[278] Nibelungenlied (das), ein Heldengedicht, welches den Untergang eines burgund. Heldengeschlechts schildert, ist nach Umfang und dichterischem Kunstwerthe das wichtigste Denkmal der romantischen Poesie des deutschen Mittelalters und entstand vermuthlich zu Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrh. durch Sammlung und planmäßige Überarbeitung älterer, romanzenartiger Lieder, ohne daß man jedoch bis jetzt über den Verfasser etwas mehr als bloße Vermuthungen hätte aufstellen können.
Sein Name ward vergessen, während seine Dichtung einst in ganz Deutschland, in Skandinavien und Ungarn berühmt war, allein, wie es scheint, seit dem 15. Jahrh. allmälig aus dem Munde des Volks sich verlor, bis man vorzüglich seit Anfang unsers Jahrhunderts den eigenthümlichen Werth desselben von Neuem anerkannte. Es enthält mehr als 2300 vierzeilige Strophen mit paarweisen, manchmal auch in der Mitte gereimten Zeilen, ist in 40 Abenteuer abgetheilt und zerfällt in zwei fast gleiche Hälften, deren erste insbesondere das Nibelungenlied, die andere der Nibelungennoth, das Ganze auch »Buch Kriemhilden« von der gleich im Anfange genannten Hauptheldin des Gedichts heißt.
»Uns ist in alten mären wunders vil geseit (gesagt),
Von helden lobcbären, von grozer arebeit,
Von fröden und hochgeziten, von weinen und von chlagen,
Von chuoner recken (kühner Helden) striten muget ihr nu wunder heren sagen.
Daz ware zu Burgonden ein vil edel Magedin,
Chriemhild waz u.s.w.«
In der ersten Hälfte ist der Schauplatz hauptsächlich zu Worms, der Residenz Günther's, des Königs der Burgunder, [278] seiner zwei Brüder Gernot und Giselher und ihrer ebenso schönen wie stolzen Schwester Kriemhild, die alle Bewerber um ihre Hand abwies. Endlich kam auch Siegfried, der Sohn Königs Siegmund von Niederland, nach Worms, nicht ohne unterwegs wunderbare Abenteuer zu bestehen, wozu namentlich die Erlegung eines ungeheuren Drachen, [279] in dessen Blut er sich badete und dadurch eine hörnene, für Waffen undurchdringliche Haut bekam, und die Erwerbung des Nibelungenhortes gehören. Dies war ein ungeheurer Schatz des Königs Nibelung von Nibelungsland, welcher nach dessen Tode von seinen Söhnen Nibelung und Schildung aus dem hohlen Berge hervorgeholt wurde, wo er lag und den der hinzukommende Siegfried für ihres Vaters Zauberschwert Balmung zwischen ihnen theilen sollte. Da er sie aber nicht zufriedenstellen konnte, erschlug er sie am Ende mit sammt ihren Riesen und gewann auch dem dabei betheiligten Zwerge Albrecht seine Nebelkappe ab, die unsichtbar machte und zwölffache Manneskraft gab, wenn man sie aufsetzte. Die Zuneigung Kriemhildens erwarb er sich durch Besiegung der den König Günther bedrohenden Sachsen und Dänen, deren Könige er nebst vielen gefangenen Rittern mit nach Worms brachte, was rechts im ersten Felde der umstehend abgebildeten, im Erdgeschoß der neuen Residenz zu München befindlichen Frescomalereien aus dem Nibelungenliede von Julius Schnorr vorgestellt ist, sowie daneben Siegfried's Vermählung mit Kriemhilden. Diese erfolgte jedoch erst, nachdem er dem König Günther bei seiner Bewerbung um die starke Brunhild auf Island, von der schon viele Freier im Wettkampfe getödtet worden waren, vermöge seiner Nebelkappe unsichtbar den Sieg hatte erringen helfen; nachher erkämpfte er ihm auch noch ihre Gunstbezeugungen, wie das dritte Feld oben vorstellt, indem sie dieselben in der Brautnacht Günthern verweigert und ihn gebunden und an einen Nagel gehängt hatte. Erst später erfuhr sie bei Gelegenheit eines Streits mit Kriemhild, von wem sie eigentlich bezwungen worden sei und rächte sich an Siegfried durch Günther's Oheim, den grimmigen Hagen, welcher Kriemhilden das Geheimniß einer vom Drachenblute nicht benetzten und daher verwundbaren Stelle am Körper ihres Gatten entlockte und diesen hierauf während einer Jagd, zu der Siegfried auf dem vierten Felde von Kriemhilden sich beurlaubt, verrätherisch ermordete. Seine Bestattung, die Klage seiner Witwe und die Versenkung des Nibelungenhortes, welchen Hagen sich ebenfalls verschafft, an einer von ihm nie bezeichneten Stelle in den Rhein, beschließen die erste Hälfte. Die andere enthält Kriemhildens Vermählung mit Etzel, dem mächtigen Hunnenkönig, an dessen Hof sie nach 13 Jahren ihre Brüder, Hagen und die vornehmsten Burgunder, welche erst in diesem Theile der Dichtung Nibelungen genannt werden, zu einem großen Feste einladet, um Siegfried's Ermordung zu rächen. Sie stellten sich mit 1000 Rittern und 9000 andern burgund. Edeln ein, welche aber sämmtlich in den ausführlich geschilderten und von Kriemhild angezettelten Kämpfen umkommen, nachdem sie noch weit mehr Hunnen erschlagen haben. Diese warfen sogar Feuer in die Halle, wo die Burgunder sich in Etzel's Burg befanden, was auch bei der Vorstellung des Kampfs im fünften Felde berücksichtigt ist. Endlich sind nur Günther und Hagen übrig, welche aber von dem bei Etzel verweilenden, gewaltigen Dietrich von Bern besiegt werden, der Hagen noch lebend aber gebunden zu Kriemhilden bringt, welche ihm mit dem Schwerte Balmung selbst das Haupt abschlägt, dafür aber von dem über solche grausame Handlung entrüsteten alten Hildebrand, einem Dienstmanne Dietrich's, ebenfalls umgebracht wird. So bleiben denn nur die am ganzen Unheil schuldlosen drei Helden Etzel, Dietrich und Hildebrand übrig, deren Trauer über die Erschlagenen Gegenstand der sechsten Abtheilung des Bildes und in einem Anhange des Nibelungenliedes »der Klage« geschildert ist, welche von einem spätern Dichter herrührt, auch geringern poetischen Werth hat. I. I. Bodmer gab (Zürich 1757) zuerst den zweiten Theil des Nibelungenliedes nebst einigen Bruchstücken des ersten heraus; seit Anfang des laufenden Jahrhunderts besitzen wir aber sehr viele Ausgaben des ganzen Gedichts, z.B. von v. d. Hagen, Zeune und am vorzüglichsten von K. Lachmann (Berl. 1826); daneben erschienen vielerlei Übersetzungen ins Neudeutsche, selbst in Prosa von Zeune, unter denen die von Büsching (Lpz. 1815) und von K. Simrock (Berl. 1827) die gelungensten sind. Auch fehlt es nicht an Schriften über Bedeutung, Entstehung und geschichtlichen Gehalt des Gedichts, von denen die betreffenden Untersuchungen von W. Grimm in der »Deutschen Heldensage« (Gött. 1829) und von K. Lachmann in seiner Kritik der Sage von den Nibelungen im »Rhein. Museum« (1830) das Ausgezeichnetste darbieten. Der Name Nibelungen (Nibulunga, Niflungar, Nebelkinder) bezieht sich wahrscheinlich auf das Niflheim oder die nördl. Nebelwelt der nord. Götterlehre (s.d.).