[303] Gymnasium bezeichnet gegenwärtig eine Schule, in welcher Knaben und Jünglinge eine wissenschaftliche Vorbildung erhalten, welche vorzüglich den Zweck hat, dieselben zum Besuche der Universität vorzubereiten. Im griech. Alterthum aber hießen Gymnasien die Orte, an denen sich die männliche Jugend nackend (griechisch Gymnos, daher der Name) in allerlei Leibesübungen, als Ringen, Laufen, Werfen mit Lanze und Wurfscheibe, Faustkampf, übte. Bald kamen hier nicht nur die Knaben und Jünglinge mit den die Aufsicht führenden Lehrern zusammen, sondern auch die Freunde der Jugend fanden sich ein und besonders die, welche sich angelegen sein ließen, dieselbe geistig zu erziehen, namentlich die Philosophen mit ihren ältern und jüngern Schülern. Um nämlich im Alterthum zu den höhern Wissenschaften zu gelangen, mußte man sich, da es keine von Staatswegen angestellte Lehrer gab, an einen ausgezeichneten Philosophen (die Philosophie begriff zugleich fast alle übrigen Wissenschaften in sich) persönlich anzuschließen suchen. Auch die Örtlichkeit dieser Gymnasien war zu solchen Zusammenkünften sehr geeignet. Anfangs nämlich bestanden dieselben zwar nur aus offenen, einfach eingezäunten Plätzen, mit verschiedenen Abtheilungen für die verschiedenen Arten der Kampfspiele, als aber die Bildung, der Reichthum und die Prachtliebe der Griechen, namentlich der Athener, zunahmen, wurden diese Plätze erst mit schattenspendenden Bäumen bepflanzt, dann mit Säulengängen umgeben und endlich zu prachtvollen, weitläufigen, mehre Tausende von Menschen fassenden Gebäuden umgewandelt. Hermes (Mercur) und Herakles (Hercules) waren die Schutzgötter der Gymnasien, ihnen wurden daher Altäre und Statuen errichtet, und andere Verzierungen bildeten Darstellungen berühmter Helden, sowie Gemälde- und Bildnerarbeiten, welche Gegenstände aus der Geschichte und Mythologie darstellten. Solcher Gymnasien gab es in Athen fünf, unter ihnen die Akademie (s.d.), wo Platon, und das Lyceum (s.d.), wo Aristoteles lehrte. Auch diese beiden Namen sind später zur Bezeichnung gelehrter Bildungsanstalten gebraucht worden. Die griech. Gymnasien wurden zur Kaiserzeit auch in Rom nachgeahmt.
Von den Übungen in den alten Gymnasien ist die Gymnastik benannt worden, die Kunst der Leibesbewegungen. Sie wurde bei den Griechen von frühester Kindheit an geübt, um dem Körper Gewandtheit, Kraft und Schönheit zu verschaffen, und galt für den wesentlichsten Theil der Erziehung. Jeder. freie Mann mußte in der gymnastischen Kunst geübt sein, auch wenn er nicht vorzüglich dem Kriegerstande angehören wollte; doch war jeder Bürger einer griech. Stadt auch Vertheidiger derselben und Streiter für sie. Am strengsten waren in der Gymnastik die Spartaner, am meisten künstlerisch ausgebildet die Athener. In Sparta wurden auch die Mädchen zu gymnastischen Übungen angehalten. Nicht jedoch nur als Gegenstand der Erziehung wurde in Griechenland die Gymnastik betrachtet, sondern es gab auch Menschen, Athleten (s.d.) genannt, welche derselben vorzugsweise ihr ganzes Leben widmeten, sodaß von ihnen dieselbe als eine freie Kunst geübt wurde. Hierzu gaben Veranlassung und Gelegenheit die öffentlichen Spiele, zu denen die Griechen an bestimmten Zeiten und Orten von nah und fern zusammenströmten. Hier wurden Kämpfe im Ringen, Laufen u.s.w. angestellt, und der Sieger genoß der größten Ehre, sein Name wurde in ganz Griechenland [303] genannt und die Stadt, welche ihn hervorgebracht, pries sich glücklich. Die Athleten übten sich namentlich im Faustkampf und zwar in einer eignen Abtheilung des Gymnasiums, Palästra genannt. Dieses Wort ist jedoch, besonders später, oft gleichbedeutend mit Gymnasium gebraucht worden. Da man die Gymnastik nicht allein als eine Vorübung zum Kriegsdienste, sondern auch als bestes Erziehungsmittel, endlich als wirkliche von den Athleten geübte Kunst betrachtete, so unterschied man demgemäß auch drei verschiedene Arten der Gymnastik: die kriegerische, die diätetische (die auf das körperliche Wohlverhalten berechnete), und die athletische. Laufen, Reiten, Fahren, Ringen, Springen, Bogenschießen, Werfen, Fechten waren Gegenstände der kriegerischen Gymnastik um so mehr, da es bei der Kriegführung der Alten mehr auf Kraft und Gewandtheit des Einzelnen ankam, als gegenwärtig, wo die Schlachten durch die Bewegungen der Massen entschieden werden. Die diätetische Gymnastik hatte auch noch Ballspiel, Tanz, Bäder und Salbungen zum Gegenstande. Über die athletische Gymnastik, Athletik, Gymnik oder Agonistik s. Athleten.
In der christlichen Welt sah man mehr darauf, den Geist, als den Körper zu bilden, und sowie sich die Wissenschaften immer mehr ausbildeten, sank im gleichen Maße die Beschäftigung mit Leibesübungen. Zur Zeit des Ritterthums galt es noch für die des freien Mannes am meisten anständige Bildung, in Handhabung der Waffen geschickt und durch Kraft und Gewandtheit ausgezeichnet zu sein. Seit aber die ritterlichen Übungen in festlichen Spielen und der Gebrauch der Waffen, um sich Mann gegen Mann Recht zu verschaffen, immer mehr abkamen, die Feder mächtiger wurde als das Schwert, und Söldner an die Stelle der alten Volksbewaffnung traten, kamen die Leibesübungen ab. Reiten, Fechten mit Hieb- und Stoßwaffen, und Tanzen waren fast noch die einzigen Künste, welche zur Ausbildung körperlicher Gewandtheit betrieben wurden; aber auch sie waren keineswegs wesentliche Gegenstände der Erziehung, sondern wurden nur von den Wohlhabendern in den spätern Jünglingsjahren als Gegenstände des Vergnügens betrieben. Die Militairschulen und die Ritterakademien waren die einzigen Orte, wo diese sogenannten ritterlichen Künste noch in den Erziehungsplan aufgenommen waren. Auf den Universitäten erhielten sich mit den Duellen die Fechtböden. Als aber die Deutschen durch die Siege und Eroberungen Napoleon's aufgerüttelt wurden und durch harte Schicksale erfahren mußten, daß der Mensch zur Sicherheit seiner Freiheit mit dem Kopfe nicht allein ausreiche, als die Söldner einem begeisterten Feinde gegenüber sich als unbrauchbar bewiesen hatten und endlich, zum Sturz des mächtigen übermüthigen Feindes, der Gelehrte das Studirzimmer, der Bauer den Pflug und der Handwerker die Werkstatt verließ und für des Vaterlandes Ehre und Freiheit die Waffen ergriff, da lernte man die Vorzüge eines kräftigen, gewandten und geübten Leibes wieder schätzen. Nicht allein wurden seitdem die Bürger des Staats als die einzigen natürlichen und würdigen Vertheidiger desselben wieder anerkannt, sondern man machte auch wiederholte Versuche, in die Jugenderziehung die Gymnastik allgemein wieder einzuführen. Von Deutschland ging dieses Bestreben aus und fand auch bald in andern europ. Ländern Beifall. Wiederum bildete sich bei Verfolgung des pädagogischen Zwecks die Gymnastik systematisch aus, und man nannte die auf deutschem Boden selbständig neu erwachsene Kunst mit einem deutschen Worte: Turnkunst (s.d.). Diese wurde jedoch aufgehoben, weil sich politische Bestrebungen mit ihr vereinigt hatten, welche die Regierungen nicht gutheißen konnten. Wie sehr aber das Wiederaufleben der Gymnastik im Geiste der Zeit liege, hat sich dadurch dargethan, daß sich in neuester Zeit an vielen Orten, namentlich in Berlin, Dresden und Leipzig, neue Institute gebildet haben, welche die gefährlichen Nebentendenzen mit dem anrüchig gewordenen Namen der Turnkunst abgelegt und nur an der einfachen Aufgabe: Übungen zur Förderung der Gewandtheit, Kraft und Gesundheit des Körpers festhaltend allgemeinen Beifall gefunden haben. Es ist zu hoffen, daß sich ähnliche gymnastische Institute nach und nach mit allen Erziehungs- und Schulanstalten verbinden werden, damit man auf umfassende Weise auf den Zweck aller Erziehung hinarbeite: daß ein gesunder Geist in einem gefunden Leibe wohne.