Vendée

[563] Vendée (die). Das jetzige franz. Departement V. wird von etwa 325,000 Menschen bewohnt, westl. vom atlant. Meere, außerdem von den Departements der untern Loire, Charente und dem der beiden Sèvres umgeben und hat seinen Namen von einem kleinen Flusse; Hauptstadt ist Bourbon-Vendée mit 3000 Einw., Fontenay-le-Comte hat 7500 Einw., ansehnliche Märkte und starken Viehhandel, der Hafenort Sables d'Olonne 7030 Einw., welche Seesalz bereiten und wichtigen Fischfang treiben. Das Land ist gut angebaut, bringt theilweise viel Getreide hervor, liefert viel Schlachtvieh nach Paris und machte mit dem Departement der beiden Sèvres die alte Landschaft Poitou aus. Beim Beginn der franz. Revolution herrschte vielleicht nirgend in Frankreich so viel Achtung vor Adel und Geistlichkeit, so viel altväterliche Sitte und fromme Anhänglichkeit an Kirche und König, aber auch so große Unwissenheit, wie in diesen Gegenden, wo daher die gewaltsamen Neuerungen jener Tage mit großem Unwillen aufgenommen wurden. Schon 1792 entstanden aus religiösen Beweggründen vorübergehende Unruhen unter den Landleuten, allein die 1793[563] vom Convent angeordnete Aushebung der jungen Leute zum Kriegsdienste ward erst die nächste Veranlassung zur Eröffnung jenes schrecklichen, als Vendéekrieg bekannten Bürgerkriegs, welcher bei geschickterer Führung und größerer Uebereinstimmung der Befehlshaber, der neuerrichteten franz. Republik sehr gefährlich hätte werden können. Das Theater desselben waren die Departements V. und die angrenzenden bis an die Loire, ein Terrain, welches dem damit Vertrauten ungemeine Vortheile gewährt. Im östl., le Boccage genannten Theile dieses Gebiets sind es niedrige Hügelketten, zahlreiche kleine Gehölze und die 7–8 F. hohen, lebendigen Hecken um Felder und Wiesen, welche zu Ueberfällen und Hinterhalten einluden und zugleich beim Rückzuge hinreichende Deckung vor den dadurch überall gehemmten Verfolgern gewährten; im südl. und le Marais genannten Theile ist der Boden von Kanälen und Dämmen durchschnitten, Sümpfe hemmen die Angreifenden und dienen den Vertheidigern zur Deckung. Der Aufstand begann am 10. März zu St.-Florent, wo die der Recrutirung wegen anwesenden Beamten verjagt wurden und ein in Ansehen stehender Frachtfuhrmann, Namens Cathelineau, sich an die Spitze der Aufrührer stellte. Mit 100 M., die nur Sensen, Heugabeln, Hacken und Knüttel als Waffen hatten, schlug er 80 M. republikanische Truppen und eroberte eine Kanone. Rasch verbreitete sich der Aufstand jetzt nach allen Richtungen und die Sturmglocken riefen mehre Tage lang die Landleute zusammen, welche die weiße Fahne aufsteckten und sich Vertheidiger der Religion und Hersteller des Königthums, bald auch die röm.-katholische Armee nannten. Jeder trug den Rosenkranz im Knopfloch und ein geweihtes Herz auf der Brust, und was ihnen an Kriegserfahrung mangelte, ersetzte ihr blinder Muth, durch den sie sich auch in kurzer Zeit Flinten, Geschütz und Munition eroberten. Von den in andern Gegenden als Anführer hervortretenden Vendéekämpfern machten sich namentlich Charette, welcher sich lange an der Seeküste hielt, ein aus dem Elsaß gebürtiger Förster Stofflet, Elben, Bonchamps, Laroche-Jaquelin, Baudryd' Assonn. A. vorzüglich bekannt. Die zahlreichste Armee befand sich immer in der östl. V., wo zuweilen gegen 26,000 M. unter Waffen waren; denn war ein wichtigeres Unternehmen ausgeführt, so begab sich ein großer Theil der Bauern wieder nach Hause an ihre Arbeit, und ebenso zerstreuten sie sich, wenn sie geschlagen worden waren, sammelten sich aber, wenn es nöthig war, immer wieder von neuem. Die anfangs gegen sie aufgebotenen Nationalgarden und wenigen Linientruppen konnten immer nur vorübergehende Vortheile erringen und verloren allein im Jun. durch mehre Treffen über 80 Kanonen und 10,000 Gefangene. Jetzt wollten sie Nantes erobern, wobei Cathelineau fiel, wurden aber von neuanrückenden Heeren der Republik vertrieben. Aber in den zunächst folgenden Treffen blieb im Ganzen der Vortheil immer noch auf der Seite der Vendéer, und wäre ihnen, die bisher Alles ohne fremden Beistand gethan, von England um diese Zeit etwas mehr als Versprechungen zu Theil geworden, so würden sie ihre Vortheile nicht so plötzlich eingebüßt haben, wie es geschah. Der Convent hatte nämlich, um den Aufstand mit einem Schlage zu beenden, von allen Seiten Truppen abgesandt und sogar die Besatzung der an die Deutschen übergegangenen Festung Mainz auf Wagen nach der V. befördern lassen, sodaß an 60,000 M. dort zusammengezogen waren. Grausame Befehle ordneten zugleich einen förmlichen Vertilgungskrieg an; das Land sollte verheert, Frauen, Kinder und Greise ins Innere abgeführt, die Männer niedergemacht werden. Allein erst nachdem Zwistigkeiten unter den Vendéeanführern sich entsponnen hatten und ihr Hauptcorps im Oct. in der falschen Hoffnung die Loire überschritten, in Bretagne oder von England aus Beistand zu erhalten, bekamen die Republikaner die Oberhand. Sie machten den nothgedrungen an die Loire zurückkehrenden Royalisten den Übergang über diesen Fluß unmöglich und sprengten sie am 24. Dec. im Treffen bei Savenay völlig auseinander. Alle Gefangene, dabei mehre Anführer und der Bischof von Agra, wurden hingerichtet, und in Nantes ließ der berüchtigte Conventsdeputirte Carrier die dahingeschleppten Bewohner der V. scharenweise ersäufen. Noch dauerte indeß der kleine Krieg fort und erst im Frühling 1794 ward die westl. V. unterworfen, zur Niederhaltung der östl. aber und der im Departement der Nordküste jetzt sich zeigenden Chouans (s.d.) wurden bewegliche Colonnen organisirt, die sich durch ihre Grausamkeit den Namen der höllischen erwarben. Die unglückliche Bevölkerung lieferte ihnen vergeblich eine Menge kleiner Gefechte, die zwar den Republikanern viel Schaden brachten, aber sie nicht in ihren Verwüstungen wesentlich hemmten. Endlich ward aber nach dem Sturze Robespierre's auch hinsichtlich der V. ein milderes Verfahren eingeschlagen und auf Carnot's Vorschlag am 2. Dec. 1794 Allen Vergessenheit zugesichert, welche die Waffen ablegen würden. Die Gefangenen wurden freigegeben, die unterworfenen Landstriche milder behandelt und hierauf kam im Febr. 1795 zu Nantes ein Vergleich zu Stande, welcher der V. für Anerkennung der Republik die freie Ausübung der Religion, Befreiung vom Kriegsdienste, Geldentschädigungen und andere Vortheile sicherte. Indessen war die Versöhnung keineswegs aufrichtig gewesen und ehe noch im Jun. 1795 einige Tausend franz. Ausgewanderter, deren Pläne jedoch mislangen, auf der Halbinsel Quiberon im Morbihan landeten, hatte Charette die Feindseligkeiten mit der Republik wieder begonnen, der er Nichtachtung des Vergleichs vorwarf. Allein die anfängliche Begeisterung und die Mittel des Aufstandes waren zu sehr erschöpft, um noch große Massen auf die Beine bringen zu können, und nachdem die beiden Hauptanführer Stofflet und Charette gefangen und am 26. Febr. und 29. März erschossen worden waren, unterwarfen sich die Übrigen auf jede Bedingung. Ruhe und Ordnung kehrten allmälig wieder, doch mußte zur Bewahrung derselben die Regierung fortwährend mit großer Umsicht verfahren und noch im Winter von 1799–1800 wurden neue Unruhen blos durch kluges und rasches Eingreifen verhindert. Die V. blieb hierauf unter Napoleon ruhig, als aber die Verbündeten in Frankreich einrückten, entstanden von neuem Bewegungen zu Gunsten der Bourbons, von denen diese Gegend nach ihrer Herstellung auf dem franz. Throne natürlich bevorzugt wurde. Auch nach Vertreibung der ältern Linie derselben im J. 1830 zeigte sich die V. der Regierung Ludwig Philipp's sehr abgeneigt, und das thörichte Unternehmen der Herzogin von Berri (s.d.) fand dort angelegentliche Unterstützung. Seitdem sind die Maßregeln zur Beaufsichtigung dieser Provinz, namentlich durch Erbauung [564] von offenen Heerstraßen, vermehrt worden, welche die Bewegung von Truppen und die Überwachung der Provinz sehr erleichtern.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 563-565.
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