Algier [1]

[116] Algier, Algerien, seit 1830 franz. Colonialgebiet, 6500 QM. mit 2–3 Mill. E., gränzt westl. an Marokko, östl. an Tunis, südl. an die Wüste, nördlich an das Mittelmeer. Das Land ist durchgehends Höhenland, indem von der Küste bis an die Sahara 3 Höhenzüge ansteigen, welche A. der Länge nach durchziehen, u. da diese sich bis zur Gebirgshöhe erheben u. sich theilweise in Hochflächen ausdehnen, so tritt nicht selten sehr rauhe Witterung ein. An der Küste sind einzelne bedeutende Ebenen, z.B. bei Oran, Philippeville; die größte von allen ist die südl. von Algier gelegene sehr fruchtbare Metidscha, 9 M. lang, 3 M. breit. Auch zwischen den Längenzügen des Gebirges erweitern sich die Flußthäler öfters zu größeren Flächen, durchbrechen aber auch theilweise die Gebirgszüge in tiefen Querthälern. Die Flüsse sind alle von unbedeutender Größe: Tafna, Schelif, Massafrau, Buberak, Hamaese u.s.w. Dürre ist der vorherrschende Charakter des Landes, daß es aber dennoch des Anbaus in hohem Grade fähig ist, hat die alte Zeit bewiesen. Die franz. Sahara hat eine Menge Oasen, nur wenige Meilen vom Wüstenrande beginnend, welche wahre Dattelwälder u. Gärten sind. A. führt bereits Weizen nach Frankreich aus, mit dem Anbau des Tabaks u. der Baumwolle [116] sind sehr gelungene Versuche gemacht worden. Oel-, Citronen u. Orangenbäume gedeihen in den Thälern u. an der Küste vortrefflich. Das Thierreich liefert Pferde, nicht besonders schnell aber sehr dauerhaft, treffliche Esel u. Maulesel, Schafe u. Kamele, Rindvieh u. Ziegen. Man baut auf Eisen, Kupfer, Blei u. Salz. Die Bevölkerung ist sehr gemischt: die Kabylen, von den Ureinwohnern abstammend, die Gebirge bewohnend, muskulös, muthig, sehr geweckt und fleißig, fanatische Muselmänner; Mauren, in den Städten, Kaufleute und Handwerker; Araber, in viele größere und kleinere Stämme getheilt, einander feindselig und nur deßwegen nicht unbezwinglich; Juden, die sich immer zahlreicher einfinden, Maltheser, Spanier, Deutsche und die herrschenden Franzosen, und die Beamten ohne das Militär im Ganzen etwas über 50000 Europäer. A. ist in 3 Provinzen eingetheilt: Algier, Oran u. Konstantine, diese in Arondissements, Kreise u. Gemeinden. Die wichtigsten Orte sind in A.: Algier, Buffarik, Belidah, Medeah, Milianah, Tenes, Orleansville; in Constantine: Constantine, Bona, Philippeville, Setif, Dschidschelli, Tebessa; in Oran: Oran, Mostagnem, Tlemsen, Maskara. Die höchste Civil- und Militärgewalt übt der Generalgouverneur, unter ihm steht ein Generaldirector für Civilsachen, ein Generalprocurator, der Oberaufsicht über das Rechtswesen führt. Höchstes Gericht ist ein Appelhof, dem 5 Tribunale erster Instanz untergeordnet sind. Der Civilintendant ist oberster Finanzbeamter. In militärischer Beziehung ist die ganze Provinz in 3 Divisionen u. 12 Subdivisionen eingetheilt. Die Mohammedaner werden durch ihre Kadis gerichtet, jedoch unter der Controle des Generalprocurators; ihre Schechs u. Gemeindevorsteher ziehen die Steuern ein u. liefern sie an die franz. Finanzbeamten ab; die Stämme der Araber müssen Hilfstruppen stellen, Goums, welche von den eigenen Häuptlingen befehligt werden. Die Kabylen im Dschurdschuragebirge sind jedoch noch unabhängig u. leisten verzweifelten Widerstand. Die Provinz kostet Frankreich jährlich noch 20–25 Mill. Fr. mehr als sie einträgt, und dies wird noch lange dauern, weil die Eingebornen, die Araber, Mauren u. Kabylen keine oder nur wenige franz. Waaren brauchen u. deßwegen wenig oder gar nichts kaufen, dagegen aber Früchte, Felle, Vieh u. dgl. gegen baar verkaufen. Die Franzosen haben mit großen Kosten, theilweise auch durch Strafcompagnien, Straßen angelegt, u. von A. nach Belidah geht eine Eisenbahn. Der Hafen von A. soll durch Bauten, die auf 20–30 Mill. veranschlagt sind, zu einem sichern Handels- u. unbezwinglichen Kriegshafen gemacht werden, was theilweise schon geschehen ist. – Das Gebiet von A. war in den ältesten Zeiten ein Theil Numidiens u. Mauretaniens u. kam kurz vor Chr. Geburt an die Römer, unter denen es bis zur Völkerwanderung blieb, wo es die Vandalen besetzten u. verwüsteten. 533 kam es durch Belisar an das oström. Reich, im 7. Jahrh. eroberten es die Araber u. es wurde nun ein Theil des ommajadischen Kalifats. Bei der Spaltung dieses Reiches wurde es ein eigenes Königthum u. König Zeiri baute um 935 als Hauptstadt Aldschesair, d.h. die Siegreiche, A.; 1148 eroberte der Normanne Roger von Sicilien das Land u. machte der Herrschaft der Zeiriden ein Ende. 1159 jedoch fiel es in die Hände der Almohaden, 1260 an die Zianiden von Fez; 1506 eroberte Ferdinand von Aragonien Oran, 1509 machte Cardinal Ximenes seinen berühmten Feldzug u. zwang A. zum Tribute. Da rief der maurische Fürst Selim Eutemi die beiden Seeräuber Horuk und Haireddin Barbarossa zu Hilfe, welche die Spanier vertrieben; aber Horuk ermordete den Selim, eroberte Tlemsen, Oran und Tunis, Carls V. Feldherr Gomarez jedoch nahm Oran wieder u. erschlug den Horuk in Tlemsen. Haireddin unterwarf sich nun mit A. der Oberhoheit des Sultans Solyman und wurde dessen Admiral, verlor aber an Carl V. Tunis u. A. behauptete sich 1541 gegen Carls Angriff nur durch die Gunst des Unwetters. Von der Zeit der beiden Barbarossa an war A. Hauptsitz der [117] Seeräuberei u. die eingewanderten Türken, die durch Werbung immer erneuert wurden, beherrschten das Land; sie wählten seit 1710 ein Oberhaupt, den Dey, den sie nach Umständen wieder absetzten u. ermordeten. Die freche Seeräuberei der Algierer zog ihnen manche Züchtigung zu, aber das Unwesen dauerte fort, indem christl. Mächte den Raubstaat gegen andere christl. Mächte in Schutz nahmen. 1665 zerstörte Admiral Blake auf Cromwells Befehl die algier. Flotte u. befreite die Gefangenen; 1682 bombardirte der franz. Admiral Duquesne A., ebenso das folgende Jahr, 1687, Admiral Tourville. Alles dies half indessen nicht viel; die Spanier, welche 1775 mit 25000 Mann unter General Oreilly landeten, wurden so schlecht angeführt, daß sie sich mit Zurücklassung ihres Geschützes u. der Verwundeten wieder einschiffen mußten. Das Unwesen dauerte fort u. besonders litten die kleineren Seemächte; Napoleons Plane gegen die Raubstaaten kamen nicht zur Ausführung, ebensowenig die Beschlüsse des Aachner Congresses, dagegen schlug der nordamerik. Commodore Decature die algier. Flotte auf der Höhe von Carthagena u. zwang den Dei die Flagge der Union zu respectiren. 1816 bombardirte eine engl. Flotte unter Exmouth A. u. erzwang wenigstens für die engl. Schiffe die Sicherheit auf dem Mittelmeere. Der Uebermuth gegen andere Mächte dauerte fort u. erst der Fächerschlag, welchen der Dei am Bairamsfeste dem franz. Consul gab, führte zuerst zu einer Blokade der Küste durch franz. Kriegsschiffe und endlich zur Expedition von 1830. Unter General Bourmont landeten den 14. und 15. Juni 32000 Franzosen bei Sidi Ferruch 2 1/2 M. westl. von A.; am 19. schlugen sie die Türken, Mauren u. Araber bei Staueli, am 24. bei Sidi Khalef; am 4. Juli wurde das Kaiserfort bei A. genommen, u. als am 5. die Flotte unter Dupperé A. beschoß u. die Armee zum Sturm schreiten wollte, ergab sich A.; der Dei erhielt mit seinem Privatvermögen freien Abzug, ebenso die türkische Miliz. An Geld und edelm Metall wurde erbeutet 48683000 Fr., an Vorräthen verschiedener Art 3 Mill., an metallenen Geschützen 4 Mill.; die Kosten der Expedition aber beliefen sich auf 481/2 Mill. Fr. In Folge der Julirevolution wurde Bourmont durch General Clauzel ersetzt (vom 2. Sept. 1830 bis 20. Febr. 1831), der einige Unternehmungen machte, ohne dauernden Erfolg zu erzielen; auf Clauzel folgte Berthezène (20. Febr. bis Dec. 1831), der am 2. Juli im Paß von Teniah geschlagen wurde; auf diesen der Herzog von Rovigo, Savary (Decemb. 1831 bis März 1833), durch Grausamkeit verhaßt; vom März bis 19. Apr. 1833 General Avizard, errichtete zum Verkehr mit den Eingebornen das arab. Bureau; Apr. 1833 bis 28. Sept. 1834, General Voirol, unter dessen Commando General Demichles in Oran mit Abdelkader den bekannten Vertrag schloß (s. Abdelkader); vom Sept. 1833 bis Aug. 1835 Drouet dʼErlon, unter ihm Trezels Niederlage an der Makta den 28. Juni; Aug. 1835 bis Febr. 1837 Marschall Clauzel; Zerstörung von Maskara, Expedition gegen Tlemsen, ohne wichtige Folgen; 25. Apr. 1836 Niederlage dʼArlanges an der Tafna, dagegen Siege Bugeauds in der Provinz Oran den 12. Juni und 6. Juli; am 13. Nov. Marsch gegen Constantine, verlustvoller Rückzug vom 24.–30. Nov. nach Bona. Auf Clauzel folgte General Damremont, 3. Apr. bis 12. Oct. 1837. Am 30. Mai Bugeauds Vertrag mit Abdelkader an der Tafna; am 11. Okt. fällt Damremont vor Constantine, das am 13. unter Valée erstürmt wird. Dieser kommandirt vom 12. Oct. 1837–1841; der Krieg von Abdelkader erneuert; endlich wird Bugeaud Generalgouverneur, 22. Febr. 1841–46; unter ihm wird endlich das Militär- u. Verwaltungssystem, das so schlechte Früchte getragen, geändert, der Krieg mit 80000 Mann geführt, Abdelkader zur Flucht nach A. u. 1847 zur Uebergabe an General Lamoricière u. den Herzog von Aumale gezwungen. Nach der Revolution von 1848 befehligten kurz nacheinander Cavaignac, Changarnier, Charron, seit 1852 General Randon. Die Araber verhielten sich ruhig, dagegen gab es Kämpfe mit [118] den Kabylen, die erst noch unterworfen werden sollen.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 116-119.
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