Racine

[615] Racine (Jean de), der berühmteste von den sogenannten classischen Trauerspieldichtern der Franzosen, geb. 1639 zu Laferté-Millon bei Paris, wurde nach frühzeitigem Verluste [615] seiner Ältern von seinem Großvater erzogen und erhielt in der gelehrten Schule von Port-Royal und im Collegium Harcourt zu Paris seine wissenschaftliche Bildung. Schon frühzeitig beschäftigte er sich eifrig mit der classischen Literatur der Alten und besonders mit den griech. Trauerspieldichtern, mit denen er sich sowol in gelehrter Beziehung als hinsichtlich ihrer poetischen Auffassung höchst vertraut machte. Eine Ode auf Ludwig XIV. Vermählung brachte ihm 1659 ein königl. Geschenk von 100 Louisdor und ein Jahrgeld von 600 Livres ein (das später auf 2000 erhöht wurde), gleichwol gab R. noch dem Verlangen seiner Angehörigen nach, welche in ihn drangen, daß er einen bestimmten Stand ergreifen möge. Er verließ daher 1661 Paris, wo er in nahe Beziehung zu geistreichen, aber auch lockern jungen Leuten gekommen war, und begab sich, um Geistlicher zu werden und eine Pfründe zu erlangen, zu einem Oheim, welcher Domherr zu Uzes in Languedoc war. Allein schon im folgenden Jahre kehrte er nach Paris zurück, widmete sich nun ganz der Dichtkunst und erwarb sich 1664 durch eine zweite Ode die besondere Gunst Ludwig XIV., der ihn nach und nach zum Historiographen, zum Edelmanne und Schatzmeister der Generalität von Moulins ernannte; auch wurde R. von der franz. Akademie 1673 zum Mitglied erwählt. Seit 1677 trat R. vom Theater zurück, gab sein etwas lockeres Leben auf, heirathete und söhnte sich mit der Kirche völlig aus. Nicht lange vor seinem Tode verscherzte er noch die Gunst des Königs durch eine Denkschrift über das Elend des Volkes, welche er der Frau von Maintenon auf ihre Veranlassung überreichte und in welcher der Kriege Ludwig XIV. nicht günstig gedacht war, der Kummer darüber aber beschleunigte das 1699 erfolgte Ableben des überaus weichherzigen und zartfühlenden Dichters. Das erste von seinen 11 Trauerspielen, »La Thebaïde«, wurde 1664 aufgeführt, für die vorzüglichsten aber gelten »Andromache«, »Britannicus«, »Iphigenia« und die von Schiller ins Deutsche übersetzte »Phädra«, mit welcher er 1777 gleichsam seine dramatischen Dichtungen beschloß. Ein Lustspiel hatte R. schon 1668 geschrieben, allein erst nach seinem Rücktritt vom Theater verfaßte er noch auf die Bitte der Frau von Maintenon die zwei religiösen Dramen »Athalie« und »Esther«. Eigenthümliche Vorzüge R.'s sind der unübertroffene Wohllaut und die Klarheit seiner Sprache, große geschichtliche Treue in seinen Charakteren, überaus geschickte und geschmackvolle Vertheilung seiner Stoffe und ein glücklicher, vorzüglich im Rührenden ausgezeichneter Ausdruck der Leidenschaften. Von poetischen Werken verfaßte er noch religiöse Lieder für das Kloster St.-Cyr und Epigramme, welche zu den besten der franz. Literatur gehören; außerdem sind eine berühmte Lobrede auf Corneille (s.d.), Briefe und mehres Andere von ihm vorhanden. – Sein zweiter Sohn Louis R., geb. 1692, welcher die Rechte studirt hatte, beim Finanzwesen angestellt wurde und als Muster bürgerlicher und häuslicher Tugend in einer sittenlosen Zeit 1763 starb, erwarb sich durch einige Lehrgedichte ebenfalls Ruf und Ansehen als Dichter.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 615-616.
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