Flagellanten

[651] Flagellanten (lat. Flagellantes, Geißler, Geißelbrüder, Flegler oder Bengler), Bruderschaft des 13.–15. Jahrh., die durch Geißelung des Körpers (wegen 1. Kor. 9,23) Sündenvergebung zu erwerben glaubte. Von mehreren Päpsten und berühmten Kirchenlehrern (z. B. Damiani) dringend empfohlen, galt neben andern äußerlichen Werken die sogen. apostolische Zucht der Geißelung im Mittelalter für ein vorzügliches Buß- und Gnadenmittel,[651] weshalb es nicht befremden kann, daß man in Zeiten äußerer Not eine öffentliche und allgemeine Anwendung der Geißel für besonders wirksam zur Versöhnung der zürnenden Gottheit hielt. Das erste Beispiel solcher Geißlerfahrten gab Italien zur Zeit der Parteiungen der Guelfen und Ghibellinen. Seit 1260 zogen Männer und Weiber aller Stände und jeden Alters, die Priester mit Kreuzen und Fahnen voran, selbst im strengsten Winter bis zum Gürtel nackend, durch die Straßen der Städte in Prozession umher und peitschten sich unter Seufzen bis aufs Blut. Einige dieser Züge gingen selbst über die Alpen, aber erst als der Schwarze Tod 1348 aus Asien durch Europa zog, wurde auch in Deutschland die Geißelwut durch jenes vermeintliche göttliche Strafgericht überall geweckt. In der Gegend von Straßburg im E., Magdeburg, Speyer etc. bildeten sich Geißlergesellschaften. Kreuz und Fahne voran, zogen diese Geißler von Dorf zu Dorf, überall mit Glockengeläute empfangen und lawinenartig wachsend. Zweimal täglich büßten sie, indem sie sich unter eigens dazu geschaffenen geistlichen Gesängen (Leisen) bis aufs Blut geißelten. Sie verbreiteten sich über ganz Deutschland, Holland, Belgien, England, Schweden, die Schweiz und Frankreich. Die Mißstimmung der Hierarchie über die Eigenmächtigkeit jener Bußgänge und über das Zurücktreten aller kirchlichen Bußen vor der Geißel sowie Klagen über schwärmerischen Unfug und Störung der bürgerlichen Ordnung veranlaßten endlich Papst Clemens VI. 1349 zu einem Verbot der Geißlerfahrten. Dessenungeachtet treffen wir noch später Geißlergesellschaften, besonders in Italien, wo sie wegen ihrer weißen Gewänder »Bianchi« oder »Albati« hießen. Einige Flagellantenvereine trieb die Verfolgung selbst zu einer feindlichen Stellung gegen die Kirche; mit häretischen Begharden vermischt, bildeten sie Sekten, die den Klerus für den Antichrist erklärten und die Bluttaufe der Geißel an die Stelle aller kirchlichen Sakramente setzten. Die Inquisition baute ihnen zahlreiche Scheiterhaufen, ohne jedoch ihre gänzliche Vernichtung bewirken zu können. Vgl. Förstemann, Die christlichen Geißlergesellschaften (Halle 1828); Schneegans, Die Geißler, namentlich die Geißelfahrt nach Straßburg 1349 (a. d. Franz. von Tischendorf, Leipz. 1840); Corvin, Die Geißler (3. Aufl., Rudolst. 1891); Cooper (Pseudonym für I. G. Bertram), Flagellation and the Flagellants (6. Aufl., Lond. 1896; deutsch, 2. Aufl., Dresd. 1903); Höniger, Der Schwarze Tod in Deutschland (Berl. 1882).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 651-652.
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