Verjährung

[591] Verjährung nennt man den Ablauf eines gewissen Zeitraums, in welchem durch Ausübung oder Nichtausübung eines Rechts dasselbe erworben oder verloren werden kann. Wird durch die Verjährung ein Recht oder das Eigenthum einer Sache erworben, so nennt man sie erwerbende Verjährung, auch Adquisitivverjährung, hat sie aber den Verlust eines Rechts zur Folge, so heißt sie erlöschende, auch Extinctivverjährung. Die Lehre von der Verjährung, sowie sie in unsern Gerichten heutzutage angewendet wird, stammt aus dem röm. Rechte und das Naturrecht kennt sie nicht. Sie beabsichtigt, einen gesicherten Rechtszustand herbeizuführen und wiederholte Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit des Besitzes durch den Schutz eines lange bestandenen thatsächlichen Verhältnisses, dem der Vorwurf der Ungerechtigkeit nicht gemacht werden kann, zu beseitigen.

Die erwerbende Verjährung oder die Ersitzung (Usucapion), welche insofern zugleich extinctiv ist, als durch die Erwerbung eines Rechts auf der einen Seite, auf der andern Seite dieses Recht verloren wird, setzt voraus: 1) daß sich Der, welcher die Sache durch Ersitzung erwerben will (der Usucapient), fortwährend im Besitze der Sache befindet. Die Unterbrechung des Besitzes (Usurpation genannt), ist entweder eine natürliche, wenn der Besitz wirklich verloren wird, oder eine Civilusurpation, wenn Jemand gegen den Besitzer klagbar wird, oder gegen dessen Recht Protestation einlegt. 2). Daß der Besitzer in gutem Glauben (in bona fide) ist und den Besitz eine bestimmte Zeit hindurch ruhig fortgesetzt hat. Der Besitz des Vorgängers wird dem Nachfolger zu Gute gerechnet. 3) Daß die zu usucapirende Sache auch ersitzungsfähig ist. Aller Ersitzung unfähig sind nur die dem Verkehr der Menschen entzogenen Sachen, unter Umständen unfähig sind Dotalsachen während der Ehe, die Adventition der Kinder während der väterlichen Gewalt, die Sachen der Pupillen und Minderjährigen während der Minderjährigkeit, endlich gestohlene und geraubte Sachen im Sinne des deutschen Rechts. 4) Daß es dem Eigenthümer rechtlich möglich gewesen, sein Recht geltend zu machen. So lange dies nicht der Fall war, ruht die Verjährung und beginnt erst wieder zu laufen, wenn die rechtliche Möglichkeit wieder vorhanden. Die Ersitzung wird eingetheilt in die ordentliche und außerordentliche, wovon die erstere an einen kürzern Zeitraum gebunden ist, aber eben deswegen auch strengere Anfoderungen in Bezug auf die zu verjährenden Sachen und ihren Besitz stellt. Das zweite besondere Erfoderniß der ordentlichen Ersitzung ist der justus titulus, d.h. der Besitzer der Sache muß den Besitz derselben auf eine rechtliche Art erworben haben, sodaß er dadurch zu dem Glauben berechtigt wird, daß er wirklich Eigenthümer der Sache sei. Daher darf sich der Besitztitel nicht auf ein an sich ungültiges oder unwirksames Geschäft gründen. Auch darf kein Irrthum in Ansehung der Sache, auf welche der Titel sich bezieht, stattfinden. Unter diesen Voraussetzungen genügt zur Ersitzung einer beweglichen Sache ein Zeitraum von drei, einer unbeweglichen und unkörperlichen (Rechten) eine Frist von zehn Jahren, wenn die Parteien in derselben Provinz ihren Wohnsitz haben, im entgegengesetzten Falle sind 20 erfoderlich. Zu der außerordentlichen Ersitzung ist dagegen wenigstens ein 30jähriger Zeitraum erfoderlich. Sie tritt dann zur Aushülfe ein, wenn eins der besondern Erfodernisse der ordentlichen Ersitzung (ein Besitztitel oder eine der ordentlichen Ersitzung fähige Sache) fehlt; doch müssen die allgemeinen Erfodernisse jeder Ersitzung auch hier vorhanden sein. Ausnahmsweise ist noch für die Ersitzung der Staats- und Privatgüter des Regenten, sowie für die unbeweglichen Sachen der Kirchen und milden Stiftungen ein 40jähriger, und für alle Sachen der röm. Kirche sogar ein 100jähriger Zeitraum vorgeschrieben. Heutzutage gibt es noch eine fast in jeder Hinsicht unbestimmte Art der Verjährung, welche man die unvordenkliche oder Immemorialverjährung (praescriptio immemorialis) nennt, und wovon sich im röm. Rechte nur wenig Spuren finden. Sie beruht auf dem Grundsatze, daß, wer sich über Menschengedenken hinaus in dem ununterbrochenen Besitze einer Sache oder in der ununterbrochenen Ausübung eines Rechts befunden hat, eben deshalb so angesehen werden müsse, als habe er die Sache oder das Recht rechtmäßig erworben. Die erlöschende Verjährung beschränkt sich, im Grunde genommen, auf den Verlust des Klagerechts. Nach allgemeinen Grundsätzen hängt es lediglich von der Willkür des Berechtigten ab, ob und wann er klagen will, und jede Klage sollte demnach solange dauern, als das Recht existirt [591] auf dessen Verfolgung sie gerichtet werden kann. Allein die röm. Juristen glaubten auch hier. die Grundsätze der Verjährung anwenden zu müssen, und so fand auch in unser heutiges Recht der Rechtssatz Eingang, daß jede Klage der Regel nach in 30 Jahren erlischt, wofern ihr nicht ausnahmsweise eine längere oder kürzere Frist gesetzt ist. Ist eine Klage bereits angestellt, aber liegen geblieben, so dauert sie von der letzten gerichtlichen Handlung angerechnet, noch 40 Jahre. Ganz ausgenommen von dieser Verjährung sind die Klagen der Unmündigen, die Klagen der Frau wegen ihrer Dotalsachen, und die des Sohnes wegen der vom Vater ungültig veräußerten Adventitien, so lange die Unmündigkeit, die Ehe und die väterliche Gewalt dauert.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 591-592.
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