Reitkunst

[667] Reitkunst (die) besteht in der, unter Befolgung der allgemein dafür angenommenen Regeln, mit Beobachtung des erfoderlichen guten körperlichen Anstandes und mit Gewandtheit und Sicherheit ausgeführten Benutzung der Pferde zum Reiten, welcher Ausdruck außerdem auch von einem mehr und minder ähnlichen Fortkommen des Menschen auf dem Rücken anderer Thiere, z.B. auf Maulthieren, Eseln. Kameelen, Elefanten gebraucht wird. Gewöhnlich theilt man die Reitkunst wieder in eine höhere, welche rohe Pferde zum Reiten abrichten, zureiten oder dressiren und ihnen alle gefoderten Gangarten und Leistungen regelrecht einüben lehrt, was man unter dem Ausdrucke, ein Pferd ausarbeiten, versteht, und in eine niedere, welche zugerittene Pferde bei allen von denselben zu fodernden Leistungen regelmäßig zu behandeln anweist. Die letztere zerfällt noch in die sogenannte Schulreiterei, welche die kunstmäßige Ausführung einer Menge sehr schwieriger Gangarten, Wendungen, Sprünge und sogenannter Schulen von Pferd und Reiter vorzugsweise verlangt, und in die sogenannte Campagnereiterei, welche nur die zweckmäßige Übung der Reiter und Behandlung der Pferde für die Erfodernisse des Dienstes der Reiterei in sich schließt. Der Reiter muß zu diesem Zwecke gewandt auf- und absitzen können, sicher im Sattel sitzen und die Bewegung des Pferdes in jeder natürlichen Gangart nach allen Richtungen, das Übergehen aus einer in die andere, das plötzliche Anhalten auf der Stelle oder das sogenannte Pariren, sowie die Ausführung der beim Cavaleriedienst eingeführten Bewegungen in geschlossener und zerstreuter Ordnung so viel als möglich in seiner Gewalt haben. Dahin gelangt er durch entsprechende Übung in der Führung des Pferdes und der Anwendung der Hülsen und Strafen, mittels welcher der Reiter seinen Willen dem von ihm gerittenen und darauf abgerichteten Pferde verständlich macht. Unter der Führung werden nämlich die Haltung und Bewegung der die Zügel haltenden Hand verstanden, was bei zugerittenen Pferden blos mit der linken Hand geschieht. Durch Bewegung der Hand wirkt der Reiter auf die Zügel, und mittels dieser auf das Gebiß im Maul des Pferdes, was die Faust- oder Zügelhülfen geben genannt wird, und wobei die zweckmäßige Zäumung sehr in Betracht kommt. Die Hülsen mit den Schenkeln werden durch Andrücken der einen oder auch beider flacher Waden an den Leib des Pferdes vor, an, meist aber hinter dem Sattelgurt, [667] die Hülfen mit den Sporen durch Andrücken derselben an den Leib des Pferdes aber nur dann gegeben, wenn es den ersten nicht gehorcht. Ist es böswillig oder träge, so wird es durch Stöße mit den Sporen oder Schläge mit der Reitpeitsche gestraft, was nie durch ruckweises und heftiges Anziehen der Zügel geschehen darf. Außerdem gibt es noch Hülsen mit der Zunge, welche in einem hörbaren Schnalzen mit derselben bestehen. Die Kunstreiterei, welche im Auf- und Absitzen während des Galopps, im Knien und Stehen auf einem oder mehren nebeneinander gehenden Pferden und der Ausführung anderer Stellungen auf denselben von einer oder von mehren Personen besteht, wie man es jetzt von den sogenannten engl. Bereitern sieht, gehört ebenso gut der Gymnastik, wie der Reitkunst an. Zur Selbstbelehrung über die niedere Reitkunst brauchbar ist André's »Anleitung zur Reitkunst« (3. Aufl., Halle 1837); von der höhern und niedern Reitkunst handeln von Tennecker's Handbuch derselben (Lpz. 1823), sowie eine große Zahl anderer Schriften.

Auf den menschlichen Körper hat die durch das Reiten hervorgebrachte Erschütterung im Allgemeinen einen belebenden und stärkenden Einfluß; es befördert die Verdauung, kräftigt den Blutumlauf und die Thätigkeit der Lungen, ohne den Puls zu beschleunigen, wenn die Bewegung des Pferdes eine mäßige bleibt, und ist von ältern und neuern Ärzten daher als ein für sich und in Vereinigung mit andern sehr wirksames Heilmittel bei geeigneten Fällen empfohlen worden. Dahin gehören z.B. Nervenübel, Hypochondrie und von Erschlaffung des Darmkanals herrührende Durchfälle; der angehenden Bauchwassersucht und der Lungensucht kann dadurch vorgebeugt werden; bei sogenannten hitzigen Krankheiten und Entzündungen ist es dagegen nachtheilig. – Reitbahn, und wenn er mit Bedachung versehen ist, Reithaus, sowie Manége nach dem Französischen wird ein zum Zureiten der Pferde und zu Unterricht und Übung in der Reitkunst besonders eingerichteter Raum genannt. Die Hauptsache daran ist der Boden, welcher geebnet, fest und mit einer mehre Zoll starken Schicht von gleichkörnigem, nicht zu seinem Sande bedeckt sein muß. Umschlossen ist er entweder mit 5–6 F. hohen Barrièren von Balken, mit Bretwänden oder in den Reithäusern mit Mauern, denen man unten einen nach innen vorstehenden Fuß, sowie jenen eine schräge Richtung nach außen gibt, um dadurch böswillige Pferde zu hindern, den Reiter an die Wand zu drücken. Schon bei den alten Völkern war die Reitkunst, das Abrichten der Pferde und die Kunstreiterei mit eingeschlossen, zu derselben Ausbildung gelangt, wie man in der neuesten Zeit je erreicht hat. In Athen wurde sie z.B. von besondern Meistern gelehrt und in Akademien betrieben, sodaß also den jetzigen Reitschulen ähnliche Einrichtungen bestanden, und der Athener Timon ist der älteste Schriftsteller über Pferdedressur, dessen Name sich erhalten hat. Bei Homer schon kommen Andeutungen von akademischen Stellungen auf Pferden und von darauf ausgeführten Sprüngen vor; selbst im ernstlichen Kampfe gestattete die damalige Art der Kriegführung die Anwendung von Kunstreiterstückchen, und auf zwei nebeneinander sprengenden Rossen stehend, schoß man mit dem Bogen und schwang sich von einem aufs andere. Das Reiten von Tanztouren oder sogenannter Quadrillen (s.d.) erhielt sich in Rom bis zum Untergange des abendländ. Reichs, und später blieb Konstantinopel der Hauptsitz der Kunstreiterei, von wo sie in der Mitte des 16. Jahrh. sich wieder nach dem Abendlande verbreitete. Hier hatte das Ritterwesen, welches vorzüglich schwere Pferde erfoderte, von der in der Zeit der allgemeinen Barbarei mit andern Künsten und Wissenschaften untergegangenen Reitkunst wenig mehr als das Carrouselreiten und einige Ritterspiele zu Pferde wieder aufkommen lassen. Im 16. Jahrh. aber wurde zu Neapel wieder die erste wirkliche Reitschule angelegt und bald in andern Ländern nachgeahmt. Man verband sie theils mit den fürstlichen Marställen, theils wurden sie selbständig und bei den Universitäten errichtet. Wie noch jetzt, stand ihnen ein Stallmeister oder Oberbereiter vor, unter dessen Aufsicht von einer Anzahl Bereiter Pferde zugeritten und Unterricht gegeben ward. Als Kunstverständige waren im 16. Jahrh. die Italiener Fiaschi und Grison, deren Schüler die Reitkunst nach England verpflanzten, und Pignatelli berühmt, dessen Schüler sie nach Frankreich brachten, wo im 17. Jahrh. Pluvinel, sowie später in England der Herzog von Newcastle deshalb im besondern Rufe standen. In Deutschland genossen im 18. Jahrh. die Reitschulen zu Koburg und Wien, und durch den daselbst gebildeten Stallmeister Ayrer d. Ä. die zu Göttingen großes Ansehen, was letztere durch den jüngern Ayrer bis in die neueste Zeit fort behauptete. Das besondere Verdienst der Deutschen ist es, die Campagnereiterei oder das militairische Reiten im 18. Jahrh. von der Schulreitkunst getrennt und nach Grundsätzen kunstmäßig ausgebildet zu haben. – Reiterei oder Cavalerie heißen Soldaten, welche vorzugsweise für den Kampf zu Pferde eingeübt und ausgerüstet, und daher mit Säbel, Lanze, Pistolen, Carabinern bewaffnet sind. Man unterscheidet leichte Reiterei (Husaren, Uhlanen, Chevauxlegers, reitende Jäger oder Chasseurs), schwerere (Dragoner und Carabiniers), und schwere oder Kürassiere, welche auch nach Maßgabe ihrer Bewaffnung einen leichtern oder schwerern Schlag Pferde reiten. Die letztern werden mehr in Masse zu großartigen und nachdrücklichen Angreifen im Gefecht verwendet, während die andern gewöhnlich mehr in kleinern Abtheilungen zum Vorposten-und Patrouillendienst, bei Recognoscirungen und Verfolgung, sowie allen den Zwecken benutzt werden, wo Schnelligkeit und Gewandtheit erfoderlich sind; doch muß auch die leichte Reiterei zum Angriff in Masse (Choc) eingeübt sein. Abgetheilt ist die regelmäßige Reiterei in Regimenter und Schwadronen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 667-668.
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