der Rede alle Kraft benehmen. Hieraus folget nun auch, daß Redner und Dichter die Wörter, Redensarten und Wortfügungen in Absicht auf den Ton so wählen müssen, daß sie natürlicher Weise geschwind, oder langsam fließen, so wie der Ton es erfodert, und hieher gehört auch alles, was an einem andern Orte von dem lebendigen Ausdruk erinnert worden. In diesem Stük müssen Redner und Dichter den Tonsezer und den Sänger zu ihrem Lehrer annehmen.
Auch in Rüksicht auf die Bedeutung, auf die Wortfügung und die Wahl des Ausdruks, schreibet man der Rede einen Ton zu: und dieses ist der dritte Hauptpunkt, den wir hier zu betrachten haben. Wer von geringen Sachen spricht, der verfehlt den Ton, wenn er vornehme, hohe Worte, feine Bilder, lebhafte Figuren, dazu braucht. Gemeine Sachen in einen hohen Ton vorbringen, ist, wie der Cyniker Diogenes sehr wizig bemerkt, ein bleyernes Schwerdt aus einer elfenbeinernen Scheide ziehen, und Horaz nennt dieses ex fulgure dare fumum.
Man bemerke hier vor allen Dingen, daß bald jede Gemüthslage ihren eigenen Ausdruk hat. Da man in verschiedener Faßung auch verschieden denkt, indem dem Fröhlichen alles lacht, und dem Traurigen alles finster vorkommt; so darf man es sich gar nicht befremden lassen, daß auch der Ausdruk in Bedeutung der Wörter, in Figuren, Tropen und Bildern, sich nach dem innern Gefühl des Redenden richte. Es gehört unter die Geheimnisse der menschlichen Natur, daß einerley Sache gar sehr verschieden auf uns würket, je nachdem wir uns in einer Lage befinden. Diese Lage, die man auch die Stimmung des Gemüthes nennen könnte, bringt also [1159] den verschiedenen Ton in dem Ausdruk der Rede hervor. Ist dieser Ton in Werken des Geschmaks wol getroffen; so daß wir gleich die Gemüthslage des Redners, oder Dichters daraus erkennen, so sezen wir schnell uns in dieselbe Lage: und darauf kommt fast die ganze Würkung des Werks an.
Man wird dieses sehr leichte begreifen, wenn man bedenkt, daß die Musik, deren Kraft so groß ist, wenn sie gleich nicht durch Poesie unterstüzt wird, durch nichts anderes auf uns würket, als durch das, was wir hier Ton nennen. Da die Melodie ohne Worte uns fröhlich oder traurig machen kann, warum sollte nicht ein Lied, oder eine Ode, selbst da, wo die Worte wenig sagen, durch den bloßen Ton stark rühren können?
Darum ist der Ton eine der wichtigsten Eigenschaften eines Werks der redenden Künste. Wir haben in dem Artikel über die Ode Beyspiehle von solchen Oden angeführt, die es gewiß nicht durch ihren Inhalt, sondern blos durch den Ton sind; der also würklich ofte wichtiger ist, als der Inhalt selbst. Wer den Ton einer rührenden Leidenschaft zu treffen weiß, darf eben nicht sehr besorgt seyn, ob das, was er zu sagen hat, auch würkllich rühren werde; denn der bloße Ton wird diese Würkung schon thun.
Es ist demnach eines der nothwendigsten Talente des Dichters, oder Redners, daß er den Ton, der in jedem besondern Falle nöthig ist, zu treffen wisse. Dieses würde nicht schweer seyn, wenn der, der redet, oder dichtet, allemal von seinem Inhalt ganz durchdrungen wäre. Wessen Gemüth würklich von Freud, oder Traurigkeit erfüllt ist, der wird auch den freudigen oder traurigen Ton treffen, wenn er seine Empfindung durch Reden äußert. Aber wenn man sich auch in die Empfindung gesezt hat, so geschiehet es nur sehr selten, daß man bey Verfertigung eines Werks von Geschmak, sich derselben ganz überlassen könne: das Nachdenken, das gar ofte nöthig ist, dem Vers, oder der Periode, die nicht, wie von selbst fließt, die gehörige Form zu geben, und was sonst in Absicht auf jeden Gedanken zu überlegen ist, dämpfet die Wärme der Empfindung, und macht, daß man den Ton verfehlt.
Da es nicht möglich ist Regeln zu geben, durch deren Befolgung jeder Ton zu erreichen wäre, so kann hier nur durch Beyspiehle gelehrt werden. Eine Sammlung auserlesener Stüke darinn der gehörige Ton vollkommen getroffen ist, würde dieses Studium ungemein erleichtern.
Wir können, ohne uns in große Weitläuftigkeiten einzulassen, diese Materie hier nicht näher ausführen, wünschen aber, daß jemand sich die Mühe geben möchte, sie in einem eigenen Werk abzuhandeln, da sie in der That höchst wichtig ist. Man wird finden, daß der Ton hauptsächlich durch die Wortfügung, durch den Gebrauch der Verbindungs- und Ausrufungswörter, durch die Wahl der Figuren, Bilder und des Ausdruks, und durch den Numerus bestimmt wird. Jeder dieser Punkte wird von verschiedenen Gemüthslagen, auch ganz verschieden behandelt. Eine unruhige Gemüthslage beobachtet z.B. eine ganz andre Wortfügung, als eine ruhige; braucht ungleich weniger Verbindungswörter, als diese; und so in den andern Punkten. Die Feyerlichkeit des epischen Tones wird ofte blos durch den Gebrauch gewisser Verbindungswörter erreicht, deren Bedeutung sich kaum anders, als durch ein etwas dunkeles Gefühl bestimmen läßt. Mancher Homerische Hexameter erhält durch dergleichen Wörter, als ἀυταρ, ἀταρ und mancher Klopstokische durch die Wörter Also, Und, Aber, Izo, eine Feyerlichkeit des Tones, die ohne diese Wörter nicht zu erreichen wäre.
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