Tödtung

[657] Tödtung, 1) jede Vernichtung des Lebens eines Geschöpfes. Insofern dieses Geschöpf nur ein Thier ist (welchem im Römischen Rechte die Sklaven durchaus gleich standen) u. sich dies Thier in dem Eigenthum eines Rechtssubjectes befindet, treten civi trechtlich die Regeln über die Verpflichtung zum Schadensersatz ein. Dieselben sind gemeinrechtlich durch die Lex Aquilia bestimmt. Derjenige, welcher die T. durch seine Schuld veranlaßt, ist hiernach gehalten dem Eigenthümer des Thieres den höchsten Werth zu ersetzen, welchen dasselbe erweislich innerhalb des letzten Jahres gehabt hat. Konnte bei der T. Niemand eine Schuld beigemessen werden, so hat der Herr selbst den Schaden zu tragen. Ereignet es sich, daß die T. nicht durch einen freien Menschen veranlaßt wurde, sondern ein anderes Thier durch eine seiner Thiergattung an sich nicht natürliche Wildheit die T. herbeiführte, so hat der Eigenthümer des getödteten Thieres die Actio de pauperie gegen den Eigenthümer des anderen Thieres, welcher sich aber durch Hingabe des letzteren (Noxae deditio) von dem Ersatz des geursachten Schadens befreien kann. Wer gefährliche Thiere an einem gangbaren Orte hält, kann, wenn durch dieselben andere Thiere angefallen u. getödtet wurden, auf Ersatz des doppelten Werthes des Schadens belangt werden. Außerdem ist demjenigen, welcher muthwilliger Weise fremde Thiere tödtet, auch nach den meisten neueren Strafgesetzbüchern eine criminelle Bestrafung (Geldstrafe od. mäßiges Gefängniß) wegen widerrechtlicher Beschädigung fremden Eigenthums angedroht. 2) (Homicidium), im juristischen Sinne die rechtswidrige Vernichtung des Lebens eines freien Menschen od. der Fall, in welchem durch eine rechtswidrige Handlung od. Unterlassung vorsätzlich od. aus Fahrlässigkeit der Tod eines freien Menschen herbeigeführt worden ist. Zum allgemeinen Thatbestand der T. gehört, A) daß den unmittelbaren Gegenstand des Verbrechens ein zur Zeit der Verübung wirklich schon od. noch lebender Mensch bilde, welcher nicht der Verbrecher selbst ist. Durch das erstere Erforderniß wird namentlich die Möglichkeit der T. eines wahren Monstrum u. eines schon Todten, durch das letztere die Selbstentleibung (s. Selbstmord) von dem Begriffe des Verbrechens der T. ausgeschlossen. An Kranken, selbst Todtkranken kann die T. sowohl der Natur der Sache nach, als nach den gesetzlichen Bestimmungen immer verübt werden. Ob an einem Todten, welchen aber der Verbrecher noch für lebendig hielt, wenigstens ein strafbarer Versuch der T. verübt werden könne, ist vielfach bestritten worden, doch ist die Frage jedenfalls zu verneinen, wenn nicht Landesgesetze ausdrücklich ein Anderes bestimmen. B) Der Tod des Menschen muß die Folge der Handlung des anderen Menschen gewesen sein. Gleichgültig ist dabei, ob diese Handlung in einem positiven Thun od. in einer bloßen Unterlassung bestand, wenn nur der Unterlassende zu der thätigen Fürsorge für die Erhaltung des Lebens des Anderen verpflichtet war. Ebensowenig kommt es auf das angewendete Mittel od. die Zeit, in welcher der Eintritt des Todes der Handlung nachfolgte, sondern nur auf das Vorhandensein eines wirklichen Causalzusammenhanges an. Diese Rücksicht hat auch dazu geführt, daß die mancherlei Unterschiede, welche die Doctrin früherhin in Betreff Verletzungen mit Beziehung auf ihre ursprüngliche Beschaffenheit u. ihren späteren Erfolg aufgestellt ist, jetzt fast allgemein verworfen worden sind. Man unterschied danach: a) nothwendig tödtliche Verletzungen (Vulnera absolute letalia), d.h. solche, welche ohne Hinzutritt einer zufällig wirkenden weiteren Ursache den Tod bewirken; b) zufällig tödtliche (Vulnera per accidens letalia), d.h. solche, welche zunächst nur durch das Hinzutreten einer Nebenwirkung, z.B. übler Witterung, Abwesenheit der[657] Kunsthülfe u. dergl., den Tod bereitet haben; u. c) an sich tödtliche Verletzungen (Vulnera per se letalia), welche zwar sich selbst überlassen einen tödtlichen Ausgang nehmen, von denen aber durch schnelle u. zweckmäßige Kunsthülfe der tödtliche Erfolg abgewendet werden kann. Nach einer anderen Richtung wurde ein Unterschied zwischen a) allgemein (V. in abstracto letalia) u. b) individuell tödtlichen Verletzungen (V. in concreto letalia) aufgestellt, wonach man unter den letzteren solche verstand, deren tödtlicher Ausgang durch die individuelle Körperbeschaffenheit des Verletzten, z.B. eine ungewöhnlich dünne Hirnschale, veranlaßt wurde. Der objective Thatbestand der T. bleibt immer vorhanden, gleichviel ob die Verletzung der einen od. anderen Art zuzurechnen war, wenn nur keine andere, von der zugefügten Verletzung völlig unabhängige Todesursache dazwischen getreten ist. Dagegen können die angegebenen Unterscheidungen für die Beurtheilung der subjectiven Seite des Verbrechens von Wichtigkeit werden, theils um überhaupt die Schuld des Thäters, theils um den Grad derselben, ob Dolus od. Culpa, größere od. geringere Fahrlässigkeit anzunehmen sei, auszumitteln. In dieser Hinsicht muß C) die Handlung dessen, welcher die T. verursacht hat, nicht blos im Allgemeinen eine zurechenbare, sondern namentlich auch eine widerrechtliche gewesen sein. Hierdurch werden von dem Thatbestand der T. als eines Verbrechens ausgeschlossen: a) die T. in Ausübung der Dienstpflicht, z.B. die T. eines Feindes im Kriege, des zur Hinrichtung Verurtheilten durch den Scharfrichter, eines fliehenden Verbrechers durch den Gendarm, welcher instructionsmäßig von seiner Waffe Gebrauch macht; b) die T. in rechter Nothwehr (s.d.); c) die T. im Nothstande (s.d.), nach manchen älteren Gesetzen, bes. auch dem Römischen Recht u. der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V., die T. des auf der That ertappten Ehebrechers durch den Ehemann od. den Vater der Ehefrau, während nach den neueren Strafgesetzen die T. in keinem Falle mehr als eine rechtliche u. nur dann als straflos erscheint, wenn sie etwa in einem die Zurechnung aufhebenden Affecte erfolgte. D) Ob der Thäter bei der Handlung, welche den Tod des Anderen herbeiführte, mit Vorsatz od. aus Fahrlässigkeit handelte, ist für den Thatbestand der T. im Allgemeimen gleichgültig. Doch übt die Beschaffenheit der Willensrichtung einen wesentlichen Einfluß auf die Bestimmung des Grades der Strafbarkeit. Die T. wird zum Mord (s.d.), wenn die That mit Vorbedacht verübt wurde; zum Todtschlag (s.d.), wenn sie zwar mit Vorsatz, aber im Affect verübt wurde; in den übrigen Fällen, in denen die T. nur Folge eines unvorsichtigen, fahrlässigen Gebahrens war, spricht man von einer T. im engeren Sinne od. culposen T. Die Strafe der letzteren steigt um so höher, je höher die Fahrlässigkeit war, welche dem Gebahren zu Grunde lag; außerdem kommt es auch darauf an, ob die Handlung schon an sich eine strafbare war, z.B. wenn der Thäter die Absicht hatte den Andern zu mißhandeln, in Ausführung derselben aber zugleich denselben getödtet hat. Die Strafe ist für die culpose T. gemeinrechtlich eine arbiträre, nach den neueren Strafgesetzgebungen in geringeren Fällen Gefängniß od. Arbeitshaus bis zu 4 Jahren, in schwereren aber, bes. wenn die Handlung an sich eine strafbare wäre, auch Zuchthaus bis zu 20 Jahren. Durch die besonderen Umstände, unter denen die T. erfolgte, besteht übrigens noch als eine besondere Art der T. der Kindesmord (s.d.). Zar Ermittelung des Thatbestandes einer jeden T. dient namentlich die Obduction (s.d.) u. Secion (s.d.) der Leiche, auf deren Ergebnisse die Gerichtsärzte ihr Gutachten abzugeben haben, ob der Getödtete an den erhaltenen Verletzungen gestorben sei u. mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit od. Unwahrscheinlichkeit der Thäter bei seiner Handlung den tödtlichen Erfolg voraussehen konnte. Civilrechtlich kann die T. eines freien Menschen nach den Grundsätzen der Lex Aquilia ebenso die Pflicht zum Ersatz des dadurch geursachten Schadens führen, wie die T. eines Thieres, wenn nachgewiesen wird, daß der Getödtete versorgungsbedürftige Verwandte hinterlassen hat, denen durch die T. die Ernährung genommen worden ist. Die Festsetzung der Leistungen hat nöthigenfalls durch den Richter nach arbiträrer Schätzung zu erfolgen. Die französische u. englische Rechtspraxis bieten Beispiele dar, in welchen die diesfallsigen Enschädigungen zuweilen sehr hoch bemessen worden sind. Die altdeutschen Rechtsquellen enthielten in dieser Hinsicht in der Bestimmung der sogenannten Wehrgelder (s.d.), welche der Thäter an die Familie des Getödteten zu zahlen hatte, um sich von der Blutrache zu befreien, zuweilen sehr genaue, sich nach dem Stande des Getödteten richtende Festsetzungen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 657-658.
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