[479] Odysseus (Mythologie), römisch Ulysses, Sohn des Laertes und der Antikleia, einer der berühmtesten Helden der beiden unsterblichen Epopöen Homers, der Ilias und Odyssee, Theilnehmer am trojanischen Kriege von dessen Anfang bis zum Ende; ein listiger, erfindungsreicher, aber dabei weiser Mann, redekundig und guter Rathschläge voll, ein Liebling Pallas Athene's. Er war einer der Helden Griechenlands, die in großer Anzahl um die reizende Helena warben; Helena's Vater wollte keinen durch eine abschlägliche Antwort verletzen und sich zum Feinde machen, deßhalb fragte er den Odysseus um Rath. Dieser ertheilte den besten, der in so schwieriger und delikater Sache nur zu ertheilen war, er rieth, alle Freier eidlich zu verbinden, demjenigen, auf den Helena's eigne Wahl fallen werde, ihren Besitz sichern zu helfen. Menelaos war der Beglückte, Auserkorne, und Odysseus wurde für seinen vortrefflichen Rath der Gatte der Penelope (s. d.), die das Gedicht als ein Muster vortrefflicher Hausfrauen darstellt. Bald erfolgte die Entführung der Helena durch Paris (s. d.), Menelaos mahnte die griechischen Helden an ihren Eid, und alles rüstete sich zu einem furchtbaren Kriege gegen Troja. Odysseus, der Kluge, ahnete von diesem Heerzuge nichts Gutes; sein trübes Geschick mochte warnend vor seine Seele treten; er wollte nicht theilnehmen und stellte sich als ein Thörichter, als die Freunde kamen, ihn abzurufen. Er spannte einen Esel und einen Stier neben einander an den Pflug, ackerte und säete Salz in die Furchen. Um ihn zu prüfen, legte Palamedes den Sohn des Ulysses, Telemach, quer vor den Pflug, und das Vaterherz ließ den Helden die verstellte Narrheit nicht weiter treiben. Mächtig ward nun sein Einfluß wie sein Beistand in diesem langen Kriege. Den Achilles, der auch nicht mit wollte, überlistete er; nach Troja schlich er sich, um zu kundschaften, als Bettler verkleidet, Helena sah und erkannte ihn, verrieth ihn aber[479] nicht. Mancher Trojaner sank unter seinem Schwerte, er übte manche hohe Waffenthat und nahm an allem den lebhaftesten Antheil durch That und Rath. Seine List ersann den Bau des gigantischen hölzernen Pferdes; er steckte sich mit in dasselbe, half Troja überfallen und stürmen, raubte das Palladium mit, und nachdem er so zehn Jahre von der Heimath, von seiner Gattin und seinem Kinde entfernt gewesen, gedachte er schnell zurückzukehren. Anders aber war es im Rathe der Unsterblichen beschlossen. Große Prüfungen harrten seiner, und diese sind es, welche den Inhalt der Odyssee bilden. Er bestand Kämpfe und Stürme, gelangte zu der Insel der Lotophagen, friedlicher und gastfreier Menschen, von denen die Gefährten des Odysseus mit Gewalt losgerissen werden mußten; hierauf kam er nach Sicilien, wo der einäugige Riese Polyphem ihn mit seinen Gefährten fing und in eine Höhle sperrte; jeden Tag verzehrte er einen Mann, endlich rettete sich und seine Gefährtin der Held durch List und blendete den Cyklopen. Aber dadurch zog er sich den Zorn Neptuns zu, der Polyphems Vater war, und der Gott der Gewässer verfolgte ihn nun unablässig. Der Gott der Winde, Aeolus, stand ihm bei, gab ihm die gefesselten Sturme in Schläuchen mit. Schon nahte er Ithaka, schon sah er sein Heimathland und entschlummerte, als seine Gefährten unvorsichtig die Schläuche öffneten. Die Winde brausten heraus und verschlugen das Schiff wieder weit in das Meer. Er kam zu den Lästrigonen, wilden und grausamen Menschenfressern, von denen er mit Noth und Mühe entrann und auf der Insel der berüchtigten Circe landete, die seine Gefährten in Schweine verwandelte, und ihn in Liebesbanden ein Jahr lang fesselte. Durch ihre Hilfe stieg er in die Unterwelt hinab, um den Schatten des Sehers Tiresias um Rath über sein Schicksal zu fragen, und sprach mit berühmten Schatten. Er segelt bei den Sirenen vorüber, wo er sich und die Seinen an die Masten bindet, um ihren verlockenden Gesängen zu widerstehen; zwischen Scylla und Charybdis segelt er durch, [480] erstere raubt ihm sechs Gefährten. Obgleich Teiresias ihn gewarnt hatte, die Heerden des Helios auf Thrinakia anzutasten, so zwingt doch der Hunger seine Gefährten, einige Rinder zu schlachten, und auf's Neue bricht der Zorn der beleidigten Götter über den Irrfahrer los. Jupiter schleudert den Blitzstrahl auf das Schiff, es flammt auf, alle Gefährten sterben, Odysseus allein rettet sich schwimmend zur Insel der Kalypso, wo er wieder die zärtlichsten Bande schlingt und bis in's achte Jahr Gemahl der reizenden Tochter des Atlas bleibt. Kaum hatte sie ihn entlassen, daß er endlich zur Heimath gelange, als der nie schlummernde Groll Neptuns das Floß scheitern läßt und er sich an die Insel der Phäaken rettet, wo eben Nausikaa, die Königstochter, mit ihren Gespielinnen Wäsche am Ufer trocknet. Nach der gastlichsten Aufnahme läßt ihn der König nach Ithaka bringen. Als Bettler verstellt, kommt er zu einem alten Hirten, und erfährt, was sich in seinem Hause begebe. Zudringliche Freier umlagern die treue Penelope und drängen um ihre Hand. Was sich weiter im Hause während zehnjähriger Irrfahrt und zwanzigjähriger Abwesenheit des Helden begeben, sagt der Artikel Penelope.
ch
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