Priesterseminar

[343] Priesterseminar, katholisch-kirchliche Bildungsanstalt für Geistliche. Soweit im frühern Mittelalter die Kleriker nicht der höhern Bildung überhaupt ermangelten, empfingen sie diese in den Dom-, Stifts-, Kloster- und Pfarrschulen. Später besuchten sie die Universitäten. Deren Zerfall als kirchliche Anstalten in der Reformationszeit veranlaßte das Tridentinische Konzil, für die klerikale Bildung neue Normen zu schaffen. Nach dem Vorbilde des Collegium Germanicum (s. Collegia nationalia) in Rom und andrer Jesuitenkollegien wurde in der 23. Sitzung vom 15. Juli 1563 die Einrichtung von Seminaren (Tridentinische Seminare) beschlossen. In diese Seminare, von denen für jede bischöfliche Diözese eins vorgesehen ist, sollen ehelich geborne Knaben mit zurückgelegtem 12. Lebensjahr aufgenommen, humanistisch und theologisch gebildet und für den priesterlichen Beruf vorbereitet werden. Die Zöglinge tragen priesterliches Gewand. Nach einer vom Konzil noch nicht vorgesehenen Teilung unterschied man später Knabenseminare (petit séminaires) und Klerikalseminare (grand séminaires), erstere für die Erziehung und die humanistische, diese für die philosophisch-theologische und die priesterliche Bildung. Die Hauptförderer des Seminarwesens waren die Päpste Gregor XIII. (1572–85), Gregor XV. (1621–23) und Urban VIII. (1623–44). Durch sie und durch die immer größern Einfluß gewinnenden Jesuiten wurden die Priesterseminare bald besonders wirksame Werkzeuge der Gegenreformation. In ihrem einseitig kirchlichen Charakter lag der Keim des Konflikts mit der Staatsgewalt. Seit etwa 1750 wogte der Kampf um sie in versch edenen Ländern. In Österreich suchte Joseph II. seit 1783 durch die Einrichtung von Generalseminaren die Bildung der Geistlichen staatlich zu ordnen. In Frankreich verschlang die Revolution die bischöflichen Bildungsanstalten, aber schon Napoleon I. gab in den Organischen Artikeln (s. Gallikanische Kirche) die Einrichtung von Klerikalseminaren in gewissen Schranken frei, die dann unter den Bourbonen von neuem aufblühten. In Deutschland gelang es den Bischöfen seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh., die jungen Theologen nach und nach dem weltlichen Einfluß öffentlicher Universitäten zu entziehen. Freilich ordnete das preußische Gesetz vom 11. Mai 1873 (s. Kirchenpolitik, S. 51) das sogen. Kulturexamen an und stellte die bischöflichen Lehranstalten unter staatliche Aussicht. Die Weigerung der Bischöfe führte zur Schließung einer Reihe von Seminaren, die jedoch nach Aufhebung des Examens und Milderung der Aussicht (11. Juli 1886) wieder geöffnet wurden. Zurzeit gelten folgende Grundsätze: auf die Ablegung der Reifeprüfung an einem deutschen Gymnasium folgt ein drei- bis fünfjähriges Theologiestudium an einer staatlichen oder staatlich anerkannten bischöflichen Unterrichtsanstalt, an einer Universität, einem Lyzeum (Bayern) oder einem bischöflichen P. Falls der Unterricht nicht ganz in einem solchen erfolgt, tritt zu dem Besuch der vorgenannten Anstalten ein Aufenthalt im P. zum Zweck der asketischen und praktischen Ausbildung hinzu. Alle theologischen Anstalten stehen unter Staatsaufsicht. Studium und Lehrplan sind in Preußen durch das Gesetz vom 21. Mai 1886, in Baden und Hessen durch die Gesetze vom 5. Juli 1888 und 5. Juli 1887 geregelt. Vgl. A. Theiner, Geschichte der geistlichen Bildungsanstalten (Mainz 1835); H. Zschokke, Die theologischen Studien und Anstalten der katholischen Kirche in Österreich (Wien 1894); Aubry, Les grands séminaires (Lille 1893, 2 Bde.); Heiner, Theologische Fakultäten und tridentinische Seminarien (Paderb. 1900) und Nochmals theologische Fakultäten etc. (2. Aufl., das. 1901); Merkle, Das Konzil von Trient u. die Universitäten (Würzb. 1905). S. auch die bei dem Artikel »Jesuiten« angegebene pädagogische Literatur.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 343.
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