[717] Lehnswesen Lehn (feudum) heißt ursprünglich ein Grundstück, welches der Eigenthümer (dominus, Lehnsherr) gegen das Versprechen einer besondern Treue und gegen Leistung gewisser Dienste, meistens Kriegshülfe, einem Andern (dem Vasallen) nutznießlich überläßt. In der Folge ward dieses Verhältniß auf Gegenstände aller Art angewendet und der Kreis der Sachen und Rechte, welche zu Lehn gegeben wurden, ebenso sehr erweitert, als der der Dienste, welche dagegen zu leisten waren. Den Ursprung der ganzen Einrichtung findet man gewöhnlich in der uralten Sitte der Anführer deutscher Völker, sich mit kriegslustigen Männern für kriegerische Privatunternehmungen oder Fehden zu verbinden, und man erklärt die weitere Entwickelung dadurch, daß die fränk. Könige nach Eroberung der röm. Provinzen in den Stand gesetzt wurden, durch Verleihung von Grundstücken eine große Schar von Getreuen für die Führung ihrer Fehden zu gewinnen. Das Lehnswesen stimmte zu sehr mit den Zeitideen überein, als daß es nicht den wichtigsten Einfluß auf das ganze Staats-und Volksleben hätte äußern sollen; nach seinen Formen wurden im Mittelalter alle Verhälnisse ausgebildet und alle Eigenthumsrechte wurden allmählig in den Lehnsverband gezogen. Wer freies Eigenthum besaß, hatte nichts Angelegentlicheres zu thun, als das Obereigenthum davon einem mächtigen Lehnsherrn, der vielleicht selbst wieder der Vasall eines noch größern oder des Königs war, anzubieten (feudum oblatum), um sich dessen Schutz in den Zeiten zu sichern, wo die Stärke nur zu oft die Stelle des Rechts einnahm. Durch die Einführung der Erblichkeit der Beneficien (beneficium war der alte Name für Lehn und erst im 10 Jahrh. wurde das Wort feudum das gewöhnliche) im I. 877 unter Karl dem Dicken, und der Afterlehne, wodurch die königl. Vasallen durch Widerverleihung ihres nutzbaren Eigenthums an Dritte sich einen Anhang zu verschaffen suchten, wurde der Einfluß des Lehnswesens immer mehr befestigt und ausgebreitet. Nirgend verbreitete sich aber dasselbe so allgemein und nirgend bildete es sich so vollständig aus, als in dem ital. Reiche der Longobarden. Ihnen verdanken wir auch eine Sammlung der durch Gesetze oder Gewohnheiten eingeführten lehnrechtlichen Bestimmungen (die sogenannten libri feudorum, deren Entstehung in die Mitte des 12. Jahrh. fällt), welche noch jetzt die Hauptquelle des Lehnrechts bildet. Mit der Ausbildung der Landeshoheit und der Einführung der Soldtruppen verfiel das Lehnswesen immer mehr und verlor allmälig ganz seine Bedeutung. Den Landesherren war die Macht der großen Vasallen höchst lästig und sie suchten sie mit Hülfe der Städte zu brechen. An die Stelle des Lehnsverbandes trat der Unterthanenverband und statt des Lehnseides foderte man den Unterthaneneid, welcher beiweitem mehr Verbindlichkeiten in sich schloß. Wenn indeß seit dem Ende des 15. Jahrh. das Lehnswesen als politische Grundlage der Staaten raschen Schrittes seinem Verfall entgegeneilte, so blieben doch die privatrechtlichen Bestimmungen desselben in Bezug auf das Eigenthum immer noch fortbestehen. Sie wurden indeß nicht mehr in ihrer ganzen Strenge zur Anwendung gebracht und schon im vorigen Jahrhundert wurden den Vasallen in mehren Ländern gesetzliche Wege eröffnet, ihr Besitzthum von dem Lehnsverbande durch eine angemessene Entschädigung des Lehnsherrn ganz zu befreien und in Allod (allodium, freies Eigenthum nennt man den Gegensatz von Lehn) zu verwandeln. In Frankreich und den Ländern des franz. Rechts wurde das Lehnswesen in der denkwürdigen Nacht des 4. Aug. 1789 mit einem Schlage zertrümmert, und es ist dessen gänzlicher Untergang auch in Deutschland ebenso sehr wahrscheinlich als wünschenswerth, da es bei den durchaus veränderten Verhältnissen nur noch in dem Lichte einer höchst unnützen und der freien Benutzung des Eigenthums schädlichen Einrichtung erscheint. Da es indeß bis auf diese Stunde nicht nur seine wissenschaftliche Bedeutung für das Studium des deutschen Staats- und Volkslebens in privatrechtlicher Hinsicht, sondern auch seinen praktischen Werth behalten hat, so kann hier eine kurze Darstellung seiner Hauptbestimmungen nicht übergangen werden.
Ein freies Eigenthum oder Allodium wird in Lehn verwandelt durch Belehnung oder durch Verjährung. Der Belehnung liegt gewöhnlich ein Vertrag zu Grunde, vermöge welches Jemand (der Lehnsherr) sein nutzbares Eigenthum gegen das Versprechen bestimmter Leistungen und wechselseitiger Treue dem Vasallen abtritt oder der Eigenthümer eines Grundstücks das Obereigenthum daran einem Andern anbietet und sich selbst zu seinem Vasallen macht. In beiden Fällen nennt man den feierlichen Act, durch welchen dieses Lehnsverhältniß vollzogen wird, die Investitur oder Belehnung im engern Sinne. In einigen Ländern, z.B. in Sachsen, spricht man bei jeder gerichtlichen Übertragung eines erworbenen freien Grundbesitzes von Belehnung und verlangt von dem Erwerber, daß er solchen »zu Lehn nehme«. Diese Übertragung, durch welche durchaus keine Lehnspflichten übernommen werden, hat indeß mit dem Lehnsrechte nichts zu schaffen. Über die geschehene Belehnung wird vom Lehnsherrn in der Lehnskanzlei eine solenne Urkunde, der Lehnbrief, ausgefertigt. Dieser enthält das Bekenntniß der vollzogenen Belehnung und zugleich eine Angabe des Objects derselben und der besonders getroffenen Verabredungen, und hat bei Streitigkeiten über die Lehnsverbindlichkeiten sowol gegen den Lehnsherrn, als auch gegen den Vasallen alle Beweiskraft. – Es können auch Mehre zu gleicher Zeit mit derselben Sache beliehen werden. Eine solche Belehnung heißt Gesammtbelehnung, wenn die sämmtlich Beliehenen zu gleicher Zeit auch den Nießbrauch und gegenwärtigen Besitz des Lehns, jeder zu seinem Antheil, haben; gesammte Hand aber, wenn allemal nur Einer im Besitz und Genuß sich befindet, die übrigen Mitbelehnten oder Gesammthänder aber erst nach seinem und seiner ehelichen Nachkommen Tode zum Nießbrauch gelangen. Die Mitbelehnten haben aber gleich vom Anfang ein Miteigenthum am Lehn und es kann deshalb auch ohne ihre Einwilligung keine wesentliche Veränderung mit dem Lehn vorgenommen werden und der Hauptvasall kann von ihnen wegen aller ihnen nachtheiligen Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Eventualbelehnung [717] nennt man diejenige, welche Jemandem für den Fall ertheilt wird, daß das Lehn an den Lehnsherrn zurückfallen (apert, offen werden) solle. Noch weniger Bedeutung hat eine Exspectanz oder Anwartschaft, welche in einem bloßen Versprechen des Lehnsherrn, bei einer vorkommenden zukünftigen Belehnung Jemanden zu berücksichtigen, besteht. Eine wirkliche Belehnung ist damit noch nicht verbunden. Außer der Belehnung kann ein Lehn nur durch die Lehnsverjährung errichtet werden. Diese kann auf doppelte Weise zu Stande gebracht werden, entweder indem Jemand in dem guten Glauben, Vasall zu sein, den Nießbrauch einer allodialen Sache eine bestimmte Reihe von Jahren hindurch ungestört fortgesetzt oder die lehnsherrlichen Rechte unter denselben Bedingungen von Jemand an einer allodialen Sache geübt werden. – Durch die Lehnserrichtung ist auch allen lehnfähigen Descendenten des ersten Erwerbers das Recht, dereinst zum Besitze des Lehns zu gelangen, zugesichert. Dieses Recht nennt man das Lehnfolgerecht und die Ordnung, in welcher die Berechtigten zur Succession gelangen, die Lehnfolgeordnung. Als absolut unfähig zur Lehnfolge müssen alle Diejenigen betrachtet werden, welche der Natur der Sache nach oder durch die allgemeinen Vorschriften der bürgerlichen Gesetze von dem Erwerbe solcher dinglicher und persönlicher Befugnisse, wie sie in dem vasallitischen Rechte begriffen, ausgeschlossen sind. Relative Unfähigkeit, d.i. eine solche, welche durch die Zustimmung des Lehnsherrn und der etwa sonst noch dabei Betheiligten gehoben werden kann, ist vorhanden bei allen Denen, welche die nöthigen Eigenschaften zur vollständigen Erfüllung ihrer Lehnspflichten, namentlich der Kriegshülfe, nicht besitzen. Daher 1) Weiber, welche nur ausnahmsweise Lehne erwerben und zur Lehnfolge gelangen können. Ein Lehn, bei welchem dies der Fall ist, nennt man Weiber-, Schleier- oder Kunkellehen und setzt ihnen dann die Mannlehen entgegen, bei welchen alle weibliche Nachfolge auch die durch Weiber descendirenden Männer (Cognaten) streng ausgeschlossen ist. 2) Durch körperliche Gebrechen des Kriegsdienstes Unfähige. 3) Gemüthskranke. 4) Wirklich Ehrlose. 5) Unfreie. 6) Juristische Personen. 7) Geistliche. – Zur Lehnfolgefähigkeit gehört überdem leibliche Abstammung aus einer kirchlich und bürgerlich gültigen Ehe. Da das Lehnfolgerecht auf der Descendenz vom ersten Erwerber beruht und durch den Tod des letzten Besitzers nur zur Wirksamkeit gelangt, so ist auch stets bei der Ordnung der Lehnfolge der erste Erwerber zu berücksichtigen und die agnatische Abstammung von demselben nachzuweisen, wodurch sich die Erbfolge im Lehen von der im Allod wesentlich unterscheidet, indem bei der letzteren blos die Verwandtschaft mit dem Erblasser berücksichtigt wird. Im Übrigen succediren die Lehnfolgeberechtigten in zwei Classen und zwar kommen zunächst die lehnfähigen Descendenten des letz ten Besitzers, bis ins Unendliche, zu gleichen Theilen. Hinsichtlich der Repräsentation der entferntern Descendenten gelten dieselben Grundsätze, wie bei dem Erbrechte in freies Eigenthum. In Ermangelung folgefähiger Descendenten succediren dem letzten Besitzer seine agnatischen Seitenverwandten, insofern sie ihre gesetzliche Abstammung vom ersten Erwerber nachweisen können. – Die Lehnfolge ist zwar an sich von der Allodialsuccession ganz unabhängig; doch ist dem Sohne des Erblassers nicht gestattet, der Allodialerbfolge zu entsagen, wenn er in das Lehn succediren will. Sonst hat der Lehnsnachfolger die Handlung seines Vorgängers nur in sofern zu vertreten, als sie für das Gut selbst bindend vorgenommen sind. – Eine Lehnsschuld kann entstehen: 1) durch das Gesetz. Nach gemeinem Rechte ist der Lehnfolger verpflichtet, Denjenigen, die wegen körperlicher oder geistiger Mängel von der Lehnfolge ausgeschlossen sind, einen angemessenen Unterhalt zu geben. Particulaire Rechte zählen zu den gesetzlichen Lehnsschulden noch die Begräbnißkosten eines Vasallen, der arm verstirbt, die Alimente der Töchter des Vasallen vor und einer Mitgift bei ihrer Verheirathung, ein Leibgedinge und ein Witthum für die Witwen der Vasallen. 2) Durch eine nützliche Verwendung auf das Lehn. Dahin gehören alle Verbesserungen des Lehns, wodurch der Werth desselben erhöhet worden ist und welche nicht blos eine Folge Dessen sind, was der Vasall auf die Erhaltung des Lehns zu wenden verbunden war, Schulden, welche zum Ankauf des Lehns, zur Abtragung von Lasten und Hypotheken gemacht sind, Proceßkosten u.s.w. Sind die Schulden blos zum Besten gewisser Lehnfolger gemacht, so sind auch nur diese zur Bezahlung derselben verbunden, hierher gehören die sogenannten Lehnsstämme oder Capitale, welche zum Besten gewisser Lehnfolger auf das Lehn gelegt sind. 3) Durch die Zustimmung des Lehnsherrn und der Lehnfolgeberechtigten. Durch eine solche allseitige Zustimmung kann auch das Lehn verpfändet, veräußert und in freies Eigenthum verwandelt werden. – In der Regel verliert auch das Lehn seine Eigenschaft als solches, wenn es durch eine vom Vasallen oder Lehnsherrn begangene Felonie (Lehnsuntreue, Lehnsfehler) entweder allein in die Hände des Lehnsherrn (consolidatio) oder allein in die des Vasallen (appropriatio) fällt. Unter Felonie versteht man jede Handlung, wodurch die vertrags- oder gesetzmäßige Lehnstreue, welche eine dem Lehnsherrn und Vasallen gemeinsame Verbindlichkeit ist, verletzt wird. Die Zahl der Lehnsfehler, welche namentlich der Vasall begehen kann. ist sehr groß; doch ist man dagegen auch heut zu Tage zu Verzeihung derselben (Lehnspardon) sehr geneigt.
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