[223] Musen (die) waren die Göttinnen der schönen Künste und Wissenschaften des Alterthums, und man nahm deren zuerst drei, nachher eine vierte und später neun an, die für Töchter Jupiter's und der Gedächtnißgöttin Mnemosyne galten.
Tanz und Gesang, mit dem sie unter Leitung des Apollo, daher Musagetes oder Musenführer genannt, das Mahl der Götter im Olymp erheiterten, waren früher ihr gemeinsames Geschäft, bis man jeder eine besondere Wirksamkeit beilegte und bei Abbildung derselben anzudeuten suchte. So wird Klio als Muse der Geschichte mit einer halbgeöffneten Pergamentrolle oder mit Schreibtäfelchen in der einen und einem Schreibgriffel in der andern Hand, auch oft schreibend dargestellt; Melpomene wird durch eine tragische Maske (s.d.), auch durch einen Dolch und eine Krone in den Händen oder Cypressenzweige im Haar, als die Muse der Tragödie und Trauergedichte, Thalia durch eine komische Maske und einen Jocusstab als die komische bezeichnet. Die vornehmste von allen, die Muse des Heldengedichts, Kalliope, hält eine Pergamentrolle oder eine mit Lorber umwundene Trompete, Euterpe als Muse der Tonkunst, zwei Flöten, Terpsichore rührt als Göttin der Tanzkunst die siebensaitige Leier oder trägt eine mit Schellen besetzte Handpauke, Erato, als Muse der Liebesgesänge, schlägt mit dem Plectrum eine neunsaitige Leier, Urania kündigt sich durch eine Kugel in der linken und einen Griffel, Zirkel oder Stab in der rechten Hand, auch wol durch einen Sternenkranz und eine Leier als die unter ihren Schwestern [223] an, welche sich vorzugsweise mit Betrachtung himmlischer Dinge abgibt, und Polyhymnia endlich, die Muse der Beredtsamkeit und Mimik, erscheint sitzend oder stehend mit rednerischer Bewegung der rechten Hand. Hiernach wird sich auch auf der begleitenden Abbildung der um Apollo versammelten Musen leicht jede Einzelne erkennen lassen. In Griechenland galten als ihre geweihten Aufenthaltsorte vorzugsweise drei Berge: der Parnaß (s.d.) mit der begeisternden kastalischen Quelle an seinem Fuße, von der sie auch Kastalinnen genannt werden; der Helikon in Böotien (s.d.) und der Pindus in Thessalien; außerdem wurden auch der Olympus in Thessalien und der Libethrus und Pimpla in Böotien als Musenberge betrachtet und die Musen darnach Libethriden und Pimpleiden, sowie von einem Berge Pieria in Macedonien Pierinnen und Pieriden genannt. Bei den Römern hießen sie eigentlich Camönen und in Rom waren ihnen mehre Tempel und ein Hain gewidmet. Man stellt sie stets in keuschen Gewändern dar, auch sind sie beständig Jungfrauen geblieben und der Ausdruck »Kind der Musen« wird nur bildlich von in den Künsten vorzüglich ausgezeichneten Personen gebraucht. Berühmt war der Wettstreit der Sirenen (s.d.) mit den Musen, in dem die Erstern unterlagen und sich zur Strafe die Federn aus den Flügeln rupfen lassen mußten, aus denen sich die Musen Kränze machten. – Als Titel von den schönen Künsten und Wissenschaften gewidmeten Büchern und Zeitschriften ist der Name »Musen« seit dem vorigen Jahrhundert mehrfach angewendet worden; das meiste Interesse unter solchen Schriften erwarben als Vereinigungspunkte für die Gaben befähigter Dichter die sogenannten Musenalmanache, deren erster unter diesem Titel, nach dem Vorgange eines gleichen Unternehmens in Frankreich, 1770 zu Göttingen erschien und von zwei für die Dichtkunst begeisterten jungen Männern, Heinr. Christ. Boje aus Meldorp in Holstein, gest. 1806 als dän. Etatsrath, und Friedr. Wilh. Gotter aus Gotha, der sich auch als dramatischer Dichter bekannt gemacht, gest. 1797 als Beamter bei der dortigen geheimen Kanzlei, gestiftet wurde, von denen der Erste dort studirte und der Andere gleichzeitig als Führer von ein Paar jungen Leuten dort verweilt hatte. Die ausgezeichnete Theilnahme, welche das Unternehmen fand, vermehrte bald die Zahl der Musenalmanache, deren außer einem gleichzeitigen zu Leipzig (1770–81) auch zu Hamburg (1776–1800) und Wien (seit 1777), sowie an mehren andern Orten herauskamen, von denen aber keiner die Bedeutung des von 1796–1801 von Schiller herausgegebenen erlangte, zu dem Goethe und die ausgezeichnetsten Dichter jener Zeit beisteuerten. Auch spätere ähnliche Unternehmungen blieben dahinter zurück, und die Musenalmanache hörten unter dem Drucke der den Künsten unholden Zeitereignisse und bei einer dem Metrischen abgewendeten vorherrschenden Geschmacksrichtung des Publicums auf, bis das Bedürfniß nach solchen Sammlungen neuester Dichtungen sich neuerdings geltend machte und 1830 gleichzeitig zwei neue, ein berliner von Moritz Veit und ein leipziger von Amad. Wendt eröffnet wurden. Der letztere hatte die ausgezeichnetsten Beiträge aufzuweisen, besteht seit 1834 als »Deutscher Musenalmanach« und herausgegeben von Chamisso (s.d.) und G. Schwab noch fort, und hat fortwährend vielfache Nachahmer gefunden.