Sibirien

[179] Sibirien heißt der östl. Theil des nördl. oder russ. Asiens, zwischen dem Uralgebirge und dem großen Weltmeere, gegen N. vom nördl. Eismeere begrenzt und gegen S. durch das Altaigebirge und dessen Verzweigungen von der freien Tatarei und dem chines. Reiche getrennt, eine ungeheure Landesfläche von 250,000 ! M., auf der indessen nur 2 Mill. Menschen leben. Dieses Land wurde zuerst gegen Ende des 16. Jahrh. den Europäern bekannt. Um diese Zeit nämlich, 1577, überstieg Jermack, der Anführer von 6000 aufrührerischen donischen Kosacken, zunächst durch den im äußersten Osten des damaligen Rußlands ansässigen Stroganoff (s.d.) aufgefodert, das Uralgebirge, und drang erobernd bis an den Ob vor. Da er sich aber in seinen Eroberungen nicht zu behaupten vermochte, so trug er dieselben dem russ. Zar Iwan II. an, und unter diesem und seinem Nachfolger Feodor wurde noch vor Ablauf des 16. Jahrh. die Eroberung S.'s vollendet. Die unterworfenen Völker, Tataren, größtentheils Mohammedaner oder Heiden, bilden neben den freiwillig hingezogenen oder dahin verwiesenen Russen die Haupteinwohnerschaft des Landes; im höhern Norden und äußersten Osten, bis an das Eismeer, wohnen noch einige andere ganz rohe nomadische Völkerschaften mongolischen Stammes, die als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit nur einen jährlichen Tribut von Pelzwerk zu entrichten haben, als Samojeden (s.d.), Jakuten, Ostiaken (s.d.),Jukagiren, Korjäken, Tschuktschen und Kamtschadalen. (S. Kamtschatka.) Unter den Letzten sind einige Christen. Das Klima S.'s ist durchgehend streng, selbst in den südl. Theilen gefriert das Quecksilber oft im Winter. Dennoch kann der Ackerbau noch bis zum 60° betrieben werden, und einige Gegenden, namentlich um den Baikalsee, sind von außerordentlicher Fruchtbarkeit, Baumfrüchte aber gedeihen nirgend in S. Bis zum 65° reichen noch schöne Wälder von Lärchen, Tannen, Birken und Arwen, darüber hinaus aber ist das Land eine ungeheure mit Moos, Morast und verkrüppeltem Gesträuch bedeckte Einöde, und die Nahrung der dortigen Nomadenvölker besteht nur in Fischen, Rennthieren und Wild. Fische liefern die dortigen großen Ströme, Ob, Jenisei, Lena, Indigirka und Kolyma in großer Menge und Güte. Noch wichtiger ist das Pelzwerk, worunter die kostbarsten Sorten, nämlich Felle von Zobeln, Hermelinen, schwarzen und blauen Füchsen, sowie auch von Bären, Wölfen und Luchsen. Hunde dienen in den nördl. Gegenden häufig als Zugvieh. Die untergegangene Thierwelt liefert das fossile Elfenbein, das selbst als Handelsgegenstand in Betracht kommt. Ferner hat S. einen ausgezeichneten Reichthum an Mineralien, als Gold, Platina, Silber, Kupfer und Eisen, auch einige Edelsteine und sehr großblätterigen Glimmer, welcher zu Fensterscheiben benutzt wird. Seit Peter dem Großen ist viel für den Anbau S.'s geschehn, der indessen bis jetzt fast nur von Russen betrieben wird. Sehr wichtig ist in dieser Hinsicht die Verbannung nach S., welche in Rußland sehr häufig die Todesstrafe oder geringere Strafen ersetzt. Sie geschieht entweder auf Lebenszeit oder auf bestimmte Jahre, und hat auch sonst noch verschiedene Grade. Staatsgefangene werden in Arrest gehalten oder wohnen in Städten und Dörfern mit eingeschränkter Freiheit, schwere Verbrecher kommen in die Bergwerke, leichtere werden als Bauern angesiedelt. Auf diese Art werden immer mehr Landesstrecken urbar gemacht. Daß die Verbannten auf Rechnung der Regierung Zobelfang treiben müssen, ist eine durchaus irrige Meinung. Sehr wichtig ist für S. auch der Handel, der Rußland und China in immer lebhaftere Verbindung bringt. Der Handel und eigne wissenschaftliche Reisen, wie von Alexander von Humboldt, Hansteen und Erman, haben auch unsere geographischen Kenntnisse von S. immer mehr erweitert. S. wird gegenwärtig in zwei Generalgouvernements, West- und Ostsibirien, eingetheilt. Westsibirien enthält die Gouvernements Tobolsk und Tomsk und die Provinz Omsk mit den Städten Tobolsk (s.d.), Beresow am Ob, wichtig wegen des Handels und einst Verbannungsort von Mentschikoff, Dolgorucki und Ostermann, Obdorsk am Ob unter dem Polarkreise, Tomsk am Tom mit 10,000 Einw. und Kolywan. Ostsibirien wird gebildet durch die Gouvernements Irkutzk und Jeniseisk, die Provinz Jakutzk und die Küstenverwaltungen Ocholzk und Kamtschatka (s.d.), worin die Städte Irkutzk an der Angara nicht weit von der Mündung derselben in den Baikalsee, befestigt und die Hauptniederlage für den russisch-chinesischen Handel, mit 15,000 Einw., einem Schauspielhause, einer Schiffahrtsschule, einer Bibliothek, einer Naturaliensammlung, einer kais. Tuchfabrik und großen Branntweinbrennereien, Kiächta mit 4000 Einw. südl. vom Baikalsee, 929 M. von Petersburg und 219 von Peking, hart an der Grenze und nur 820 F. von der chinesischen Stadt Maimatschin, über welche beiden Orte der Handel zwischen Rußland und, China geht; Nertschinsk, Sashigow-Iär (neu erbaut und schnell aufblühend), Jakutzk und Ocholzk. Zu Ostsibirien gehören auch [179] noch einige Inselgruppen, als die Aleuten (s.d.) und die Kurilen. Letztere liegen in einer Reihe von der südlichen Spitze von Kamtschatka bis an die japanischen Inseln, dem festen Lande parallel und das ochotzkische Meer gegen Osten begrenzend. Sie wurden zwar im 18. Jahrh. von den Russen in Besitz genommen, doch sind die meisten wegen ihrer Unzugänglichkeit so gut wie unabhängig. Alle sind bergig und meist vulkanisch. Die Einwohner sind theils Kamtschadalen, theils Ainos, welche letztern sich durch einen in dieser Weltgegend höchst seltenen Haarwuchs des Bartes und selbst über den ganzen Leib auszeichnen, während alle ihre Nachbarn sowie auch die Japaner und Chinesen beinahe bartlos sind.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 179-180.
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