Repressalien

[51] Repressalien, 1) im weiteren Sinne jede Gewaltthätigkeit, welche ein Staat dem anderen gegenüber zur Erlangung einer Genugthuung für ein im völkerrechtlichen Verkehr erlittenes Unrecht anwendet, ausgenommen den förmlichen Krieg; 2) im engeren Sinne die Anwendung solcher Gewaltmaßregeln, wodurch zu dem erwähnten Zwecke Personen od. Sachen des anderen Staates der einstweiligen Verfügung des sein Recht verfolgenden od. vertheidigenden Staates unterworfen werden. In älterer Zeit bestanden diese Maßregeln hauptsächlich in der Concessionirung der Unterthanen od. Anderer zum Seeraub od. zu ähnlichen Vergewaltigungen gegen die fremde Nation durch sogenannte Repressalienbriefe (Lettres de marque, Lettres de repressailles), was indessen jetzt auf die Kaperei (s.d.) im wirklichen Seekriege beschränkt ist. Die noch zulässigen Arten der R. bestehen in der Vornahme derselben rechtswidriger Handlung od. Unterlassung, deren sich der andere Staat schuldig gemacht hat, an Personen od. Objecten, welche demselben angehören, z.B. indem den Gesandten der fremden Macht mit derselben unfreundlichen Behandlung begegnet wird, wie sie ihnen jenseits zu Theil geworden ist, od. in der Innebehaltung u. Beschlagnahme von Personen, Sachen u. Forderungen des anderen Theiles, welche sich im Bereiche des verletzten Staates befinden. Die R. der letzteren Art bilden eine Art von Arrest od. Pfändung, welche jedoch kein Recht auf das Leben der gepfändeten Personen od. das Eigenthum an den gepfändeten Sachen gibt, sondern höchstens gestattet, daß, wenn ein vermögensrechtlicher Schaden in Frage steht u. auch die Pfändung den anderen Staat nicht zur Genugthuung bewegt, die Sachen zur Deckung des Schadens verwendet werden können, während die Personen als Geißeln zu behandeln sind. Einen Grund zu derartigen R. gewährt jede völkerrechtlich anfechtbare Verzögerung od. Verweigerung des zwischen zwei unabhängigen Staaten bestehenden Rechtes. Dritte Mächte sind nicht verpflichtet u. auch nicht berechtigt, R. im Interesse einer anderen Macht anzuwenden, insofern nicht, wie bei Staatenvereinen, die Macht sich im Voraus dazu verpflichtet hat, od. eine allgemeine Verletzung des Völkerrechtes eingetreten ist, bei welcher jeder Staat aufgerufen ist, R. anzuwenden, um die [51] Grundsätze des allgemeinen Staatenverkehres zu schützen.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 51-52.
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