Nothzucht

[140] Nothzucht (Notnunft, Stuprum violentum), die von einer Mannsperson mittelst wahrer Gewalt erzwungene widerrechtliche Schwächung eines ehrbaren erwachsenen Frauenzimmers (Mädchen od. Frau) wider deren ernstlichen Willen. Nach Römischem Rechte wurde eine derartige gewaltsame Schändung als Verbrechen der Vergewaltigung (Crimen vis) behandelt, u. es kam daher auch nichts darauf an, ob dasselbe von einem Frauenzimmer od. einer Mannsperson begangen worden war; die Carolina bringt die N. dagegen, im Anschluß an ältere deutsche Strafgewohnheiten, unter den Gesichtspunkt eines Raubes der weiblichen, fräulichen od. jungfräulichen Ehre. Das charakteristische Merkmal des Verbrechens bildet daher die Verletzung der Geschlechtsehre, u. dem entsprechend wird die N. von den meisten neueren Strafgesetzbüchern mit den Fleischesverbrechen (s.d.) zusammengestellt. Es erklärt sich daraus auch, daß nach deutscher Rechtsauffassung nur ein Frauenzimmer, kein Mann, u. auch nur eine ehrbare Frau, keine Hure, Gegenstand des Verbrechens sein kann, wiewohl in letzter Beziehung manche neuere Strafgesetzgebungen die gewaltsame Schändung einer Hure nur als einen Strafmilderungsgrund gelten lassen. Jedenfalls muß der Beischlaf ein widerrechtlicher sein; die Gewalt muß eine solche sein, daß die angegriffene Frauensperson mit ihren physischen Kräften nicht widerstehen konnte; vollendet wird die N. erst durch die wirkliche Vereinigung der Geschlechtstheile, nur das Braunschweigische Strafgesetzbuch erklärt das Verbrechen schon mit dem Augenblicke für vollendet, in welchem die auf Erzwingung des Beischlafes gerichtete Gewalt angewendet wurde, u. behandelt die Erreichung der wollüstigen Absicht dann nur als einen Erschwerungsgrund bei Ausmessung der Strafe. Die Einleitung einer Criminaluntersuchung soll nach Vorschrift der Carolina erst auf Antrag der Genothzüchtigten erfolgen. Als Strafe bestimmte dieselbe dem Nothzüchtiger die Strafe des Räubers, d.i. Hinrichtung mittelst des Schwertes. Die neueren Strafgesetzgebungen drohen dafür je nach Beschaffenheit der Fälle Zuchthaus bis zu 10, wenn die Genöthigte aber an ihrer Gesundheit Schaden genommen hat, auch bis zu 20 Jahren an; im Falle einer concurrirenden Tödtung kann auch auf lebenslängliches Zuchthaus, nach einzelnen Gesetzen sogar auf den Tod erkannt werden. Dieselben Strafgesetzgebungen haben mehrfach die Strafen der N. auch auf Fälle ausgedehnt, welche gemeinrechtlich nicht unter den Begriff der N. gestellt werden können, namentlich auf den Fall der sogenannten unfreiwilligen Schwächung (Stuprum nec violentum nec voluntarium), wenn eine Mannsperson ein Frauenzimmer durch arglistige Betäubung, z.B. Reichung eines Schlaftrunkes, Berauschung u. dgl. in einen Zustand der Bewußtlosigkeit versetzt u. dann während dieses Zustandes den Beischlaf mit ihr vollzieht; od. wenn der Beischlaf nur mit einer blödsinnigen, wahnsinnigen, ohnmächtigen Person vollzogen wird, ohne daß der Thäter erst selbst diesen Zustand hervorgebracht hat; od. wenn die Schändung an noch nicht mannbaren Kindern Statt fand, in welchem Falle meist die Strafandrohung nur noch eine etwas höhere, als bei der gewöhnlichen N. ist.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 140.
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